Protokoll der Sitzung vom 06.11.2013

(Dr. Andreas Dressel SPD: Whistleblower! Der Snowden aus der Staatsanwaltschaft!)

Herr Dressel, auch Sie könnten das Thema ernst nehmen.

(Beifall bei Tim Golke DIE LINKE)

Die Kritik richtet sich im Wesentlichen gegen den nach Auffassung der Verfasser bedrohlichen Personalabbau in der Staatsanwaltschaft. Schon für 2013, so heißt es in dem Brief, habe die Staatsanwaltschaft einen Abbau von etwa 6 Prozent zu bewältigen. Der Personalabbau werde in den nächsten Jahren weitergehen, doch schon jetzt könne die Staatsanwaltschaft – ich zitiere –:

"… die ihr übertragenen, qualitativ immer anspruchsvoller werdenden Aufgaben der Strafverfolgung und Strafvollstreckung nicht flächendeckend erfüllen."

Ich begrüße ausdrücklich, dass die Debatte über die Situation und die Ausstattung der Staatsanwaltschaft öffentlich geführt wird. Schließlich geht es um die wichtige Frage, wie viel und welche Justiz – hier konkret: Staatsanwaltschaft – sich die Gesellschaft leisten will. Dabei möchte ich drei Punkte hervorheben.

Erstens: Auch wenn die Justizsenatorin die Kritik im Wesentlichen zurückweist und etliche Aussagen des Briefes bestreitet, ist unbestritten, dass die Staatsanwaltschaft einen Personalabbau erleidet – in diesem Jahr und nach den Vorstellungen des Senats auch in den nächsten Jahren. 18,5 Stellen, die bei der Staatsanwaltschaft nicht besetzt gewesen seien, würden gestrichen, außerdem weitere drei bis vier Stellen pro Jahr.

Ich habe den Eindruck, ich muss hier ständig gegen einen Schwall von …

(Finn-Ole Ritter FDP: Grünen!)

… von Grünen reden, genau.

(Glocke)

(unterbrechend) : Meine Damen und Herren! Egal, von welcher Seite der Schwall kommt, die Rednerin hat das Wort.

18,5 Stellen, die bei der Staatsanwaltschaft nicht besetzt gewesen seien, würden gestrichen, außerdem weitere drei bis vier Stellen pro Jahr. Begründung: Schuldenbremse. Die Schuldenbremse, meine Damen und Herren, ist nicht vom Himmel gefallen, sie ist kein Naturgesetz. Es ist auch kein Naturgesetz, dass zur Eindämmung der Schulden die

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

Aufgaben zusammengestrichen werden, statt die Einnahmen zu erhöhen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Argument Schuldenbremse ist ein Totschlagargument, das jede Debatte über gesellschaftliche Aufgaben erstickt. Das sage ich auch, und vielleicht nicht zuletzt, an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der Opposition. Ich war überrascht über Ihre Rede, Frau von Treuenfels.

(Olaf Ohlsen CDU: Ich auch!)

Sie können nicht bei jedem konkreten Konflikt bei der Staatsanwaltschaft, der Feuerwehr oder der Kinder- und Jugendhilfe gegen konkrete Kürzungen opponieren und sich gleichzeitig als glühendste Verfechterin der Schuldenbremse und einer allgemeinen Kürzungspolitik hervortun.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD – Jan Quast SPD: Könnten Sie Herrn Müller auch mal sagen!)

Das geht nicht zusammen. Wenn Sie Ihre Kritik ernst meinen, dann müssen Sie sagen, dass das Geld kostet und – das darf ich jetzt einmal zurückgeben – woher das Geld kommen soll.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Zweitens: Der Klage der Staatsanwaltschaft über wachsende Arbeitsbelastung und Probleme bei der Erfüllung der Aufgaben steht die Behauptung der Behördenleitung gegenüber, die Verfahren seien rückläufig, die Mittelwerte für die Verfahrensdauer lägen unter den Mittelwerten vergleichbarer Großstädte und alles in allem könne sich die Staatsanwaltschaft eigentlich nicht beklagen, das Problem läge mehr im subjektiven Empfinden der Staatsanwaltschaft. Das ist, insbesondere, weil der Generalstaatsanwalt nicht erscheinen und den Fragen der Abgeordneten Rede und Antwort stehen durfte, für uns schwer zu überprüfen. Immerhin hat die Behörde zusammen mit der Staatsanwaltschaft ein Projekt gestartet, um die Arbeitsabläufe und die Organisationsstruktur innerhalb der Staatsanwaltschaft zu prüfen. Dieses Projekt sollte unseres Erachtens unbedingt um die noch wichtigere Fragestellung erweitert werden, ob und wie sich die Struktur der Arbeit selbst, also der Aufgaben der Strafverfolgung und Strafvollstreckung, geändert hat. Sie haben eben einige Vermutungen angestellt, was sein könnte, was nicht sein könnte, aber das waren Vermutungen, das hatte weder Hand noch Fuß. Ob und wie sich zum Beispiel die technologischen Entwicklungen einer digitalisierten Welt auf die Arbeit der Staatsanwaltschaft auswirken oder ob eine Zunahme hochkomplexer Wirtschafts- und Finanzverfahren zu verzeichnen ist, sodass die sinkende Zahl der Verfahren über den zu leistenden Arbeitsaufwand überhaupt nichts aussagt, das gilt es zu untersuchen. Ohne solche

Informationen jedenfalls werden Sie den Problemen nicht gerecht, und ohne solche Informationen können wir als Bürgerschaft die Behörde auch nicht ausreichend kontrollieren.

