Protokoll der Sitzung vom 14.10.2015

Er soll auch deshalb nicht zustimmen: Es ist vorgesehen, für bestimmte Gruppen von Flüchtlingen die Sozialleistungen auf das physische Existenzminimum zu reduzieren. Aus migrationspolitischen Erwägungen soll die Absenkung von Leistungen unter das Niveau des menschenwürdigen Existenzminimums gedrückt werden. Das hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom Juli 2012 ausdrücklich ausgeschlossen – ich zitiere –:

"Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren."

(Beifall bei der LINKEN)

Und Sie wollen einer solchen Relativierung der Menschenwürde wirklich Ihre Zustimmung geben? Sagen Sie Nein.

Es gibt weitere Gründe für eine Ablehnung. Ich nenne nur noch einen: die Verpflichtung, sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbringen. Flüchtlinge aus den Westbalkanländern, also vor allem die Roma, und aus anderen als sicher festgelegten Herkunftsländern sollen Erstaufnahmeeinrichtungen, die zu Ausreisezentren werden,

(Antje Möller)

gar nicht mehr verlassen dürfen. Die Verlängerung der Lagerpflicht ist so was von kontraproduktiv. Nötig wäre eine Begrenzung der Lagerpflicht auf maximal drei Monate, damit Flüchtlinge zum Beispiel unproblematisch in WGs und Privatwohnungen ziehen können, was sie heute nicht können.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir LINKE wissen und wollen, dass umgehend Maßnahmen ergriffen werden müssen, um schnell Erleichterungen zu schaffen, um die Herausforderungen zu meistern – das hat meine Kollegin, Cansu Özdemir, schon für uns ausgeführt.

Aber das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz geht in weiten Teilen in die völlig falsche Richtung und wird am Ende nicht einmal etwas ändern, denn wie gesagt, solange die Fluchtursachen bestehen, werden die Menschen fliehen und auch hierher kommen. Sie nehmen den Tod in der Wüste oder im Mittelmeer in Kauf, sie nehmen endlos beschwerliche Landwege in Kauf – warum sollten sie sich von Zäunen in Europa oder von Schikanen und Entwürdigungen abhalten lassen? Wir wollen deshalb Maßnahmen, die die Fluchtursachen angehen, zum Beispiel – ich nenne nur einen Punkt – das Verbot von Waffenexporten. Stopp der Waffenexporte über den Hamburger Hafen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen legale Fluchtwege, um das furchtbare Sterben auf den gefährlichen Fluchtrouten zu beenden. Wir wollen Maßnahmen im Sinne einer offenen Asylpolitik und im Sinne einer Politik, die die Integration der Schutzsuchenden von Anfang an ins Auge fasst. Dazu werden wir auch weiterhin unsere Forderungen und Vorschläge unterbreiten. Dabei wissen wir uns einig mit vielen Menschen in Hamburg, und zwar mit deutlich mehr Menschen als denen, die uns gewählt haben. Das sollte vor allem Ihnen von den GRÜNEN zu denken geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie geben mit der Zustimmung vieles auf, für das Sie lange gestanden haben, und darüber, das kann ich Ihnen ehrlich sagen, bin ich nicht froh. Ich wiederhole also den Appell: Verweigern Sie dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz die Zustimmung. Und wenn Sie nicht Nein sagen wollen, dann enthalten Sie sich wenigstens der Stimme. Stimmen Sie der Verschärfung nicht zu. Wenn Sie trotz allem entschlossen sind, der Verschärfung zuzustimmen, weil Sie die Verbesserungen für die andere Gruppe von Schutzsuchenden – und ich will nicht bestreiten, dass es Verbesserungen gibt – höher bewerten, dann erklären Sie wenigstens verbindlich, dass Hamburg Verschlechterungen zulasten von Flüchtlingen, die als Kann-Bestimmungen formuliert sind, nicht umsetzen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu gehören die Abspeisung mit Sachleistungen und der vollständige und dauerhafte Entzug jeglichen Bargelds, des sogenannten Taschengelds für den persönlichen und soziokulturellen Bedarf von Flüchtlingen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Schneider. – Das Wort hat Frau Dutschke von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wie wir heute wieder gehört haben, improvisiert der Senat noch immer tagesaktuell bei der Flüchtlingspolitik. Wie soll der Flüchtlingskoordinator, den Sie eingesetzt haben, klare Strukturen schaffen, wenn er selbst in den Auseinandersetzungen zwischen Sozial- und Innenbehörde Teil des Problems ist? Wie soll das gehen, wenn seine am weitesten gehende Entscheidungskompetenz darin besteht, anzuordnen, in welcher Gewerbehalle ankommende Flüchtlinge ab einer Größenordnung von 600 Personen plus untergebracht werden? Hamburg braucht endlich Nachhaltigkeit in der Unterbringung. Auf Basis verschiedener Szenarien muss endlich abgebildet werden, wann wo welche Standorte in Betrieb genommen werden. Wenigstens so viel Planung fordert die Opposition hier seit Monaten ein – zu Recht.

