Protokoll der Sitzung vom 14.10.2015

Sie müssen jetzt endlich an das Finanzrahmengesetz heran, es führt kein Weg darum herum. Die Integrationsaufgaben sind groß, und sie müssen bewältigt werden. Deshalb erwarten wir, dass Sie schnell vorlegen, wie und mit welchen Mitteln die großen Aufgaben bewältigt werden sollen. Dafür braucht es aber auch eine Verständigung auf gesellschaftlicher und auf politischer Ebene. Ein Gegeneinander-Ausspielen von sozial benachteiligten Gruppen darf nicht passieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ressourcen sind genug da, so hat es auch der Bürgermeister in seiner Rede gesagt.

Aber noch ein Wort zur CDU-Fraktion und zu Herrn Trepoll. Sie sagten, dass die CDU-Fraktion wie auch die FDP-Fraktion den größten Einsatz in der Flüchtlingspolitik gezeigt hätten. Herr Trepoll, ich kenne Sie nur mit Ihrem starken Einsatz, wenn es um die konsequente Abschiebung von Flüchtlingen geht. Dafür haben Sie sich sehr oft in der Bürgerschaft eingesetzt,

(Beifall bei Philipp Heißner CDU)

obwohl Sie wissen, welche Schwierigkeiten es da gibt. Ich finde es auch ziemlich bedenklich, im ers

ten Atemzug Artikel 1 des Grundgesetzes zu nennen – die Würde des Menschen ist unantastbar –, und im zweiten Atemzug Transitzonen und Abschottung und dann auch noch die Begrenzung von Flüchtlingszahlen zu fordern.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Sie sehen, dass wir in der Stadt eine große Hilfsbereitschaft haben. Sie sehen, dass es große Potenziale gibt, gerade auch durch die Zuwanderung, die genutzt werden müssen und genutzt werden können. Dies muss alles gut koordiniert werden.

Das alles muss sich der Bürgermeister zur zentralen Aufgabe machen, anstatt sich herauszuhalten, sich nicht einzumischen und sich nur bei Olympia blicken zu lassen. Er muss konsequent und klar sagen, dass die Flüchtlingspolitik eine zentrale Aufgabe in Hamburg ist, die zu bewältigen ist. Ansonsten, Herr Bürgermeister, schaffen Sie heute die Probleme, die wir morgen haben werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau Suding von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Lange hat es gedauert. Nach ausführlichen Vorab-Bekanntmachungen wurde die Regierungserklärung nur noch mit mäßiger Spannung erwartet, und nun haben Sie, Herr Bürgermeister, selbst diese niedrigen Erwartungen enttäuscht.

(Beifall bei der FDP, der CDU und vereinzelt bei der AfD)

Sie haben 40 Minuten lang überhaupt nichts Konkretes gesagt.

(Zurufe von der SPD)

Herr Bürgermeister, das muss man sich erst einmal trauen in einer solchen Situation.

(Beifall bei der FDP)

Ich habe von Ihnen erwartet, dass Sie Stellung nehmen zu den teilweise chaotischen und sogar menschenunwürdigen Umständen, unter denen in Hamburg in den letzten Wochen und Monaten Hunderte von Flüchtlingen untergebracht wurden. Die Menschen werden in völlig verdreckten Hallen, ohne sanitäre Anlagen, ohne ausreichende Essensversorgung, ohne medizinische Hilfe, ohne Betreiber allein gelassen. Viele von ihnen müssen noch immer in Zelten leben, obwohl die Temperaturen inzwischen auf unter 0 Grad in der Nacht gesunken sind und es auch tagsüber empfindlich kalt bleibt. Besonders die Kinder leiden unter hartnäckigen Erkältungen, sie sind am Ende ihrer Kräfte. Wann es endlich Heizungen in den Zelten geben

(Cansu Özdemir)

wird oder eine Unterkunft in einem Container, kann ihnen niemand sagen. Aber das wäre heute Ihre Aufgabe gewesen, Herr Bürgermeister.

