Protokoll der Sitzung vom 06.11.2013

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/8962 an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung abgelehnt.

Dann stelle ich fest, dass die Bürgerschaft von der Großen Anfrage aus Drucksache 20/8962 Kenntnis genommen hat.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf, Drucksache 20/9612, Bericht des Ausschusses für Justiz, Datenschutz und Gleichstellung zum Thema: Situation und Ausstattung der Hamburger Staatsanwaltschaft.

[Bericht des Ausschusses für Justiz, Datenschutz und Gleichstellung zum Thema: Situation und Ausstattung der Hamburger Staatsanwaltschaft (Selbstbefassungsangele- genheit) – Drs 20/9612 –]

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Herr Trepoll, Sie haben es.

Verehrtes Präsidium, meine Damen und Herren! Herr Tabbert, ich spreche Sie gleich direkt an, weil ich mich an unsere letzte Debatte zu diesem Thema erinnere. Ich kann mich noch erinnern, wie Sie stolz vorn am Rednerpult standen und einen Artikel aus einer großen Hamburger Tageszeitung mit vielen Bildern hochhielten und sich darauf beriefen. Ich will Ihnen das einmal gleichtun und aus einer anderen Ausgabe der gleichen Zeitung von vor einer Woche zitieren:

"Angeklagte, Kläger oder Beklagte, kurz: Hunderte Beteiligte und Betroffene erleben täglich die wahren, unerträglichen Justizverhältnisse, die Justizsenatorin Schiedek aber weiter unverdrossen leugnet."

Offensichtlich, Herr Tabbert, ist Ihnen jetzt auch noch der letzte Verbündete in der Stadt bei diesem Punkt abhandengekommen.

Aber für den Eindruck, dass die Situation der Hamburger Justiz insgesamt und in diesem speziellen Fall die Situation und Ausstattung der Hamburger

Staatsanwaltschaft unerträglich ist, braucht man keine Zeitungsartikel, die es in den letzten Wochen und Monaten sicherlich zur Genüge gegeben hat. Dafür reicht durchaus schon die bemerkenswerte und verkürzte Antwort des Senats auf eine meiner parlamentarischen Schriftlichen Kleinen Anfragen aus.

In meiner Schriftlichen Kleinen Anfrage mit der Drucksachennummer 20/8990 fragte ich den Senat unter Punkt 13, wie hoch die tatsächliche durchschnittliche Anzahl an Wochenarbeitsstunden der Staatsanwälte in Hamburg sei und bat ihn, das nach Abteilungen aufzuschlüsseln. Der Senat antwortete jedoch nur zusammenfassend wie folgt:

"Die Arbeitszeit der Dezernentinnen und Dezernenten der Staatsanwaltschaft wird nicht durch ein Zeiterfassungssystem aufgezeichnet, sodass eine genaue, nachprüfbare und zuverlässige Beantwortung der Frage nicht erfolgen kann.

Eine Abfrage in den Hauptabteilungen hat ergeben, dass sie zwischen 40 und 50 Stunden pro Woche beträgt."

Mittlerweile liegen mir jedoch Informationen vor, die diesen Sachverhalt anders erscheinen lassen, als es der Senat in seiner zusammenfassenden Beantwortung anscheinend vermitteln will. Demnach verteilen sich die Arbeitszeiten, aufgeteilt nach Hauptabteilung und Mitarbeiterzahl, bei der Staatsanwaltschaft wie folgt: Drei Dezernenten in einer einzigen Abteilung arbeiten durchschnittlich 40 Stunden, mindestens über 150 Dezernenten in sechs Abteilungen arbeiten 46 bis 50 Stunden, durchschnittlich also 47,7 Stunden für alle Abteilungen. Und wenn man mit den Betroffenen spricht, dann wird einem auch gesagt, dass es eigentlich kaum jemanden gäbe, der dort keine Sechs-Tage-Woche hätte.

Dass Ihnen das nicht passte, war klar, denn man kann mit einer solchen Antwort nicht behaupten, die Arbeitsbelastung sei gesunken. Ich habe deshalb die Präsidentin der Bürgerschaft gebeten, meine Rechte als Abgeordneter aus Artikel 25 der Hamburger Verfassung zu wahren und den Senat aufzufordern, auf diese Frage vollständig zu antworten. Mir ist auch zugetragen worden, dass nicht nur ich verärgert bin über die Antwort des Senats. Offensichtlich gibt es sogar ein Schreiben des Personalrats, der sich über die Antwort des Senats auf meine Anfrage in diesem Punkt beschwert. Dazu würde ich gern auch etwas erfahren.

