Protokoll der Sitzung vom 12.02.2014

(Beifall bei der CDU und den GRÜNEN)

Wer sich damit beschäftigt, wird schnell durchschauen, dass dieser Vorstoß wenig glaubhaft ist. Den Kindern ist mit Symbolhandlungen und Aktionismus, der dann Aktivität suggerieren soll, nicht geholfen. Deswegen kann ich nur sagen: Machen Sie in Hamburg Ihre eigenen Hausaufgaben und zeigen Sie nicht mit dem Finger nach Berlin. Wir müssen uns Gedanken machen über Strukturen, Entscheidungsprozesse und vielleicht auch tradierte Denkmuster in Jugendämtern, indem dem Kindesschutz eben im Zweifelsfall nicht der Vorrang gegeben wurde.

Es gibt doch genügend Hebel, in Hamburg anzusetzen. Wir können uns unterhalten über einen besseren Informations- und Datenaustausch zwischen den Behörden. Wir wissen in diesem Fall, dass der Vater ein schwerer Straftäter war; das war dem Jugendamt nicht bekannt. Wir können uns unterhalten über eine gemeinsame, zentrale Einheit, die speziell für Kindeswohlgefährdung zuständig ist und in der auch mit dem LKA zusammengearbeitet wird. Wir haben ebenfalls das Thema Haartest bei Drogenabhängigen, und dort wissen wir, dass es latente Gefährdungen gibt, aber Sie haben bisher nichts gemacht. Nicht zuletzt unterhalten wir uns gern über Rechtsnormen im Landesrecht, die im Zweifelsfall eine Rückkehr zu den Eltern unterbinden, wenn wiederholt Gewalt angewendet wurde.

Dies alles wären gute und verantwortungsbewusste Vorschläge und Beiträge, um den Kinderschutz

in Hamburg zu verbessern. Davon habe ich von Ihnen wenig gehört. Das zeigt mir auch,

(Dirk Kienscherf SPD: Das haben Sie schon vor Ihrer Rede beschrieben!)

dass sich die ernsthaften Zweifel, die wir an Ihrem Aufklärungswillen haben, hiermit bestätigen. Auch das ist ein guter Grund dafür, den PUA einzurichten, wozu wir heute den Antrag abgegeben haben.

(Beifall bei der CDU und den GRÜNEN)

Zu guter Letzt will ich etwas sagen, was wir nachher noch diskutieren werden. Ich verstehe, ehrlich gesagt, die Untätigkeit von Senator Scheele an dieser Stelle bezüglich der Sofortmaßnahmen nicht. Warum bedarf es eigentlich eines Antrags der Opposition, fast zwei Monate nach dem Tod, um hier die Akten zu überprüfen?

(Dirk Kienscherf SPD: Das passiert doch al- les schon!)

Das ist eigentlich Regierungshandeln, das ist Ihre Verantwortung, und es hätte dieses Antrags nicht bedurft. Wir freuen uns, wenn wir das gemeinsam machen, aber es wäre verantwortungsvoll gewesen, das selbst zu machen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und den GRÜNEN)

Nun bekommt das Wort Frau Blömeke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Erneut ist in Hamburg ein Kind gestorben, das unter staatlicher Obhut stand. Wieder einmal wird nach Lücken im Jugendhilfesystem gesucht. War es bei Chantal das Pflegekinderwesen, das nach ihrem Tod reformiert wurde, soll es nun darum gehen, die vorhandenen Lücken der Rückführung von Kindern zu ihren leiblichen Eltern zu schließen, und auch, was Frau Leonhard erwähnt hat, die Einführung von Kinderrechten in das Grundgesetz. Es darf aber doch wirklich nicht sein, dass wir immer erst ein totes Kind haben müssen, bevor neue Lücken entdeckt werden, die wir dann schließen. Mit diesem Flickwerk muss wirklich Schluss sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU und der FDP)

Die Einzelmaßnahmen, die uns die SPD verkündet hat, sind akzeptabel, aber sie reichen bei Weitem nicht aus. Genau deswegen brauchen wir einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Wir müssen an diesem tragischen Beispiel von Yagmur die gesamte Arbeit unseres Kinderschutzes in Hamburg auf den Prüfstand stellen und konkrete Empfehlungen für die Zukunft erarbeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Finn-Ole Ritter FDP)

(Christoph de Vries)

