Protokoll der Sitzung vom 16.06.2016

Dabei ist entscheidend, dass innerhalb der Koalitionen eine Meinungsbildung stattfindet, und nicht, dass die Senatspressestelle jedem, der anfragt, diese Meinung mitteilt. Deswegen haben wir kein Problem damit, auch bis morgen früh oder bis morgen Mittag, wann immer das Thema auf der Tagesordnung steht, zu warten. Das wird Ihnen auch nicht anders ergehen; Sie werden warten müssen.

Der Grund, warum es gerade bei diesen drei Herkunftsländern eine noch differenziertere Diskussion geben muss als bei dem ersten Paket der jetzt sicheren Herkunftsstaaten, liegt schlicht und einfach in den Vorgaben, die es zur Definition von sicheren Herkunftsstaaten international gibt. Das ist in diesem Fall besonders schwierig. Das fällt im Übrigen nicht nur den GRÜNEN und der SPD besonders schwer, wenn ich das einmal so sagen darf, weil es genügend Leute gibt, die sich dazu äußern. Die Caritas, die Diakonie, alle sind dabei,

(André Trepoll CDU: Der Bürgermeister hat sich doch klar geäußert!)

sich eine Meinung zu bilden. Das sollten auch Sie, Herr Trepoll, tun. Auch Sie sollten sich differenziert damit auseinandersetzen und nicht mit diesem "die GRÜNEN wollen wieder …"

(Zuruf André Trepoll CDU)

Nein, das machen Sie nicht. Sie nutzen im Moment jeden Punkt, um mithilfe der AfD ein etwas größeres Thema zu setzen. Sie selbst hätten es doch hier anmelden können.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Zusammenfassend lässt sich schlicht und einfach sagen, dass ich sehr froh darüber bin, dass wir in den Ländern, in denen es Regierungskoalitionen gibt, eine derart differenzierte Diskussion über eine schwierige Entscheidung führen,

(Dennis Gladiator CDU: Welche Ergebnisse haben Sie denn?)

die sehr viele Auswirkungen auf die Menschen, die hier sind, haben wird und auf die Menschen, die

noch kommen werden und vor allem auf das Grundrecht auf Asyl.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Frau Schneider von der Fraktion DIE LINKE hat das Wort.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Auf die menschenverachtende und menschenrechtsfeindliche Rede der AfD gehe ich nicht ein. Ich finde, diese Rede war eine Schande für dieses Parlament.

(Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Die LINKE fordert den Senat auf, im Bundesrat mit Nein zu stimmen oder sich wenigstens zu enthalten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist nämlich mehr als problematisch. Ich möchte die für uns wichtigsten Gründe zusammenfassen. Erstens missachtet der Gesetzentwurf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. – Ich finde, Sie sollten schon zuhören, was das Bundesverfassungsgericht zu dem Thema gesagt hat. – Das Gericht hat in seinem Urteil vom 14. Mai 1996 zur Regelung sicherer Herkunftsländer festgestellt, dass dem Gesetzgeber mit dieser Regelung – ich zitiere – ein Ausschnitt aus der Artikel 16a Absatz 1 Grundgesetz geforderten umfassenden Prüfung übertragen wird. Wörtlich heißt es in diesem Urteil:

"Schafft der Gesetzgeber für eine solche Behandlung von Asylanträgen die Grundlage, so muss diese so beschaffen sein, dass sich die Zurückweisung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet einschließlich des Verlustes des vorläufigen Bleiberechts mit guten Gründen auf sie stützen kann. Das bedingt ein bestimmtes Maß an Sorgfalt bei der Erhebung und Aufbereitung von Tatsachen […]."

Ich weiß, dass Sie das vielleicht nicht interessiert, aber dann seien Sie doch wenigstens leise.

(Glocke)

(unterbrechend) : Da muss ich Frau Schneider recht geben. Meine Damen und Herren, bitte schenken Sie der Rednerin etwas mehr Gehör.

Dieses bestimmte Maß an Sorgfalt ist unseres Erachtens beim Gesetz zur Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsländer nicht annähernd gegeben. Ich nenne nur einige unbestreitbare Tatsachen: In Tunesien wurden laut Amnesty International im Dezember 2015 sechs Männer aufgrund ihrer Homosexualität zu drei Jahren Haft und fünf Jahren anschließender Verban

(Antje Möller)

nung aus ihrer Heimatstadt verurteilt. Um ihre Homosexualität zu beweisen, ich mag es gar nicht sagen, wurden sie zu einer Analuntersuchung gezwungen. In allen drei Ländern werden Schwule und Lesben strafrechtlich verfolgt und unterdrückt.

Weiter: Einschränkung der Pressefreiheit und Verfolgung kritischer Journalisten in allen drei Ländern. Nach dem Zeugnis der UN-Arbeitsgruppe zu willkürlicher Haft, grausame, unmenschliche und entwürdigende Behandlung von Gefangenen in Marokko. Folter und Misshandlung zur Erzwingung von Geständnissen von Gefangenen und Repressalien gegen ihre Angehörigen in Tunesien. Bedrohung von NGOs, unabhängigen Gewerkschaften, Anwälten und so weiter in Algerien. In Algerien als illegal bezeichnete politische Betätigung zieht Verfolgung nach sich. Beleidigung von staatlichen Institutionen und des Propheten ist hier strafbewehrt. Die Religionsfreiheit ist nur bedingt gegeben.

