Protokoll der Sitzung vom 11.12.2013

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Scheuerl einen Ordnungsruf und gebe ihm das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Jürgens, wir haben gerade schon draußen unter vier Augen gesprochen. Ich glaube, es war

(Hildegard Jürgens)

ein gutes Gespräch, und ich möchte mich auch hier noch einmal in aller Form entschuldigen. Ich wusste nicht um Ihre persönlichen Umstände, und ich bin froh, dass wir kurz sprechen konnten.

Ich werde deswegen auch meine ursprüngliche Rede sehr stark abkürzen und möchte an der Stelle, weil es dem Thema gerecht wird und wichtig ist, nur noch kurz aus der Lissaboner Erklärung zitieren. Die Lissaboner Erklärung kam zustande bei einer Versammlung von Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus 29 Ländern. Und diese Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben in dieser wichtigen Erklärung 2007 zu Protokoll erklärt – das ist europaweit veröffentlicht worden –:

"Wir finden es sehr wichtig [im Rahmen der Inklusion], dass jeder Mensch frei entscheiden kann, welche Schule er besuchen möchte."

Die Jugendlichen haben erklärt, dass es für die inklusive Bildung wichtig ist,

"[…] dass die notwendige Unterstützung, Ressourcen und entsprechend ausgebildete Lehrkräfte vorhanden sein sollten."

Frau Jürgens, ich stimme mit Ihnen völlig überein, als Sie gesagt haben, die Qualität der Diagnose dürfe nicht von den Lehrkräften und von Zufällen abhängen, sondern alle Kinder und Jugendlichen, die betroffen seien, hätten einen Anspruch darauf, ihrer persönlichen Betroffenheit entsprechend qualifiziert diagnostiziert zu werden.

Deswegen unterstützen wir den FDP-Antrag mit Ausnahme der Ziffer 3. Angesichts der konkreten Zahlen ist es so, dass die Kinder mit Behinderung im emotionalen und sozialen Bereich nur einen verschwindend kleinen Teil ausmachen. Daher würden wir uns wünschen, wie wir es schon in den früheren CDU-Anträgen 2011 und 2012 immer wieder gefordert haben, dass es für alle Kinder mit Behinderungen im Bereich Lernen, im Bereich Sprache und im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung wieder eine individuelle Ressource und eine individuelle Förderung gibt und eben nicht nur die systemische Ressource nach dem Gießkannenprinzip über alle Schulen ausgeschüttet wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Frau Dr. von Berg hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich nichts sagen, aber ich muss es doch noch einmal tun. Die Eröffnung der Rede von Herrn Dr. Scheu

erl hat gezeigt, dass er nichts, aber auch gar nichts gelernt hat.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Jetzt würde ich gerne zur Sache weiterreden.

Inklusion ist tatsächlich ein zentrales Thema, das wir in der Schulpolitik immer wieder bewegen und das zu Recht hier zur Debatte angemeldet wurde. Inklusion ist für uns GRÜNE – ich glaube auch, für mehr Abgeordnete in diesem Parlament, aber offensichtlich nicht für alle – die Vision, Vielfalt willkommen zu heißen und jedes Kind auch in der Schule so anzunehmen, wie es ist. Daher ist die systemische Ressource von der Vision her eigentlich richtig. Eine Vision ist aber ein Ziel, auf dem Weg dahin gibt sehr viele Stolpersteine und Probleme und diese gilt es auszuräumen. Wir GRÜNEN glauben übrigens nicht, dass das Problem auf diesem Weg, die Vision tatsächlich Wirklichkeit werden zu lassen, die Diagnose ist. Die Realität, die wir im Moment in den Schulen erleben, zeigt vielmehr, dass tatsächlich die Ressource nicht stimmt, und darüber müssen wir hier dringend reden.

Die systemische Zuweisung an sich ist zwar vom Inklusionsgedanken her richtig, aber sie passt nicht zu den Zuständen und zu dem, was wir wirklich an den Schulen wiederfinden. Besonders die Neueinstufung der KESS-Faktoren hat in einigen Schulen geradezu zu einer Katastrophe geführt. Das berichten mir die Lehrerinnen und Lehrer und die Schulleitungen vor Ort und natürlich auch die Eltern, und das kritisieren wir auch scharf. Ich habe gerade neulich von einer KESS-5-Schule, einer Stadtteilschule, gehört, die laut Ressource eigentlich nur zu 2,8 Prozent Kinder mit diesem Förderbedarf Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung haben dürfte. Tatsächlich ist es an dieser sechszügigen Schule mit 138 Kindern so, dass es nicht nur vier Kinder sind, wie es den 2,8 Prozent entsprechen würde, sondern 18 Kinder, also deutlich mehr als erwartet. Dementsprechend stehen dieser Schule eigentlich etwa 100 WAZ-Stunden zur Verfügung, sie bekommt an systemischer Ressource aber nur 22,36, es fehlen also etwa 80 Wochenarbeitszeitstunden. Das zeigt deutlich, dass die systemische Ressource in der Realität einfach nicht passt, und das müssen wir als GRÜNE scharf kritisieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der grundsätzliche Fehler bei dem Ansatz, als die Drucksache geschrieben wurde, war, dass von falschen Prozentzahlen ausgegangen wurde. Zum einen sind die Kinder nicht mitgezählt worden, die schon immer in integrativen Regelklassen waren. Sie sind in der Statistik nie aufgetaucht, weil sie in diesen Klassen als vielfältige Kinder willkommen geheißen und nicht extra aufgeführt wurden. Nun

(Dr. Walter Scheuerl)

werden sie natürlich statistisch geführt, und dadurch ist die Zahl gestiegen.

