Protokoll der Sitzung vom 11.12.2013

Eines der großen Themen, das wir in Hamburg mit großem Engagement vorangebracht haben, wird nun auch in Deutschland etwas leichter voranzubringen sein. Wir haben massiv in die Bildung, den Ausbau von Krippen und Betreuungseinrichtungen und die Universitäten investiert. Die Mittel, die die Stadt Hamburg dafür zur Verfügung stellt, sind enorm gesteigert worden; allein 1000 zusätzliche Lehrer sind eingestellt worden, um die Dimension einmal anhand eines Beispiels zu schildern. Das ist natürlich eine große Aufgabe, die nicht nur in Hamburg existiert, sondern in ganz Deutschland. Deshalb ist es richtig, wenn der Bund bei der Verteilung der Steuermittel den Ländern und Gemeinden für diese drei Aufgabenkomplexe etwas mehr Geld zur Verfügung stellt. Natürlich ist es nicht so viel, wie wir uns gewünscht hätten, aber 6 Milliarden Euro, die neu verteilt werden, zusätzliche Investitionen des Bundes in Bildungsaufgaben und für Forschungseinrichtungen in einer Größenordnung von 3 Milliarden Euro sind nicht wenig, und das wird sich positiv auf die Betreuungs-, Bildungsund Schullandschaft in Deutschland auswirken.

(Beifall bei der SPD)

Gut ist auch, dass in größerem Maße Mittel für die Infrastruktur zur Verfügung stehen, zwar nicht so viel, wie nötig wäre. Alle 16 Verkehrsminister sind sich einig, dass pro Jahr etwa 6 bis 7 Milliarden Euro zusätzlich notwendig wären, um die erforderlichen Instandhaltungsmaßnahmen der Bundesverkehrswegeinfrastruktur zu finanzieren und um den Ausbau an den Punkten voranzubringen, an denen es besonders drängt und wo es besonders eng geworden ist. Alle diese Maßnahmen können mit den Mitteln, die die künftige Regierung gemäß Koalitionsvertrag in diesem Bereich hat, nicht finanziert werden, aber 5 Milliarden Euro zusätzlich und außerdem die Einnahmen aus der Lkw-Maut sind

(Dora Heyenn)

schon ein bedeutender Schritt vorwärts, damit wir die überregionale Infrastruktur, auf die Hamburg insbesondere angewiesen ist, weiter ausbauen können. Auch das ist ein Erfolg, auf den wir in dieser Stadt gemeinsam mit einer gewissen Freude blicken können.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Es sind wichtige Fortschritte für die Situation behinderter Bürgerinnen und Bürger erzielt worden. Wenn es das in Deutschland seit vielen Jahren geforderte Bundesteilhabegesetz endlich geben wird, dann ist das zuallererst einmal ein sozialpolitischer Fortschritt, denn es geht doch darum, dass die behinderten Bürgerinnen und Bürger bei ihrer Integration in das Arbeitsleben nicht als Sozialhilfefälle betrachtet werden, als Gegenstände der Fürsorge, sondern dass ihr Teilhabeanspruch anerkannt und eine Möglichkeit geschaffen wird, nach der diese Leistungen nicht alle auf ihr Einkommen angerechnet werden. Das ist die sozialpolitische Reform, die wir anstreben, und die ist in diesem Koalitionsvertrag verankert worden.

(Beifall bei der SPD)

Auch für die Stadt Hamburg, die nicht nur ein Staat, sondern eben auch eine Gemeinde ist, bedeutet das eine Entlastung. Das ist gut und wird sich über die Legislaturperiode hinaus positiv auswirken, aber das ist der zweite Aspekt. Der viel wichtigere ist der sozialpolitische Fortschritt, der damit verbunden ist, und der seit vielen Jahren dringend erforderlich war. Ich bin froh, dass er jetzt zustande kommt.

