Protokoll der Sitzung vom 22.01.2014

(Beifall bei der CDU)

Nun auf einmal, getrieben von diesem Urteil, muss alles sehr schnell gehen, Herr Tabbert. Die SPDFraktion legt uns also einen Antrag vor, mit dem sie die polizeiliche Dauerobservation weiterhin rechtlich sicherstellen will. Um es vorwegzunehmen: Wir werden diesem Antrag zustimmen, jedoch missfällt uns ausdrücklich, dass wir diesen Antrag nicht vorher umfassend bewertet und parlamentarisch, vielleicht auch im Rahmen einer Sachverständigenanhörung, beraten konnten. Das Nachdenken hätte uns gut getan, denn es ist keine ganz einfache Rechtsmaterie, die uns nun vorliegt. Wir sind das erste Bundesland in Deutschland, das vor dieser Notwendigkeit steht. Wir hätten mehr als ein Jahr Zeit gehabt, das ausführlich zu tun.

Nun bleibt uns nur zu hoffen, dass der Gesetzesantrag und die darin enthaltenen Regelungen tragen und einer erneuten gerichtlichen Überprüfung standhalten werden. Die CDU-Fraktion wird Ihrem Gesetzentwurf aufgrund der fehlenden parlamentarischen Beratung nur mit Bauchschmerzen und wegen unserer Verantwortung für die Sicherheit der Menschen in Moorburg und in der gesamten Stadt zustimmen. Damit kann dann hoffentlich die Minimalzusage des SPD-Senats gegenüber den Moorburgern auf eine polizeiliche Dauerobservation des entlassenen Sicherungsverwahrten weiterhin sichergestellt werden. An der Fehlentscheidung für den Standort Moorburg ändert jedoch auch diese Regelung überhaupt nichts. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Möller hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Trepoll, das Zitat von Konfuzius hat mir gut gefallen.

(Finn-Ole Ritter FDP: Noch ein Zitat!)

Ich habe das viel einfacher formuliert. Ich nenne es mit heißer Nadel gestrickt, wo doch sorgfältige Abwägung notwendig wäre. Ein bisschen klingt es bei beiden Vorrednern so durch, als würden wir über etwas wie eine Schikane der Gerichte oder eine Drangsalierung durch die Justiz reden. Es wird sie nicht verwundern, dass ich mir erlaube, auch einmal die andere Seite darzustellen. Was hat dazu geführt, dass die Gerichte so urteilen? Das hat nicht nur Hamburg getroffen, sondern Anfang 2013 hat das Freiburger Verwaltungsgericht ein sehr ähnlich gelagertes Urteil gefällt. Tatsächlich hätte – hier gebe ich Herrn Trepoll recht – schon sehr viel früher damit begonnen werden können, sich mit der Notwendigkeit zur rechtlichen Regelung dieser ständigen Begleitung durch die Polizei zu

beschäftigen und eine Lösung zu finden. Dass Sie nun ohne jede Ausschussbefassung, ohne jede Diskussion und Befragung von Fachleuten einen Gesetzentwurf vorlegen, der nicht einmal ansatzweise zum Beispiel den Vorgaben, die das Verwaltungsgericht Freiburg dem Bundesland BadenWürttemberg, wenn man so will, aufgegeben hat, nachkommt, lässt uns zumindest deutlich daran zweifeln, dass dieses Gesetz bei der nächsten Klage Bestand haben wird. Das kann doch nicht Sinn einer Gesetzesänderung sein.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Worum geht es denn tatsächlich? Wir sprechen über Menschen, die schwere und schwerste Straftaten begangen haben, und es gibt große Sorge, dass sie weiterhin eine Gefahr – so wird es rein rechtlich formuliert – für Sicherheit und Ordnung darstellen. So schwierig es auch ist, eine Lösung zu finden, muss man doch darüber reden, dass alle Gerichte, die sich bisher zu diesem Thema geäußert haben, sehr deutlich sagen, dass es nicht sein kann, dass die allgemeinen Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen derartig eingeschränkt werden.

