Protokoll der Sitzung vom 23.10.2013

Wenn sie aus Diktaturen stammen und autoritären Regimen, dann kennen sie ein rechtsstaatliches Verfahren, wie wir es Gott sei Dank unser eigen nennen dürfen, nicht.

Deswegen ist es notwendig und wichtig, das auch zu erklären. Deshalb will ich aber nicht so weit gehen wie der Kollege van Vormizeele, aber ich habe auch den Eindruck, dass hier Menschen wegen der politischen Interessen immer wieder in einem Irrweg bestärkt werden. Deswegen bitte ich noch einmal darum, dass alle Menschen, auch in diesem Parlament, daran mitwirken, diesen Menschen einen Ausweg aus ihrer Situation zu weisen und ihnen nicht immer wieder niemals zutreffende Hoffnungen zu machen und sie damit, jedenfalls aus meiner Sicht, für den politischen Meinungskampf zu instrumentalisieren. Ich habe den Eindruck, manch einem geht es nicht nur um das Schicksal der Flüchtlinge und die Lösung des Problems,

(Jens Kerstan GRÜNE: Wen meinen Sie denn?)

sondern es geht häufig darum, politische Interessen zu vertreten wie beispielsweise eine Änderung des Asylrechts oder des Aufenthaltsrechts. Das halte ich für falsch und für einen Missbrauch der Flüchtlinge. Statt ihnen zu helfen, tun ihnen manche Menschen genau das Gegenteil an.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Ich will noch auf den Satz von Frau Schneider eingehen. Sie haben gesagt, wenn man nur wolle, dann gäbe es schon eine Lösung. Wir befinden uns, darin sind wir uns wohl alle einig, in einem Rechtsstaat. In diesem Rechtsstaat gibt es sicherlich in dem einen oder anderen Fall Situationen, Entscheidungen treffen zu müssen. Aber die Voraussetzung, Entscheidungen zu treffen, ist die Kenntnis des Sachverhalts.

(Antje Möller GRÜNE: Da hätten Sie sich längst schlaumachen sollen!)

Und ohne Kenntnis des Sachverhalts, ohne Kenntnis der Namen und ohne Kenntnis der Fluchtgeschichte kann es keine Pauschalfreigabe dafür geben, ob Menschen eine Perspektive in unserem Land haben oder nicht. Ich sage deutlich, dass Willkür – und dies wäre Willkür – das Merkmal von Unrechtsregimen ist, und das sind wir gerade nicht. Rechtsstaatliche Verlässlichkeit und die Klarheit, dass der Rechtsweg notwendig ist, sind auch ein Zeichen für einen demokratischen Rechtsstaat.

(Senator Michael Neumann)

Deshalb ist es auch an dieser Stelle richtig und wichtig, den Menschen dieses Signal mitzugeben.

Sie können sich darauf verlassen, dass wir eine faire Einzelfallprüfung vornehmen, dass sie den Rechtsweg haben, dass sie die Möglichkeiten des Eingabenausschusses und sonstiger parlamentarischer Gremien haben. Aber Voraussetzung für alles – und das ist für mich am Ende die Konsequenz und die Erwartungshaltung, die ich und der Senat als Ganzes formulieren – ist es, seine Identität offenzulegen, sich entsprechend in das Verfahren zu begeben und seine Fluchtgeschichte zu schildern. Mehr ist es nicht, und dann erreichen wir gemeinsam, diesen Menschen vielleicht, wenn es rechtlich möglich ist, auch eine Perspektive zu bieten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Heike Sudmann DIE LINKE: Kennen Sie das Wort humanitär? – Die Fraktion DIE LINKE hält Transparente hoch.)

Ich stelle fest, dass die Sitzung gestört ist, und unterbreche sie für fünf Minuten. Ich bitte die Fraktionsvorsitzenden zu mir.

Unterbrechung: 15.49 Uhr

Wiederbeginn: 15.53 Uhr

Meine Damen und Herren! Wir setzen die Sitzung fort. Bitte nehmen Sie wieder Platz. – Wir setzen die Aktuelle Stunde fort, und das Wort bekommt Frau Schneider.

Meine Damen und Herren! Uns wurde vorgeworfen, dass wir die Flüchtlinge auf einem Irrweg bestätigen. Ich sage ganz offen, dass wir an der Rückführung und der Abschiebung dieser Flüchtlinge nicht mitwirken werden.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN – Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist auch nicht erforderlich!)

Wir kämpfen für ein humanitäres Bleiberecht in Hamburg.

Zum zweiten Punkt, dem Vorwurf des Rassismus: Es ist von unserer Seite kein Vorwurf gegen die Polizei erhoben worden, im Gegenteil. Wir haben mit einem Flugblatt kontrollierende Polizeibeamte darauf hingewiesen, dass sie Bedenken gegenüber ihren Dienstvorgesetzten geltend machen können, denn wir wissen, dass viele Bedenken haben.

(Glocke)

Ich werde Ihre Frage beantworten, denn Sie wollen jetzt wissen, warum ich oft unter #RacialProfiling getwittert habe und diesen Hashtag im Tweet verwendet habe.

(Glocke)

Frau Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Petersen?

Ja, Herr Petersen.

Frau Schneider, Sie haben am 22. Oktober 2013 um 22.41 Uhr getwittert:

"#RacialProfiling allein am Wochenende 12./13. Oktober hat die Polizei im Rahmen der Jagd auf Lampedusa-Flüchtlinge 15 Menschen mit 'legalem' Aufenthaltsstatus bzw. dtsch. Pass allein aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert."

Das geht nicht gegen die Polizei?