Drittens: Leider hat der SPD-geführte Senat die spannende Entwicklung in Richtung Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz gestoppt. Aber natürlich bekommen Sie die Debatte nicht vom Tisch, Herr Tabbert. Auch wenn sich die Frage nach der Autonomie der Staatsanwaltschaft als Organ der Exekutive anders stellt als die Frage nach der Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt, also der Gerichte, sie stellt sich.

(Olaf Ohlsen CDU: Ja!)

Die Staatsanwaltschaft ist, um das berühmte Wort des Reformers von Savigny aus dem Jahr 1843 zu zitieren:

"Wächter des Gesetzes", nicht "Vollstrecker des politischen Machtwillens der Regierung, also der Exekutive".

(Beifall bei der LINKEN)

Sie müsse darauf hinwirken, dass

"… überall dem Gesetz und nur diesem Genüge geschehe."

In diesem Sinn muss die Staatsanwaltschaft ihren Bedarf substantiiert darlegen können, und die Bürgerschaft muss das Recht haben, sich ein Bild davon zu machen. Deshalb war es in gewisser Weise vordemokratisch und ein Rückfall hinter 1843, dass Sie dem Generalstaatsanwalt verwehrt haben, dem zuständigen Ausschuss der Bürgerschaft darzulegen, was nach seiner Auffassung zur Bewältigung der Aufgaben notwendig ist,

(Beifall bei der LINKEN und bei Farid Müller GRÜNE)

denn die Bürgerschaft muss am Ende zwischen den verschiedenen Staatszielen und Aufgaben abwägen und vor diesem Hintergrund den Haushalt bewilligen. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN und bei Farid Müller GRÜNE)

Das Wort hat Herr Trepoll.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass in puncto Belastungssituation der Staatsanwaltschaft etwas im Argen liegt, dann hätte die Rede der Kollegin Schneider einen starken Hinweis darauf geliefert, in der sie sich, vielleicht bis auf den Finanzierungsvorbehalt, intensiv für unsere Strafverfolgungsbehörden eingesetzt hat – und das von Frau Schneider. Da sollte man

(Christiane Schneider)

also schon einmal hinhören; dann kann nicht alles falsch sein, was wir vorgetragen haben.

Herr Tabbert, Sie haben viele Zahlen genannt, und ich glaube, genau das ist das Problem. Sie schauen sich das alles auf dem Papier an, lesen die Zahlen und versuchen, sie zu interpretieren. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch verständlich, aber es ist auch wichtig, dass man das Gespräch mit den Betroffenen sucht

(Urs Tabbert SPD: Das machen wir ja auch!)

und sich anhört, wie die Staatsanwaltschaft diese Zahlen interpretiert. Und da sagen uns Staatsanwälte, dass sie viel umfangreichere Verfahren haben als früher und andere bundesrechtliche Anforderungen, denen sie gerecht werden müssen, und dass beispielsweise auch wir als Hamburgische Bürgerschaft ihnen mehr Arbeit machen – Gott sei Dank nicht auf die Art und Weise, wie man sich vielleicht vorstellen könnte, sondern indem wir zum Beispiel ein Antikorruptionsregister beschließen, das inhaltlich natürlich bei der Staatsanwaltschaft geführt und geprüft werden muss. Das alles sind Dinge, über die wir uns Gedanken machen müssen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das liegt nicht bei der Staatsanwaltschaft! – Urs Tabbert SPD: Bei der Finanzbehörde!)

Woher hat die Finanzbehörde denn die Informationen? Das wird nicht alles in der Finanzbehörde ermittelt.

Man sollte auch einmal mit den Kolleginnen und Kollegen in der Staatsanwaltschaft reden und sich anhören, wie sie das alles interpretieren. Ein anderer Punkt erscheint mir nicht ganz schlüssig. Sie sagen, es sei alles in Ordnung, die Zahlen gingen zurück, es gäbe keine Probleme, aber dann setzen Sie dieses Projekt ein. Es passt für mich nicht zusammen, einerseits zu sagen, es sei alles in Ordnung,

(Urs Tabbert SPD: Nein! Das haben wir nicht gesagt!)

andere Großstädte seien viel schlechter dran, andererseits aber dieses Projekt einzusetzen. Das entspricht dem kleinen Einmaleins der Politik, Sie kennen den Spruch: Wenn ich nicht mehr weiter weiß … und so weiter. Dann wird man zwar vielleicht dem Problem nicht Herr, aber man gewinnt Zeit, und das werfe ich Ihnen vor.

Sie haben angesprochen, dass wir bemängeln, dass die Staatsanwälte uns nicht direkt Rede und Antwort stehen konnten. 2010 haben wir eine solche Befragung schon einmal gemacht – Herr Dressel und Frau Schiedek werden sich daran erinnern –, und damals standen uns Herr von Selle und ich glaube auch Herr Dr. Brandt für konkrete Nachfragen zur Verfügung. Dazu waren Sie diesmal nicht bereit. Das ist Ihre politische Entschei

dung, aber dann haben wir auch das Recht, diese zu würdigen.