Ich will an nur zwei Beispielen deutlich machen, warum der Hamburger Vorschlag, zumindest aus unserer Sicht, überhaupt nicht hinreichend ist. Im Hamburger Vorschlag steht nun, dass, wenn "Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person schwerste Gewalttaten oder Sexualstraftaten begehen wird", die polizeiliche Begleitung stattfinden darf. Das Freiburger Gericht hat deutlich formuliert, dass dies nicht ausreicht. In Freiburg sagt man, dass eine aktuelle und konkrete Gefahr bestehen muss. Sie wissen alle, wie viele Stunden wir schon bei jeder Novellierung der Polizeigesetze genau um diese Formulierung gerungen haben. Ich glaube, es ist unnötig, dass man sich im Grunde hier schon gleich eine Niederlage vor Gericht herbeischreibt. Wir hätten darüber reden können.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Die nächste Innenausschusssitzung findet am 30. Januar statt. Das wäre eine minimale Verzögerung gewesen, das wissen Sie genau. Ich glaube, das war schlicht und einfach nicht gewollt.

Der zweite Punkt, der auch in verschiedenen richterlichen Entscheidungen deutlich betont wird, ist die Frage nach dem Richtervorbehalt. Auch das wäre möglich gewesen. Sie suchen wieder eine Lösung, die schlicht und einfach alle Arbeit, alle Aufgaben und alle Verantwortung bei der Polizei belässt. Das halten wir für den falschen Weg.

Die dauerhafte Bewachung, die auch gern als mobile Sicherungsverwahrung diskutiert wird, bedeutet schlicht und einfach eine immense Belastung der Polizei. Aus unserer Sicht ist es dringend notwendig, auch mit der Justizbehörde darüber zu reden – und deswegen mit dem Justizausschuss –,

(André Trepoll)

ob eigentlich die Führungsaufsicht in Hamburg so ausgestattet ist, wie es notwendig ist. Aus unserer Sicht ist das nicht hinreichend der Fall. Wir haben sechs besetzte Stellen in der sogenannten konzentrierten Führungsaufsicht; die betreuen im Moment 157 Klienten und Klientinnen. Das ist ein Betreuungsverhältnis von 1:26. Wie intensiv das ist oder nicht, kann sich jeder und jede von Ihnen vorstellen. Deswegen reicht es nicht aus, hier wieder einmal das SOG mit einer Eingriffsschwelle zur Hilfe zu nehmen, die aus unserer Sicht zu niedrig gewählt ist. Voraussehbar wird es richterliche Entscheidungen dagegen geben. Weiterhin fehlen die Überprüfung des Richtervorbehalts, der natürlich eine sehr viel sicherere Grundlage bieten würde, und jegliche Befassung von uns Parlamentariern und Parlamentarierinnen mit dem Gesetzentwurf im Ausschuss. Also noch einmal: Das ist mit heißer Nadel gestrickt, sorgfältige Abwägung fehlt an dieser Stelle.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Frau von Treuenfels hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Seit geraumer Zeit – wir haben es schon gehört, ich muss es aber noch einmal betonen – gibt es mehr als deutliche Hinweise aus der Rechtsprechung. Angefangen vom Verwaltungsgericht Freiburg 2011 bis zum Bundesverfassungsgerichtsbeschluss 2012, dass die bisherige Praxis, nach der Generalklausel des SOG ehemalige Sicherungsverwahrte zu überwachen, keine ausreichende Rechtsgrundlage darstellt. Einen Antrag der CDU, eine entsprechende Rechtsgrundlage zu schaffen – das wurde schon erwähnt –, haben wir im Innenausschuss bereits beraten, und da waren Sie, meine Damen und Herren von der SPD und Innensenator Neumann, noch zuversichtlich, dass Ihre Mindermeinung vor dem Verwaltungsgericht Bestand haben würde. Das war eine Fehleinschätzung, wie sich jetzt herausgestellt hat. Endlich haben Sie reagiert und einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir auch immer noch als gelungen empfinden, aber Sie haben erst seit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom vergangenen Jahr reagiert. Das finden wir ein bisschen spät.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich will Ihnen kurz sagen, worum es mir eigentlich geht: Ihr Innensenator hat im Ausschuss eingeräumt, dass derzeit nur ein einziger ehemaliger Sicherungsverwahrter überwacht wird, denn von den ursprünglich drei entlassenen Sicherungsverwahrten ist einer aus Hamburg fortgezogen, und bei dem anderen ist der Anlass für eine Überwachung weggefallen, da er nicht mehr als gefährlich eingestuft wird. Das bedeutet, dass dieses Gesetz aktuell nur für einen einzigen ehemaligen Sicherungs

