Protokoll der Sitzung vom 09.04.2014

(Dr. Andreas Dressel SPD: Um 360 Grad!)

um die Umsetzung des Volksentscheids zu betreiben. Das habe ich immer gesagt. Aber Sie waren auch im Wort. Sie haben auf meine Schriftlichen Kleinen Anfragen und auch auf Fragen im Ausschuss vor dem 22. September 2013 klipp und klar gesagt, dass dieser Senat eine sofortige Rückabwicklung für Stromnetze, Gasnetze und Fernwärmenetze umsetzen wird, es würden lediglich Notarkosten anfallen. Ich hoffe, dass mein Versprecher mit den 360 Grad sich nicht im Nachhinein noch als Wahrheit herausstellt.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Was nämlich die Umsetzung im Bereich Fernwärme anbetrifft, sind wir ausgesprochen skeptisch, und wir sind sehr irritiert, dass der Senat lediglich eine Kaufoption zum Jahr 2019 ausgehandelt hat. Bis 2018 bleibt die HGV an der Vattenfall Wärme Hamburg GmbH mit 25,1 Prozent beteiligt. Die Initiative "UNSER HAMBURG – UNSER NETZ" ist ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass es erhebliche Schwachpunkte in dem Vertragswerk gibt.

(Dr. Thomas-Sönke Kluth)

Insbesondere die Tatsache, dass ein Mindestpreis garantiert wurde, wird von der Initiative problematisiert. Dazu Manfred Braasch wörtlich – ich zitiere –:

"HGV und Senat haben in diesem Punkt erkennbar schlecht verhandelt und gefährden damit die Umsetzung des Volksentscheides."

(Dr. Andreas Dressel SPD: Was eigentlich genau?)

In der Antwort auf eine Anfrage der GRÜNEN, Herr Kerstan hat es eben ausgeführt, teilte der Hamburger Senat mit, der Kauf der Fernwärme setze im Sinne des Volksentscheids eine Senatsentscheidung darüber voraus, ob es sich dabei um einen zulässigen Schritt handeln würde. Der Senat muss also prüfen, ob nach der Landeshaushaltsordnung der Rückkauf wirtschaftlich ist und den Grundsätzen der Sparsamkeit Genüge getan wird. Das ist erklärungsbedürftig und muss abgeklärt werden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Deshalb sitzen wir hier!)

Höchst problematisch ist aus unserer Sicht, dass die Rückkaufoption keineswegs verbindlich gesichert ist. Auf Seite 12 der Drucksache 20/10666 heißt es:

"Eine Ausübung des Optionsrechts muss die HGV bis zum 1. November 2017 gegenüber Vattenfall schriftlich erklären."

Und der nächste Satz lautet:

"Die Abgabe der Ausübungsankündigung verpflichtet die HGV nicht zur Ausübung der Call-Option Wärme. Sie setzt nur den vereinbarten Prozess zur Vorbereitung der Bewertung und Kaufpreisermittlung in Gang."

Das macht uns skeptisch. Hinzu kommt die ergänzende Vereinbarung, dass, falls ein Gas- und Dampfkraftwerk das alte Heizkraftwerk in Wedel ersetzt, dieses am 31. August 2018 in Betrieb gehen soll. Es ist schon sportlich zu glauben, dass so ein neues Kraftwerk wirklich pünktlich fertig ist. Wenn ich es richtig sehe, hat Moorburg einen Bauverzug von ungefähr zwei Jahren. Der Haken dabei ist noch, dass ein mindestens dreimonatiger Regelbetrieb Voraussetzung für den Rückkauf ist, und sollte der Termin sich verschieben, verschiebt sich auch der Rückkauf des Fernwärmenetzes. Eine Verschiebung der hundertprozentigen Rekommunalisierung der Fernwärme ins Jahr 2019 ist schon keine ordentliche Umsetzung des Volksentscheids. Aber sollte fahrlässig ein Rückkauf der Fernwärme verhindert werden, dann ist das eindeutig ein Verstoß gegen die Landesverfassung, und das werden wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor diesem Hintergrund hat die Fraktion DIE LINKE einen Antrag zur Umsetzung des Volksentscheids im Bereich Fernwärmenetze eingereicht, die Drucksache 20/11054. Mit einer neu zu schaffenden gesetzlichen Regelung soll sichergestellt werden, dass die Verbindlichkeit des Volksentscheids zur Fernwärme gesichert ist, egal wann welcher Senat entscheidet. Die SPD erklärt über Ihren Fraktionsvorsitzenden – ich zitiere aus der Presseerklärung –:

