Protokoll der Sitzung vom 29.06.2016

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Drittens haben wir mit erheblichen Mitteln dafür gesorgt, dass alle Stadtteilschulen endlich Ganztagsschulen werden konnten. Und ich sage einmal sehr vorsichtig, auch in Richtung rechte Seite des Parlaments, dass nicht alle hier dies wollten. Wir haben es gemacht, und es war ein richtiger Schritt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Viertens haben wir durchgesetzt, dass an fast allen Stadtteilschulen das Abitur direkt angeboten wird, und zwar heute nicht mehr an 20 Stadtteilschulen, sondern an fast 50 Stadtteilschulen eine eigene Oberstufe existiert. Und wir haben mehr Unterricht und mehr Schulzeit durchgesetzt, auch Hauptschüler können jetzt zehn Jahre lang zur Schule gehen.

Zudem haben wir mit der Jugendberufsagentur und dem neuen Schulfach Berufs- und Studienorientierung dafür gesorgt, dass junge Menschen direkt von der Schule besser in den Beruf starten können. Für das alles haben wir sehr viel Geld zusammengekratzt, denn wir haben am Ende die Zahl der Pädagogen an der Stadtteilschule deutlich erhöht. Wir haben die Stadtteilschullehrerinnen und -lehrer endlich mit den Gymnasiallehrern gleichgestellt und ihnen mehr Zeit für Unterrichtsvorbereitung gegeben. Wir haben die Schulklassen verkleinert, wir haben für Ganztag und Inklusion viele Stellen bereitgestellt. Heute haben Stadtteilschulen rund 40 Prozent mehr Pädagogen als gleich große Gymnasien. Im Vergleich zu 2010 sind das 1 400 zusätzliche Stellen.

(Dora Heyenn)

Das alles hat dieser Senat gemacht, häufig gegen den Widerstand aus diesem Haus. Wir unterstützen die Stadtteilschulen, und wir haben entsprechend gehandelt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir diskutieren heute darüber, dass die Liebe vieler Eltern und Kinder zur Stadtteilschule oft, ich darf es so sagen, eine Liebe auf den zweiten Blick ist. 2010 wollten genau 44,0 Prozent der Schüler nach Klasse 4 auf eine Stadtteilschule. Nach einem kurzen Anstieg auf rund 46 Prozent sind wir heute wieder bei 44,0 Prozent angekommen. Erst in Klasse 7 dreht sich das um. Dann besuchen rund 53 Prozent die Stadtteilschule.

Wir reden also darüber, dass die Stadtteilschule nach sechs Jahren ihren Schüleranteil nicht vergrößern konnte. Wer mehr erwartet hat, vergisst vielleicht – und ich bin meiner Kollegin Barbara Duden für den Hinweis dankbar –, dass es überall in Deutschland einen Run auf das Gymnasium gibt. In Potsdam, in Köln-Bonn, in Frankfurt, Dresden und Nürnberg,

(André Trepoll CDU: Das haben Sie doch schon letztes Mal erzählt!)

dort ist die Zahl der Gymnasialschüler sogar noch höher, und es ist nicht redlich, eine Krise in Hamburg herbeizureden, nur weil Hamburgs Stadtteilschulen einen Bundestrend nicht besiegen können.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe eben viel Kritik der Opposition an meiner Person gehört. Das gehört dazu. Aber ich habe mich eigentlich darauf gefreut, von Ihnen einmal Vorschläge dazu zu hören, und das gilt insbesondere für die FDP, was denn jetzt geschehen soll. Und ich sage ehrlich, dass ich eine solche Debatte – vielleicht kommt die zweite Runde und macht das alles wieder gut – noch nicht gehört habe, denn hierzu war nichts, aber auch gar nichts zu hören.

(Dirk Kienscherf SPD: So sind sie!)

Wenn wir darüber reden, wie es weitergehen soll, gehört es auch dazu, dass alle Beteiligten einmal Vorschläge machen. Und ich will das gern tun.

Unsere Politik folgt fünf Leitlinien, und die in aller Kürze.

