Protokoll der Sitzung vom 04.06.2014

Frau Voßkühler, Sie haben damit ebenfalls den erforderlichen Eid vor der Bürgerschaft geleistet. Ich wünsche auch Ihnen im Namen des ganzen Hauses als vertretendes Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichts eine glückliche Hand in der Amtsführung, alles Gute, Glück und auch Befriedigung bei Ihrer neuen Aufgabe.

(Beifall bei allen Fraktionen – Vizepräsiden- tin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Nachdem die Gratulationen getätigt sind, können wir mit der Tagesordnung weitermachen. Ich rufe den Punkt 14 auf, Drucksache 20/11794, Bericht des Haushaltsauschusses: Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung in Hamburg – Beitragsfreie Grundbetreuung für Hamburger Kinder.

[Bericht des Haushaltsausschusses über die Drucksache 20/11181: Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung in Hamburg – Beitragsfreie Grundbetreuung für Hamburger Kinder – (Senatsantrag) – Drs 20/11794 –]

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Frau Dr. Leonhard von der SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! In den vergangenen drei Jahren hat Hamburg unter erheblichen Anstrengungen und finanziellen Aufwendungen wichtige Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen und der Attraktivität der Kindertagesbetreuung auf den Weg gebracht. Mit dem heutigen Beschluss erreichen wir einen weiteren Meilenstein. Hamburgs Eltern bekommen nicht nur den Kinderbetreuungsplatz, der ihnen nach dem Gesetz zusteht, sondern sie bekommen ihn ab dem 1. August 2014 für eine bis zu fünfstündige Betreuung inklusive Mittagessen zudem beitragsfrei.

(Beifall bei der SPD)

Das ist Wahlfreiheit für die Lebensentwürfe unserer Hamburger Familien. Schon heute erreichen

wir mit einem Versorgungsgrad von rund 40 Prozent bei den Krippenplätzen, verglichen mit anderen Bundesländern, Spitzenwerte. Innerhalb Hamburgs holen inzwischen auch Stadtteile, die mit großen Herausforderungen zu kämpfen haben, deutlich auf, und das ist durchaus politische Absicht. Das ist richtig und auch gut für Hamburgs Kinder.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Kurt Duwe FDP)

Zahlreiche Nachfragen und Rückmeldungen von Müttern und Vätern zeigen die hohe Bedeutung beitragsfreier früher Bildung für die Budgets Hamburger Familien. So geht finanzielle Entlastung: einfach, direkt und messbar. Wie wichtig das für Familien sein kann, zeigt sich, wenn man einmal anhand eines Beispiels konkret durchrechnet, was das für sie bedeutet. Bei einer täglich fünfstündigen Betreuung inklusive Mittagessen werden Familien monatlich bis zu 192 Euro entlastet. Das ist viel Geld, damit kann man viel machen. Damit ist Hamburg auch ein Stück kinderfreundlicher geworden.

(Beifall bei der SPD)

Kinder mit einer Behinderung oder Kinder, die von einer solchen bedroht sind und Eingliederungshilfe in der Kita bekommen, erhalten künftig gar eine beitragsfreie Betreuung von bis zu sechs Stunden täglich. Eltern von Kindern mit längeren Betreuungszeiten werden ebenfalls deutlich entlastet, indem die Elternbeiträge um eben diese fünf Stunden und das Mittagessen reduziert werden. Das bedeutet: Bei einem Acht-Stunden-Kitagutschein beträgt der Elternbeitrag für eine Familie mit Kind – nehmen wir einmal an, ein Facharbeiter und eine Facharbeiterin mit einem durchschnittlichen Nettoeinkommen von 2700 Euro – 108 Euro statt bisher 300 im Monat. Das ist viel Geld, das entlastet Familien tatsächlich spürbar.

