Protokoll der Sitzung vom 09.12.2015

Herr Tjarks, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Sudmann?

Ich bin mir ganz sicher, dass Heike Sudmann gleich das Wort ergreifen wird.

(Erster Vizepräsident Dietrich Wersich)

(Heike Sudmann [LINKE]: Kann ich ja nicht mehr, ich bin nicht mehr dran!)

Ich würde gern weiter zum zweiten Thema kommen, denn wir haben zwei große Themen für diese kurzen fünf Minuten. Wir haben viermal so viele Flüchtlinge wie im Jahr 2014. Allein in den vergangenen drei Monaten haben 10 000 Menschen in Hamburg dauerhaft Schutz gefunden. Wir rechnen damit, 80 000 Menschen bis Ende des Jahres 2016 in Hamburg unterzubringen. Angesichts dieser Zahlen haben es alle Kommunen schwer, besonders die Großstädte und die Stadtstaaten, eine angemessene Versorgung sicherzustellen. Natürlich ist es auch so, dass in Hamburg nicht alles klappt, aber ziemlich viel. An dieser Stelle möchte ich sagen, dass wir sehr weit von Zuständen wie in Berlin entfernt sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Der "Spiegel" nennt Berlin in diesem Zusammenhang die Hauptstadt des Versagens. In der Hauptverantwortung stehen dort zwei CDU-Senatoren, Herr Czaia und Herr Henkel. Über 40 Rechtsanwälte haben am Montag aufgrund der chaotischen unhaltbaren Zustände am LAGeSo Strafanzeige gegen diese beiden Herren wegen Körperverletzung und Nötigung im Amt gestellt.

(Cansu Özdemir DIE LINKE: Thema!)

Berlin hat einen angespannten, wenn auch nicht so angespannten Wohnungsmarkt wie Hamburg, hat 16 Turnhallen requiriert und 44 weitere in der Pipeline. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mir Frau Prien in den Ohren liegen würde, wenn wir das auch in Hamburg gemacht hätten. Genau das haben wir jedoch nicht gemacht, und insofern sollten Sie mit Ihrer Versagensrhetorik einmal ein bisschen abrüsten.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Trepoll, in der Regierungserklärung zum Thema Flüchtlinge haben Sie zu den neuen Quartieren, die wir nachher auch noch diskutieren, gesagt, man wolle sie kritisch, aber konstruktiv begleiten, und Sie haben dies als eine der wenigen guten Ideen dieses Senats gelobt. Doch keine zwei Wochen später sagt Ihre andere Fraktionsvorsitzende, die Quartiere zementierten die integrationsfeindliche Stadtentwicklung. Jetzt ist mir völlig unklar, Herr Trepoll, welche Position Sie einnehmen. Ich weiß auch nicht, an wen ich mich in dieser Sache wenden soll.

(André Trepoll CDU: Machen Sie doch so- wieso nicht!)

Aber ich möchte Ihnen einfach einmal sagen, wie die Situation ist: Wir reagieren hier auf eine Politik, für die Sie im Bund federführend sind und vor der Sie hier in der Verantwortung weglaufen.

(André Trepoll CDU: Sie würden eine ande- re Politik machen im Bund?)

Mehr als die Hälfte der Hamburger ZEAs hat deutlich unter 500 Personen, und ich muss Ihnen sagen, dass Sie bis dato zu dieser Frage keinen einzigen echten Vorschlag – ich spreche nicht von einem realpolitischen Vorschlag – gemacht haben. Wir packen die Sache an. Die Leute wollen, dass wir Wohnungen bauen. Das werden wir tun. Wir haben eine Integrationsinitiative vorgelegt, über die wir nachher diskutieren werden. Rot-Grün packt auch dieses Thema bei allen Herausforderungen an. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Als Nächste erhält das Wort Frau Boeddinghaus von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Vorredner von CDU, SPD und GRÜNEN, ich finde, Aufarbeitung sieht anders aus. Ich höre eigentlich ausschließlich Rechtfertigungen und billige Schuldzuweisungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Gehen wir noch einmal auf Start. Der 29. November war für Hamburg ein richtig guter Tag.

(Beifall bei der LINKEN)

51,6 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger stimmten für ein Olympia-Nein und erteilten damit dem Senat, SPD, GRÜNEN, FDP und CDU eine krachende Niederlage.

(Beifall bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Sie haben darüber hinaus einer geballten Allianz von Wirtschaft, Kammern, Sportfunktionären, Bewerbungsgesellschaft und selbsternannter Eliten und last, but not least einer fast geschlossenen Pro-Olympia-Medienkampagne, die ihresgleichen sucht, die Rote Karte gezeigt. Am Wahlabend mussten wir uns in der Tat kurz und heftig die Augen reiben, weil Feuer und Flamme so jäh erloschen waren und dennoch fast die gesamte Berichterstattung an diesem Abend ausschließlich an eine Minderheit der Hamburgerinnen und Hamburger adressiert war nach dem Motto: Hoffentlich dreht sich noch das Blatt für ein Jahr. Das war sehr bemerkenswert.

