Protokoll der Sitzung vom 16.09.2015

Jetzt kommen wir noch einmal zum Finanzrahmengesetz, Herr Kollege Kleibauer. Es ist durchaus ein Punkt, der allen aufgefallen ist, dass uns nämlich der Bund jetzt die Mittel für dieses Jahr über die Umsatzsteuer zukommen lässt. Es ist also nicht zweckgebunden. Trotzdem fließt es in unseren Haushalt. Und natürlich sind diese 25 Millionen Euro Bestandteil auch der Summe, die wir ausge

(Thilo Kleibauer)

ben werden. Das ist doch ein Haushalt. Sie agieren in diesem Bereich mit Finanzakrobatik.

Natürlich werden wir darüber reden müssen, wenn der Bund weiter seine Hilfen über die Umsatzsteuer an die Länder beziehungsweise an uns weitergibt. Dann werden wir darüber reden müssen, wie wir in Hamburg damit umgehen, das ist doch logisch. Aber in der Kürze der Zeit – und wir wissen doch noch gar nicht, was am 24. September herauskommt – müssen wir erst einmal schauen, dass wir mit den Mitteln auskommen, die wir freiliegend im Haushalt haben, die nicht zur Ausgabe da sind. Es wäre auch verrückt, Kredite aufzunehmen für Mittel, die wir eigentlich schon bewilligt haben, aber die aus den verschiedensten Gründen nicht ausgegeben werden können, weil die Projekte doch noch nicht umsetzbar sind. Das sind genau die Investitionsmittel, die Sie kritisieren. In der Wirtschaftsbehörde wird kein Projekt gestoppt oder findet nicht statt, weil es umgeschichtet wird, sondern es findet eine Umschichtung statt, weil die Mittel in diesem und im nächsten Jahr nicht zur Umsetzung kommen. Das mögen Sie vielleicht nicht glauben, aber dann können Sie gern noch einmal bei allen Ihrer zahlreichen Schriftlichen Kleinen Anfragen – zu diesem Punkt haben Sie übrigens nichts gefragt – abfragen, welche Projekte jetzt in Planung waren und welche davon betroffen sind. Es ist im Haushaltsausschuss angesprochen worden. Deswegen habe ich ein wenig die Vermutung, liebe Kollegen von der CDU, dass Sie im Grunde genommen nur nach sehr oberflächlichen Argumenten gesucht haben, um hier nicht zustimmen zu müssen. Das finde ich nicht richtig.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Frau Suding, ich komme zu Ihrem Argument mit den Zinsen. Wenn Sie noch einmal in die Drucksache schauen, auch in den Bericht des Haushaltsausschusses, so sehen Sie, dass es eigentlich sehr gut erklärt ist. Wir haben im vergangenen Jahr einen Zinssatz bei Kreditaufnahmen von 1,4 Prozent gehabt. Im ersten Halbjahr 2015 lag der Prozentsatz bei 0,5 Prozent. Das heißt, wir profitieren momentan noch eher von sinkenden Zinsen, und da sind diese Spielräume auch mit entstanden, für dieses und für nächstes Jahr. Seien Sie versichert – der Senator hat es auch gesagt –, da sind wir sehr, sehr vorsichtig herangegangen. Und selbst wenn der unwahrscheinliche Fall eintritt, dass die FED auf einmal ihren Zinssatz verdreifacht oder sehr hoch setzt – was im Übrigen nicht zu erwarten ist –, würden wir natürlich anderswo nachsteuern müssen.

Aber wir haben momentan an verschiedenen Seiten unerwartete Ausgaben. An dieser Stelle sind wir sehr vorsichtig herangegangen, und wir werden nicht unerwartet hohe Zinssätze bekommen. Da wäre jede große Wirtschaftsaktion verrückt, wir sind doch sowieso alle ein bisschen nervös im Mo

ment. Insofern finde ich auch dieses Argument, Frau Suding, ziemlich an den Haaren herbeigezogen, wenn man sich die Zahlen genau anschaut und ebenso die Ausführungen von Herrn Tschentscher.

(Katja Suding FDP: Die haben wir nicht be- kommen, muss man mal ehrlich sagen!)

Auch da kann man Sorgen haben, Frau Suding, aber ich finde, die Hinweise waren so gut, dass man eigentlich keine Sorgen haben muss.

(Katja Suding FDP: Waren sie nicht!)

Ich bin aber froh, dass Sie nicht dagegen stimmen, sondern dass Sie sich immerhin enthalten, das halte ich durchaus für ein gutes Zeichen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich hätte mir sehr gewünscht, dass die ganzen klugen Hinweise in Ihren Anträgen konkret ausformuliert worden wären. Dann hätten wir eine sehr konkrete Vorlage gehabt, wie Sie es denn hätten haben wollen. Sie sagen, es sei ein bisschen mehr Busbeschleunigung. Es stimmt, wir haben hier genau 11 Millionen Euro herausgeholt. Wir hätten uns auch anderswo umschauen können, aber von Ihnen kamen nur pauschale Hinweise in Kullerpunkten im Antrag. Wenn Sie eine vernünftige Alternative zur Regierung sein wollen, dann hätten Sie es ausformuliert und hätten es genau begründet.