(Beifall bei der SPD)

Begonnen haben wir diesen Weg bereits 2011, wie wir es den Eltern in dieser Stadt zugesagt haben. Bereits im August 2011 wurden die Gebührenerhöhungen des Vorgängersenats zurückgenommen, die sogenannten Kann-Kinder in die Beitragsfreiheit des Vorschuljahres einbezogen und der sogenannte Verpflegungsanteil, wir kennen ihn alle unter dem Namen Essensgeld, abgeschafft. Damals trat das Kita-Sofortpaket in Kraft. Ein Jahr später, zum August 2012, wurde ein allgemeiner und bedarfsunabhängiger Rechtsanspruch auf eine fünfstündige Kindertagesbetreuung für alle Kinder mit dem vollendeten zweiten Lebensjahr eingeführt. Damit waren wir früher als alle Bundesländer in der Republik. Auch das ist richtig und gut und ist den Kindern und Familien direkt zugute gekommen.

(Beifall bei der SPD)

(Präsidentin Carola Veit)

Zum 1. Januar 2013 ist im vergangenen Jahr KitaPlus in Kraft getreten. Um die Förderbedingungen in den Kindertageseinrichtungen zu verbessern, erhalten Kitas mit einem relativ hohen Anteil von Kindern aus belasteten Familien oder aus Familien mit Migrationshintergrund seit dem 1. Januar 2013 einen besseren Betreuungsschlüssel. Auch das ist richtig, und auch das kommt den Kindern direkt zugute.

(Beifall bei der SPD)

Damit haben wir alle vor der Bürgerschaftswahl 2011 mit dem Landeselternausschuss der Eltern von Kindern in Kindertagesbetreuung getroffene Vereinbarungen erfüllt. Der bundesweite Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung ab dem 1. August 2013 konnte in Hamburg erfolgreich umgesetzt werden. Hamburg kann allen Kindern ab dem vollendeten ersten Lebensjahr bis zur Einschulung einen Platz in Kita oder Kindertagespflege garantieren. Das ist politisch gewollt, das finden wir richtig, und auch das kommt den Kindern direkt zugute.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus haben wir in Hamburg Maßnahmen zur Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität in den Kitas umgesetzt beziehungsweise eingeleitet, und auch das ist nicht zu vernachlässigen. Die Hamburger Bildungsempfehlungen für die Bildung und Erziehung in Tageseinrichtungen wurden 2012 grundlegend überarbeitet. Wir haben sie um die vielen Dinge erweitert, die in der Krippenbetreuung wichtig sind. Wir haben eine externe Evaluation beziehungsweise Überprüfung der pädagogischen Qualität aller Kitas aufgenommen, und diese Auswertungen werden wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Qualität in Kitas für die Zukunft geben. Hier noch einmal mein Dank für die konstruktive Zusammenarbeit bei diesem Thema im Familienausschuss.

(Beifall bei der SPD)

Der Betreuungsqualität in Kitas kommt eine große und wichtige Rolle zu. Sie hängt neben der Frage des Personalschlüssels von vielen weiteren Faktoren wie zum Beispiel der Fortbildung, der pädagogischen Orientierung, der Fachberatung, den konzeptionellen Grundlagen und der pädagogischen Arbeit sowie der Qualität des Trägers ab. Ein kleiner und schöner Nachweis der Qualität von Hamburger Kitas ist, dass die seinerzeitige Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner die 178 Kitas der Elbkinder 2011 mit dem Fit-Kid-Preis für vorbildliche Kinderernährung ausgezeichnet hat. Darauf können wir alle zusammen ein bisschen stolz sein. Auch das kommt unseren Kindern direkt zugute.

(Beifall bei der SPD)