"Der Volksentscheid gilt und wird von uns Punkt für Punkt umgesetzt – und zwar auch 2018."

Und weiter:

"Die Kaufoption wird ausgeübt, daran gibt es für uns Sozialdemokraten keinen Zweifel."

(Dietrich Wersich CDU: Das ist eine Option!)

Jetzt haben die Sozialdemokraten Gelegenheit, diese Zweifel zu zerstreuen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Habe ich doch gerade gemacht!)

indem Sie dem Antrag der Fraktion DIE LINKE "Rückkauf des Fernwärmenetzes durch eine gesetzliche Regelung sicherstellen" zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn es Ihnen zu peinlich ist, einem Antrag der LINKEN zuzustimmen, dann lade ich Sie ein, mit uns einen gemeinsamen Antrag zu stellen.

(Finn-Ole Ritter FDP: Auch nicht besser!)

Aber ein Ausstiegstürchen dürfen Sie sich mit dieser Regelung nicht offenhalten, sonst bleiben die Zweifel, sonst werden sie in der Stadt weiter diskutiert, und wir werden Ihnen keine Ruhe lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt nun der Abgeordnete Dr. Scheuerl.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin wieder einmal überrascht, mit welcher Hektik in diesem Hohen Haus, aber auch seitens des Senats mit Volksentscheiden und Volksinitiativen umgegangen wird. Ich möchte noch einmal daran erinnern, was die Vorlagefrage im Volksentscheid gewesen ist. Die Vorlagefrage im Volksentscheid hat den Senat nicht verpflichtet, das Eigentum an den Netzen zu erwerben, sondern sie hat Senat und Bürgerschaft lediglich verpflichtet, alle notwendigen und zulässigen Schritte zu unternehmen, um die Vollverstaatlichung durchzuführen. Es geht nur um notwendige und zulässige Schritte, das ist immer wieder andiskutiert, aber offenbar schnell vergessen worden. So hat denn auch Dr. Dressel noch in der Nacht des Volksentscheids die Zusage

(Dora Heyenn)

aus dem Ärmel geschüttelt, dass die SPD das alles umsetzen werde.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wir haben einen Plan B!)

Dann wurde, wie es im Senatsbericht zu lesen ist, unter großem Zeitdruck verhandelt – wir alle wissen, dass Zeitdruck ein schlechter Berater bei Verhandlungen ist –, der Vertrag über den Zukauf von 74,9 Prozent der Anteile an den Stromnetzen geschlossen und die Kaufoption für die Fernwärme unterzeichnet.

Dazu eines, und das geht in Ihre Richtung, Herr Kerstan: Es ist völlig richtig, dass dieser Vertrag vom Januar keine Umsetzung des Volksentscheids war, denn der Volksentscheid wollte eine Verstaatlichung in 2015. Wir alle wissen, dass selbst der Erwerb der Stromnetze in 2014 mit der Konzessionsentscheidung schon wieder obsolet werden kann.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wir haben ihn sogar übererfüllt!)

Der Erwerb einer Kaufoption, die in 2018 mit Wirkung für 2019 ausgeübt werden soll, ist natürlich auch keine Umsetzung einer Vorlagefrage, die sagt, wir hätten gern in 2015 das staatliche Eigentum – weit gefehlt. Natürlich ist das keine Umsetzung des Volksentscheids.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wie hätten Sie es denn gemacht, Herr Dr. Scheuerl?)

