Protokoll der Sitzung vom 14.10.2015

Als Zwischenfazit, wenn man sich den ersten Debattenstrang anschaut und zusammenfasst: Sie fordern einen Flüchtlingskoordinator, wir haben einen Stab samt 25 Personen und einen guten Koordinator. Sie fordern einen Flüchtlingsgipfel, wir haben das Forum Flüchtlingshilfe längst beschlossen und terminiert. Sie fordern ein Unterbringungskonzept, wir handeln, indem wir Unterkünfte schaffen.

(André Trepoll CDU: Sie wollen diesen An- trag nicht debattieren!)

Glauben Sie mir, Herr Trepoll, auf den Senatsvorbesprechungen ist dieser Tagesordnungspunkt Dauerthema, und deswegen hat sich Ihr Antrag aus Drucksache 21/1885 durch Senatshandeln erledigt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

CDU und FDP sagen, dass die Lösung der Herrausforderungen darin bestehe, endlich konsequent abzuschieben. Man müsse die Ausländerbehörde nur personell ausreichend besetzen, dann werde alles gut.

(Zurufe von der FDP)

Das ist jedoch in der Sache nicht richtig und greift zu kurz. Erstens reisen deutlich mehr Menschen freiwillig aus, als wir abschieben, und das vergessen Sie in Ihrer Argumentation. Ich glaube, das sollte man hier auch einmal sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Zweitens, wenn Sie davon sprechen, es gebe 6 500 bis 7 000 Menschen, die eigentlich sofort abgeschoben werden müssten,

(André Trepoll CDU: 7 700!)

dann vergessen Sie dabei immer, dass diese Menschen hier eine Duldung haben. Duldungen werden nicht ohne Grund ausgestellt, das wissen Sie genauso wie ich. Gründe für Duldungen sind fehlende Papiere, bevorstehende Eheschließungen, zerstörte Transportwege und Krankheitszustände. Das sind die tatsächlichen und rechtlichen Wege, warum in Hamburg und im Übrigen auch in allen CDU-regierten Bundesländern nicht sofort abgeschoben wird, und das vergessen Sie immer, wenn Sie sagen, dass Massenabschiebungen das Heil und die Lösung seien. Hier sollten Sie ehrlicher sein, die Wahrheit ist komplexer, als Sie vorgeben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Dennis Gladiator CDU: Das haben wir nicht gesagt! Bleiben Sie bei der Wahrheit!)

Alle sind sich eigentlich darüber einig, was wir in der jetzigen Situation brauchen, und zwar schnellere Verfahren. Das wird in jeder Sonntagsrede auch immer gesagt. Der Kollege Dressel hat eben den Flaschenhals angesprochen; das ist der Punkt, an dem man vielleicht auch irgendwann zu den Abschiebungen kommt. Die Frage der schnelleren Verfahren ist gefühlt das Einzige, wofür der Bund am Ende bei der ganzen Asylfrage verantwortlich ist.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Allein!)

Ich möchte Ihnen sagen, wo wir nach zwei Jahren mit hohen Flüchtlingszahlen stehen. Die Bundesregierung hatte angekündigt, 2 000 Stellen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufzustocken. Dann gab es einen Nachtragshaushalt 2015, in dem sie 750 Stellen bewilligt hat, davon 200 Entscheider. Von diesen 750 Stellen und 200 Entscheidern war am 1. September dieses Jahres 2015 noch nicht einmal die Hälfte besetzt. Insgesamt hat das BAMF 550 Entscheider, das ist übrigens weniger, als Holland im Gesamten hat. Wenn Sie sich der Verantwortung stellen und schnellere Verfahren und Perspektiven für die Menschen haben wollen, dann müssen Sie im Bundesinnenministerium liefern.

(Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Und genau darum, weil dort nicht geliefert wird, gibt es die Fragestellung bei der Kanzlerin und ist

der Präsident des Bundesamtes zurückgetreten, da er das nämlich nicht mehr geschafft hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren! Es gibt neben der aktuellen Situation einen zweiten Strang in der Debatte, quasi die logische Schlussfolgerung, nämlich die Frage, wie wir die Menschen in Hamburg integrieren.

Einige würden sagen, das ist die Frage, wie wir vom Sprint zum Marathon kommen. Ich würde es so formulieren: Wir müssen aus der Willkommenskultur eine Integrationskultur entwickeln.