Das Wichtigste ist aber, dass wir mit all diesen Maßnahmen erreicht haben, dass in Hamburg so viele Kinder wie nie zuvor und vor allem so lange wie nie zuvor von früher Bildung und Betreuung profitieren können. Das ist gut für die Entwicklungschancen dieser Kinder, denn Studien zeigen, dass bei Kindern mit mehrjährigem Kitabesuch – und hier ist nicht die Frage, wie viele Stunden am Tag ein Kind in der Kita ist, sondern wie lange vor dem Schulbesuch es damit anfängt – der Sprachförderbedarf bei Einschulung deutlich geringer ist als bei vergleichbaren anderen Kindern. Eine gute frühe Bildung und Betreuung ist damit ein wichtiger Beitrag für echte Chancengerechtigkeit und auch für die Kinderfreundlichkeit Hamburgs. Wir sind hier auf einem guten Weg.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr de Vries von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Leonhard hat es gesagt, ab dem 1. August wird die fünfstündige Grundbetreuung inklusive Mittagessen in Hamburger Kitas beitragsfrei sein. Ohne Frage ist das populär, denn sonst hätten Sie das Thema nicht zur Debatte angemeldet. Und ohne Zweifel ist das auch für davon profitierende Eltern zunächst einmal eine gute Nachricht, über die sie persönlich sich verständlicherweise erst einmal freuen werden.

(Kazim Abaci SPD: Sie nicht?)

Deswegen sind wir grundsätzlich auch dafür, dass es Entlastung für Eltern gibt. Aber dafür müssen bestimmte Voraussetzungen und Bedingungen erfüllt sein, denn die Beitragsfreistellung kann man guten Gewissens erst dann vornehmen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehören sehr gute Betreuungsbedingungen für unsere Kinder in den Kitas und Betreuungsschlüssel im Krippenbereich, die es ermöglichen, Kinder mit Entwicklungsproblemen und Defiziten intensiv zu fördern, und zwar von dem dafür erforderlichen Personal. Eine andere Voraussetzung ist, dass es eine früh ansetzende Sprachförderung gibt, die allen Kindern, die darauf angewiesen sind, Förderung zuteil werden lässt, damit sie mit gleichen Bildungschancen an den Start gehen. Hier müssen wir leider feststellen, dass wir von dieser pädagogisch und gesellschaftspolitisch wünschenswerten Situation in Hamburg noch meilenweit entfernt sind.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb sagen wir als CDU, dass die 75 Millionen Euro, die diese Beitragsbefreiung den Steuerzahler strukturell kostet, für mehr Betreuungsqualität,

(Dr. Melanie Leonhard)

für mehr Förderung der Kinder in Hamburg besser aufgehoben wären.

(Beifall bei der CDU)

Wir Christdemokraten meinen, dass satt und sauber allein nicht ausreicht. Gerade in Hamburg gibt es eine Vielzahl von Kindern – auch bedingt durch den hohen Migrationsanteil, aber nicht nur deshalb –, die erhebliche Sprach- und Entwicklungsdefizite haben. Wir lesen das immer wieder. Deswegen brauchen wir in Hamburg zwingend bessere Betreuungsrelationen für eine intensivere Betreuung und für eine bessere frühkindliche Sprachförderung. Dass diese Qualität, und zwar bundesweit, in den Kitas noch unzureichend ist, belegt die Studie "Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit" von 2012. Dort kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass die Qualität nur in 3 Prozent der Krippen für gut befunden wird, in 85 Prozent hingegen für mittelmäßig und in 12 Prozent für schlecht. Das Fazit dieser Studie: Es fehlt für einen gelungenen Kitabetrieb an Räumen und vor allen Dingen an genügend Personal. Das gilt, wie gesagt, bundesweit. In Hamburg haben wir dazu noch eine sehr spezielle Situation, denn wir haben in Krippen den schlechtesten Betreuungsschlüssel aller westdeutschen Länder. Auf einen Erzieher kommen rechnerisch 5,2 Kinder. Es ist doch ein Unding, Herr Scheele, dass sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern soll. Im Familienausschuss haben die Senatsvertreter klipp und klar gesagt, dass es in dieser Legislaturperiode keine Qualitätsverbesserung mehr geben wird, und es gibt noch nicht einmal den Hauch einer Ankündigung, dass sich in der nächsten Legislaturperiode etwas daran ändern soll. Das können wir nicht akzeptieren.

(Beifall bei der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Dann macht mal einen Deckungsvorschlag!)

