Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab will ich sagen, dass wir den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses unterstützen werden. Ich will aber noch einmal deutlich hervorheben, warum wir die EnqueteKommission bevorzugt hätten und warum wir mit unserem Zusatzantrag die Erweiterung des Untersuchungsauftrags erreichen wollen.
Ich fürchte, es wird wieder so sein, dass wir Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft in unserem eigenen Saft schmoren werden. Wieder wurde eine Möglichkeit verpasst, sich organisiert – ich betone organisiert, denn natürlich werden wir auch im PUA Experten einladen – wissenschaftlichen Sachverstand von außen zu holen. Wieder wurde eine Möglichkeit verpasst, über den Wahlkampf hinaus das System der Kinder- und Jugendhilfe als Ganzes zu untersuchen, anstatt an Einzelteilen herumzureparieren oder sich im Einzelfall zu verlieren. Nach dem Tod von sechs Mädchen wäre es an der Zeit gewesen, damit aufzuhören und das gesamte System von unabhängiger Seite durchleuchten zu lassen.
Nicht der Parteienproporz entscheidet in der Enquete-Kommission, sondern die fachliche Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft; im Untersuchungsausschuss wird das nicht der Fall sein. Dazu waren die anderen Parteien aber leider nicht bereit, nach unserer Auffassung auch die SPD nicht. Sie sehen an unserem Erweiterungsantrag, dass wir trotzdem, wie schon im Sonderausschuss zum Tod des Mädchens Chantal, konstruktiv mitarbeiten wollen und Vorschläge machen. Mit unseren Vorschlägen wollen wir die inhaltlichen Anliegen des Kinderschutzes stärken und bisher fehlende
Bereiche des Untersuchungsauftrags sachlich und fachgerecht ergänzen. Aber ich fürchte nach den bisherigen Debattenbeiträgen, dass das keine Zustimmung finden wird.
Neben der Sachaufklärung, die auch wir wollen, sollten wir uns vor allem mit den Fragen beschäftigen, die hinter den tragischen Todesfällen stehen. Ohne Ihre Unterstützung werden wir die Möglichkeit verpassen, den Untersuchungsauftrag des PUA zu erweitern und so am Fall Yagmur orientiert diese Fragen sachlich aufarbeiten zu können. Daher will ich unsere Vorschläge noch einmal deutlich machen.
Viertens: Wir wollen das Verhältnis zwischen Jugendämtern und den auf Hilfe Angewiesenen untersuchen und verbessern.
Zu Punkt 1: Ein wichtiger Bereich, der unbedingt untersucht werden muss, ist die Ökonomisierung der sozialen Arbeit. Wir haben in den letzten Jahrzehnten erlebt, wie der Bereich der Jugendhilfe nach marktwirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet wurde. Nach meiner Auffassung ist die Fachlichkeit dabei verloren gegangen.
Eines der besten Beispiele dafür ist Jus-IT, für das wir 112 Millionen Euro ausgegeben haben und das, wenn ein Hilfesuchender kommt und die Fakten eingegeben werden, am Ende die billigste Hilfe ausspuckt und nicht die passende. Das kann und darf nicht sein.
Wenn es in Hamburg 250 Träger mit dem Arbeitsschwerpunkt Jugendhilfe gibt und viele davon nicht einmal gemeinnützig sind, dann läuft in unserer Stadt einiges falsch. Vor diesem Hintergrund hatte unsere Fraktion schon im Sonderausschuss Chantal eine Expertenanhörung zu diesem Thema vorgeschlagen. Eine solche hat es aber nicht gegeben, obwohl wir sie damals auch im Familienausschuss durchführen wollten. Jetzt sollte es wieder auf der Tagesordnung stehen, dass wir dieses Thema aufnehmen.
Zu Punkt 2: Vielleicht noch wichtiger ist es, sich die Lebenslage der Kinder und ihrer Familien anzuschauen. Die Politik hat mit dafür gesorgt, dass die Schere zwischen Arm und Reich in dieser Stadt weiter auseinandergegangen ist. Wenn wir uns anschauen, dass ausnahmslos alle verstorbenen Kinder aus benachteiligten Stadtteilen kamen, dann besteht da ein dringender Handlungsbedarf. Wir
müssen erkennen, dass sich die Lebenslagen von vielen Menschen in unserer Stadt erheblich verschärft haben, während die herrschende Politik mit dem Bau von Opernhäusern und der Rettung von Banken beschäftigt war. Armut, Perspektivlosigkeit, fehlende Bindung an das Umfeld, all diese Faktoren spielen in ausnahmslos allen Fällen, in denen Kinder in dieser Stadt gestorben sind, eine Rolle. Wenn in manchen Stadtteilen nicht einmal ein Kinderarzt da ist, dann stimmt etwas in dieser Stadt nicht, meine Kolleginnen und Kollegen.
Und wenn Träger oder ASD keine Mutter-Kind-Einrichtung verfügen, weil die Wartezeit zu lang erscheint, wie es im Bericht der Jugendhilfeinspektion beschrieben ist, dann stimmt etwas nicht in dieser Stadt.