(Zuruf von Dr. Ludwig Flocken fraktionslos)

Vor dem Hintergrund dieser schweren Menschenrechtsverletzungen ist überdeutlich, dass sich in den angeblich sicheren Herkunftsländern existenzielle Bedrohungssituationen ergeben können, die den Schweregrad der flüchtlingsrechtlichen Verfolgung erreichen. So heißt es in einer Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte.

Ich will zweitens auf einen weiteren Gesichtspunkt zu sprechen kommen. Die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention garantieren jedem Menschen, der Schutz vor schweren Menschenrechtsverletzungen sucht, das Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren. Das zur Verabschiedung stehende Gesetz suggeriert, dass Menschen in Algerien, Marokko und Tunesien grundsätzlich vor solchen Menschenrechtsverletzungen sicher sind. Jeder Antrag auf Schutz muss individuell und unvoreingenommen geprüft werden. Ob ein Recht auf Schutz besteht, kann erst nach einem behördlichen und gerichtlichen Verfahren, das heißt, in einem gewissen Zeitraum, festgestellt werden. Das ist im Fall der sicheren Herkunftsländer nicht mehr gewährleistet.

(Dennis Gladiator CDU: Quatsch!)

So oft wurden in den vergangenen Monaten unsere Werte in den Mund genommen. Zu unseren Werten sollten die Achtung und Einhaltung internationalen, europäischen Rechts gehören, sollten die allgemeinen Grundsätze eines Rechtsstaates anerkannt und eingehalten werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei René Gögge GRÜNE und Nebahat Güçlü fraktionslos)

All das wäre, wenn das Gesetz beschlossen wird, ausgehebelt, die Rede von unseren Werten zur Phrase verkommen. Konkret kommt es auf die GRÜNEN an, hier in Hamburg und in anderen

Bundesländern, in denen Sie mitregieren. Es gibt zurzeit sehr viel Geraune über mögliche Deals. Wir fordern insbesondere die GRÜNEN auf, sich auf keinen Kuhhandel zulasten der Rechte von schutzsuchenden Menschen einzulassen und wenigstens eine Enthaltung durchzusetzen,

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

nicht nur in Hamburg, sondern in allen Bundesländern, in denen sie mitregieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Ich unterbreche die Sitzung und berufe auf Wunsch der AfD-Fraktion den Ältestenrat ein.

Unterbrechung: 15.28 Uhr

Wiederbeginn: 15.53 Uhr

Meine Damen und Herren! Wir haben uns im Ältestenrat über die laufende Debatte in der Aktuellen Stunde, die Wortwahl und unseren Ton und Umgang untereinander ausgetauscht und setzen jetzt die Aktuelle Stunde fort.

Das Wort hätte Herr Jarchow von der FDP-Fraktion und er nimmt es auch. Bitte. – Verzeihung, Herr Jarchow: Eine Viertelstunde verbleibt uns noch für die Aktuelle Stunde.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass es weitergeht.

(Gerhard Lein SPD: Wir alle!)

Vor dem Hintergrund, dass wir alle heute irgendwann nach Hause möchten, werde ich mich bemühen, keine weiteren Ältestenratssitzungen zu provozieren.

(Beifall bei der FDP und der SPD – Dr. An- dreas Dressel SPD: Sehr gut!)

Die Themenanmeldung zu dieser Aktuellen Stunde ist einmal mehr bemerkenswert, nicht weil sie von der AfD kommt, sondern weil wir gleichzeitig zu diesem Thema auch einen Antrag der LINKEN auf der Tagesordnung haben. Daraus ergibt sich aus meiner Sicht die Aktualität dieses Themas.

Ich muss sagen, liebe Frau Möller, ich fand es nicht in Ordnung, dass Sie uns allen, auch Herrn Trepoll, unterstellen, dass wir uns mit diesem Thema nicht differenziert auseinandergesetzt hätten.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD)

Ich finde, das sollten wir uns grundsätzlich nicht gegenseitig unterstellen. Wir setzen uns differenziert damit auseinander, was nicht bedeutet, dass

(Christiane Schneider)

wir alle immer zum selben Schluss kommen. Das sollte aber doch für uns alle akzeptabel sein.

Wir Freien Demokraten haben an vielen Stellen seit Monaten schon gefordert, dass wir dringend eine Beschleunigung der Asylverfahren brauchen. Genau darum geht es bei der Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer, über die der Bundesrat am morgigen Freitag zu entscheiden hat. Tatsache ist, wie zum Teil schon erwähnt wurde, dass die allermeisten Antragsteller aus diesen Ländern weder grundrechtliches Asyl noch den Status als Flüchtling oder subsidiären Schutz erhalten. Das belegen die Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Während die Gesamtschutzquote für Menschen aus diesen Ländern 2015 noch bei 2,1 Prozent lag, liegt sie im 1. Quartal dieses Jahres nur noch bei 0,7 Prozent. Diese Wenigen, die hier Schutz suchen, weil sie politisch verfolgt werden oder auch oder gerade wegen ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden, haben in Zukunft die Chance, einen Schutzstatus zu bekommen, und zwar in einem rechtsstaatlichen Verfahren. Die Einstufung als sichere Herkunftsländer ändert daran überhaupt nichts.