Das denken wir uns nicht aus. Die Wissenschaftler raten zu einem Betreuungsschlüssel in Relation 1:3, also ein Erzieher für drei Kinder. Selbst der LEA in Hamburg, mit dem Sie Vereinbarungen getroffen haben, fordert einen Betreuungsschlüssel von 1:4. Interessant ist, dass selbst dem LEA inzwischen dämmert, dass diese Beitragsfreistellung nicht ohne Konsequenzen für die Betreuungsqualität bleiben wird. Deshalb sind auch von dieser Seite inzwischen kritische Untertöne nicht zu überhören.

Was bedeutet diese personelle Unterausstattung? Wir haben einen Krankenstand bei den Erziehern von 10 Prozent, enorm hoch. Das zeigt, dass die Erzieherinnen und Erzieher, diese engagierten Mitarbeiter, unter den vorgefundenen Arbeitsbedingungen leiden. Sie sagen, dass ihnen für das, was sie tun wollen, Zeit fehlt und dass ihnen die Möglichkeit für eine altersgerechte Betreuung und für individuelle Förderung fehlt. Ehrlich gesagt, jede Erzieherin, mit der ich gesprochen habe – nicht nur

in meiner Kita, sondern auch in anderen –, schüttelte den Kopf über die Beitragsbefreiung, weil sie genau weiß, was das für sie, für ihre Arbeit und für ihre Möglichkeiten in den nächsten Jahren bedeutet. An der Stelle muss ich feststellen, dass das Motto der SPD leider immer das gleiche ist: Hauptsache billig. Für erforderliche Qualitätsverbesserung ist dann kein Cent mehr übrig. Wir kennen das schon aus der Hochschulpolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Das führt dazu, dass wir heute diesen Änderungen nicht zustimmen werden. Wir werden uns enthalten, weil unsere tiefe Sorge und Befürchtung ist, dass es in Hamburg auf viele Jahre hinaus durch diese Beitragsentlastung keinen Spielraum mehr für eine verbesserte Betreuung geben wird,

(Dirk Kienscherf SPD: Dann stimmt doch da- gegen; seid doch mal mutig!)

da überhaupt keine Luft mehr im Haushalt ist, um an dieser Stelle noch irgendetwas zu tun. Das darf nicht sein, Herr Kienscherf.

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, wir sind uns einig, dass gute Betreuung unbestritten einen sehr hohen Wert hat für jede Familie, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Deshalb hat gute Betreuung auch ihren Preis. Es gibt viele gutverdienende Eltern in dieser Stadt, die sich diese Beiträge nicht nur leisten können, sondern auch leisten wollen und bereit sind, angemessene Beiträge für eine gute Betreuung ihrer Kinder zu entrichten. Dann fragen wir: Wieso soll die Betreuung dann eigentlich kostenlos sein? Schauen wir uns die Entlastung an; es ist angesprochen worden. Die höchsten Entlastungen von 192 Euro im Monat gibt es für Menschen mit höherem Einkommen. Die geringsten Entlastungen haben die Menschen, von denen Sie immer sprechen, nämlich solche mit geringem oder gar keinem Einkommen, die den Mindestbeitrag leisten, das sind 27 Euro. Und dann begründen Sie diese ganze Beitragsfreistellung damit, dass wir künftig mehr von diesen Kindern in Hamburg betreuen wollen. Wenn ich den Senat frage, von welcher Steigerung des Betreuungsanteils er denn ausgeht, dann kann er darauf keine Antwort geben. Ich glaube, an dieser Stelle ist Ihre Begründung nicht schlüssig.

(Beifall bei der CDU)

Wir können für uns sagen, dass wir die Qualität in jedem Fall im Blick behalten werden. Das wird in den nächsten Jahren ein großes Thema in Hamburg bleiben. Wir wollen, dass unsere Kinder in kleineren Gruppen mehr individuelle Förderung erhalten, und wir wollen, dass engagiertes Personal nicht nur fortgebildet, sondern auch anständig und angemessen bezahlt wird. Deswegen werden wir uns heute enthalten.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Frau Fegebank von der GRÜNEN Fraktion.