Protokoll der Sitzung vom 09.04.2014

Soweit es mir und auch Ihnen bekannt ist, besteht diese Auffassung des Bundesministeriums des Inneren auch nach der zurückliegenden Bundestagswahl fort. So heißt es beispielsweise in einem aktuellen Antwortschreiben des BMI, bezogen auf ein Gruppenbleiberecht nach der entsprechenden Anordnungsbefugnis des Bundes gemäß Paragraf 23 Absatz 2 – ich zitiere wieder –:

"Im Fall der von Ihnen genannten Flüchtlinge liegen die Voraussetzungen des Paragrafen 23 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz nicht vor, da es politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich geradewegs entgegensteht, Personen, deren Flüchtlingsstatus durch einen anderen EUStaat anerkannt wurde, einen Aufenthalt aus humanitären, völkerrechtlichen oder politischen Gründen zu gewähren."

Zitatende.

Soweit die Bundesregierung.

Die Befugnis der obersten Landesbehörden nach Paragraf 23 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz, ein gruppenbezogenes Bleiberecht anzuordnen, ist insbesondere für Fallkonstellationen gedacht, bei denen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Inneren und den übrigen Ländern pauschal eine gruppenbezogene, dringende Schutzbedürftigkeit unterstellt werden kann. Das wäre beispielsweise aktuell im Fall der syrischen Flüchtlinge der Fall.

(Gerhard Lein SPD: Genau, so ist es!)

Es ist ausdrücklich kein Instrument der obersten Landesbehörden, Individualentscheidungen des für die Durchführung der Asylverfahren einschließlich der Verfahren nach der sogenannten DublinVerordnung zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu umgehen oder gar zu unterlaufen. Und die ständige Forderung, eine politische

Lösung zu finden, ist genau so eine Forderung, sich nämlich nicht an Recht und Gesetz zu halten, sondern mit dem Mäntelchen des politischen Lösungsansatzes Recht und Gesetz zu brechen.

(Beifall bei der SPD)

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im vergangenen Jahr in mehreren Entscheidungen bestätigt, dass in Italien grundsätzlich ein angemessener Umgang mit Flüchtlingen gewährleistet ist und dass einer Rücküberstellung nach Italien keine menschenrechtlichen Bedenken entgegenstehen. Dies entspricht im Übrigen auch der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hamburg. Auch ein Bericht des UNHCR bestätigt, dass die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen in Italien insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf nachzukommen. Anders als im Falle Griechenland gibt es gegenüber Italien eben keine Empfehlung des UNHCR, von Rückstellungen dorthin generell abzusehen.

Ich habe mehrfach auf diesem Podium gesagt, auch einmal unter dem Vorwurf Frau Fegebanks, ich würde mich als Innensenator hinter Recht und Gesetz verstecken, dass ich es nicht nur für rechtlich geboten halte, das Verhalten der Bundesregierung wie auch das Verhalten in Hamburg als richtig zu empfinden, sondern ausdrücklich sage, dass ich es auch politisch für richtig halte.

(Beifall bei der SPD)

Ein pauschales Bleiberecht zugunsten der sogenannten "Lampedusa in Hamburg" ohne hinreichende Erkennbarkeit einer konkreten Schutzbedürftigkeit, allein aufgrund der von Betroffenen als unzureichend empfundenen Lebensbedingungen in Italien und ohne hinreichende Erkennbarkeit einer konkreten Schutzbedürftigkeit aufgrund der Lebensumstände in ihren afrikanischen Herkunftsländern – und zu Ghana hat Herr van Vormizeele alles völlig richtig gesagt – ist aus fachlicher Sicht, aber auch aus politischer Sicht nicht verantwortbar. Es wäre dann auch gegenüber anderen Flüchtlingen nicht vermittelbar, weshalb diese auf den im europäischen und deutschen Recht grundsätzlich vorgeschriebenen Weg einer individuellen Prüfung der Schutzbedürftigkeit verwiesen werden. Auch der Umstand eines Aufenthalts in Italien als gruppenbleiberechtsbegründendes Merkmal kann aus meiner Sicht nicht akzeptiert werden, ohne aus Gleichbehandlungsgründen dann allen Flüchtlingen mit Voraufenthalt in Italien ein Bleiberecht in Hamburg zubilligen zu müssen.

Unabhängig von einem pauschalen, gruppenbezogenen Bleiberecht bleibt es bei den rechtlichen Möglichkeiten einer individuellen – und ich betone: individuellen – aufenthaltsrechtlichen Perspektive nach den EU-rechtlichen und bundesgesetzlichen Vorgaben. Ob diese Voraussetzungen jedoch erfüllt sind, muss individuell in jedem Einzelfall ge

(Senator Michael Neumann)

prüft werden, denn Aufenthaltsrechte von Ausländern sowie staatliche Leistungen beruhen auf bundesgesetzlichen Vorgaben, die an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sind, nicht zuletzt an die Klärung der Identität.

(Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg übernimmt den Vorsitz.)

Frau Möller, wenn Sie sagen, Sie wollten eine politische Lösung, dann wirken Sie mit dem Senat gemeinsam darauf hin, denn es gibt eine sehr einfache Lösung. Die Menschen müssen zum Einwohner-Zentralamt gehen, sie müssen ihre Identität angeben und ihre Fluchtgeschichte schildern, und dann gibt es einen klar strukturierten, im Übrigen auch sozial und finanziell abgesicherten Status in Hamburg und eine rechtliche Prüfung, ob es eine Zukunftsperspektive in Hamburg gibt. Das ist aber die Voraussetzung, um dieses individuelle Recht nutzbar zu machen. Und wenn wir gemeinsam, Frau Möller, vielleicht auch DIE LINKE, daran arbeiten, die Menschen nicht zu motivieren, auf Dinge zu hoffen, die sie nicht erreichen werden, sondern sich auf den Weg, den unser Rechtsstaat vorgesehen hat, einzulassen, dann werden wir für viel mehr Menschen als die, die wir bisher erreicht haben, eine gute Lösung finden. Aber von der Offenbarung der Identität und den Schilderungen der Fluchtgründe kann und wird dieser Senat nicht abgehen.

(Beifall bei der SPD)

Schlussendich gestatten Sie mir noch den Hinweis, dass natürlich in unserem Rechtsstaat gegen jede Entscheidung der Behörden, sei es des Bundesamtes, des Einwohner-Zentralamtes oder einer Ausländerbehörde, der Rechtsweg zu unabhängigen Gerichten geöffnet ist, um die entsprechende Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidungen überprüfen zu lassen. Auch dort bitte ich um Mithilfe und nicht um das Erzeugen falscher Hoffnungen. Wir leben Gott sei Dank in einem Rechtsstaat, in dem es jedem offensteht, seine Rechte zu verteidigen. Aber dazu gehört es eben, seinen Namen zu sagen und die Gründe für seine Flucht offenzulegen, aber nicht pauschal ein Aufenthaltsrecht zu fordern. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Senator. – Das Wort hat Frau Schneider.

Ich finde es echt interessant, dass mehrere Rednerinnen und Redner gesagt haben, es gäbe nichts Neues. Doch, es gibt etwas Neues, und das richte ich ausdrücklich an die SPD-Fraktion. Es wurde gesagt, es gehe mit dem Paragrafen 23 nicht. Sie haben das vielleicht geglaubt. Der Senat, denke ich, wus

ste es besser. Das Neue ist – und das liegt jetzt mit dem wissenschaftlichen Gutachten vor, das natürlich nicht besagt, dass es angewandt werden muss –,

(Arno Münster SPD: Es gibt kein Gutachten! – Martina Kaesbach FDP: Aber nicht auf die Sekunde!)

dass das wissenschaftliche Gutachten sagt, es könne angewandt werden und es sei eine Frage der politischen Leitentscheidung. Sagen Sie doch einfach, dass Sie nicht wollen, dass die Flüchtlinge hier bleiben. Dann ist wenigstens klar, um was Sie sich streiten. Sie können sich aber nicht ständig wieder etwas vormachen und sagen, man könne darüber reden, wenn es ginge, es ginge jedoch nicht. Sie müssen es wollen, dann geht es, und es ist rechtlich möglich. Und nichts anderes besagt das Gutachten.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Es ist natürlich eine Frage, ob die Tatbestandsmerkmale vorliegen, das ist beim Recht immer so, das kann geprüft werden. Ich wiederhole es noch einmal, damit Sie sich nicht herausreden können: Dann besteht die Frage nur darin, ob Sie wollen, dass es zu einer Lösung kommt, oder ob Sie sagen, das ginge Ihnen ganz woanders vorbei. Darüber streiten wir und das ist das Neue. Stellen Sie sich dieser Auseinandersetzung, Herr Schäfer. Herr Neumann hat dankenswerterweise gesagt, er wolle es gar nicht, aber Sie haben es nicht gesagt. Die Bürgerschaft muss jedoch heute entscheiden, ob sie es will oder ob sie es nicht will.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Herr Abaci, Sie haben in einer Plenardebatte gesagt,

(Sylvia Wowretzko SPD: Herr Abaci!)

Hamburg könne es nicht, und solange diese Gesetze gelten, habe Hamburg diese Gesetze auch anzuwenden. Sie müssen sich der Frage stellen, warum Sie nicht wollen, dass der Paragraf 23 angewandt wird beziehungsweise geprüft wird, ob er angewandt werden kann. Es ist bisher durch die SPD-Fraktion bestritten worden, dass es überhaupt geprüft werden kann. Sie müssen sich der Frage stellen.