Die Frage ist, wie wir die Integration von so vielen Menschen in die Gesellschaft organisieren. Und auch dafür hat Rot-Grün einen Plan.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Erstens: Wir haben die finanziellen Voraussetzungen für die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge geschaffen. Dieses Haus hat 567 Millionen Euro an Haushaltsmitteln nachbewilligt. Der Bürgermeister hat beim Flüchtlingsgipfel die Voraussetzungen für eine Kostenteilung mit dem Bund geschaffen – übrigens nach ziemlich viel Gewürge der CDU-Seite in der Bundesregierung. Auch deswegen ist der Vorwurf haltlos, der Bürgermeister beteilige sich nicht an den Debatten. Im Gegenteil: Er hat wichtige Punkte in dieser Frage verhandelt, und das sollten Sie auch zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Zweitens: Wir kümmern uns um die bildungspolitische Integration der Geflüchteten, von der Kita über die Schule bis zur Universität. Wir integrieren die Flüchtlingskinder in das Regel-Kita-System. Das funktioniert gut, weil wir ein leistungsfähiges Kita-System haben; das ist auch ein Teil-Lob nach hier rechts außen. In der Schule geht es weiter. Wir beschulen derzeit 4 650 neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in Basisklassen oder Internationalen Vorbereitungsklassen. Wir sind eines der wenigen Bundesländer, wenn nicht das einzige, das die Schulpflicht in der Zentralen Erstaufnahme umsetzt. Wir haben über 400 Lehrkräfte und Pädagogen eingestellt. Mit einem Antrag, den SPD und GRÜNE am Montag in den Fraktionen beschlossen haben, werden wir das erfolgreiche System der beruflichen Vorbereitung für Flüchtlinge weiter ausbauen, indem wir AV-Dual vom Halbtagsbetrieb auf ein Ganztagsangebot ausweiten. Wir wollen mit Kammern und Gewerkschaften zusammenarbeiten, um die Ausbildungsmöglichkeiten weiter zu verbessern. Bei den über 18-Jährigen werden an dieser Stelle auch die Produktionsschulen ins Spiel kommen. Damit sind wir in Deutschland im Schulsystem ganz weit vorn.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das gilt auch für die Frage des universitären Zugangs. Die Universität Hamburg hat das Programm #UHHhilft aufgelegt. Über 600 Menschen haben sich für die acht Module eingetragen, 400 Menschen haben sich nachgemeldet. Das ist ein einmaliges Projekt der Universität, in diesem Umfang einmalig in ganz Deutschland. Hier sind wir ebenfalls Vorreiter.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Drittens: Neben dem finanziellen Bereich und dem schulischen Bereich kommen wir zu der Frage der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt. Neben der Qualifizierung für die berufsbildenden Schulen sorgen wir für ein Kompetenzscreening Weiterqualifizierung und Integration in den Arbeitsmarkt. Mit dem Projekt "W.I.R – work and integration for refugees" arbeiten Jobcenter, Sozialbehörde, Agentur für Arbeit und Träger der Flüchtlingshilfe eng zusammen, um Kompetenzen und Qualifikationen zu erkennen und zu fördern und Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir wollen, dass alle Flüchtlinge in Hamburg mit Bleibeperspektive dieses Programm durchlaufen, denn wir wollen sie qualifizieren und in den Arbeitsmarkt bringen. Das wird helfen, weil der Arbeitsmarkt gleichzeitig auch Integrationsmotor ist. Wir können hier nicht nachlassen und gehen voran.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Viertens: Neben dem Bildungssystem und der Qualifikation für den Arbeitsmarkt reden wir auch über die gesundheitliche Versorgung. Hamburg war eines der ersten Bundesländer, das die Gesundheitskarte für Asylbewerber eingeführt hat. Sie gewährleistet eine unkomplizierte medizinische Behandlung von Asylsuchenden

(Zuruf von Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

und garantiert den Ärzten mit Sicherheit die Kostenübernahme. Viele andere Bundesländer werden diesem Beispiel folgen, weil es sinnvoll ist. Wir haben genau das in Hamburg und Bremen zuerst umgesetzt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Fünftens: Wir treiben gleichzeitig den Wohnungsbau voran, weil wir nämlich nicht wollen, dass wir dauerhafte Containerlager in Hamburg haben. Das bedeutet, dass wir neben dem regulären Wohnungsbauprogramm von 6 000 Wohnungen, davon 2 000 Sozialwohnungen, ein Konzept Flüchtlingsunterkünfte mit der Perspektive Wohnen beschlossen haben. Es geht um die Errichtung von 5 600 zusätzlichen Sozialwohnungen im 1. Förderweg mit 20 000 zusätzlichen Unterbringungsplätzen für das kommende Jahr. Sie sollen Ende des nächsten Jahres fertig werden, sodass wir Menschen nicht mehr in Containern unterbringen müssen, sondern sie in festen Häusern unterbringen