Meine Damen und Herren! Neben den Vorfällen im Hamburger Strafvollzug und der Belastung der Gerichte ist die Überlastung der Staatsanwaltschaft das dritte Feld, dem Senatorin Schiedek nicht die nötige politische Aufmerksamkeit schenkt. Sie, Frau Schiedek, verhalten sich geradezu so, als hätte es den Alarmruf der Staatsanwaltschaft in

(Mehmet Yildiz)

Form eines Briefs des Generalstaatsanwalts von Selle und des leitenden Oberstaatsanwalts Dr. Brandt an den Senat gar nicht gegeben. Anlass des Alarmrufs waren die unverhältnismäßigen Einsparverpflichtungen der Staatsanwaltschaft, auf die wir bereits bei den letzten Haushaltsberatungen mehrfach hingewiesen haben. Mit ihrem Brief hat die Staatsanwaltschaft bezweifelt, dass sie angesichts des geplanten Personalabbaus ihren rechtsstaatlichen Aufgaben in Zukunft in Hamburg noch gerecht werden kann.

Allein dieser besorgniserregende Hilferuf hätte doch schon genügen müssen, dass der Senat endlich einmal reagiert, denn eine leistungsfähige Staatsanwaltschaft ist einer der Grundpfeiler in unserem Rechtssystem. Aber dies zeigt auch, dass das Vertrauen der Staatsanwaltschaft in die Behördenleitung offenbar schon nachhaltig gestört ist.

Im Justizausschuss versuchte sich der Senat beispielsweise mit der rückläufigen Geschäftsbelastung herauszureden, außer Acht lassend, dass die Rückläufigkeit der Zahlen keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Arbeitsbelastung zulässt. Der Senat weigert sich schlicht, diese Problematik zur Kenntnis zu nehmen. Stattdessen verordnet er der Justiz eine Sparquote, die auch für die Staatsanwaltschaft einen weiteren Personalabbau bedeutet.

Der SPD-Senat sieht Einsparungen von drei bis vier Vollzeitäquivalenten pro Jahr vor, obwohl der Staatsanwaltschaft nach Angaben des Generalstaatsanwalts und des leitenden Oberstaatsanwalts zuvor bereits zugesichert worden war, dass für die Haushaltskonsolidierung nicht die Erreichung der Planvollzeitäquivalente, sondern die Einhaltung des zugewiesenen Budgets maßgeblich ist. Der Senat hingegen verneinte, wie seine Antwort auf meine SKA ergeben hat, eine solche Zusicherung. Dies zeigt, wie es um das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Behördenleitung und insbesondere um die Kommunikation mit der Behördenleitung bestellt ist.

Auch die Tatsache, dass Sie nicht die Soll-Personalstärke von 2011, sondern die Ist-Personalstärke von 2011 als Maßstabsgröße für die Einsparverpflichtungen genommen haben, ist ein Schlag ins Gesicht für unsere Strafverfolgungs- und Strafvollstreckungsbehörde.

Meine Damen und Herren! Als Abgeordneter interessiert mich, welche Bewertung der Situation dieser überaus wichtigen Behörde nun tatsächlich zutrifft. Die beiden Selbstbefassungen im Justizausschuss hat der Senat dazu leider nicht genutzt. Ich habe mir sehr gewünscht, dass der Senat Vertreter der Staatsanwaltschaft, insbesondere die Verfasser des Briefs, im Justizausschuss zu Wort kommen lassen würde und habe den Senat mehrfach, wie auch meine Kollegen im Ausschuss, ausdrücklich darum gebeten. Dies ist leider nicht gesche

hen. Dieses Verpassen eines Maulkorbs ist aus meiner Sicht zutiefst unsouverän und entspricht nicht den Gepflogenheiten unseres parlamentarischen Betriebs.