Dabei wollen wir die Aufklärung nicht mehr allein den Behörden und dem Senat überlassen, denn gerade auch im Bericht der Jugendhilfeinspektion wird ganz deutlich, dass die Schuld zu einseitig den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Jugendamt zugewiesen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Verantwortung von Senator Scheele und seiner Fachbehörde wird nicht beleuchtet, ebenso wenig wie die Rolle der Familiengerichte und der Staatsanwaltschaft. Der Untersuchungsausschuss, das müssen wir uns klarmachen, bietet uns die Chance, alle Personen zu befragen, die konkret an diesem Fallgeschehen beteiligt waren, und sogar noch darüber hinaus. So hätten Mitarbeiterinnen der Jugendämter erstmalig die Möglichkeit, ungefiltert und persönlich ihre Sicht der Dinge zu schildern,

(Zuruf von Heidrun Schmitt GRÜNE)

etwas, das wir in diesem Familienausschuss noch nie erlebt haben, denn bislang wurden die Menschen, die dorthin gekommen sind, vom Senat bestimmt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei André Tre- poll CDU)

Wir wollen uns ganz besonders die Rahmenbedingungen ansehen, unter denen die Jugendamtsmitarbeiter täglich Entscheidungen treffen müssen, denn für diese Rahmenbedingungen trägt dieser Senat die Verantwortung, und hier hat er schon viel zu lange das Handeln verschlafen.

Schon im Sommer 2012 hätte Senator Scheele nach dem Tod von Chantal auch durch den Bericht der Innenrevision deutliche Warnsignale hören müssen. Von fehlenden Kapazitäten für Hausbesuche war in diesem Bericht zu lesen. Es sei ein viel zu hoher Zeitaufwand für die Dokumentation erforderlich, sodass selbst die Innenrevision gesagt hat, dass 70 Prozent der Arbeitszeit für die Dokumentation zu viel seien. Es fehle dort die Zeit, um in die Familien zu gehen. Und ein Bericht von Professor Schrapper ergänzt im gleichen Jahr die Darstellung der Überlastung in den Jugendämtern. Das wird auch dadurch deutlich, dass wir im Jahr 2012 über 100 Überlastungsanzeigen hatten, davon 13 kollektive. Jede einzelne Überlastungsanzeige ist eine Gefahr für die Kinder in dieser Stadt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber all das war für Senator Scheele kein Grund, aufs Tempo zu drücken und die Arbeitssituation konkret zu verbessern. Und als wäre das noch nicht genug, setzt Bürgermeister Scholz noch einen drauf, indem er beim Neujahrsempfang den Gästen und der Presse erklärt, dass der Tod von Yagmur nicht an der Personalausstattung in den Jugendämtern gelegen hätte. Das ist aus unserer Sicht wirklich eine unsolide und gewagte Behaup

tung, die der Bürgermeister aus der Luft gegriffen hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist sehr schön, wenn die SPD sich jetzt für Kinderrechte im Grundgesetz stark macht; dem würden wir auch zustimmen. Aber das entbindet doch diesen Senat nicht von der Verpflichtung, konkret hier in Hamburg mehr für den Kinderschutz zu tun.

(Dirk Kienscherf SPD: Das ist eine Gerichts- entscheidung!)

Aber Sie stellen die Kinderrechte als überdimensional hin, und ich glaube, genau wie Herr de Vries, am Ende wäre Yagmur damit nicht gerettet worden.

Wenn wir über Sofortmaßnahmen reden, dann erwarte ich ein Ende des Zögerns und der Unentschlossenheit von Senator Scheele und von diesem Senat und ein klares Bekenntnis, jetzt endlich Geld in die Hand zu nehmen, um für mehr Personal in den Jugendämtern zu sorgen. Nur dann können die Jugendämter ihrem Wächteramt und dem Kinderschutz in Hamburg nachkommen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun hat Herr Ritter das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist gerade zwölf Wochen her, dass wir in diesem Hause den Abschlussbericht des Sonderausschusses Chantal verabschiedet haben. Dass wir wenige Wochen später an dieser Stelle wieder über ein totes Kind sprechen, das unter der Obhut des Staates stand, macht mich betroffen und fassungslos. Das fordert von uns die gebotene Zurückhaltung im Ton, aber gleichwohl die ebenso gebotene Intensität in der Aufklärung des Sachverhalts.