In den letzten Wochen habe ich mit vielen Eltern und Mitarbeitern des ASD gesprochen. Vor genau einer Woche habe ich eine Veranstaltung mit 130 Menschen gehabt. Ich war in Mümmelmannsberg und habe mit vielen Menschen gesprochen. Viele Eltern haben Angst vor den staatlichen Strukturen. Wenn Eltern berichten, dass sie Angst haben, zum Jugendamt zu gehen, wenn sie ein Problem haben, weil sie fürchten, dass ihnen vielleicht ihr Kind weggenommen wird, dann müssen wir da etwas Grundsätzliches ändern.
Die Politik ist mit daran schuld, dass der ASD nicht als Unterstützungsmechanismus gesehen wird, sondern als Angstfaktor. Dafür sind nicht die Kolleginnen und Kollegen im ASD verantwortlich. Ich glaube schon, dass diese eine tolle Arbeit machen und tagtäglich versuchen, das Beste aus minimalen Möglichkeiten zu machen. Darum will ich mich auch ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen für ihre Arbeit bedanken.
Der Todesfall eines Kindes hat häufig dazu geführt, dass wir in der Bürgerschaft mehr Dokumentation und mehr Kontrolle beschlossen haben, statt dass wir Instrumente geschaffen haben, die den Menschen bei der Bewältigung ihrer Alltagsprobleme helfen. Wir müssen den ASD endlich wieder so ausrichten, dass die Menschen sich mit ihren Problemen gern an ihn wenden, weil sie wissen, dass ihnen geholfen wird. Dazu braucht es ein Konzept für die Begleitung von Kindern, Eltern und Pflegeeltern, das wirklich greift. Darum wollen wir diesen Bereich untersuchen, und wir wollen, dass eine unabhängige Beschwerdestelle für die Betroffenen in dieser Stadt eingerichtet wird.
Auch wir wollen Sachaufklärung, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber ich bin immer noch der Auffassung, dass wir uns mit dem Untersuchungsausschuss im Einzelfall verlieren werden. Wir brau
chen endlich wirksame Lösungen, die echte Verbesserungen für Kinder und Jugendliche, für Kinderschutz und Jugendhilfe liefern.
Daher appelliere ich an die Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Untersuchungsausschuss teilnehmen werden, den Fall Yagmur nicht zum Wahlkampfthema zu machen, sondern die Fachlichkeit in den Vordergrund zu stellen.
Ich möchte auch in Richtung der SPD ein Wort sagen. Ich bedauere, dass es nicht zu einer EnqueteKommission gekommen ist, und ich bedauere, dass die SPD mit ihrer Enthaltung zu unserem Zusatzantrag einen Schritt zurück macht. Das hätte ich von Ihnen nicht erwartet, und ich finde es schon – ich weiß nicht, ob das dem parlamentarischen Sprachgebrauch entspricht – heuchlerisch,
wenn Sie zwar politisch-inhaltlich einer Meinung sind, aber der Erweiterung des Untersuchungsauftrags nicht zustimmen. Nichtsdestotrotz freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit den Kollegen im Untersuchungsausschuss. – Herzlichen Dank.
Wenn nun keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung. Die Abgeordnete Frau Kaesbach hat mir hierzu mitgeteilt, dass sie an der Abstimmung nicht teilnehmen werde.
Zunächst kommen wir zum Antrag der Fraktion DIE LINKE aus Drucksache 20/10980. Hier möchte die GRÜNE Fraktion Ziffer 2 separat abstimmen lassen.
Wer möchte nun dem Antrag aus Drucksache 20/10980 mit Ausnahme der Ziffer 2 seine Zustimmung geben? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist das abgelehnt.
Ich fahre fort in der Abstimmung. Wer möchte die Ziffer 2 annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist abgelehnt.
Wer möchte diesem zustimmen? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 62, Drucksache 20/10866, Antrag der GRÜNEN Fraktion: Rüstungsexporte kontrollieren – Ein restriktives Rüstungsexportgesetz für Deutschland.
[Antrag der GRÜNEN Fraktion: Rüstungsexporte kontrollieren – ein restriktives Rüstungsexportgesetz für Deutschland – Drs 20/10866 –]
Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 20/10975 ein Antrag der Fraktion DIE LINKE vor, den DIE LINKE an den Ausschuss für Wirtschaft, Innovation und Medien überweisen möchte.
[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Rüstungsexporte kontrollieren – ein restriktives Rüstungsexportgesetz für Deutschland – Drs 20/10975 –]
Meine Damen und Herren! Wenn Sie dieser Debatte nicht folgen mögen, können Sie gerne den Plenarsaal verlassen, aber bitte ohne weitere Gespräche.
Die SPD-Fraktion möchte die Drucksache 20/10866 ebenfalls an den Ausschuss für Wirtschaft, Innovation und Medien überweisen.