Herr Schäfer, Sie haben jetzt wirklich etwas unterschlagen, und das finde ich nicht so schön. In dem Gutachten steht, dass die Vorschrift des Paragrafen 23 Aufenthaltsgesetz nicht nur für die Aufnahme aus dem Ausland gelte, sondern auch für Ausländer, die sich bereits in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Sie wollten damit wieder sagen, dass es nicht ginge, die Flüchtlinge seien nämlich schon hier, und das sei der Unterschied zu den syrischen Flüchtlingen. Sie sind hier, aber das wissenschaftliche Gutachten stellt fest, dass auch für Ausländer, die sich hier als Gruppe aufhalten,

(Senator Michael Neumann)

der Paragraf 23 angewandt werden kann. Stellen Sie sich deswegen der Auseinandersetzung, prüfen Sie Ihr Gewissen und fragen Sie sich, ob Sie wollen, dass eine humanitäre Lösung gefunden wird, oder ob Sie es nicht wollen. Darum geht es.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Schneider. – Das Wort hat Frau Möller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Senator, ich will gern den Ball aufnehmen, mit dem Sie Unterstützung einfordern. Allerdings widersprechen Sie sich ständig selbst in der Argumentation, das ist auch bei Herrn Schäfer so. Das ist tatsächlich nicht neu, weil wir diesen Widerspruch schon seit vielen Monaten in der Debatte haben. Wenn Sie einerseits sagen, Italien sei ein Land, in dem es zumutbar sei zu leben und wo viele andere Flüchtlinge leben müssen und können und im Übrigen sei das Bundesamt zuständig, dann suggerieren Sie erstens, dass es erneut um eine Asylantragstellung geht, obwohl schon längst geklärt ist, dass das nie der Fall war und ist. Dann machen Sie die Einzelfallverfahren, auf die Sie eben hingewiesen und bei denen Sie gern Unterstützung hätten, schlichtweg zu einer leeren Hülle. Sie haben auch an anderer Stelle schon sehr viel deutlicher gesagt, dass Sie davon ausgehen, dass die Einzelfallverfahren aus den Gründen, die Sie noch einmal vorgetragen haben, abgelehnt werden. Sie sagen, dass die Gerichte dann über die Humanität entscheiden könnten, also über eine spezielle, besondere Situation, in der sich diese Gruppe von Flüchtlingen befindet, die aufgrund ihrer Fluchtgeschichte zustande gekommen ist.

(Gabi Dobusch SPD: Welche Geschichte? Ich kenne keine Geschichte!)

Und das ist etwas, was uns wirklich nicht weiterhilft. Man gibt nämlich den Menschen einen Impuls, der scheinbar positiv aussieht, indem sie einen Unterbringungsplatz haben und eventuell Anspruch auf öffentliche Mittel. Aber was sie brauchen, ist eine Perspektive. Nach drei Jahren Flucht, nach drei Jahren unsteten Lebens ohne zu wissen, wo man bleiben kann, brauchen diese Menschen endlich eine Perspektive, aber die geben Sie ihnen mit dem Impuls nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Möller. – Das Wort hat Herr Voet van Vormizeele.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will

es ganz kurz machen. Ich finde, heute haben wir das selten klarer herausgearbeitet als in vielen bisherigen Debatten, insbesondere auch die Unterschiede zwischen dem, was die Kollegen der GRÜNEN und LINKEN wollen und zwischen dem, was SPD und FDP und auch meine Fraktion deutlich machen. Es geht Ihnen nicht wirklich darum, eine Lösung zu finden für diese Gruppe, wie auch immer sie zusammengesetzt ist. Es geht Ihnen um eine Generaldebatte, nämlich darum, dass Sie das Individualasylrecht abschaffen und letztendlich ein Gruppenasylrecht haben wollen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das ist doch demagogisch!)

Ich sage Ihnen ganz offen, dass wir genau das nicht wollen. Wir halten es für eine große Errungenschaft unseres Grundgesetzes, dass wir dieses Individualasylrecht als Grundrecht verankert haben.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das Sie abgeschaltet haben!)

Das wollen wir erhalten. Sie sind dabei, diese Ihnen nicht genehme Individuallösung, bei der jeder Einzelne seine ganz persönliche Geschichte darstellen und seine persönlichen Fluchtgründe schildern muss, abzuschaffen. Sie wollen eine Gruppenlösung herbeiführen, bei der irgendeine politische Mehrheit sagt, welche Gruppe sie denn einmal haben wolle. Das ist genau das, was diese beiden Lager voneinander unterscheidet, und das haben Sie heute sehr, sehr deutlich gemacht.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Vielen Dank, Herr van Vormizeele.

Mir liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr vor und wir kommen damit zur Abstimmung.