Nein, das geht nicht gegen die Polizei, sondern das geht gegen die Weisungen, die sie erhalten hat, und ich will das auch begründen.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

An diesem Wochenende wurden circa 40 bis 50 Menschen kontrolliert. Davon hatten 15 Menschen einen deutschen Pass beziehungsweise einen legalen Aufenthaltstitel. Jetzt frage ich Sie, warum wurden diese Menschen kontrolliert? Weil sie sich verdächtig verhalten haben? Nein, weil sie eine schwarze Hautfarbe haben. Ich habe ein Schild eines Mädchens mit dunkler Hautfarbe bei der Demonstration gesehen, und auf diesem Schild stand: "Menschenrechte nur für Weiße – nie wieder". Das heißt, Sie stoßen diese Menschen aus.

(Beifall bei der LINKEN – Sylvia Wowretzko SPD: Das ist ein bisschen schwarz-weiß!)

Sie zeigen ihnen damit, dass sie nicht wirklich dazugehören. Deswegen meine ich, dass diese Weisung, die die Polizei erhalten hat, rechtswidrig war. Ich bin dort einer Meinung mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte. Wir haben übrigens auch mit ihnen telefoniert, weil wir uns vergewissern wollten, ob wir vielleicht abwegig denken. Wir haben uns bei "Pro Asyl" vergewissert, und die Kritik des RacialProfiling, rassistischer Kontrollen, ist bei NGOs, bei Menschenrechtsorganisationen, beim Deutschen Institut für Menschenrechte und bei sehr, sehr vielen Bürgern in dieser Stadt weit verbreitet. Da reicht es überhaupt nicht, dass Herr Neumann sagt, wir wüssten doch, dass der Rassismus-Vorwurf ins Leere gehe. An ihren Taten soll man alle messen, und Herr Neumann hat diese Taten angeordnet und niemand sonst.

(Beifall bei der LINKEN)

(Senator Michael Neumann)

Es ist völlig klar, dass im weiteren Verlauf auch Identitäten festgestellt und genannt werden, aber die Frage ist doch die Perspektive. Der Senat hat von Anfang an gesagt – Herr Olaf Scholz höchstpersönlich –, dass die hier nicht bleiben würden. Was die Flüchtlinge dagegen brauchen, ist die Zusicherung einer humanitären Bleiberechtsperspektive.

(Beifall bei der LINKEN)

Und dann ist natürlich jedem völlig klar, dass sie ihre Identitäten preisgeben.

(Zuruf von Martina Kaesbach FDP)

Wie sollen sie sich denn sonst in dieser Gesellschaft aufhalten? Aber dies müssen Sie auch sagen. Sie haben den Flüchtlingen verschiedene Angebote gemacht, zum Beispiel keine Strafverfolgung wegen illegalen Aufenthalts. Das ist doch lächerlich, denn kein Staatsanwalt in dieser Stadt verfolgt inzwischen Flüchtlinge wegen illegalen Aufenthalts. Die Verfahren werden alle eingestellt. Das ist doch keine Zusage.

Sie haben den Flüchtlingen angeboten, sie würden nicht in andere Bundesländer verteilt. Wenn man keinen Asylantrag stellt, wird man sowieso nicht verteilt. Was ist denn das für eine Zusage? Das ist eine Selbstverständlichkeit. Dass man die faire Einzelfallprüfung extra erwähnen muss, sagt etwas über die Realität in dieser Stadt und in Deutschland aus. Wir wissen alle, dass es inzwischen sehr, sehr selten faire Einzelfallprüfungen gibt. Ich erinnere nur an die Massenabschiebungen von Roma.

Ich finde es gut, wenn Sie sagen, es gäbe faire Einzelfallprüfungen. Ich finde es auch gut, wenn Sie sagen, dass für die Zeit des Gerichtsverfahrens die Flüchtlinge hier bleiben können. Das ist, wie Sie wissen, nicht die Rechtslage. Das finde ich alles gut, aber es muss die Perspektive genannt werden.

Ich nenne noch eine zusätzliche Forderung. Ich finde es auch selbstverständlich, dass Sie den Flüchtlingen dann eine Arbeitserlaubnis so schnell wie möglich anbieten, also nach zwölf Monaten des Aufenthalts hier. Da kann die schon vergangene Zeit einbezogen werden. Es wäre also noch eine ganze Menge zu bereden. Aber das Grundlegende ist, dass Sie wollen und sagen müssen, dass die Flüchtlinge hier eine Bleiberechtsperspektive haben.

Das Wort hat nun Herr Abaci.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa ist nicht nur eine Schande für Europa, sondern es ist auch ein Symbol für gescheiterte EU-Politik in diesem Bereich.

(Beifall bei Tim Golke DIE LINKE)

Seitdem Hunderte von Flüchtlingen bei dem Versuch umgekommen sind, Europa per Schiff zu erreichen, und die Medien darüber breit berichten, hat diese Katastrophe natürlich auch die Köpfe und Herzen der meisten Menschen in Hamburg erreicht. Sie fühlen und leiden mit den Flüchtlingen und fordern auch zu Recht eine Diskussion über die Veränderung der europäischen Flüchtlingspolitik. Europa darf und soll keine Festung sein, an deren Mauern jede Menschlichkeit abprallt.

(Beifall bei der SPD)

Die Genfer Flüchtlingskonvention ist Teil der EUVerträge und verpflichtet auf eine völkerrechtskonforme humanitäre Flüchtlingspolitik. Diese Verpflichtung muss neu eingefordert werden, auch von Italien.

Meine Damen und Herren! Der Schutz der europäischen Grenzen und ihre Koordination durch die EU-Agentur Frontex dürfen nicht zur Gefährdung von Leib und Leben von Flüchtlingen beitragen.