(André Trepoll CDU: Drei Wochen!)

Das haben Sie nicht gemacht, und deswegen sind es Ausflüchte, weil Sie aus irgendwelchen Gründen nicht zustimmen wollen. Das ist eigentlich nicht der Situation angemessen, und das wissen Sie auch.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das Wort bekommt Frau Schneider von der Fraktion DIE LINKE.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Herr Müller, Sie haben gesagt, es werde niemand auf der Straße schlafen müssen. Ich weiß nicht, wo Sie leben. Ich bin neulich durch einen Park gegangen, und er war voll von Menschen, die dort geschlafen haben. Das ist doch das Problem. Wir alle wissen, wie schwierig die Situation ist, und ich glaube, keiner von uns unterschätzt das. Und wir sagen auch nicht, das sei leicht zu lösen und man müsse nur mit dem Finger schnippen oder nur die konstruktiven Vorschläge, Herr Quast, der LINKEN annehmen. Das haben wir gar nicht gesagt.

(Jan Quast SPD: Die habe ich gar nicht ge- hört!)

(Farid Müller)

Wir wissen, wie schwierig es ist. Aber das Problem liegt darin, dass Sie und der Senat sich nicht mit den Problemen, nicht mit dem, was schiefläuft, auseinandersetzen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Stimmt doch gar nicht!)

Hören Sie mir bitte zu. Ich habe Ihnen auch zugehört, ich habe auch dazwischengerufen, das tun Sie jetzt auch. Aber hören Sie es sich einfach einmal an.

Es läuft eine Menge schief. Es gibt die sehr großen Probleme, an denen wir meiner Meinung nach alle zusammen arbeiten müssen. Eines dieser Probleme sind die Zelte im Winter, die meiner Meinung nach unter keinen Umständen akzeptabel sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Menschen dürfen nicht in Zelten draußen schlafen. Ich finde es auch extrem schwierig, wenn man hört, dass diese Großlager, die mit 3 000 Plätzen entstehen sollen, jetzt schon zum Teil für 7 000 Menschen geplant werden wie in Harburg. Diese Information haben wir erhalten. Da sollen zusätzliche Zelte aufgestellt werden, und man rechnet mit einer durchschnittlichen Belegung von 5 000 Menschen.

(Jan Quast SPD: Quatsch! – Zurufe von der SPD)

Ich sage Ihnen jetzt, welche Informationen wir haben. Herr Abaci, Sie können da lachen. Sie können es doch gern aufklären, und es wäre schön, wenn man im Ausschuss sachlich darüber reden könnte.

Es gibt auch ganz andere Probleme, die beispielsweise die Integration betreffen. Es ist ein riesiges Problem, dass die vielen Kinder und Jugendlichen, die jetzt in die Schule kommen, mehr oder weniger alle traumatisiert sind. Es ist unglaublich schwierig, sie zu beschulen, und es müssten eigentlich Maßnahmen stattfinden, um diese Traumatisierungen zu bearbeiten, damit die Kinder überhaupt beschulbar sind. Wir wissen alle, dass das ein großes Problem ist, es ist nicht leicht zu lösen und wird Geld kosten.

Es gibt aber auch unendlich viele Probleme, die eigentlich nicht schieflaufen müssten und bei denen ich manchmal den Eindruck habe – und nicht nur ich –, dass staatliche Strukturen hier zusammenbrechen. Übrigens beschimpfen wir in gar keiner Weise Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir als kleine Fraktion können uns manchmal vor Anfragen und Beschwerden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern überhaupt nicht retten. Wir beschimpfen sie nicht, aber wir sagen, es läuft extrem viel schief. Gehen Sie einmal abends oder tagsüber zum Hauptbahnhof, da sehen Sie, dass Hunderte von Menschen ankommen, die teilweise in die Poststraße müssen, teilweise wollen sie auch wei

ter. Sie werden von Ehrenamtlichen – Frau Özdemir sagte es schon – mit Nahrung versorgt. Das sind Ehrenamtliche, die Zwölf-Stunden-Schichten leisten oder auch manchmal 14 Stunden. Es sind meistens 10 bis 20 Menschen da, Tag für Tag, die dafür sorgen, dass all das gewährleistet wird, was eine staatliche Aufgabe ist. Es ist nicht die Aufgabe der Ehrenamtlichen, zu verhindern, dass Leute im Hauptbahnhof umherirren, ihr Lager aufschlagen, kein Essen haben, oder dafür zu sorgen, dass sie medizinisch versorgt werden. Das müssen eigentlich keine Ehrenamtlichen machen.

Und was ist das Problem? Es gibt keine Räume. Es gibt keine Räume, in die man mit den Flüchtlingen gehen kann. Es werden jetzt zwei Zelte errichtet für die medizinische Versorgung, aber die kommen von Privaten. Es ist schön, dass sie von Privaten kommen, aber ich finde es schade und schlimm, dass die staatlichen Strukturen das überhaupt nicht leisten. Auch die Wohlfahrtsverbände sind leider nicht da.

