Protokoll der Sitzung vom 25.05.2016

(Farid Müller GRÜNE: Aha!)

Man muss es konkret analysieren. Woran liegt das? Fünf Punkte sind relevant. Erstens: Die Täter sind sehr selten Fremde, sondern kommen insbe

sondere beim sexuellen Missbrauch und bei Vergewaltigungen meist aus dem sozialen Umfeld.

(Mareike Engels GRÜNE: Ach!)

Es sind also meistens Vater, Onkel, Bruder, Ehemann, Lebensgefährte oder ein sonstiger Verwandter.

Zweitens: Die meisten sexuellen Übergriffe finden im gewohnten Umfeld statt – in der Wohnung, am Arbeitsplatz oder im Freizeitbereich. Das heißt, Mädchen und Frauen sind dort, wo sie sich eigentlich am sichersten fühlen, am stärksten bedroht.

Drittens: Das Hauptmotiv für sexualisierte Gewalt ist die Ausübung von Macht und Kontrolle. Sexualität wird also gezielt als Mittel der Diskriminierung, der Herabwürdigung und der Macht über eine andere Person eingesetzt.

Viertens: Bei allen Formen sexueller Übergriffe handelt es sich nicht um gewalttätige Formen von Sexualität, sondern um sexuelle Formen der Gewalttätigkeit. Der Begriff sexualisierte Gewalt stellt somit den Gewaltaspekt in den Vordergrund, der mittels sexueller Handlungen zum Ausdruck gebracht wird.

Und fünftens: Nach langjähriger Gewalt sind auch die Folgen komplex und andauernd, denn Gewalterfahrungen bewirken meistens eine starke Traumatisierung, und die Frauen wollen häufig nicht an diese Gewalt erinnert werden. Sie wollen das, was sie schon einmal durchlebt haben, nicht wieder durchleben, sei es auch nur auf einer sekundären Ebene.

Fazit: Die mangelnde Ahndung dieser Fälle, und darin liegt der Begründungsirrtum bei Ihnen, liegt in der Nähebeziehung von Täter und Opfer und der Angst der Opfer.

(Zuruf von Anna Gallina GRÜNE – Mareike Engels GRÜNE: Nein! Gucken Sie in den Antrag!)

Diese Fälle werden Sie also durch diese Strukturreformen nicht angreifen. Sie stellen sie aber so in den Vordergrund, als seien dies die Fälle. Das ist nicht die richtige Begründung. Richtig hingegen ist, dass das Überwinden des Willens eines anderen künftig umfassend strafbewehrt sein soll; in diesem Punkt sind wir ganz beieinander. Das deckt aber die anderen von Ihnen genannten Fälle nicht ab.

(Farid Müller GRÜNE: Wie muss sich der Wille denn ausdrücken?)

Genau da sind wir jetzt beim Punkt, genau darin geht es nämlich um das Eingemachte.

In diesem Punkt sind wir auseinander, denn ich sage, dass es am Ende keine Gesinnungsstrafe geben darf. Dazu hat Urs Tabbert eben etwas gesagt, was nicht mit dem zusammengeht, was in

dem Entwurf steht. Denn in dem Gesetzentwurf, den der Bundesrat präsentiert hat, steht,

"[…] wenn die fehlende Zustimmung offensichtlich ist."

Wenn die fehlende Zustimmung offensichtlich ist, also nicht das erklärte Nein. Urs Tabbert hat gesagt, es müsse einen äußeren Anknüpfungspunkt geben. Den gibt es aber nicht. Wenn es ihn gäbe, wäre es in Ordnung. Das Strafrecht braucht einen objektiven Anknüpfungspunkt. Ich kann nicht aus einem reinen Forum internum ein Verbrechen als Strafbarkeit generieren. Wie wollen Sie denn bitte dem Richter oder Staatsanwalt dieses andienen und sagen, es reiche, wenn einer gesagt hat, es sollte nicht sein beziehungsweise, wenn er es nicht gesagt hat, das müsse auch noch offensichtlich gewesen sein.

(Farid Müller GRÜNE: Was würden Sie denn reinschreiben?)

Genau das ist der Punkt. Wir brauchen einen objektiven Anknüpfungspunkt, ohne den geht es nicht. Insofern ist übrigens auch der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen, zwar aus dem Hause des SPD-Ministers, aber trotzdem letztlich auch von den Regierungsfraktionen getragen, noch zu überarbeiten, denn dort steht ähnlich ungünstig, "subjektive Furcht eines empfindlichen Übels". Wenn ich da keine Konkretisierung habe, sagt der Bundesgerichtshof sehr klar, sei das nicht tauglich. Das überschreitet das verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheitsprinzip. Das müssen wir abstellen.

(Beifall bei der CDU und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP – Urs Tabbert SPD: Damit stellen Sie alle subjektiven Aspekte infrage!)

Ich komme zum Schluss. Wir brauchen zweierlei Dinge. Repressiv müssen wir die Strafrechtslücken sorgfältig schließen. Die neuen Regelungen müssen verfassungsgemäß sein und Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte müssen diese auch anwenden können. Präventiv schließlich müssen wir in Hamburg mehr Aufklärungsarbeit leisten und mit ihr sicherlich an den Schulen beginnen. Ganz bestimmt brauchen wir keine aufgeregte Diskussion mit bloßen Worthülsen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP)