(Beifall bei der CDU)

Ihr Vorschlag, nun Arbeitskreise und eine Überprüfungskommission einzusetzen, wird die Probleme nicht lösen, im Gegenteil. Die Staatsanwälte stöhnen bereits jetzt darüber, dass ihnen dadurch nur noch mehr Zeit für das Kerngeschäft fehlen werde. Die Warnung der Staatsanwälte darf jedenfalls aus unserer Sicht nicht folgenlos verpuffen. Aber für Frau Senatorin Schiedek scheint das Thema trotzdem bereits wieder abgehakt zu sein. Und wenn Sie, Herr Tabbert, in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaftssitzung am 15. August dieses Jahres – ich habe darüber eben schon geredet – davon sprechen, dass niemand, und schon gar kein Sozialdemokrat, das Thema Justiz und Strafvollzug auf die leichte Schulter nehme, dann kann ich nur feststellen, dass ich mittlerweile niemanden in der Hamburger Justiz und darüber hinaus mehr kenne, der diesen Eindruck des Kollegen Tabbert teilt.

(Beifall bei der CDU)

In diesem Sinne herrscht leider in der SPD-Justizpolitik kein gutes Regieren, denn es geht Ihnen um die Verschleierung der Realität, gepaart mit dem unverdrossenen Leugnen der Probleme. Ich finde, das darf so nicht weitergehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Farid Müller GRÜNE)

Herr Tabbert, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Kollege Trepoll, zunächst einmal zum Vorwurf des Maulkorbs. Da hilft vielleicht ein Blick in die Verfassung bis hin zu der Auseinandersetzung mit dem Thema Gewaltenteilung. Nach meinem Verständnis ist es so, dass wir als Bürgerschaft diesen Senat kontrollieren, und der Senat wiederum ist dafür verantwortlich, dass die Staatsanwaltschaft und die nachgeordneten Behörden ordentlich funktionieren. Wenn wir jetzt jede betroffene Berufsgruppe in den Ausschuss rufen, dann wird das ein Fass ohne Boden. Das bitte ich einmal zu bedenken.

Worum geht es? Herr Kollege Trepoll, Sie haben es gesagt, es geht um drei bis vier Vollzeitäquivalente, die bei der Staatsanwaltschaft in den Jahren 2013/2014 eingespart werden sollen. Man muss dazu sagen, dass die Gesamtzahl über 500 Vollzeitäquivalente beträgt, das heißt, wir reden über eine Mehrbelastung von unter 1 Prozent im Jahr. Ich will das nicht schönreden, aber man muss auch hier die Dimensionen ein bisschen geraderücken.

(André Trepoll)

Die Staatsanwaltschaft ist ein wichtiger Pfeiler in der Justizlandschaft in Hamburg; ich denke, da sind wir uns alle einig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Daher war es auch für meine Fraktion selbstverständlich, natürlich sofort einer Selbstbefassung im Hinblick auf den Brief des Generalstaatsanwalts zuzustimmen. Wir nehmen das sehr ernst, was dort gesagt wird. Aber natürlich ist es uns auch wichtig, dass wir in Zeiten, die sich nun einmal im Vergleich zur letzten Legislaturperiode dahingehend geändert haben, dass wir es jetzt mit der Schuldenbremse zu tun haben, jeder Bereich, bis auf die zwei benannten Schonbereiche, im Haushalt Konsolidierungsbeiträge erbringen muss. Deswegen ist es uns natürlich wichtig zu schauen, dass dies möglichst gerecht verteilt wird.

Sie haben schon angesprochen, dass es mitnichten so ist, dass keine Reaktion aus der Justizbehörde kommt. Die Reaktion ist hingegen die Einsetzung eines gemeinsamen Projekts, das heißt, die Behörde arbeitet gemeinsam mit der Behördenleitung der Staatsanwaltschaft daran, dass die Belastungen möglichst gerecht verteilt werden.

Im Ausschuss, das fand ich auch sehr spannend, haben wir dann erfahren, dass Hamburg im Großstadtvergleich noch recht gut dasteht. Ich sage das nur, um die Verhältnisse ein wenig geradezurücken. Bei der Verfahrensdauer beispielsweise lagen wir im Jahre 2005 – da hieß meiner Erinnerung nach der Justizsenator Kusch – bei 3,4 Monaten. 2012, unter Justizsenatorin Schiedek, beträgt sie 1,3 Monate. Haben Sie damals auch so laut geschrien, wie Sie das jetzt tun? Ich kann mich daran jedenfalls nicht erinnern.

(Beifall bei der SPD – Dr. Roland Heintze CDU: Da waren Sie auch nicht dabei!)

München liegt, um noch einen anderen Vergleich zu nennen, bei 2,5 Monaten, wir dagegen bei 1,3 Monaten. Ich glaube, es gab jetzt einen leichten Anstieg auf 1,5 Monate, aber das rechtfertigt mitnichten, Herr Kollege Trepoll, das Theater, das Sie hier veranstalten.