(Beifall bei der FDP, der CDU und bei Dr. Joachim Körner AfD)

Gerade für Frauen ist die Situation oft unerträglich und gefährlich. Bis Mitte August 2015 gab es in den Flüchtlingsunterkünften Hamburgs schon so viele gemeldete Fälle sexueller Gewalt wie im gesamten vergangenen Jahr. In den Erstaufnahmeeinrichtungen verzeichnet f & w fördern und wohnen sogar das Achtfache an Fällen – und das sind nur die bekannten Fälle, hinter denen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine noch viel größere Dunkelziffer verbirgt. Es muss also dringend gehandelt werden, um die über 2 000 Frauen und minderjährigen Mädchen und auch die homosexuellen Flüchtlinge vor Übergriffen zu schützen. Bisher aber erfassen weder die Träger der Unterbringungen noch die Behörden solche Fälle systematisch. Die Trennung von Männern und Frauen, insbesondere bei der Nutzung der Sanitäranlagen, ist offensichtlich in vielen Fällen nicht gewährleistet, und ein Handlungskonzept gegen sexuelle Übergriffe in den Unterbringungen liegt ebenso wenig vor.

Herr Bürgermeister, wir können und dürfen nicht akzeptieren, dass sich mitten in Hamburg rechtsfreie Räume bilden, in denen Frauen, Kinder und Homosexuelle gewalttätigen Übergriffen schutzlos ausgeliefert sind und unser Rechtsstaat vor unser aller Augen ausgehebelt wird.

(Beifall bei der FDP und bei Andrea Oel- schläger AfD)

Wir fordern Sie daher auf, endlich die Initiative zu ergreifen, um sexuelle Gewalt in den Flüchtlingsunterkünften entschieden zu unterbinden.

Herr Bürgermeister, ich wollte heute von Ihnen nicht bloß hören, dass natürlich einmal Fehler gemacht werden; das haben wir von Ihrem Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel schon Dutzende Male gehört, auch heute wieder. Sie haben recht, nicht alles kann in einer derartigen Ausnahmesituation immer perfekt laufen. Aber darum geht es auch gar nicht. Es ist offensichtlich, dass der Fehler im System liegt. Es fehlt an einem echten Krisenmanagement.

(Beifall bei der FDP, der CDU und bei Dr. Joachim Körner AfD)

Dem Parlament und damit der Öffentlichkeit sind Sie die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, welche Korrekturen im System Sie vornehmen wollen, damit es in Zukunft besser läuft. Dazu gehört zuallererst ein offenes und ehrliches Eingeständnis dessen, was bisher falsch gelaufen ist. Dazu haben wir aber nichts von Ihnen gehört, Herr Bürgermeister. Mit dem Flüchtlingskoordinator haben Sie nun immerhin implizit eingestanden, dass die Sa

che außer Kontrolle geraten ist. Das ist ein erster, wichtiger Schritt.

Es ist richtig, dass Sie sich dem Druck der Opposition endlich gebeugt und nun einen Flüchtlingskoordinator benannt haben.

(Wolfgang Rose SPD: Sie träumen!)

Andere Städte, wie zum Beispiel München, haben einen solchen Koordinator mit Stab bereits vor einem Jahr eingesetzt. Der Hamburger Senat dagegen sah die Prioritäten etwas anders. Zuerst wurde eine Radverkehrskoordinatorin eingestellt, erst Wochen später endlich ein Flüchtlingskoordinator. Das wirft schon ein merkwürdiges Licht darauf, wie Sie die Dringlichkeiten der unterschiedlichen Herausforderungen in Hamburg sehen, Herr Bürgermeister.

(Beifall bei der FDP)

Ich bin sicher, dass Herr Sprandel ein erfahrener und durchsetzungsfähiger Beamter ist, und als FDP-Fraktion wünschen wir ihm auch alles Gute und viel Erfolg bei seiner wichtigen Aufgabe. Es bestehen allerdings Zweifel, ob die Tatsache, dass er einem Amtsleiter der Sozialbehörde unterstellt ist, zur Beseitigung des Wirrwarrs zwischen Innenund Sozialbehörde beiträgt. Nicht etwa ein unbefangener Dritter, sondern ausgerechnet ein führender Sozialbehördenmitarbeiter soll die Streitigkeiten zwischen Innen- und Sozialbehörde auflösen – das wird kaum klappen. Noch mehr beunruhigt mich, dass offenbar weitere Zuständigkeiten für die Erarbeitung von Integrationskonzepten fehlen, etwa im Bildungs- und Arbeitsbereich. Was Sie heute vorstellen, ist deshalb noch immer nicht ausreichend.