können. Wir kommen hier in großem Umfang voran. Ich glaube, es ist eine große Leistung dieses Senats, an dieser Stelle so zu handeln.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die Debatte zeigt, dass die Herausforderungen, die die aktuelle Flüchtlingssituation mit sich bringt, vielschichtig sind. Wir können sie nur meistern, wenn wir umfassende Konzepte bieten – von der Unterbringung über die schulische Integration, die Bildungsintegration, die Qualifizierung für den Arbeitsmarkt bis hin zur Wohnungssituation. Wir haben dabei einen Verbündeten: Wir setzen auf die Kraft unserer Stadtgesellschaft und auf die vielen Menschen in unserer Stadt. Wir setzen auf die Integrationsfähigkeit der Hamburgerinnen und Hamburger. Wir wollen die Willkommenskultur zu einer dauerhaften Integrationskultur entwickeln. Das wollen wir, und dafür bieten wir die Rahmenbedingungen mit diesem Integrationsplan für Hamburg.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Der Oppositionsführer ist nicht mehr da. Ich habe mir die Mühe gemacht, mir einmal die Anträge von CDU und FDP zu den Fragen, die uns hier umtreiben – Wohnungsbau, Bildung, Gesundheit, Arbeitsmarktintegration –, anzuschauen. Zum Wohnungsbau habe ich keinen einzigen Antrag gefunden; die FDP hat einmal etwas zu Traglufthallen gesagt, wobei das nicht wirklich Wohnungsbau ist.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Heiße Luft!)

Zur Bildung habe ich eine Initiative von Frau Prien zur Traumabewältigung gefunden, ansonsten relativ viel Fehlanzeige. Zur Gesundheit habe ich gar keinen Antrag gefunden. Und zur Arbeitsmarktintegration habe ich einen Antrag der CDU gefunden, die für zunächst 100 Menschen eine "Hamburger Allianz für Ausbildung und Integration" gründen will. Das ist vielleicht gar kein schlechter Vorschlag, aber im Ernst: Bei den vielen Tausenden Geflüchteten, über die wir reden, sind 100 Menschen eher ein Tropfen auf den heißen Stein.

(Katja Suding FDP: Dann können Sie uns ja jetzt ein Konzept vorlegen!)

Frau Suding, meine Damen und Herren! Was Sie bisher vorgelegt haben – und deswegen unsere 64 Punkte – ist kein Plan.

(Katja Suding FDP: Legen Sie doch mal vor!)

Es ist nicht einmal ein Sammelsurium von Einzelinitiativen. Das ist einfach zu wenig, um der Situation gerecht zu werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wenn wir über Hamburg hinausschauen, wird immer wieder eine Frage aufgeworfen: Brauchen wir eine Begrenzung der Flüchtlingsströme? Ich würde mich freuen, wenn wir als Hamburgische Bürger

schaft dieser Frage mit ein wenig mehr Demut begegnen würden. Können wir als Nationalstaat oder gar als Hamburgische Bürgerschaft die globalen Fluchtbewegungen steuern, wenn sich die Menschen in einem Konvoi über Ungarns Autobahnen aufmachen, um nach Deutschland zu gelangen? Ich denke das nicht, und so habe ich auch die Position der Bundeskanzlerin wahrgenommen. Gleichzeitig gilt: Nur weil wir begrenzen wollen, heißt das nicht, dass Menschen aus Bürgerkriegsgebieten wegen politischer Verfolgung oder religiöser Unterdrückung nicht mehr zu uns kommen werden.

Und dennoch müssen wir einen anderen Blick auf die internationale Situation gewinnen. Es stellen sich dort Fragen, die unterschiedlich schwierig zu beantworten sind. Leicht zu beantworten sind zunächst die Fragen nach einer weiteren Schwerpunktsetzung in der Außenpolitik; Andreas Dressel hat es angesprochen. Wir müssen die Förderung des UNHCR und des World Food Programme so ausbauen, dass die Menschen, die in den Camps rund um Syrien hungern, sich nicht mehr auf den Weg machen müssen, um anderswo anständig zu essen zu bekommen. Das ist sogar eine verhältnismäßig billige, wirksame und einfache Maßnahme, die wir dringend angehen müssen.