(Beifall bei der FDP und bei Jörg Hamann CDU)

Hamburg bekommt die Flüchtlingskrise nur in den Griff, wenn Sie, Herr Bürgermeister, nicht länger auf Sicht fahren, sondern vorausschauend planen. Ihr lapidares Weiter so! ist einfach nicht genug.

(Beifall bei der FDP und bei Jörg Hamann CDU)

Hamburg braucht endlich vernünftige Transparenz, Beteiligung und rechtzeitige Kommunikation, wenn es um die Unterbringung von Flüchtlingen geht. Aber es fehlt vor allem an der Ehrlichkeit gegenüber den Menschen in unserer Stadt. Es fehlt an Verlässlichkeit auf Senatsseite. Sie verspielen fahrlässig das Vertrauen der Bürger in unseren Rechtsstaat.

(Beifall bei der FDP und bei Jörg Hamann CDU, Detlef Ehlebracht und Dr. Joachim Körner, beide AfD)

Ihr Gesetz zur Zwangseinquartierung von Flüchtlingen in Privatimmobilien ist ein politisch fatales Signal. Was unternehmen Sie, wenn nächstes Jahr noch einmal über 30 000 Menschen in Hamburg ankommen? Was beschlagnahmen Sie dann? Kleingartenvereine und Wohnwagen? Kommt ein Massenquartier auf das Heiligengeistfeld? Greift Hamburg dann auch nach Wohnungen und kündigt

(Christiane Schneider)

Mietern der SAGA GWG aufgrund von Eigenbedarf? In Zeiten, in denen andere Gemeinden Mieter städtischer Immobilien rauskündigen, um Flüchtlinge unterzubringen, fahren Sie eine als Drohgebärde getarnte Enteignungsmaßnahme auf.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Joachim Körner AfD)

Wie wollen Sie die Situation bei absehbar anhaltender hoher Zuwanderung in den Griff bekommen? Da entschuldigen Sie Ihre Planlosigkeit in Richtung Bundesregierung, denn von nachhaltigen Unterbringungskonzepten ist hier heute kein Wort erwähnt worden.

(Beifall bei der FDP)

Wie wollen Sie denn mit den zunehmenden Gewalttaten umgehen, wie wollen Sie sie unterbinden? Es wundert niemanden mehr, dass es in Anbetracht der Lebensumstände zu Massenschlägereien in Erstaufnahmeund Notunterkünften kommt. Natürlich missbilligen wir diese Ausschreitungen, aber letzten Endes sind sie den Strukturen geschuldet, in denen Sie die Flüchtlinge allein lassen.

(Beifall bei der FDP und bei Martin Dolzer DIE LINKE – Wolfgang Rose SPD: Was für ein Unsinn!)

Ein Konzept, wie Sie Frauen und Kinder vor Gewalt in Unterkünften schützen wollen, gibt es nicht. Einen Plan, wie Sie die Menschen aus den Zelten in feste Unterkünfte bringen wollen, haben Sie nicht. Stattdessen verdichten Sie immer stärker an bestehenden Standorten, schüren damit immer mehr Konfliktpotenzial, und Ihr Lösungsvorschlag sind dann, wie ich heute der Zeitung entnehmen konnte, Polizeicontainer mit je zwei Beamten vor einer Unterkunft mit 3 000 Bewohnern. Meinen Sie das ernst? Ein Sicherheitskonzept und realistische Betreuungsschlüssel müssen endlich auf den Tisch angesichts der Krisenherde, die Sie in unserer Stadt aufbauen.

