Und doch hat uns die Dauer und Schwere der Erkrankung in den letzten Wochen schlaflose Nächte bereitet, wie Sie sich vorstellen können. Wir befürchten, dass der Senat mittlerweile an einer chronischen Worthülseritis leidet.
Alles begann vor fast genau einem Jahr, als der Senat einen Koalitionsvertrag präsentierte, der auffällig viele Worthülsen enthielt. Was damals noch wie ein leichter Hau wirkte, hat sich mittlerweile zur chronischen Worthülseritis weiterentwickelt. Was sind die Symptome dieser Krankheit?
Die Patienten, allen voran der Wirtschaftssenator, reden von einer Industrie 4.0 und führen dabei regelmäßig aus, was darunter zu verstehen sei. Ihre Ausführungen lassen regelmäßig darauf schließen, dass sie die Realität nicht im Auge haben. Mehr noch: Sie lassen erkennen, dass die Redner offensichtlich halluzinieren. Erkennbar wird, dass sich die äußere Hülle des Redners und der innere Bezug zum Thema nicht im Einklang miteinander befinden. Besonders tragisch ist, dass offensichtlich mit fortschreitender Erkrankungsdauer eine Form der Demenz bei dieser Erkrankungsform hinzukommt.
Die betroffenen Personen können sich auf Nachfrage gar nicht oder nur sehr schlecht daran erinnern, was ihre Aufgabe beim Thema Industrie 4.0 ist. Zu ihren Aufgaben zählen die Strategien, die Planung und Durchführung der Digitalisierung in der Verwaltung beispielsweise.
Sie haben offenbar vergessen, dass ein Großteil der Hamburger Wirtschaft mittlerweile in ihrer Verantwortung liegt, unter anderem eine Reederei, eine Bank und ein Umschlagsunternehmen. Nehmen wir beispielsweise dieses Umschlagsunternehmen. Dort fehlt eine Digitalisierungsstrategie, zum Beispiel am Burchardkai. Die Folgen für die Wirtschaft, siehe sinkender Containerumschlag, für den Standort, siehe Verlagerung an andere Standorte,
für den Unternehmenswert, siehe Börsenkurs, und damit auch für den Eigentümer, siehe kommender Jahresabschluss, und damit für den oben beschriebenen Patienten sind immens. Man möchte dem Patienten dieser Erkrankung die Erkenntnis darüber zukommen lassen. Nur welche Therapie hilft?
Wir denken, reden ist hier die letzte mögliche Therapieform. Die Konfrontation mit einem Realitätsschock könnte helfen, dem Patienten die Augen zu öffnen und ihn über seine Erkrankung hinwegkommen zu lassen.
Vielleicht benötigen die Patienten aber auch nur das Gefühl, gebraucht zu werden. Als aufmerksamer Beobachter möchten wir diese Hilfestellung natürlich gern geben und deshalb aufzeigen, wo sie tatsächlich gebraucht werden.
Erstens: Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Projekte. Woche für Woche verkünden Sie Schaufensterprojekte, zuletzt ChainPORT. Auf der Pressekonferenz, auf der Sie vorgestellt haben, was das eigentlich soll, konnten Sie nicht einmal erklären, was überhaupt die konkreten Ziele in diesem Bereich sind. Mitmachen tun die wichtigen Häfen wie Rotterdam bei diesem Projekt ohnehin nicht. Aber man kann eben alles erzählen, wenn nur genügend Menschen im eigenen Umfeld noch weniger Ahnung von der Materie haben als man selbst.
Zweitens: Machen Sie einmal eine richtige Analyse der bereits durchgeführten Maßnahmen in diesem Bereich. Während Sie so tun, als würden Sie internationale Digitalisierungsprojekte vorantreiben, kommen Ihre Verwaltungseinheiten nicht aus dem Quark. Das Hafengeld, das die Reedereien für Schiffsanläufe in Hamburg zahlen – die GRÜNEN wollten es eigentlich erhöhen, Sie haben es knapp verhindert –, stellen Sie immer noch postalisch zu. Ist das jetzt die Digitalisierung? Ist das schon Industrie 4.0, frage ich mich, die Deutsche Post? Nein, ich glaube, das ist es nicht.
Vor vier Jahren haben Sie begonnen, eine Terminvergabesoftware in Kundenzentren einzuführen, und da wird es ganz kurios. Das Ergebnis: analoge Menschenschlangen. Vor den Zentren stehen die Hamburger, denn Digitalisierung und dieser Senat, das ist, als wenn man sich bei der DDR erkundigt hätte, wie man gute Autos baut.
Drittens: Achten Sie darauf, dass die Krankheit des Patienten sich nicht noch ausbreitet. Ich zitiere aus
"Die SPD-Abgeordneten erklären, eine App sei auch nichts anderes als ein Internetauftritt, nur in kleinerem Format und auch nicht besonders sicher."
