Protokoll der Sitzung vom 18.06.2014

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Natürlich gefällt nicht jedem alles in unserer Stadt. Manche empfinden alternative Lebensentwürfe als genauso schwer erträglich wie andere einen bürgerlichen Lebensentwurf ablehnen. Dass es bei Ihnen zu Irritationen führt, wenn ein Innensenator in diesem Parlament den Satz sagt, es sei eine Selbstverständlichkeit, dass die Freiheit des einen dort ende, wo die Freiheit des anderen beginne, liegt eher an Ihnen, weniger an mir.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Wir haben in unserer Stadt alternative Lebensentwürfe, die manche als schwer erträglich empfinden, genauso wie andere wiederum bürgerliche Lebensentwürfe für sich ablehnen. In einer Stadt wie Hamburg, in einer kraftstrotzenden, vitalen, weltoffenen Metropole, müssen wir Wellingsbüttel genauso ertragen wie die Schanze, und das wollen wir auch.

(Beifall bei der SPD)

Das geht aber nur, wenn wir für unseren gesellschaftlichen Konsens eintreten, wenn wir uns zu ihm bekennen und ihn unabhängig von kurzfristiger parteipolitischer Opportunität auch offensiv vertreten. Wir müssen eine Stadtgesellschaft sein, die zusammensteht in den Zeiten der Herausforderungen, die nicht ihr Heil in der Pointierung und in Populismus sucht, sondern das Gemeinsame betont, auch wenn in Einzelfragen unterschiedliche Grundauffassungen bestehen. Friedlicher, gewaltfreier Diskurs gehört zu unserer Demokratie, keine Frage, aber wir müssen den verschiedenen populistischen Versuchungen widerstehen.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Zum Bei- spiel?)

Seien wir also das bunte Hamburg, ebenso wie wir das entschlossene Hamburg sind, das für Recht und Gesetz, das für unsere Regeln einsteht. Meiner tiefen Überzeugung nach bedingt beides einander, und beides macht Hamburg zu der Stadt, in der wir alle gemeinsam gern leben. Dafür steht dieser Senat, und ich hoffe, dafür steht auch die Bür

(Norbert Hackbusch)

gerschaft als Institution in unserer Stadt. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Olaf Ohlsen CDU)

Von der CDU-Fraktion bekommt das Wort Herr Voet van Vormizeele.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will einige Äußerungen, die im Laufe der Debatte gefallen sind, zum Anlass nehmen, noch einmal einiges richtigzustellen. Damit meine ich nicht den Ausspruch des Innensenators, dass dieser Senat sich in der Tradition von Rosa Luxemburg versteht – das mag so hingenommen werden –; es geht um andere Sachen.

Ich fange bei Herrn Hackbusch an. Herr Hackbusch, Sie haben vehement eingefordert, es müsse Kritik an der Polizei geäußert werden dürfen. Aber natürlich, das ist in einem Rechtsstaat selbstverständlich. Wir reden aber nicht über Kritik, wir reden zum Teil über Verleumdung, und Verleumdung ist eben nicht akzeptabel, sehr verehrte Kollegen der LINKEN.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Frau Möller, wenn Sie sagen, die Bannmeile sei richtig, gleichzeitig aber davon reden, dass dort billigend in Kauf genommen worden sei, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen – das sei ja eine kleine, unwesentliche Regelverletzung –, dann ist das eben nicht in Ordnung.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Gerade weil wir als Parlament aufgerufen sind, einen Großteil der Regeln, die in dieser Gesellschaftsordnung gelten, festzulegen, sind wir auch die Allerersten, die damit umgehen müssen. Wir müssen darauf achten, dass wir selbst uns an diese Regeln halten, und das gilt nicht nur für unser Tun, es gilt auch für das, was wir sagen. Ich kann deswegen diese Verniedlichung überhaupt nicht akzeptieren. Ich halte das für einen schrägen Ausdruck, das ist nicht akzeptabel.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Zu dem Vorwurf, unser Thema sei zusammengewürfelt, muss ich schon sagen, dass einige Kollegen die bewundernswerte Gabe der selektiven Wahrnehmung haben. Wir stehen hier doch vor einer sehr langen Reihe von Vorkommnissen, einer Reihe, die vor fast drei Jahren mit dem OccupyCamp begann, das über ein Jahr lang vollkommen ohne jede Reaktion der Öffentlichkeit Regeln verletzen durfte.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Fast zwei Jahre lang durften die Zeltbewohner auf einem öffentlichen Platz campieren, wie es ihnen gefiel. Kein anderer Hamburger Bürger darf das, wir haben also selbst unsere Regeln außer Kraft gesetzt. Sie sagen, das sei irgendwie hinnehmbar, genauso hinnehmbar wie die Ordnungswidrigkeit auf dem Rathausplatz – das finde ich schon eigenartig. Es setzt sich fort im Umgang mit den sogenannten Lampedusa-Flüchtlingen, die auch lange Zeit akzeptiert wurden à la lassen wir sie mal laufen. Nein, auch hier hätte man – und das ist ein Vorwurf an den Senat – deutlicher und früher sagen müssen, dass das Rechtsstaatsprinzip gilt. Wenn Senator und SPD-Fraktion jetzt deutlich machen, dass das Angebot letztmalig am 30. Juni gilt, dann haben Sie auch hier die Regeln erneut weit gedehnt. Es hat natürlich auch etwas damit zu tun, wie mit den Abgeordnetenbüros als Ausdruck unserer parlamentarischen Demokratie umgegangen wird. Wenn Abgeordnetenbüros von Kolleginnen und Kollegen, die bewusst in Stadtteile gehen, die nicht Wellingsbüttel heißen, also wo es schwierig ist – nichts gegen Wellingsbüttel –, nicht nur einmal, sondern inzwischen dreizehnmal systematisch zerstört werden, dann wollen doch Menschen in dieser Stadt ausdrücken: Das sind für euch Politiker, für euch gewählte Abgeordnete No-go-Areas. Das können und wollen wir nicht akzeptieren. Das kann nicht der Weg sein, den wir gemeinsam beschreiten wollen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und bei Katharina Fegebank GRÜNE)

