Protokoll der Sitzung vom 29.01.2020

dazu

Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN:

Hamburg hilft weiterhin: Initiative zur Aufnahme minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge aus griechischen Flüchtlingslagern – Drs 21/19914 – 8814,

Beschlüsse 8814,

Beginn: 13.33 Uhr

Meine Damen und Herren, nehmen Sie bitte Ihre Plätze ein.

(Glocke)

Meine Damen und Herren, ich eröffne die heutige Sitzung. Wir steigen sogleich in die Tagesordnung ein

und beginnen mit der Aktuellen Stunde.

Aktuellen Stunde

Dazu sind wie immer vier Themen angemeldet worden. Und zwar von der Fraktion DIE LINKE:

Tatkräftige Hilfe statt unverbindlicher Worte: Aufnahme von 70 minderjährigen Geflüchteten aus Griechenland jetzt!

Die Anmeldung der FDP-Fraktion lautet:

Für Experimente ungeeignet: Rechtsstaatliche Themen gehören nicht ins 'grüne Labor'

Die Anmeldung der AfD-Fraktion:

Auch wenn Rot/Rot/Grün es leugnen – Meinungsfreiheit in Hamburg in Gefahr!

Und schließlich die Anmeldung der SPD-Fraktion:

Erfolgreiche Politik für die ganze Stadt: Sozialer Wohnungsbau in Hamburg auf dem höchsten Stand seit 20 Jahren

Ich rufe das erste Thema auf, weise Sie noch einmal darauf hin, dass in der ersten Runde jeweils fünf Minuten Redezeit, in allen weiteren Runden drei Minuten Redezeit zur Verfügung stehen, und das Wort bekommt Frau Schneider für die Fraktion DIE LINKE.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Das Drama der 42 000 Geflüchteten auf den griechischen Inseln ist keine Naturkatastrophe. Dieses Drama ist politisch gemacht. Es ist Ergebnis der EU-Abschottungspolitik. Es ist Ergebnis der im Kern ungerechten, unsolidarischen Dublin-Verordnung. Dafür, dass diese Dublin-Verordnung den Ländern an den EU-Außengrenzen die Verantwortung für die Aufnahme der in die EU einreisenden Geflüchteten zuschiebt, trägt Deutschland Verantwortung; vor allem Deutschland widersetzte sich bisher den Forderungen der Erstaufnahmeländer nach Änderung.

Das Drama ist Ergebnis auch der Tatsache, dass Deutschland die Verpflichtungen und die rechtlichen Spielräume für die Zusammenführung von Schutzsuchenden in Griechenland mit Angehörigen in Deutschland nicht nutzt, dass Seehofer sich der Aufnahme der Schutzbedürftigsten – von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten – verwei

gert. Muss man eigentlich die verzweifelte Situation in den Hotspots noch schildern, das Leiden der Kinder und Jugendlichen, von denen Psychologinnen und Psychologen berichten, dass immer mehr immer häufiger vom Sterben sprechen, die unter furchtbarsten hygienischen Bedingungen in den Lagern an Mangelernährung, mangelnder Gesundheitsversorgung leiden und Gewalt ausgesetzt sind, denen das Recht auf Bildung versagt wird, für die weder die Garantien der UN-Kinderrechtskonvention gelten noch die Verpflichtung aus dem Lissabon-Vertrag, den Schutz der Rechte des Kindes zu fördern? Was sind Kinderrechte wert, wenn Europa Kinder und Jugendliche ausschließt von diesen Rechten?

(Beifall bei der LINKEN und bei Hendrikje Blandow-Schlegel SPD, Anna Gallina GRÜ- NE und Nebahat Güçlü fraktionslos)

Bereits im Oktober haben viele Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen die Bundesregierung dringend aufgefordert, unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen und die Spielräume für Familienzusammenführung zu nutzen. Sie fanden schnell Unterstützung bei Niedersachsen, Thüringen, Berlin, die feste Zusagen für die zusätzliche Aufnahme machten. Eine wachsende Zahl von Städten und Gemeinden folgte. Aber der politische Druck reicht noch nicht. Seehofer hält kalt an seinem Nein fest.

(Ralf Niedmers CDU: Für Sie "Herr Minister Seehofer"!)

Und Hamburg? Werte Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, in Ihrer Presseerklärung vom 15. Januar unterstellen Sie uns, wir würden das Thema als Wahlkampfthema missbrauchen. Ich sage Ihnen, wir lassen ein wichtiges, ein für uns zentrales Thema nicht deshalb fallen, weil Wahlkampf ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sagen auch im Wahlkampf, wofür wir stehen und wo mit uns zu rechnen ist. Und wir kämpfen für ein solidarisches Hamburg, für eine solidarische Stadt, die Humanität nicht in kleinen Maßeinheiten misst, die die Augen nicht verschließt, sondern die aktiv das ihr Mögliche tut, um die humanitäre Katastrophe an den Grenzen Europas zu beenden.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Deshalb haben wir im Dezember einen Zusatzantrag zu Ihrem Griechenland-Antrag gestellt, mit der Forderung nach Aufnahme von 70 minderjährigen unbegleiteten Geflüchteten – Sie haben ihn abgelehnt. Deshalb haben wir das Thema zur letzten Aktuellen Stunde angemeldet – Sie haben die Debatte verhindert. Deshalb haben wir noch während der letzten Sitzung einen neuen Antrag mit dem Vorschlag gemacht, über den wir heute ab

stimmen. Deshalb haben wir dieses Thema heute erneut an prominenter Stelle angemeldet.