verwahrten gelten wird. Dass es in Zukunft mehr werden, ist nahezu ausgeschlossen, denn Tatbestandsvoraussetzung des neuen Paragrafen 12c Absatz 1 Nummer 1 und 2 Ihres Gesetzentwurfs zum SOG ist, dass die Überwachung nur für Altfälle gilt. Das sind die ehemals Sicherungsverwahrten, die auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts entlassen werden mussten. Personen, die jetzt in der Sicherungsverwahrung oder auch Therapieunterbringung sind, werden ohnehin nur dann entlassen, wenn eine Gefährdung der Allgemeinheit ausgeschlossen ist. Das heißt, dass die Anzahl der zu überwachenden Personen tatsächlich nur dann größer werden kann, wenn ehemals Sicherungsverwahrte, auf die die Kriterien dieses Gesetzes zutreffen, nach Hamburg umziehen sollten. Eine andere Vergrößerung des Kreises der Betroffenen ist gar nicht möglich.

Wir sind uns aber auch der Sorgen der Bevölkerung bewusst, die ein ehemals Sicherungsverwahrter, der noch als überwachungsbedürftig eingestuft wird, auslöst. Deswegen finden wir, dass nachgebessert werden muss, um die Überfrachtung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes zumindest in Zukunft nicht fortbestehen zu lassen.

(Beifall bei der FDP)

Unsere Fraktion hat deswegen einen Zusatzantrag eingereicht, damit wir die bestehende Gesetzeslücke nicht durch Schaffung einer in ein paar Jahren überflüssigen Ermächtigungsgrundlage schließen. Unser Zusatzantrag sieht eine Evaluierung der Überwachungsmaßnahme und eine zeitliche Befristung vor. Wir freuen uns, dass er an den Innenausschuss überwiesen wird und bitten um Annahme. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat Frau Schneider.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Es wurde schon gesagt: Am 27. November 2013 hat das Verwaltungsgericht Hamburg die Dauerobservation eines ehemaligen Sicherungsverwahrten für rechtswidrig erklärt. Der Mann, der im Februar 2012 aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entlassen wurde, wird seither an sieben Tagen in der Woche und 24 Stunden am Tag außerhalb seiner vier Wände von vier Zivilpolizisten überwacht sowie durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel. Ich will es deutlich sagen: Diese dauerhafte Observation stellt einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar. Das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, und darüber muss sich der Gesetzgeber im Klaren sein.

(Arno Münster SPD: Dann lasst sie doch alle laufen!)

(Antje Möller)

Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jeder Person einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung zu, in dem sie ihre Individualität entwickeln und wahren kann. Das gilt auch für Menschen, die schwere und schwerste Straftaten begangen und ihre Strafe verbüßt haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer außerhalb des eigenen Zimmers praktisch ununterbrochen durch Polizei begleitet wird, dem ist die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Leben zu führen, weitestgehend genommen. Um ihn herum sind neue Mauern errichtet; er befindet sich in einer Art mobiler Sicherungsverwahrung, Frau Möller hat es gesagt.

(Jörg Hamann CDU: Warum wird das ge- macht? Sagen Sie doch mal was zur Prä- vention!)

Ich sage das, was ich sagen möchte.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor diesem Hintergrund war es zu erwarten, dass nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Paragraf 9 Absatz 1 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei als Rechtsgrundlage für dauerhafte Observation ausscheidet – die juristische Argumentation im Einzelnen erspare ich Ihnen – und eine so schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung eine möglichst detaillierte gesetzliche Grundlage erfordert. Insofern versucht die SPD mit ihrer Gesetzesnovellierung, der Forderung des Gerichts nachzukommen. Wir halten den Versuch mit Blick auf das Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für gescheitert.