(Beifall bei der SPD)

Aus meiner Sicht ist es gut, dass Deutschland jetzt einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn bekommt. Ich will ausdrücklich sagen, dass das etwas ist, an dem die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit fast zehn Jahren arbeiten. In der letzten Großen Koalition haben wir viele zusätzliche Branchenmindestlöhne durchgesetzt. Damals haben wir gesagt: Am Ende wird ein flächendeckender Mindestlohn stehen. Nun kommt er 2015 für ganz Deutschland. Das ist auch für viele Hamburgerinnen und Hamburger eine dringend notwendige Verbesserung ihrer spärlichen Einkünfte.

(Beifall bei der SPD)

Der Missbrauch der Leiharbeit wird zurückgedrängt werden durch eine gesetzliche Höchstüberlassungsdauer und die Festlegung, dass ab einem gewissen Zeitpunkt "equal pay" gilt, gleicher Lohn für gleiche Arbeit innerhalb eines Betriebs. Auch das ist eine Verbesserung, mit der manche nicht gerechnet haben. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zum Teil seit Jahren in ein und demselben Betrieb eingesetzt werden und weniger verdienen als die Kollegen, neben denen sie ste

hen, werden das als eine große Verbesserung für ihr Leben sehr wohl wahrnehmen.

(Beifall bei der SPD und bei Dietrich Wersich CDU)

Und natürlich ist es schön, dass aus der Diskussion darüber, dass Tarifverträge etwas Feines wären – man hörte das auch aus Mündern, von denen man das in den letzten Jahren nicht so oft gehört hat –, jetzt auch noch eine Stärkung der Tarifautonomie geworden ist, indem das Tarifvertragsgesetz mehr allgemeinverbindliche Tarifverträge zulässt. Auch das wird dazu beitragen, dass der Tarifvertrag, der für die Löhne viel wichtiger ist als die Mindestlohnregelung, eine neue Bedeutung für das Arbeitsleben bekommen wird. Das wird noch viel mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei ihrer Lebensgestaltung sehr helfen.

(Beifall bei der SPD)

Nun mag man über die Beschlüsse zur Rente vieles sagen, aber bei jeder Diskussion ist immer Respekt angesagt. Es ist kein Zufall, dass über 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sagen, dass sie die einzelnen Vorschläge sehr gut finden. Ich greife einmal zwei heraus. Da ist zum einen die Erwerbsminderungsrente für Männer und Frauen, die in ihrem Leben plötzlich beeinträchtigt sind und ihrer Erwerbstätigkeit nicht mehr richtig nachgehen können. Dass diese Menschen etwas besser gestellt werden, als es bisher der Fall war, sodass sie nicht mehr mit so wenig Geld auskommen müssen wie bisher, ist eine Forderung, die viele erhoben haben. Gut, dass das jetzt im Koalitionsvertrag steht.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Friederike Föcking CDU)

Natürlich ist es auch gut, dass jemand, der wirklich 45 Jahre gearbeitet hat – das sind nicht so viele –, sagen kann: Jetzt ist mal gut. Ich glaube, das versteht jeder. Für jemanden, der so lange einer schweren Arbeit nachgegangen ist – meistens geht es mir nämlich um gewerbliche Arbeit –, ist das eine Verbesserung. Dieser sozialpolitische Fortschritt hat viele Freunde, und er wird jetzt Realität in der zukünftigen Gesetzgebung werden.

(Beifall bei der SPD und bei Hans-Detlef Roock und Dietrich Wersich, beide CDU)

Lassen Sie mich zum Schluss ein Thema ansprechen, das mir sehr wichtig ist. Wir haben gute Fortschritte erreicht für die Situation derjenigen, die nach Deutschland zugewandert sind. Hier gibt es eine ganze Reihe von Punkten, die es wert sind, darüber zu berichten. Ich will ausdrücklich ein Thema in den Vordergrund stellen, das mir seit vielen Jahren sehr am Herzen liegt. Hamburg ist – darauf ist vielfach hingewiesen worden und so stand es auch als Ergebnis der Recherchen unseres Statistischen Landesamtes in den Zeitungen – eine