Viertens: Fangen Sie endlich an, sich tatsächlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Alles, was Sie in einem Jahr Digitalisierung auf die Kette gebracht haben, listen Sie in Ihrer Antwort auf meine Schriftliche Kleine Anfrage 21/3376 auf. Eine Ausschreibung bei der EU-Kommission zum CrossClustering geben Sie dort als gewonnen an – Hammer. Das ist Ihr Ergebnis eines Jahres im Hinblick auf Digitalisierung. Respekt.
Dieser Senat tut nur so, als würde er Politik betreiben. Was er tatsächlich tut, ist, so zu tun, als tue er etwas. Wenn das noch vier Jahre so weitergeht, dann ist Hamburger Senat ein neues Codewort für digitale Diaspora. – Vielen Dank.
Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Industrie 4.0 ist wahrscheinlich das wichtigste wirtschaftspolitische Thema, das wir in dieser Legislaturperiode in der Bürgerschaft erörtern. Dazu passt eigentlich nicht, dass jeder zweite Platz frei ist und in den Galerien mehr interessierte Gäste sitzen, als Abgeordnete da sind.
Lassen Sie uns einmal kurz überlegen, was Internet und Industrie 4.0 bedeuten. Bislang saßen, davon gehen wir aus, die Menschen vorwiegend selbst vor dem Internet und haben den Kontakt zu Informationen und anderen Menschen gesucht. Jetzt beginnt eine ganz andere Dimension im Netz zu explodieren: Maschinen und Geräte, miniaturisiert, mit winzigen Rechnern ausgestattet, treten untereinander in Kontakt, steuern Prozesse und ganze Fabrikabläufe. Deswegen kann man zu Recht von Revolution reden. Über moderne Sensoren können sie sozusagen sehen und hören, Veränderungen analysieren, die richtigen Schlüsse ziehen, Entscheidungen treffen.
schine von zwei gegenüberliegenden Seiten einer Gracht. Sie bauen eine Brücke ohne angelieferte Teile. Die Maschinen erzeugen selbst 1 500 Grad heißen Stahl, fertigen in 3-D-Druckqualität vor Ort die Elemente der Brückenkonstruktion und fügen sie aneinander an. Das sind Fortschritte, die wir gern in Hamburg sehen würden. Das ermöglicht in der Wirtschaftsstruktur, in der Industrie unendliche Vielfalten von Produkten auf ein- und derselben Fertigungsstraße – das muss man sich einmal vorstellen – zu minimalen Kosten der Massenproduktion. Auch das wäre ein Thema, bei dem es wirklich angemessen wäre, dass wir in Hamburg vorankommen.
Fabriken mit ganz neuer Fertigungslogik – davon habe ich heute überhaupt noch nichts gehört. Dort agieren nämlich die Geräte und Maschinen wie in diesem Brückenbeispiel. Und wenn irgendwelche Störungen auftreten, sei es das Festhängen einer Lieferung im Stau, seien es Krankheit oder Unfälle, geänderte Rohstoffpreise oder Streiks, agieren die Maschinen sofort selbststeuernd, gleichen das aus und gehen den nächsten optimalen Fertigungsschritt. Sie analysieren sich selbst. Der Traum von einer Fertigungsstraße, die niemals ungeplant ausfällt, ist möglich. Alle diese Facetten sind hier überhaupt nicht aufgetaucht.
Vor allem wird, ich schaue jetzt einmal nach links, der Umweltschutz dabei betont, weil viel weniger Energie verbraucht werden kann, viel weniger Ausschüsse, viel weniger Schrott produziert wird. Und mehr noch: Die Fabrikflächen werden deutlich geringer. Man braucht nicht zig Fertigungsstraßen nebeneinander; eine einzige reicht aufgrund ihrer Flexibilität. Das heißt, hier ist die Lösung für die fehlenden Gewerbeflächen, die wir in Hamburg immer beklagen. Noch keiner hat dieses Thema angesprochen, und es ist eigentlich ein Desaster, dass Sie die Tiefe gar nicht erfasst haben.
Deswegen ist in den USA auch ein anderer Name tragend. Die kennen den Begriff Internet 4.0 gar nicht, die sagen Internet of Things. Das ist das Entscheidende, dass die Dinge sich untereinander verknüpfen und dass man sich das einmal zu Ende überlegt; IoT, Internet of Things. Dort wird es allerdings auch gleich als Waffe benutzt; das sind nämlich die Drohnen, die die USA zu Zehntausenden um die Welt schicken. Das ist die bedrohliche Seite auch von Industrie 4.0.