(Beifall bei der SPD)

Auch bei den Eingangszahlen sieht es relativ gut aus. Wir haben seit 2005 einen Rückgang von 14 Prozent. Hamburg liegt bei 868, in anderen Großstädten liegen sie bei 930. Auch die Bestände liegen im Bereich des Normalen und sind eher leicht rückläufig. Ich habe zur Situation der Belastung der einzelnen Staatsanwälte Ihren sehr hilfreichen Anfragen und auch den Protokollen der Ausschusssitzungen entnommen, dass es 2005 576 Verfahren pro Staatsanwalt gab, 2012 dagegen waren es 471 Verfahren pro Staatsanwalt.

Wir nehmen das alles sehr ernst. Ich kenne übrigens im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Trepoll, Mitarbeiter in der Justiz, sowohl Richter als auch Staatsanwälte, die das Ganze nicht so dramatisch

sehen, wie Sie das schildern. Dass man nicht damit zufrieden ist, wenn man eine hohe Arbeitsbelastung hat, können wir alle nachvollziehen. Niemand bestreitet auch, dass die Arbeitsbelastung bei der Staatsanwaltschaft – das ist auch mein Eindruck – sehr hoch ist. Deswegen nehmen wir das auch ernst, und deshalb halten wir sehr viel von dem Projekt, das die Justizsenatorin eingerichtet hat, nämlich zu schauen, wie die Belastung möglichst gerecht verteilt wird.

Wenn die Zahlen sich so entwickeln, dass wir bei gleichbleibender Beschäftigtenzahl tatsächlich Eingangsrückgänge haben und insgesamt die Bestände leicht zurückgehen, dann fragt man sich doch, warum die Staatsanwälte dann klagen. Dem wollen wir natürlich auf den Grund gehen. Wenn dann einzelne Staatsanwälte berichten, wie viele Stunden sie tatsächlich arbeiten, nehmen wir das zwar ernst, aber man muss natürlich Argumenten, die da lauten, es werde alles immer schwieriger und die Verfahren seien komplexer, genauer auf den Grund gehen. Es mag Bereiche geben, bei denen es plausibel ist, zum Beispiel im Bereich der Cyber-Kriminalität oder der Wirtschaftskriminalität. Aber es gibt auch Bereiche, in denen genauso laut geklagt wird, die allgemeinen Abteilungen, bei denen es um einfache Diebstähle und Ähnliches geht. Da fragt man sich, ob die in den letzten fünf oder sieben Jahren in der Bearbeitung so viel komplexer geworden sind. Daran habe ich doch meine Zweifel. Deswegen müssen wir sehr differenziert an die Problematik herangehen.

Bei alledem möchte ich hervorheben, dass ich den Eindruck habe, auch aus meiner persönlichen Erfahrung als Anwalt, dass wir in Hamburg eine Staatsanwaltschaft haben, die exzellent aufgestellt ist, und dass wir ein hervorragendes Personal haben, das im Übrigen immer weiblicher wird. Das finden wir sehr erfreulich. Wir nehmen die Sorgen der Staatsanwaltschaft weiterhin sehr ernst und bleiben an dem Thema dran. Ich denke, dieses Thema liegt uns als Justizpolitiker allen am Herzen, und wir sollten es, soweit es geht, aus dem Parteienstreit heraushalten und schauen, dass wir auch in Zeiten der Schuldenbremse weiterhin vernünftige Justizpolitik machen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Müller, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich kann mich kaum entsinnen, dass es einmal so eine Konfrontation zwischen einer Justizsenatorin und ihrer Staatsanwaltschaft wie jetzt in Hamburg gegeben hat. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass es, als wir diesen Brandbrief zum Teil im "Hamburger Abendblatt" lesen konnten und nun auch sehr ausführlich im

(Urs Tabbert)

Ausschuss, eine so unversöhnliche Haltung von beiden Seiten gegeben hat im Sinne der Einschätzung der Lage bei der Hamburger Staatsanwaltschaft. Ich kann mich wirklich nicht entsinnen, und mir ist völlig rätselhaft, wie man seitens der Behörde so ignorant mit den Sorgen, die dort dezidiert auf vier Seiten geschildert wurden, umgehen kann. Ich habe es im Ausschuss nicht verstanden, und ich verstehe es bis heute auch nicht durch die öffentlichen Äußerungen der Senatorin.