Und noch etwas hat dazu geführt, dass die Zahl höher ist als eigentlich erwartet: Wir haben eine extrem hohe soziale Spaltung in dieser Stadt mit vielen armen Menschen. Und alle, die sich in der Bildungspolitik tummeln, wissen, dass sich die Risikofaktoren dort verstärken. Deswegen ist die absolute Zahl der Kinder mit Förderbedarf in diesen drei Bereichen tatsächlich gestiegen, und das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Das ist auch eine sozialpolitische Aufgabe. Wenn ich aber die Planung des SPD-Senats zu den systemischen Ressourcen mit dem vergleiche, was wir ursprünglich einmal unter Frau Senatorin Goetsch geplant haben mit der Rucksackressource obendrauf, und das einmal durchrechnen würde – und das werde ich tun –, dann kommen wir zur selben Ressource. Uns wurde immer vorgeworfen, wir hätten zu wenig Ressource hineingesteckt. Wenn wir das einmal vergleichen, und ich werde das demnächst tun, wenn die Zahlen vorliegen, dann kommen wir zu dem Ergebnis, das wir schon entsprechend vorgedacht haben. Wir hatten das Problem auf dem Weg zu unserer Vision tatsächlich erkannt, und dafür wurden wir schwer kritisiert.

Zurück zur Realität: Die Realität in den Schulen sieht so aus, dass durch die nicht passende Ressource Kinder mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf zurzeit hinten runterfallen, dass Lehrkräfte tatsächlich überfordert sind und dass sich Eltern und eine ganze Gesellschaft von dieser Vision der Inklusion teilweise abwenden und sagen, es gehe doch nicht. Wir GRÜNEN sagen, es geht, aber es gilt, die Stolpersteine erst einmal aus dem Weg zu räumen und mehr Ressourcen in dieses System hineinzustecken.

Zum FDP-Antrag an sich: So sehr wir auch für Inklusion und Vielfalt sind, ist es aufgrund der Realität in den Schulen richtig, den Blick auf die Kinder mit emotionalen und sozialen Entwicklungsstörungen zu lenken und eine Extraressource für sie zur Verfügung zu stellen, ähnlich wie bei den Kindern mit Autismus. Es ist auch richtig, die Handreichungen auf jeden Fall dringend zu überarbeiten, um die Diagnostik wirklich verfahrenssicher zu machen. Falsch finden wir aber in Petitum 1, dass die Diagnostik nur in den Regionalen Bildungs- und Beratungszentren stattfinden soll. Wir glauben, dass die Kolleginnen und Kollegen vor Ort tatsächlich einen sehr guten Blick auf die Kinder haben und auch in der Vernetzung mit den Kolleginnen und Kollegen sprechen können, um so vernünftig eine Diagnostik beziehungsweise einen Förderplan zu erstellen. Daher werden wir dieses Petitum ablehnen.

Insgesamt fordern wir, die Ressourcen dringend anzupassen und auch Puffer zu schaffen, damit die grüne Vision der Vielfalt, Kinder, so wie sie

sind, willkommen zu heißen, auch endlich zu einer Realität wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Dr. von Berg. – Das Wort hat Frau Özdemir.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist schon ziemlich spät, deshalb möchte ich nicht lange sprechen. Ich möchte nur kurz auf den Antrag eingehen und in zwei Sätzen unsere Meinung dazu sagen. Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben, dass die Ferndiagnosen sich bewährt hätten. Es hat sich bewiesen, dass diese Ferndiagnosen sich nicht bewährt haben. Sie erfordern nämlich viel Geld und Personal, sie sind schwerfällig und zeitraubend und – das Wichtigste – sie sind stigmatisierend und deshalb lehnen wir sie ab. Das Problem der Inklusion besteht nicht darin, dass wir keine Einzelfalldiagnostik haben, sondern das Problem ist einfach, dass wir zu wenige Ressourcen für die Inklusion an den Schulen bereitstellen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Özdemir. – Mir liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor, damit kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/10126 an den Schulausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mehrheitlich abgelehnt worden.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen. Die Fraktion der GRÜNEN möchte die Ziffer 1 und die CDU-Fraktion die Ziffer 3 des Antrags separat abstimmen lassen.

Wer schließt sich zunächst Ziffer 1 des FDP-Antrags an? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mehrheitlich abgelehnt worden.

Wer möchte nun den Ziffern 2 und 4 des Antrags folgen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist ebenfalls mehrheitlich abgelehnt worden.

Wer schließt sich sodann der Ziffer 3 an? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich rufe dann den Tagesordnungspunkt 58 auf, Drucksache 20/10111, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Zivilklausel einführen – Forschung an Hamburger Hochschulen ausschließlich zu zivilen Zwecken!

(Dr. Stefanie von Berg)

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Zivilklausel einführen – Forschung an Hamburger Hochschulen ausschließlich zu zivilen Zwecken! – Drs 20/10111 –]

Als Drucksache 20/10266 liegt Ihnen hierzu ein Antrag der GRÜNEN Fraktion vor.

[Antrag der GRÜNEN Fraktion: Transparenz als Grundprinzip in der Wissenschaft verankern – Diskursplattformen für ethische Folgenabschätzung etablieren – Drs 20/10266 –]

Beide Drucksachen möchte die Fraktion DIE LINKE an den Wissenschaftsausschuss überweisen.

Die Fraktionen sind übereingekommen, auf diese Debatte zu verzichten. Wir kommen daher direkt zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksachen 20/10111 und 20/10266 an den Wissenschaftsausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mehrheitlich beschlossen worden.

Meine Damen und Herren! Damit sind wir am Ende des Sitzungstages. Ich wünsche einen schönen Heimweg. Bis morgen.

Ende: 22.00 Uhr