(Erster Bürgermeister Olaf Scholz)

Stadt mit sehr vielen Männern und Frauen, die einen Zuwanderungshintergrund haben. Wir sind als kosmopolitische Stadt immer in der Lage gewesen, daraus gute Perspektiven für uns alle und die einzelnen zu entwickeln. Ich sage ausdrücklich: Hamburg ist für viele in Deutschland und in der Welt eine Hoffnungsstadt. Sie muss das sein und sie muss das bleiben, wir sind stolz auf diese Tradition unserer Stadt.

(Beifall bei der SPD und bei Karin Prien CDU)

Dazu gehört zum Beispiel, dass wir uns so viel Mühe geben, dass diejenigen, die lange in Deutschland leben, die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben. Ich will ausdrücklich sagen: Es gibt kaum etwas Berührenderes als die Einbürgerungsfeiern, die wir in unserem Rathaus veranstalten, wo manchmal fast 1000 Leute im Saal sind, ganze Familien. Das ist jedes Mal ein großer Moment für alle, die sich daran beteiligen, und ich bin froh, dass sich so viele auf den Brief hin, den ich ihnen geschrieben habe, einbürgern lassen.

Es ist ein großer Fortschritt, dass die jungen Leute, die Deutsche sind und gleichzeitig die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern haben, die als Ausländer hier lebten, als ihre Kinder geboren wurden, sich nicht mehr zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr zwischen der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern und der mit der Geburt erworbenen deutschen entscheiden müssen.

(Beifall bei der SPD – Phyliss Demirel GRÜ- NE: Und was ist mit den Eltern?)

Dass dieser Optionszwang bisher im Gesetz war, war damals die Bedingung dafür, um überhaupt eine Mehrheit für ein neues Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland zu erreichen. Sonst wäre das nicht möglich gewesen angesichts einer hessischen Kampagne gegen die Mehrstaatigkeit, die ein späterer Ministerpräsident angefacht hatte. Aber umso wichtiger ist es, das jetzt geschafft zu haben, denn jetzt ist der Zeitpunkt, zu dem sich Tausende entscheiden müssten, die seit Wochen, Monaten oder auch ein paar Jahren darauf warten, dass diese Verbesserung vor ihrem 23. Geburtstag kommen möge. Wir haben sie gerade rechtzeitig hinbekommen, und ich bin froh, dass das Gegenstand dieses Koalitionsvertrags ist. Auch das wäre ein guter Grund, den Koalitionsvertrag zu unterschreiben.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben auch Verbesserungen für diejenigen erreicht, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Immer wieder haben wir im Bundesrat eine Verbesserung beantragt, die sich in diesem Koalitionsvertrag wiederfindet, in dem sogar ausdrücklich die Bundesratsinitiative der Freien und Hansestadt Hamburg erwähnt ist, mit Drucksachennummer. Das ist also exakt das, was wir im

mer beantragt haben. Im Koalitionsvertrag steht, dass junge Leute, die zum Beispiel durch Erfolg in der Schule gut integriert sind – dazu gehört auch ein Hauptschulabschluss und ein Realschulabschluss und nicht nur das Abitur –,