Nun bekommt Frau Engels von der GRÜNEN Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Im Januar hatten wir hier schon einmal über dieses Thema diskutiert, und ich dachte, wir wären einen großen Schritt weiter,

aber anscheinend nicht bei der CDU. An Ihnen sind offensichtlich nicht nur die Plakatkampagnen im November zum "Tag gegen Gewalt an Frauen" vorbeigegangen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich habe Ihre Rede als großes Ablenkungsmanöver wahrgenommen, um darüber zu reden, wie wir es schaffen, die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen endlich umfassend zu schützen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben sehr lange darauf warten müssen, dass die Reform des Sexualstrafrechts endlich angepackt wird. Denn die sexuelle Selbstbestimmung ist ein elementares Recht von Menschen und muss uneingeschränkt geschützt werden. Aber auch der aktuelle Gesetzentwurf reicht nicht aus. Nein heißt auch nach dem Reformvorschlag der Bundesregierung noch immer nicht Nein. Der Ausschussbericht und die Rede von eben lassen erahnen, warum das so ist, nämlich weil die Widerstände bei konservativen Politikern in unserer Gesellschaft zu groß sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Glocke)

Meine Damen und Herren! Wir sind mitten in einer Debatte, die vom Podium aus geführt wird. Danke.

Mareike Engels GRÜNE (fortfahrend) :* Eine große Koalition von Frauenverbänden hat sich unlängst zu Wort gemeldet und auf die historische Chance einer Reform hingewiesen, ähnlich wie die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe 1997. Auch die Umsetzung der Istanbul-Konvention erfordert Veränderungen im Sexualstrafrecht. Mit unserem Antrag im Januar und der erfolgreichen Bundesratsinitiative wollen wir, dass endlich alle sexuellen Handlungen ohne den Willen des Opfers uneingeschränkt strafrechtlich verfolgt werden können.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die FDP nannte dies im Ausschuss eine Entgrenzung des Tatbestands und will, wie die Bundesregierung, zu dem Katalog qualifizierender Tatbestände lediglich weitere hinzufügen. Die sexuelle Selbstbestimmung kann aber nur dann umfassend geschützt werden, wenn wir davon ablassen, die Strafbarkeit an abschließend beschriebene besondere Umstände zu knüpfen. Wir brauchen einen Grundtatbestand. Der Grundsatz "Nein heißt Nein" bedarf keiner weiteren Einschränkung, sondern muss immer gelten.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Gerade mit Blick auf die Rechtsprechung der letzten Jahre – das zeigen viele Studien zu sexuali

(Richard Seelmaecker)

sierter Gewalt und zur Strafverfolgung sexualisierter Gewalt – wissen wir, dass von den Gerichten hohe Maßstäbe an die Erfüllung dieser qualifizierenden Tatbestandsmerkmale gelegt werden. Es gibt eben nur diese Konkretisierungen und nicht den Grundtatbestand. Das aktuelle Recht ist damit in keinem Stück praxistauglich, und es kommt zu vielen Nichtverurteilungen. Die Verurteilung von sexualisierter Gewalt darf aber nicht an das Verhalten des Opfers geknüpft werden und vor allem nicht daran, dass es sich nicht ausreichend gewehrt hat. Eine Erweiterung der Merkmale bringt uns daher kein Stück weiter. Was wir brauchen, ist ein Paradigmenwechsel im Gesetz und in den Köpfen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die CDU befürchtet im Ausschuss eine schwierige Abgrenzung von sozial adäquatem sexuellem Anbahnungsverhalten. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle Menschen in sozialen Situationen sehr gut wissen, wann sie zu weit gehen. Manche tun es aber trotzdem. Bei sexualisierter Gewalt geht es nicht um Sex, sondern um Macht und Dominanz. Herr Seelmaecker hatte für uns heute recherchiert, was das Thema sexualisierte Gewalt alles bedeutet und was davon erfasst wird. Es hörte sich gerade so an, als sei dieses Thema auf der Tagesordnung gewesen. Ich habe mich sehr an die BFFWebsite erinnert gefühlt, und zwar an den Unterpunkt, was sexualisierte Gewalt sei. Dort wurden all die Punkte sehr gut aufgeführt. Die Schlüsse daraus sollten Sie aber konsequenterweise ziehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Die Studie des BFF zu strafrechtlich eingestellten Fällen zeigt eindrücklich, dass in fast allen Fällen die Täter zugaben – und ihnen damit klar war –, dass das Opfer die sexuelle Handlung nicht wollte. Sie handelten trotzdem gegen den Willen der Frauen, und ihr Handeln blieb rechtlich folgenlos. Grapschereien oder andere sexuelle Handlungen, bei denen klar ist, dass man sie nicht möchte, mag von manchen als Anbahnungsversuch gesehen werden, ist aber keinesfalls sozial adäquat.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Sozial adäquates Verhalten achtet nämlich die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen; das ist eigentlich sehr simpel. Ich zähle daher sehr darauf, dass es im parlamentarischen Verfahren auf Bundesebene noch ein Umdenken gibt. Auch in der CDU gibt es vereinzelt vernünftige Stimmen bei diesem Thema.

Aber auch wenn wir hoffentlich bald ein besseres Sexualstrafrecht haben, muss uns klar sein, dass die meisten dieser Übergriffe von den Opfern nicht angezeigt werden. Da haben wir ein weiteres Pro

blem. Aber die niedrige Verurteilung von Straftaten ist auch ein Problem.

(Anna Gallina GRÜNE: Das ist gerade das Problem!)

Darum geht es bei "Nein heißt Nein". Es gibt darüber hinaus aber noch viele weitere Probleme, zum Beispiel die Frage der Anzeigebereitschaft. Natürlich sinkt die Anzeigebereitschaft, wenn man weiß, dass in den Beratungsstellen gesagt wird, die Chance auf eine Verurteilung sei gering. Das heißt, wir müssen noch viel mehr tun. Es kommt darauf an, dass den Frauen geglaubt wird, dass ihre Erfahrungen nicht bagatellisiert werden und ihnen zugehört wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)