Das möchte ich Ihnen an zwei Punkten erläutern. Laut Urteil des Verwaltungsgerichts wurden die letzten beiden Prognosegutachten für den Kläger, also den Betroffenen, im November 2011 erstellt. Zu diesem Zeitpunkt war er noch in Sicherungsverwahrung. Interessant ist dabei übrigens, dass beide Gutachten vom November 2011 dem Urteil des Verwaltungsgerichts zufolge zu dem Schluss gekommen sind, dass sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter erneut Straftaten begeht, in den letzten Jahren deutlich reduziert habe und dass das Rückfallrisiko erheblich unter dem kritischen Wert liege. Inzwischen ist der Betreffende fast zwei Jahre auf freiem Fuß, wenn man das so nennen kann. Die beiden Gutachter konnten im November 2011 allenfalls vermuten, wie sich der zu Entlassende nach Jahrzehnten der Haft und Sicherungsverwahrung in Freiheit verhalten würde. Jetzt lebt er zwei Jahre unter anderen Bedingungen. Seine Situation hat sich geändert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom November 2012 ausdrücklich festgehalten, dass sich die Überprüfung, ob die Dauerobservation eines aus

der Sicherungsverwahrung Entlassenen rechtmäßig ist, auf hinreichend aktuelle Begutachtung zur Einschätzung seiner Gefährlichkeit stützen können muss. Der Antrag der SPD trägt dem nicht Rechnung. Eine Anforderung an die Aktualität von Gutachten als Voraussetzung einer Dauerobservation ist nicht enthalten. Vage Bestimmungen – Frau Möller hat es schon angesprochen – wie:

"[…] Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person schwerste Gewalt- und Sexualstraftaten begehen wird und die Maßnahme zur Verhütung dieser Straftaten erforderlich ist"

begründen schwerste Eingriffe in Grundrechte.

Nun ist der Mensch keine triviale Maschine, dessen Verhalten sich voraussagen lässt. Das macht die generelle Problematik von Prognosegutachten aus. Doch wenn selbst auf Gutachten verzichtet werden soll, wenn völlig offen ist, welche Tatsachen es eigentlich sind, die die Annahme rechtfertigen und wer darüber entscheidet, dann ist das nicht akzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE)

Zweiter Punkt: Nicht einmal ein richterlicher Vorbehalt ist vorgesehen. Eine Ermächtigung zu solch weitreichenden Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte muss unseres Erachtens jedoch zumindest unter einem energischen Richtervorbehalt stehen. Auch darauf verzichtet der Entwurf. Wenn Sie eine Ermächtigung zu einer Dauerobservation und der damit verbundenen Verletzung der Menschenwürde wollen, dann muss diese so restriktiv wie möglich sein. Ihr Entwurf ist das nicht, und allein deshalb ist er für uns unannehmbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir stehen, das will ich nicht verhehlen, einer Dauerüberwachung ehemaliger Sicherungsverwahrter kritisch gegenüber. Wir respektieren die Angst in der Bevölkerung, aber wir werden auch immer wieder darauf hinweisen, dass eine Rund-um-die-UhrBewachung keine Sicherheit schafft und dass es kein rechtsstaatliches Mittel gibt, absolute Sicherheit vor einem Rückfall zu schaffen. Die Dauerobservation verletzt nicht nur die Menschenwürde von Menschen, die mehr als ihre Strafe verbüßt haben, sie ist auch eine nahezu unüberwindbare Hürde für ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

(Jörg Hamann CDU: Was sind denn Ihre Vorschläge? Was würden Sie denn ma- chen?)

Wenn etwas die Sicherheit vor Rückfall nachhaltig erhöht, dann ist es die erfolgreiche gesellschaftliche Integration ehemaliger Straftäter. Deshalb sind hier unterstützende Maßnahmen einschließlich therapeutischer Angebote, die dem Betroffenen

helfen, den Weg zurück in die Freiheit zu finden, das Entscheidende.