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

die also einen Schulabschluss in Deutschland erworben haben oder die durch Arbeit integriert sind, die Möglichkeit haben, einen lediglich geduldeten Status in ein festes Bleiberecht zu verwandeln. Dafür haben wir uns lange eingesetzt. Jetzt steht das in einem Koalitionsvertrag mit der Union, und ich glaube, das ist ein guter Erfolg, weil er Leistung und Anstrengung honoriert, und das ist etwas, was unsere Gesellschaft zusammenhält und auch auszeichnen sollte.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart – darauf hätten Sie bestimmt nie gewettet, und wenn Sie gewettet hätten, dann hätten Sie eine ziemlich gute Quote im Wettbüro gehabt –, dass Asylbewerber und Geduldete nach drei Monaten eine Arbeitserlaubnis bekommen können. Das ist eine wesentliche Verbesserung, denn es trägt dazu bei, dass jemand Gelegenheit hat zu zeigen, dass es mit ihm eine Perspektive in diesem Land gibt, unabhängig von der Frage, was nun bei der rechtlichen Prüfung von Asyl- und Duldungsgründen herauskommt. Ich finde, das ist ein guter rechtspolitischer Fortschritt, der auch manche Diskussion verändern wird, die wir in den nächsten Jahren in dieser Bürgerschaft und anderswo führen werden, weil er immer möglich macht, auf einem zu beharren: Diejenigen, die geflüchtet sind vor Verfolgung und schlimmsten Zuständen werden in diesem Land nach unseren Gesetzen und den von uns unterschriebenen internationalen Verträgen Schutz finden. Diejenigen, die eine Integration geschafft haben – wie auch immer, als junge Leute oder durch Arbeit –, werden auch eine bessere Perspektive bekommen. Das ist das beste Integrationssignal, das eine Gesellschaft aussenden kann.

(Beifall bei der SPD)

Wie einst beim Mindestlohn ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir uns auch im Hinblick auf die Neueinbürgerung mit der Hinnahme der Mehrstaatigkeit nicht mehr so anstellen. Daher finde ich es einen guten Fortschritt, dass nun freundlicherweise die CSU und die CDU in Baden-Württemberg und in Hessen und anderswo mithelfen zu begründen, warum zunächst einmal die Abschaffung des Optionszwangs eine gute Sache ist und gut funktionieren wird. Es wird dann kein Argument mehr gegen den letzten Schritt geben.

(Beifall bei der SPD)

(Erster Bürgermeister Olaf Scholz)

Meine Damen und Herren! Ich glaube, das ist ein ordentlicher Koalitionsvertrag. Ich hoffe, die SPDMitglieder, die darüber eine demokratische Entscheidung herbeiführen dürfen, werden am Sonnabend so abstimmen, wie ich es jedenfalls empfohlen habe. Wenn das geschieht, dann werden wir vier Jahre lang eine Regierung begleiten, die auch viele Gesetze auf den Weg bringen wird, die Hamburg und den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt nützen. – Schönen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Bevor ich dem Abgeordneten Dr. Kluth das Wort gebe, möchte ich darauf hinweisen, dass der Erste Bürgermeister mehr als das Dreifache der den Abgeordneten zur Verfügung stehenden Redezeit in der Aktuellen Stunde genutzt hat. – Herr Dr. Kluth, Sie haben das Wort.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ist eben so dick, der Koalitionsvertrag!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe der Rede des Bürgermeisters sorgfältig und aufmerksam zugehört.

(André Trepoll CDU: Das ist ein Anfang!)

Herr Scholz, bei Ihrer Rede – auch bei der Rede des Kollegen Dressel, streckenweise auch bei dem Debattenbeitrag des Kollegen Wersich – konnte man schon meinen, Sie wollen ernsthaft den Eindruck erwecken, Ihnen sei mit dem Koalitionsvertrag ein großes Reformwerk gelungen. Ich denke, das glauben Sie selbst nicht. Das glauben auch die Mitglieder Ihrer Partei nicht. Ich habe einen ganz anderen Eindruck: Das ist kein großer Wurf geworden, das ist bestenfalls großer Murks.

(Beifall bei der FDP – Jan Quast SPD: Sie haben ja doch nicht zugehört!)

Das fängt schon beim Titel an. "Deutschlands Zukunft gestalten", das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das ist eine bemerkenswerte Null-Botschaft.

(Gerhard Lein SPD: Und das ohne die FDP!)

Wenn man Deutschland gestalten will, dann muss man doch auch sagen, wie man gestalten will, in welche Richtung man gestalten will,