Wir haben in der Bürgerschaft schon häufig über Regeln und ihre Anwendung debattiert. Regeln sind kein Ausdruck einer irgendwie fehlgeleiteten, altertümlich-bürgerlichen Gesellschaftsform. Wir brauchen Regeln, um unser gemeinsames staatliches Zusammenleben organisieren zu können, um Minderheiten und – zu Recht – auch Mehrheiten zu schützen. All das kann nur funktionieren, wenn wir Regeln aufstellen und diese dann auch selbst glaubwürdig vertreten. Wir haben aber die Regeln an vielen Stellen nicht glaubwürdig vertreten, das muss ich dem Senat deutlich sagen. Das ist ein roter Faden, der sich durchzieht und sich bei bestimmten Themen immer wieder zeigt.

Wir müssen alle gemeinsam darauf achten, dass die Regeln, die wir selbst aufstellen, zu allererst von uns selbst eingehalten werden. Nur dann werden wir in der Lage sein, den Menschen glaubwürdig und im Sinne dessen, was die Präsidentin eben dargestellt hat, entgegenzutreten. Nur so wird es funktionieren.

(Beifall bei der CDU)

Von der SPD-Fraktion bekommt das Wort Herr Dr. Schäfer.

(Senator Michael Neumann)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr van Vormizeele, Regeln sind einzuhalten, aber bitte mit Augenmaß und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel,

(Dietrich Wersich CDU: Was heißt das kon- kret?)

mit Augenmaß im Hinblick darauf, dass das Ziel, das erreicht werden soll, so erreicht wird, dass es innerhalb unserer Zivilgesellschaft akzeptiert und von einer großen Mehrheit mitgetragen wird. Es kann nicht darum gehen, Regeln um das Einhalten der Regeln willen mit großer Gewalt durchzusetzen, sondern es kann nur darum gehen, das mit Augenmaß umzusetzen.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Das ist doch Wi- schiwaschi!)

Und das geschieht seit über einem Jahr in Hamburg im Zusammenhang mit den Flüchtlingen, die über Lampedusa hierher gekommen sind.

(Beifall bei der SPD)

Daran werden wir auch weiterhin festhalten. Aber ich wollte noch etwas zu den Reden von Frau Möller und Herrn Hackbusch sagen. Frau Möller, Sie haben das Kunststück fertig gebracht, in den ersten drei Minuten nichts zu sagen und in den letzten zwei Minuten die Sache mit der Bannmeile auf den Kopf zu stellen. Nach Ihren Worten besteht die Lösung darin, für diese Protestierenden eine Lösung zu schaffen, die genau deren Wunsch entspricht.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Genau!)

Und das geht nicht.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Dr. An- dreas Dressel SPD: So ist es!)

Wir setzen uns in der Sache damit auseinander, aber es kann nicht sein, dass dieses Bannmeilengesetz dahingehend relativiert wird, dass Sie sagen, die müssten gar nicht protestieren, wenn es eine Lösung in ihrem Sinne gäbe. So geht es aber nicht.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Sonst würde das bedeuten, dass dieser Regelverstoß, wie Sie es nennen, das Ziel, das diese Menschen haben, erzwingt. Wir sprechen darüber, wir streiten darüber und wir entscheiden, aber wir lassen dieses Ziel nicht durch einen Regelverstoß erzwingen. So herum geht es nicht.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

Herr Hackbusch, Sie haben die Demonstration auf dem Rathausmarkt so geschildert, dass die Demonstranten schweigend ihren Protest kundgetan hätten. Das ist definitiv falsch. Es gab lautstarke Aggressivität gegenüber der Polizei,

(Beifall bei der SPD, der CDU und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

die auf eine unerträgliche Art und Weise unflätig beschimpft wurde. Das war kein schweigender Protest.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das wa- ren drei Stunden Schweigen!)

Sie weisen außerdem jeglichen Zusammenhang zwischen der Flüchtlingspolitik des Senats, die von uns getragen wird, und den Anschlägen auf Privathäuser, Büros und dergleichen mehr zurück. Es gibt Bekennerschreiben nach den Anschlägen auf die Privathäuser von Herrn Dressel, Herrn Sachs und Herrn Pörksen. Da wird dieser Zusammenhang explizit hergestellt – nicht von uns, sondern von denen, die sich selbst zu diesen Anschlägen bekannt haben.

(Dietrich Wersich CDU: Von den Tätern!)

Es gibt einen Zusammenhang.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Die sind doch nicht das Maß aller Dinge!)

Deswegen kann man das nicht trennen, sondern man muss es so im Zusammenhang sehen, wie es nach Lage der Dinge tatsächlich ist.