Das Mädchen Yagmur stand seit seiner Geburt unter der Aufsicht des Jugendamtes. Es gab verschiedene Verfahren vor dem Familiengericht, die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Kindesmisshandlung. Und dennoch durfte Yagmur zurück in die Herkunftsfamilie. Dort kam sie unter Zutun der Eltern zu Tode, das steht außer Frage. Aber staatliche Institutionen tragen eine Mitverantwortung dafür, dass es überhaupt so weit kommen konnte, denn bedenkliche Vorfälle gab es schon lange vor dem tragischen Tod des Mädchens. Es ist für uns alle absolut unverständlich, weshalb aus diesen Vorfällen nicht die richtigen Konsequenzen gezogen wurden und es nicht zu einer stärkeren Sensibilität kam.

Der Bericht der Jugendhilfeinspektion zeigte schonungslos auf, welche Probleme in diesem Fall vorhanden waren. Es ist von Überlastung die Rede, von Überforderung der Mitarbeiter, von Schnittstel

(Christiane Blömeke)

lenproblemen in einzelnen Dienststellen und von Kommunikationsproblemen zwischen verschiedenen Institutionen. Der Bericht der Jugendhilfeinspektion ist aber nur ein erstes Teilstück im Mosaik der Aufklärung des Todesfalls, denn eines wird sehr deutlich, dass es eben kein reines Problem der Jugendhilfe ist. Das Zusammenspiel aller Akteure hat schlichtweg nicht funktioniert.

Genau wegen dieser Grundsatzproblematik brauchen wir einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Dabei geht es nicht darum, einzelne Mitarbeiter an den Pranger zu stellen. Der PUA soll vielmehr aufklären, warum die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen nicht funktioniert hat, unter welchen Rahmenbedingungen die Mitarbeiter Entscheidungen treffen mussten und wie es um den Kinderschutz in Hamburg bestellt ist. Dabei hat ein PUA ganz besondere Rechte, anders als der Sonderausschuss oder eben auch die Enquete-Kommission. Wir Abgeordnete müssen uns nicht damit zufriedengeben, welche Mitarbeiter der Senat uns präsentiert. Wir können selbst Mitarbeiter einladen und diejenigen befragen, von denen wir den größten Erkenntnisgewinn erhoffen. Das ist auch deshalb so wichtig, weil es erhebliche Wahrnehmungsdifferenzen zwischen der Situation in den Jugendämtern, der Behördenleitung und der Basis gibt. Das hat die Familienausschusssitzung letzte Woche gezeigt. Die Mitarbeiter aus den Jugendämtern waren in großer Anzahl vor Ort. Dabei wurde deutlich, dass zwischen der Darstellung des Senats und den tatsächlichen Arbeitsbedingungen in den Jugendämtern offenbar Welten liegen.

(Beifall bei Christoph de Vries CDU)

Durch den PUA haben wir die Möglichkeit, Mitarbeiter einzuladen, die ihre Sicht der Dinge schildern. Und, liebe Kollegen der SPD, die durchaus diskutable Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz würde an diesem Hamburger Praxisproblem gar nichts ändern.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Ihr Vorstoß hinterlässt vielmehr den unangenehmen Eindruck, dass Sie ein Ablenkungsmanöver starten möchten, um von den eigentlichen Problemen abzulenken. Diese Haltung bestätigt uns darin, dass die Entscheidung für einen PUA genau richtig ist, denn diese Probleme sind nicht neu, sie sind schon detailliert im Lagebericht von Professor Schrapper nach dem Tod von Chantal dargestellt worden. Aus der Problemanalyse und den Verbesserungsvorschlägen müssen dann aber auch Konsequenzen folgen. Daran mangelt es aber, was uns wiederum der Tod der kleinen Yagmur zeigt.

Es reicht bei Weitem nicht aus, immer wieder das Thema Personalbemessung anzukündigen, vor allem, wenn das zwei Jahre lang angekündigt wird

(Christiane Blömeke GRÜNE: Drei!)

drei Jahre –, ohne konkrete Fortschritte vorweisen zu können. Wir haben mehrfach gefordert und beantragt, Übergangsressourcen zur Verfügung zu stellen, leider ohne Erfolg.

Meine Damen und Herren! Der furchtbare Tod Yagmurs muss nun endlich Konsequenzen nach sich ziehen, die diese Probleme ernsthaft angehen. Um hier richtig und konsequent aufzuklären und richtige Schlüsse zu ziehen für die Zukunft, brauchen wir den parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

(Beifall bei der FDP)