Bemerkenswert war auch, dass offensichtlich niemand aus dem Senat und den ihn tragenden Fraktionen ein mögliches Nein überhaupt ins Kalkül gezogen hat. Die Sprachlosigkeit war zu später Stunde entsprechend laut. Der Kater der Olympia-Befürworter erstreckte sich von "Die Nein-Sager beerdigen die Zukunft Hamburgs" über "Sie sind schlicht zu doof" bis hin zu Überlegungen, Refe

(Dr. Anjes Tjarks)

renden abzuschaffen, weil sie die Menschen angeblich überfordern. Wir aber sagen, die Menschen haben sich nicht hinter die Fichte führen lassen, sondern die Argumente abgewogen und sich gegen ein unkalkulierbares Risiko auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ausgesprochen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir als LINKE haben diese Debatte gemeinsam mit vielen ehrenamtlich engagierten Gegnerinnen und Gegnern in dieser Stadt geführt. Während wir in der Bürgerschaft oft sinnentleerten Angriffen durchaus auch unter der Gürtellinie ausgesetzt waren, erlebten wir außerhalb des Parlaments viel Zuspruch für unser konsequentes Aufklären über Risiken und Nebenwirkungen dieser Bewerbung.

(Beifall bei der LINKEN – Ksenija Bekeris SPD: Aufklären? Na!)

Ich kann an alle Verliererinnen und Verlierer nur dringend appellieren, die Wähler-Beschimpfungen sofort einzustellen und sich selbstkritisch zu hinterfragen – das kommt wohl hoffentlich noch –, wie es Ihnen allen passieren konnte, so arrogant und so ignorant an den Bedürfnissen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger vorbei zu träumen

(Beifall bei der LINKEN)

und zu meinen, der Bürgermeister-Bonus plus einer millionenschweren Verdummungskampagne in der Stadt würden für ein Jahr reichen.

(Beifall bei der LINKEN – Glocke)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Frau Boeddinghaus, darf ich Sie bitten, beim parlamentarischen Sprachgebrauch zu bleiben.

Okay, wir können das dann ja noch einmal diskutieren.

Aber nicht mit mir.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜ- NEN, der FDP und der AfD)

Herr Trepoll, ich kann auch nur an Sie appellieren. Frau Suding hat ihren Redebeitrag noch nicht gehalten. Wir kennen ihn aber schon aus der Zeitung. Ich würde Ihnen raten, sich nicht zu sehr aus dem Fenster zu lehnen. Sie beide haben mit ganz großer Geste alle unsere stichhaltigen Argumente gegen Olympia mit Füßen getreten,

(Dennis Thering CDU: Zu Recht!)

haben gegen jeglichen Einspruch und gegen alle berechtigten Bedenken polemisiert und die Kritikerinnen und Kritiker als uninformiert abqualifiziert.

(Gabi Dobusch SPD: Sie haben ja gar nicht polemisiert!)

Sie haben in Nibelungentreue zum DSB und im Übrigen auch zum Konzept gehalten und selbst stets das Finanzierungskonzept als solide und gut durchgerechnet präsentiert. Sich jetzt abzusetzen ist wirklich ziemlich billig und sehr durchsichtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Als LINKE empfinden wir eine sehr große Verantwortung und Herausforderung, dass wir mit 10 Abgeordneten im Parlament jetzt 51,6 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger vertreten.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der SPD)

Dieses Ergebnis und die Tatsache, dass Sie kollektiv versagt haben, müssen Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der SPD)

Herr Bürgermeister, für Sie ist das Nein zu Olympia natürlich eine besondere Schlappe und eine sehr bittere Quittung.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Peinlich!)

Sie haben nämlich zu keinem Zeitpunkt Überzeugungsarbeit geleistet. Vielmehr haben Sie gedroht, erpresst und die Menschen in die guten Ja-Sagerinnen und Ja-Sager, die Mut zur Zukunft haben, und in die bösen Nein-Sagerinnen und Nein-Sager, die die Zukunft Hamburgs verspielen, gespalten. Sie wurden nicht müde zu versichern, dass Hamburg nur mit dem Schub der Olympischen Spiele nach vorn kommt. Sie sagten im "Hamburger Abendblatt"-Interview wörtlich, dass auch der soziale Zusammenhalt infrage gestellt werde, wenn Olympia nicht komme. Wenn Sie so das Wohl und Wehe der Stadt mit Olympia verknüpfen, haben Sie jetzt im Grunde eine große Erklärungsnot, und es ist Ihnen eigentlich die Geschäftsgrundlage für Ihre Regierung entzogen.