Erstens: Ja, ich sage klar, wir stehen zum Schulfrieden. Stadtteilschulen und Gymnasien sind beliebte und erfolgreiche Schulen. Alle Bundesländer sind auf dem Weg zu einem Zwei-Säulen-System, sieben haben es schon. Es funktioniert überall. Hamburg hat sich in zwei Volksentscheiden klar gegen die Schule für alle ausgesprochen. SPD, GRÜNE und CDU haben daraufhin öffentlich den Schulfrieden versprochen, und ich sage deshalb hier klipp und klar, auch wenn einzelne Schulleiter

und einzelne Verbände es fordern, ich schaffe die Gymnasien nicht ab. So lösen wir kein Problem. Der Senat steht fest zum Schulfrieden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens: Wir stehen auch zum Elternwahlrecht. Wir finden es richtig, dass Kinder und Eltern, die von der Schule doch am stärksten betroffen sind, selbst über ihren Schulweg entscheiden. Unser Elternwahlrecht ist zugleich ein wichtiger und auch unbequemer Antrieb, um die Qualität unbeliebter Schulen weiterzuentwickeln. Das ist unbequem, auch für mich. Aber es ist richtig. Deshalb gibt es in Hamburg keine Tricks beim Elternwahlrecht, keine Aufnahmeprüfung zum Gymnasium, keine heimliche Verknappung von Gymnasialplätzen wie in anderen Bundesländern. Hier muss auch niemand 20 Kilometer mit dem Schulbus zum nächsten Gymnasium fahren. Und dabei bleibt es, wir nehmen die Menschen ernst, wir bevormunden niemanden und wir stehen deshalb zum Elternwahlrecht.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Drittens: Wir setzen auf Qualitätsverbesserung. Einige Stadtteilschulen haben Probleme, andere funktionieren hervorragend. Nach den Strukturverbesserungen geht es jetzt darum, die Qualität der einzelnen Schulen weiter zu verbessern. Wir handeln. Dazu vier Beispiele.

Sieben Stadtteilschulen in benachteiligten Quartieren bekommen mehr Lehrer, ein Expertenteam untersucht die Schule und vereinbart mit allen Beteiligten Schritt für Schritt Verbesserungen. Oder um die Inklusion voranzubringen, besuchen Experten aus Schulen und Schulbehörde jede Stadtteilschule und reden mit den Lehrerinnen und Lehrern, wie es weiterentwickelt werden kann. Oder um den Mathematikunterricht zu verbessern, haben wir die Zahl der Mathematikstunden erhöht und dafür gesorgt, dass künftig nur Mathematikfachlehrer das Fach Mathematik unterrichten. Oder um eine gute Mischung von Gymnasial- und Sekundarlehrern zu erreichen, wird die Zahl der Gymnasiallehrkräfte an einzelnen Stadtteilschulen schrittweise erhöht. Diesen Weg müssen wir gehen. Es gibt viele weitere Beispiele.

Statt in pauschale Krisenstimmung zu verfallen, geht es um gezielte Qualitätsverbesserung an einzelnen Schulen. Das machen wir, und ich lade ein, darüber zu diskutieren, was wir sonst dazu noch beitragen können.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt kommt der unbequeme, aber kurze Teil meiner Rede. Wenn wir den bundesweiten Trend zum Gymnasium stoppen wollen, dann müssen wir auch über einige Unbequemlichkeiten reden. Warum wählen Kinder und Eltern das Gymnasi

(Senator Ties Rabe)

um? Ich glaube, die wenigsten wählen das Gymnasium, weil sie dort besondere reformpädagogische Ansätze erwarten. Sie erwarten häufig einen guten und hochwertigen Fachunterricht, Fachunterricht in klassischen Unterrichtsfächern, Leistungsanspruch und Konzentration, auch Anstrengung, Hausaufgaben und Klausuren. Die Förderung von begabten und leistungsstarken Kindern zählt dazu, ein hohes Bildungsniveau auf jeden Fall. Das ist das Standbein des Gymnasiums, das ist das Standbein jeder Schule.

Das kann die Stadtteilschule auch. Sie kann sogar noch mehr. Dank längerer Lernzeit ermöglicht sie anspruchsvolle Lernformen, soziales Lernen und umfassende Pädagogik. Das ist ihr Spielbein. Will die Stadtteilschule den Trend zum Gymnasium stoppen, dann muss sie auch deutlich machen, dass derjenige, der hochwertigen Fachunterricht, Leistungsanspruch, Begabungsförderung und erstklassige Bildung will, bei ihr genau richtig ist. Wer diese Aufgabe ernst nimmt, verliert keine Schüler an die Gymnasien. Wer nur auf das Spielbein setzt und das Standbein vernachlässigt, kippt um. Wir führen beides zusammen. Viele erfolgreiche Stadtteilschulen zeigen, wie gut das funktionieren kann, und sie werden belohnt mit hohen Anmeldequoten. Wir wollen daran arbeiten, nach diesem Beispiel die Stadtteilschulen weiterzuentwickeln.