Die meisten Flüchtlinge werden zur Poststraße gebracht, und hier fängt es schon an. Dort sitzt ein Mann von der Security, der sie in Empfang nimmt. Er spricht normalerweise kein Farsi, kein Arabisch oder Kurdisch. Aber die Menschen brauchen natürlich Auskünfte. Sie kriegen einen Zettel in die Hand gedrückt und sollen den ausfüllen, aber sie wissen überhaupt nicht, um was es geht. Es bilden sich lange Schlangen, irgendwann macht der Mensch seine Tür zu und verschwindet, und dann stehen die Leute da. Warum werden keine Dolmetscher eingesetzt? Ich habe mir heute von den Menschen am Hauptbahnhof sagen lassen, dass es sehr viele Ehrenamtliche gibt, die bereit wären, die Dolmetscherdienste in der Poststraße zu machen. Ich sage Ihnen, nehmen Sie doch bitte das Angebot an. Es ist eine wichtige Aufgabe, dass die Flüchtlinge, die ankommen, sich auch aufgenommen fühlen statt abgeschoben. Wir wären gern bei der Vermittlung behilflich.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Babywindeln müssen beispielsweise von Ehrenamtlichen besorgt werden. Das sind alles viele kleine Probleme. Ich bitte Sie, setzen Sie sich damit auseinander. Es gibt eine Menge, was schiefläuft, und ich glaube, manchmal sind es nur ganz kleine Dinge, die geändert werden müssen.

Ein Problem ist uns allen klar, das Geld wird hinten und vorn nicht reichen. Wir werden mehr Geld brauchen. Frau Özdemir hat das Problem schon angesprochen, dass Sie aus dem Haushalt, aus den verschiedenen Behörden, dies und jenes zusammenkratzen. Sie kommen dann auf einen Betrag und sagen, dass der jetzt die Bedarfe bestimme. Wir sagen, dass es so nicht geht, wir müssen mehr von den Bedarfen ausgehen, wir müssen früh an dieses Finanzrahmengesetz herangehen,

und am Ende werden wir auch an die Schuldenbremse herangehen müssen. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN – Joachim Lenders CDU: Ja, und tschüs!)

Das Wort bekommt Herr Dr. Dressel von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will zum Schluss der Debatte sagen, dass diese Aufgabe zu groß ist, als dass wir uns in parteipolitischem Streit verlieren sollten. Das finde ich wichtig.

(Beifall bei der SPD und bei Martin Bill GRÜ- NE und Nebahat Güçlü fraktionslos – André Trepoll CDU: Sie haben doch die Schärfe reingebracht!)

Ich war die ganze Zeit hier und habe der Debatte gelauscht. Niemand von uns hat behauptet, weder in Zeitungsinterviews noch in den Bürgerversammlungen – ich war gestern Abend am Fiersbarg, da war der Kollege Thering dabei, auch der Kollege Kleibauer –, dass alles toll läuft. Wie soll bei dieser Lage, die sich wöchentlich und täglich ändert, alles schon picobello vorbereitet sein? Das kann gar nicht sein. Wir müssen improvisieren, wir müssen mit Provisorien arbeiten, anders geht es nicht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Natürlich hatte der Senat im Sommer den Plan, zu erreichen, dass wir die Zelte bis zum Winter beziehungsweise zu Weihnachten abbauen können.

(Dennis Thering CDU: Ja, das war das Ziel!)

Auch hier sollte man genau hinschauen, was gesagt wurde. Wir wollten gemeinsam das Ziel haben, das zu erreichen, aber dann passierten Dinge in Ungarn, durch die unsere gemeinsame Bundeskanzlerin in der Koalition aus humanitären Gründen entschieden hat, die Flüchtlinge hineinzulassen. Das war eine richtige Entscheidung, eine humanitär notwendige Entscheidung, die aber Konsequenzen gehabt hat, wie wir doch wohl alle in den letzten Wochen festgestellt haben. Natürlich hat das die Lage verändert, auf diese Sache konnte sich keiner einstellen, und das sollten wir realistischerweise gemeinsam feststellen, etwas anderes glaubt uns draußen doch sowieso niemand.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Niemand von uns behauptet also, dass das perfekt funktioniert, es passieren auch Fehler. Das hat auch der Innensenator gesagt, als es beispielsweise in Jenfeld passierte, dass zuerst die Zelte aufgebaut waren und erst danach in den Briefkästen die Benachrichtigungszettel waren, dass die Zelte dorthin kommen. Das war ein Fehler, das hat er bestätigt. Und überall, wo im Moment Fehler pas

sieren, geschieht das, glaube ich, nirgendwo mit Absicht, weil man etwas verheimlichen will oder tricksen will, sondern weil uns im Moment die Abläufe und Geschehnisse überholen. Niemand macht das mit Absicht. Die gesamte öffentliche Verwaltung leistet Übermenschliches, und da passieren auch Fehler. Niemand macht das mit Absicht, alle strengen sich unglaublich an, und deswegen sollten wir den Leuten auch noch einmal danken dafür.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)