(Beifall bei der FDP und bei Jörg Hamann CDU)

Hamburg ist ganz vorn, wenn es um die Übererfüllung der Aufnahmequote nach Königsteiner Schlüssel geht. Aber wenn es um die Rückführung abgelehnter Asylbewerber und vollziehbar Ausreisepflichtiger geht, handeln Sie nicht. Hier entzieht sich Hamburg seiner Verantwortung, und hier muss der Bürgermeister endlich eine konsequente Politik an den Tag legen und nicht bloß Sonntagsreden halten, denn die blanken Zahlen belegen genau das Gegenteil dessen, was hier heute vorgetragen wurde.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Alexander Wolf AfD)

Auch an anderer Stelle denken Sie nicht weit genug. Hamburg braucht ein umfassendes Integrationskonzept, das diesem Namen auch gerecht wird. Bildung, Qualifikation und die Vermittlung in Arbeit sind Schlüsselelemente erfolgreicher Integration, da stimmen wir Ihnen vollkommen zu, und ein selbstbestimmtes, finanziell unabhängiges Leben ist das Ziel für jeden Einzelnen. Aber der alleinige Fokus auf den Berufseinstieg oder die Beschulung von Flüchtlingskindern in Zentralen Erstaufnahmen reicht nicht aus. Zur Integration gehört auch die verbindliche Vermittlung der Werte, Rechte und Pflichten in unserem Land. Wie Sie das durchsetzen wollen, dazu haben Sie hier heute nichts gesagt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der AfD)

Vielen Dank, Frau Dutschke. – Das Wort hat Herr Nockemann von der AfD-Fraktion.

Meine Damen und Herren! Wenn Sie nicht zuhören wollen oder reden wollen, gehen Sie bitte hinaus. – Herr Nockemann bitte.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Prien, Sie haben vorhin auf die Äußerungen meines Fraktionsvorsitzenden, Frau Merkel habe ohne Rechtsgrundlage gehandelt, gesagt, das stimme nicht, sondern Frau Merkel sei geradezu zum Handeln verpflichtet gewesen.

(Zuruf von Karin Prien CDU)

Wie erklären Sie sich dann die heutige Aussage des Passauer Strafrechtlers Holm Putzke, der gesagt hat, wer die Einreise fordere ohne Pass und ohne Visum, könne sich strafbar machen, und das treffe auch auf Frau Merkel zu? Das sollten Sie sich vielleicht einmal durchlesen. Es ist nur peinlich, wie sich CDU und SPD immer wieder die Bälle und die Verantwortlichkeiten zuspielen, das BAMF habe nicht genug Einzelentscheider, die Stadt schiebe nicht schnell genug ab. Die Bürger erwarten Lösungen von Ihnen

(Karin Prien CDU: Ja, dafür sind Sie genau die Richtigen!)

und nicht, dass Sie sich gegenseitig die Verantwortlichkeit zuschieben. Innerhalb weniger Wochen hat Frau Merkel quasi im Alleingang ohne Parlamentsbeteiligung und unter Außerachtlassung aller rechtlichen Vorgaben Deutschland in ein riesiges Flüchtlingslager verwandelt. In den letzten fünf Wochen sind über 350 000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. In Hamburg gibt es seit Januar 35 000 Flüchtlinge. Die Grenzen der Aufnahmefähigkeit sind mittlerweile erschöpft, kein Tag vergeht ohne neue Flüchtlingsrekorde. Im Winter frieren in dieser stolzen Hansestadt Ham

(Jennyfer Dutschke)

burg über 4 000 Menschen in Zelten. Ich habe vor drei, vier Wochen darauf hingewiesen, wenigstens die jungen Männer in beheizbaren Zelten unterzubringen. Ich bin damals als Rechtspopulist verschrien worden, und heute sitzen die Leute in Zelten, die nicht beheizt sind. Ich habe vor einigen Wochen darauf hingewiesen, doch wieder die Flüchtlingsschiffe nach Hamburg zu holen, wie wir sie vor 20 Jahren hatten. Oh nein, das ist alles menschenunwürdig. Da lassen wir doch lieber die Flüchtlinge im Winter frieren. Das ist Ihre Menschlichkeit, die Sie walten lassen.

Bis auf einen Flüchtlingsbeauftragten und ein Enteignungsgesetz ist hier in Hamburg wenig Gutes gekommen, und beim Enteignungsgesetz arbeiten Sie auch noch mit Tricksen und Täuschen, denn Sie verhehlen, dass auch Enteignung von Wohnraum zulässig ist. Der Hamburger Grundeigentümer-Verband hat kürzlich auch gesagt, spätestens im Jahr 2016 werde es die ersten Beschlagnahmungen von Wohnraum in Hamburg geben.

Herr Bürgermeister, Sie haben heute eine Regierungserklärung gehalten. Sie wollen also Ihre Politik erläutern; an der Zeit ist es ja gewesen. Ich vermisse aber in Ihrer Regierungserklärung, dass Sie auch nur mit einem einzigen Wort auf die Nöte und Sorgen der Bürger in Hamburg eingegangen sind.

(Beifall bei der AfD)