(Beifall bei der FDP und bei Jörg Hamann CDU)

Nicht ausreichend sind auch die Argumente für das Beschlagnahmungsgesetz, das Sie interessanterweise mit tatkräftiger Unterstützung von SPD, GRÜNEN und LINKEN im parlamentarischen Schnellverfahren vor zwei Wochen durchgeboxt haben. Heute haben Sie das Thema nur kurz gestreift. Dabei hätten Sie sich natürlich vor der Verabschiedung dazu öffentlich ausführlich äußern müssen. Das haben Sie nicht getan, und auch heute treten Sie vor das Parlament und finden nur ein paar dünne Worte, die uns ganz und gar nicht überzeugt haben. In Ihrer Antwort auf unsere Anfrage an den Senat steht nämlich Schwarz auf Weiß, dass die Stadt jede Menge Angebote von Privaten erhalte, die ihre Immobilien für die Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung stellen wollen. Allein 200 Angebote gingen in den ersten drei Septemberwochen in Ihr E-Mail-Funktionspostfach ein. Sie selbst rechnen die Zahl auf 3 000 Angebote hoch. Hier geht es auch gar nicht darum, zu behaupten, dass alle diese 3 000 Angebote passend seien, Herr Tjarks,

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Das haben Sie aber gemacht!)

das sind sie sicherlich nicht. Fassungslos macht mich aber, dass Sie überhaupt keinen Überblick darüber haben, wie diese Angebote aussehen. Eine Datenbank, die aktuelle und zurückliegende Angebote und ihren Bearbeitungsstand erfasst, sei erst in Planung. Man konnte bei Ihrer Antwort den Eindruck bekommen, als sei Ihnen erst bei der Beantwortung unserer Anfrage überhaupt aufgefallen, dass Sie im Chaos versinken und dann den Blitzeinfall gehabt hätten, eine solche Datenbank endlich aufzubauen. Dabei wäre das doch wohl das Erste gewesen, das Sie in der sich zuspitzenden Flüchtlingskrise hätten machen müssen, und das Mindeste, das die Hamburgerinnen und Hamburger von einem Senat hätten erwarten dürfen, der von sich ständig behauptet, die Stadt ordentlich zu regieren.

(Beifall bei der FDP und bei Jörg Hamann CDU und Dr. Joachim Körner AfD)

Auch mit der Wohnungswirtschaft hätten Sie sprechen müssen – auch das haben Sie nicht getan. Heinrich Stüven vom Grundeigentümerverband Hamburg musste gestern per Zeitungsinterview darauf aufmerksam machen, dass etwa 3 000 Immobilien für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung stehen. Diese werden aber nicht ernst genommen, viele Angebote ohne ausreichende Prüfung werden mit Formschreiben abgelehnt. Herr Stüven beklagt, dass es keine direkten Anfragen oder Gesprächsangebote seitens der Stadt gegeben habe. Trotzdem haben Sie das Beschlagnahmungsgesetz gegen alle Widerstände durchgeboxt beziehungsweise durchboxen lassen – Sie, Herr Bürgermeister, haben sich gar nicht an der Debatte beteiligt. Sie haben mit diesem Gesetz eine rote Linie überschritten. Dieser nicht gerechtfertigte und völlig unnötige Eingriff in das Recht auf Eigentum verursacht große Unsicherheit. Er gefährdet die Willkommenskultur und den inneren Frieden unserer Gesellschaft, weil er Ressentiments gegen Flüchtlinge schürt. Ich fordere Sie auf, Herr Bürgermeister, dieses Gesetz zurückzunehmen.