Wichtig ist an dieser Stelle, dass die Vorlagefrage unter drei gewichtigen Vorbehalten steht. Senat und SPD laufen der Vorlagefrage davon und meinen, sie müssten das schnell umsetzen. Und die GRÜNEN, die LINKE und die Initiative, die den Vertrag erst gelobt haben und jetzt merken, dass doch nicht alles so schön ist, wollen es dennoch. Die Vorlagefrage steht unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit, und das bedeutet kein Verstoß gegen die Landeshaushaltsordnung, kein Verstoß gegen das Kartellrecht und kein Verstoß gegen das Energiewirtschaftsgesetz. Das heißt, wir brauchen ein diskriminierungsfreies, wirksames Konzessionsverfahren mit einer lauteren Entscheidung am Ende. Und wenn es dann am Ende eben nicht das staatliche Eigentum der Freien und Hansestadt Hamburg über die HGV ist, dann ist das so. Das ist dann eine Angelegenheit der Initiatoren und ihrer Vorlagefrage, die ins Leere gelaufen ist. Sie haben es versucht, aber das Schlimmste, was an dieser Stelle passieren könnte, ist, dass der Senat sich rechtmäßig verhalten würde – ich spreche bewusst im Konjunktiv – und der Wille von immerhin 428 000 Hamburgerinnen und Hamburgern, die mit Nein gestimmt haben, sich am Ende durchsetzt. Schlimmes, Frau Heyenn, gar ein Verfassungsbruch droht an der Stelle überhaupt nicht.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Doch!)

Wir sollten eines bedenken, und da haben wir alle eine Verantwortung: Wenn es um die Inhalte geht, dann wünschen wir uns doch alle ein gutes, effizientes, kostengünstiges Fernwärmenetz für Hamburg. Wir sollten aufhören, blind der unbestimmten, verfassungsrechtlich bedenklichen und teils irreführenden Vorlagefrage des Volksentscheids hinterherzulaufen, sondern uns einmal Gedanken darüber machen, wie wir das Fernwärmenetz von Hamburg optimieren können.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Sie haben es im- mer noch nicht verwunden!)

Dazu gehört unter anderem die längst überfällige Anbindung des Kohlekraftwerks Moorburg ans Fernwärmenetz, weil wir dann das Kohlekraftwerk Moorburg effizient nutzen und die Fernwärmeversorgung sicherstellen können. – Vielen Dank.

Das Wort erhält nun Herr Senator Dr. Tschentscher.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Scheuerl, es ist zwar formal richtig, was Sie aus den zulässigen Schritten herleiten, aber ich kann Ihnen versichern, dass der Senat nicht nur formal irgendetwas abarbeiten will, sondern wir haben den Volksentscheid so verstanden, wie er gemeint ist, und das nehmen wir sehr ernst und setzen es konsequent um. Die Stadt soll in den vollständigen Besitz aller drei Energienetze kommen, und zwar unverzüglich, das heißt, so schnell wie möglich. Aber – und jetzt kommt es – das ist beim Fernwärmenetz deutlich schwieriger als bei Strom und Gas.

(Beifall bei der SPD)

Die 25-Prozent-Beteiligung am Hamburger Fernwärmenetz, Herr Kerstan, ist ein Schritt, der die im Volksentscheid gewünschte 100-Prozent-Beteiligung keineswegs erschwert, sondern der sie beschleunigt und erleichtert hat. Weil Ihnen nach wochenlangem Aktenstudium kein vernünftiger Vorwurf eingefallen ist, bemühen Sie nun komplizierte steuerrechtliche Regelungen, um eine Scheinlogik aufzubauen, die an dem Kernproblem komplett vorbeigeht.

(Beifall bei der SPD)

Das Kernproblem bestand nämlich darin, dass es für die Fernwärme kein Konzessionsverfahren gibt, Vattenfall die Fernwärme nicht verkaufen wollte und – jetzt kommt der entscheidende Punkt – wir keinen gesicherten Rechtsanspruch auf den vollständigen Rückkauf des Fernwärmenetzes hatten. Wir hatten eine Endschaftsregelung, die hoch strittig war und für die wir viele Jahre vor Gericht hätten klagen müssen.

(Dr. Walter Scheuerl)