Damit komme ich zum Schluss. In der Tat wollen wir hochwertige Bildung an Stadtteilschulen. AfD und, vermutlich, nachher FDP – jedenfalls habe ich das den Pressemitteilungen entnommen – wollen die Stadtteilschulen zu Haupt- und Realschulen machen und das Abitur einseitig dem Gymnasium zuweisen. Wir sagen sehr klar, nicht mit uns.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Mit Tausenden erfolgreichen Abiturienten haben unsere Stadtteilschulen gezeigt, was sie können. Wir sagen, gute und anspruchsvolle Bildung ist kein Privileg der Gymnasien. Alle Schülerinnen und Schüler haben einen Anspruch auf gute Bildung. Deshalb gehört das Abitur fest zur Stadtteilschule, deshalb gehört gute Bildung fest zur Stadtteilschule, und in diesem Sinne stehen wir fest zur Hamburger Stadtteilschule. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Senator, ich weise darauf hin, dass Sie mehr als das Doppelte der Redezeit in Anspruch genommen haben, die den Abgeordneten in der Aktuellen Stunde zur Verfügung steht.

(Dirk Kienscherf SPD: Es war nicht langwei- lig!)

Das Wort bekommt jetzt Frau von Treuenfels-Frowein von der FDP-Fraktion.

(Dirk Kienscherf SPD: Jetzt sind wir ge- spannt auf die Vorschläge!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben sie wieder gehabt, die Märchenstunde. Vielen Dank. Ich hätte es eigentlich auch schon alles erzählen können. Die Stadtteilschulen funktionieren super. Bevor ich die Debatte beginne, sollte ich eigentlich sagen – was war das noch? –, wir sind stolz auf unsere Stadtteilschulen. Ja, das sind wir. Natürlich können wir das sein. Jetzt müssen wir auch alle klatschen, denn ich habe es gesagt.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind aber nicht stolz auf diesen Senat.

(Dr. Monika Schaal SPD: Unverschämtheit!)

Denn die Stadtteilschulleiter, 51 davon, haben sich öffentlich beschwert. Es ist, man kann es so nennen, ein Misstrauensvotum. Und es ist völlig widersinnig, dass Sie darauf mit keinem einzigen Wort eingehen, sondern stattdessen ein Sorglospaket verbreiten.

(Beifall bei der FDP, der CDU und bei Nor- bert Hackbusch DIE LINKE)

Frau Boeddinghaus, es ist nicht so, dass wir uns zu diesem Thema nicht äußern dürfen. Auch CDU und FDP möchten zu Stadtteilschulen etwas sagen. Denn auch wir stehen zu den Stadtteilschulen, selbst wenn das niemand glauben möchte. Keiner von uns möchte, dass dort das Abitur abgeschafft wird.

Der Senator reagiert immer auf die gleiche Art. Er unterstellt den Leuten irgendeine Argumentation, wie zum Beispiel in dem Zitat aus dem Artikel aus der "Welt am Sonntag", den Sie, Frau Boeddinghaus ebenfalls zitiert haben, und darauf baut er dann fröhlichst eine Argumentation auf. Demnächst sagt er, die FDP wolle die Einheitsschule und agiere deswegen in dieser oder jener Weise. Dann müssen wir antworten, dass wir dies nie gesagt haben. So machen Sie das. Sie sagen, wir hätten dies oder jenes gesagt, und bauen darauf eine völlig fahrige Argumentation auf, und wir müssen es dann richtigstellen. Deswegen sage ich Ihnen hier und heute, Sie sind mit keinem einzigen Satz auf das eingegangen, was 51 Stadtteilschulleiter Ihnen gesagt haben.

Wenn Sie der Ansicht sind, dass die Opposition immer nur unrecht hat, keine eigenen Vorschläge macht und Grund der Misere ist, die im Grunde gar keine sei, denn wir hätten gar kein Problem,

(Farid Müller GRÜNE: Was ist Ihr Vor- schlag? Dann schlagen Sie einmal etwas vor!)

(Senator Ties Rabe)

dann gehen Sie doch jedenfalls einmal auf das ein, was Ihnen diese Schulleiter sagen. Sie haben ein Positionspapier vorgelegt, das wir alle gesehen haben, und es geht hier nicht nur darum, was sie hier vorschlagen. Wir haben schon so viele Anträge eingebracht, die meisten schaffen nicht einmal den Weg in den Schulausschuss.

(Dirk Kienscherf SPD: Woran liegt das wohl?)