Es ist also ein wichtiges Thema, das Sie heute auf die Agenda der Bürgerschaft gebracht haben. Aber wie weit ist es denn in Hamburg mit der Zukunftstechnologie 4.0? Lassen Sie uns das einmal systematisch fragen; das ist bisher, außer in satirischen Beispielen, noch nicht passiert. Das Bundesministerium für Forschung hat ein Projekt – vielleicht kennen Sie es, wahrscheinlich aber
nicht –, das alle führenden Projekte und Standorte in Deutschland, insgesamt 325, zusammenfasst; ob das Universitäten sind, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen oder Unternehmen, alles wird gescannt. Unter diesen führenden 325 Standorten ist die Region Bielefeld mit 37 Standorten, der Raum Paderborn mit 44, Stuttgart mit 27 und eine Kleinstadt wie Karlsruhe immer noch mit 14 vertreten. Berlin hat auch noch elf Standorte. Und Hamburg? Meine Damen und Herren von RotGrün, die Sie dieses Thema eingebracht haben, wahrscheinlich wissen Sie es nicht: Nicht eine Universität, nicht ein Forschungszentrum wird in Hamburg genannt, einzig ein Unternehmen. Es ist nur ein Standort in Hamburg, der dem Kern von 4.0 entspricht, nämlich Airbus mit dem Projekt Embedded und Cyber-Physical Systems. Im Vergleich ist das ein desaströses Ergebnis für die Schaffung entsprechender Clusterqualitäten in Hamburg bei dieser Zukunftstechnologie, die alle anderen Branchen durchziehen kann. Also leider wieder nur Theaterdonner von Rot-Grün. Im Antrag genannte Projekte, Smart sowieso, sind im Grunde ferner liefen, wenn das in Deutschland untersucht wird. Das kann so nicht bleiben. Da muss sich etwas ändern.
Es wundert auch nicht, dass Rot-Grün in diesem Antrag warten will, dass irgendwann der Sitz eines Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt nach Hamburg kommen könnte, unter dessen Dach, wenn es denn gelänge, ein Institut entstehen könnte, das sich mit Industrie 4.0 beschäftigt. Hamburg ist einer der Knotenpunkte des industriellen und wirtschaftlichen Welthandels, aber bei dieser Langsamkeit von Rot-Grün wird das nie etwas. Das kann man jetzt schon sehen, und man versteht, warum Hamburg in bestehenden Netzwerken zu 4.0 keine Rolle spielt.
Gut, dass wenigstens das Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen, ein besonderes Anliegen von unserem Senator Horch, an der Technischen Universität Hamburg-Harburg kräftig ausgebaut wird. Das ist einmal ein Punkt, der etwas werden kann. Aber davon war heute auch noch nicht die Rede.
Der absolute Knackpunkt, der absolute Pferdefuß von Industrie 4.0, das absolute Problem ist die Datensicherheit. Das zumindest ist hier und da heute schon einmal angeklungen. Denn in so einer Fabrik, man kann es sich vorstellen, herrscht ungeheures Getöse: Maschine A kommuniziert mit Maschine B, dauernd werden Daten ausgetauscht, Zustandsberichte, Aufgabenstellungen, elektronische Codes. Das alles kann natürlich abgehört werden von außen. Es ist ein Riesendrama, was dort passieren kann. Auch Datenbanken und Clouds sind in Gefahr. Big Data, Open Source, alle diese Themen werden extrem wichtig. Das HWWI hat entsprechend bei Hamburger Unternehmen in einer großen Umfrage erfragt, was die großen Hemmnisse von 4.0 seien. Die Antwort war klar:
Wie sieht es nun aus mit der Datensicherheit in Hamburg, die 64 Prozent der Unternehmen beklagen? Genau zu diesem Thema Institut für Datensicherheit hat die AfD im November 2015 einen Antrag eingebracht. Und genau diesen Eckpunkt von Industrie 4.0, der sich auf den Pferdefuß dieser ganzen Industrie bezieht, die Sie zum heutigen Thema gemacht haben, haben Sie abgelehnt. Sie haben es nicht nur abgelehnt, Sie haben es noch nicht einmal an den Ausschuss überwiesen und damals höhnisch und überheblich argumentiert. Die Hochnäsigkeit mancher Kommentare wurde nur noch von der Ahnungslosigkeit übertroffen. Herr Ovens, Ihren Beitrag dazu habe ich als besonders problematisch im Hinterkopf; ich möchte jetzt nicht daraus zitieren. Sie haben nicht verstanden, welche existenzielle Chance diese Datensicherheit im Herzen von 4.0 bedeutet. Sie haben nichts davon verstanden, Herr Ovens, und Sie haben das sehr deutlich gemacht, indem Sie unseren Antrag rundweg abgelehnt haben.
Da zeigt sich, Herr Ovens – aber nicht nur bei Ihnen, ich möchte das nicht personalisieren –, was aus so einem riesigen, gewaltigen Zukunftsthema werden kann, wenn es unter die Borniertheit eines kurzsichtigen Provinzpolitikertums gerät. So sieht es nämlich aus.