Sie verweisen in Ihrem Antrag darauf, dass sich Hamburg aufgrund Ihrer Initiative zum sicheren Hafen erklärt und sich erfolgreich für die zusätzliche Aufnahme von aus Seenot Geretteten eingesetzt hat. Aber wie viele Gerettete hat Hamburg aufgenommen? Sie legen keine Zahlen vor. Nach dem, was wir aus Bundestagsunterlagen herausfinden konnten, können es seit September 2018 kaum mehr als zehn Gerettete sein, vielleicht 15. Ist das Ihr Maßstab?

Sie wollen sich jetzt auf Bundesebene für die zusätzliche Aufnahme minderjähriger Geflüchteter einsetzen. Nun gut. Dann sagen Sie, wie viele von ihnen Hamburg aufnehmen will, aufnehmen wird.

(Milan Pein SPD: So viele wie notwendig!)

Ohne politischen Druck wird die Bundesregierung nicht handeln.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Wir fordern, dass Hamburg dem Bündnis "Städte Sicherer Häfen" beitritt, das sich im Juni 2019 zusammenfand und dem derzeit 41 Städte angehören: große und mittelgroße wie Berlin, München, Düsseldorf, Potsdam, Magdeburg, Rostock, Konstanz, und kleine wie Gütersloh oder Rottenburg am Neckar. Das Bündnis engagiert sich aktiv für eine zusätzliche Aufnahme und findet sich mit Seehofers Blockade nicht ab. Es sucht rechtliche Wege, um selbst zu entscheiden, wie viele Geflüchtete sie zusätzlich aufnehmen können. Schließen wir uns an. Belassen Sie es nicht bei letztlich unverbindlichen Erklärungen. Wir fordern mit unserem Antrag nichts Unmögliches, wir fordern, dass das Mögliche getan wird. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü)

Herr Kienscherf bekommt das Wort für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat, was sich auf den griechischen Inseln tagtäglich abspielt an Leid, an Verzweiflung, an Gewalt, ist Europas unwürdig. Ich glaube, es ist gut, dass wir uns heute in der Aktuellen Stunde mit diesem Thema befassen, und ich glaube, es ist gut, dass die Hamburgische Bürgerschaft heute ein Signal sendet, dass Europa, dass wir alle gefordert sind, diese Missstände zu beseitigen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Philipp Heißner CDU)

Aber gerade vor dem Hintergrund, liebe Kollegin Frau Schneider, ist es in der Tat wichtig, dass das

Ganze nicht zu einem Wahlkampfthema verkommt. Es ist in der Tat wichtig, dass wir Schritte einleiten, die dazu führen, dass wir nicht nur Symbolpolitik machen, nicht Wahlkampf betreiben, sondern wir wie gestern – was ich sehr gut fand –, als wir gemeinsam ein Signal gegen Antisemitismus und für das jüdische Leben gefunden haben, auch in diesem Fall gemeinsam auftreten und gemeinsam etwas bewegen wollen. Das muss im Vordergrund stehen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen lassen Sie mich zwei, drei Punkte anmerken. Zum einen ist es in der Tat so, dass der Bund für die Außenbeziehungen, für die Abläufe in der EU, auch für die Missstände und für die Asylverfahren zuständig ist. Ich glaube, wir sind alle gut beraten, dass wir den Bund dort in die Pflicht nehmen, dass wir Europa in die Pflicht nehmen, dass wir auch die griechische Zentralregierung in die Pflicht nehmen. Denn es kann doch wirklich nicht sein, dass Europa, dass die griechische Zentralregierung es bis heute nicht geschafft hat, diese Missstände zu beseitigen, ja, schlimmer noch, dass sogar UNHCR nicht mit den notwendigen Hilfsmitteln ausgestattet worden ist. Hier hat die Bürgerschaft im September einen wichtigen Beschluss gefasst, und das war gut so.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Und neben diesem Bundesaspekt: Hamburg nimmt seine Verantwortung wahr. Hamburg ist sicherer Hafen – für 60 000 Menschen, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind. Wir sind dabei, sie zu integrieren, sehr viele Ehrenamtliche engagieren sich, und ich finde, wir sollten das nicht kleinreden, sondern anerkennen, dass sehr viele Menschen in dieser Stadt Ja zur Integration sagen, diese Menschen integrieren wollen und das auch erfolgreich tun.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Und Hamburg macht noch mehr. Jedes Jahr kommen weiterhin Tausende von Menschen, und es ist gut, dass wir sie aufnehmen, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden. Aber damals, als sich die Situation auf dem Mittelmeer zuspitzte, haben wir gesagt, da dürfe man nicht wegschauen, da müsse man sich bekennen. Und es waren wir, die Hamburgische Bürgerschaft, die gesagt hat: Wir wollen darüber hinaus Flüchtlinge aufnehmen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das war die Zivilgesellschaft!)

Aber wir wollen das über den Bund machen. Und damals, liebe Frau Schneider, hatte Ihre Fraktion auch gesagt, das seien doch nur Lippenbekenntnisse. Nein, dieser Beschluss und das, was auf ihn folgte mit dem Hamburger Innensenator, mit uns allen, hat dazu geführt, dass die Bundesregierung auf die EU zugegangen ist und wir Flüchtlinge, die