(Beifall bei der FDP und bei Jörg Hamann und André Trepoll, beide CDU)

Und halten Sie bitte nicht immer der Opposition vor, sie würde keine eigenen Vorschläge machen. Das Gegenteil ist der Fall. Herr Trepoll hat dazu schon das Richtige gesagt. Auf die vielen Vorschläge von FDP und CDU reagieren Sie immer nur mit Vorwürfen. So war es auch heute wieder. Das mag natürlich auch daran gelegen haben, dass in der Rede des Bürgermeisters nichts Konkretes gesagt wurde. Zielführend ist das Verhalten dennoch nicht. Da wirkt auch das Gerede von Andreas Dressel und Anjes Tjarks und das Rufen

nach mehr Gemeinsamkeiten irgendwie fehl am Platz – das sind doch nur leere Worte.

(Beifall bei der FDP und bei Jörg Hamann und André Trepoll, beide CDU, und Dr. Joa- chim Körner AfD)

Neben der zügigen Erarbeitung eines Konzepts für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen müsste es die vordringliche Aufgabe des neuen Flüchtlingskoordinators sein, ein Kommunikationskonzept zur frühestmöglichen Einbeziehung von Anwohnern geplanter Unterkünfte zu erarbeiten. Es kann und darf nicht sein, dass wir immer und immer wieder vom Senat hören, dass für die Kommunikation mit den Anwohnern zukünftiger Flüchtlingsunterkünfte keine Zeit gewesen sei. Wer so etwas ernsthaft behauptet, hat überhaupt nicht verstanden, wie zentral das Thema Kommunikation bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise ist. Nur wenn die Fragen der Anwohner beantwortet werden, wenn ihre Sorgen, ob berechtigt oder unberechtigt, überhaupt ernst genommen werden, kann die Integration in die heimische Bevölkerung gelingen. Nur dann wird es weiterhin das große ehrenamtliche Engagement in Hamburg geben, auf das wir alle stolz sein können und das, so ehrlich muss man sein, in den vergangenen Wochen und Monaten zahlreiche staatliche Strukturen ersetzt hat, die es einfach nicht gab und gibt.

Am Freitag soll das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, ein Kompromiss zwischen Bund und Ländern, abschließend im Bundesrat verabschiedet werden. Die Einstufung weiterer Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer begrüßen wir ebenso wie das erhöhte finanzielle Engagement des Bundes, das dringend notwendig ist. Es kommt aber, ebenso wie die weiteren beschlossenen Maßnahmen, sehr spät. Die Entlastung der Kommunen und Länder geht außerdem nicht weit genug, denn die angekündigte Übernahme der Kopfpauschalen greift erst im kommenden Jahr und mildert nicht die bereits aktuell angespannte Situation.

Überhaupt nicht nachvollziehbar ist, dass sich die Bunderegierung nach wie vor nicht zu einem tragfähigen Einwanderungskonzept durchringen kann. Ohne eine aktive Einwanderungspolitik wird die Bundesregierung auch in den kommenden Monaten der Entwicklung immer nur hinterherrennen. Eine Lockerung des Zeitarbeitsverbots und die Öffnung der Integrationskurse reichen bei Weitem nicht aus. Es bedarf eines umfassenden Einwanderungsgesetzes, das ein Punktesystem einschließt. Hier fordere ich Sie, liebe Kollegen von der CDU, auf, sich bei Ihren Parteifreunden in Berlin dafür starkzumachen. Es ist mir nicht verständlich, dass Sie sich auf der einen Seite für Transitzonen öffnen, die wohl vorwiegend symbolischen Charakter hätten, sich aber den wirklich wirksamen Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung versperren. Zu diesen wirklich wirksamen Maßnah

men gehört ein Gesetz, das die Einwanderung nach ganz klar von uns definierten Kriterien regelt.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU und der AfD)

Wir wollen das, weil das Recht auf Asyl für diejenigen, die aus politischen Gründen verfolgt werden, ein hohes Gut ist. Wir dürfen es nicht einschränken. Obergrenzen für Asylsuchende kann und darf es daher nicht geben.