Protokoll der Sitzung vom 29.06.2016

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Dr. Wolf von der AfD-Fraktion bekommt das Wort.

Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kollegen! Als Vater und ehemaliger Elternvertreter weiß ich, dass weder die Eltern noch die Kinder, aber auch nicht die Lehrer wollen, dass neue Experimente auf ihrem Rücken ausgetragen werden. Und der Schulfrieden ist vor dem Hintergrund der ständigen Kaputtreformiererei ein Wert an sich. Aber der Schulfrieden ist mehr als in Gefahr. Er ist im Grunde genommen bereits aufgekündigt. Symptomatisch ist dabei das Aufbegehren der Leiter der Stadtteilschulen, die nun die Einheitsschule propagieren und damit den Schulsenator desavouieren. Der Hilferuf der Rektoren zerfällt dabei in Analyse und Therapievorschlag. An der Analyse ist einiges dran. Und es ist eine Ohrfeige für die rot-grüne ebenso wie für die vorangegangene schwarz-grüne Schulpolitik.

Funktionierende Realschulen wie Hauptschulen wurden von Schwarz-Grün abgeschafft, die dort gut aufgehobenen Schüler mit ohnehin schon hoher Quote an Migrationshintergrund sollen nun auch noch mit Flüchtlingen und Förderschülern in einer Klasse sitzen. Dass das die Lehrer und Schüler überfordert, ist klar. Aber das wollen Sie aus ideologischen Gründen nicht sehen.

Dass die Eltern dieser Kinder darauf so reagieren, wie sie reagieren, nämlich diese an den Gymnasien anzumelden, ist ebenso klar wie verständlich. Dass den Schulleitern dazu nun nur einfällt, wenn es schon nicht klappt, dann eben für alle, folgt dem klassisch linken Grundsatz, Sozialismus ist, wenn es allen gleich schlecht geht.

(Beifall bei der AfD)

Das System Stadtteilschule wurde überhastet nach der Niederlage bei der Primarschule politisch durchgezogen. Aus kleinen, differenziert auf die Schülerschaft des Einzugsgebiets ausgerichteten traditionsreichen Schulen, die oft auch schon die Eltern und Großeltern besucht hatten, wurden häufig Mammutsysteme. Die Folgen: Der Verwaltungsaufwand ist extrem, Schulgebäude stehen teils leer, andere Schulen brauchen riesige Mengen an Containern, es gibt keine klaren Leistungsvorgaben und Lehrpläne. So fragwürdig begann es mit der Hamburger Gesamtschule.

Dann die Inklusion. Praktisch alle Schüler mit SopäFöBed, mit sonderpädagogischem Förderbedarf, kommen an die Stadtteilschule. Nur wenige, zum Beispiel Rollstuhlfahrer mit nur einer körperlichen Behinderung, gehen ans Gymnasium.

Um einmal plastisch zu zeigen, wie sich das für einen Lehrer an der Stadtteilschule auswirken kann: Er hat in einer Klasse zehn frühere Hauptschüler, fünf frühere Realschüler, ein paar Schüler, die für die gymnasiale Oberstufe geeignet sind, und vier SopäFöBed-Schüler, Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. In folgender Bandbreite: Da ist zum Beispiel ein EmoSoz, der leider aus ungeklärter Ursache regelmäßig ausrastet und mit Stühlen wirft, einer mit Lernproblemen, der für eine Rechenaufgabe im einstelligen Zahlenraum Finger und Klötzchen benötigt, einer mit körperlichmotorischen Problemen, der gern das Heft aus der Tasche holen und etwas schreiben möchte, diese Bewegungsabläufe aber ohne fremde Hilfe nicht koordinieren kann, und dann kann noch einer mit Autismus dazukommen, der in sich zurückgezogen ist – wobei für den Lehrer unklar ist, ob in ihm wirklich etwas passiert –, der allerdings teilweise zu unvorhersehbarem Handeln neigt.

Im Raum hält sich neben dem Lehrer noch eine Kraft ohne pädagogische Qualifikation auf als stundenweise Betreuung für EmoSoz, daneben stundenweise Sonderpädagogen und Sozialarbeiter. Die Krankheitsquote der Lehrer ist extrem, da die Belastungen kaum zu ertragen sind.

Und was bedeutet das für die Leistungen und die Schüler? Die Hauptschüler, die bei enger, disziplinierter Führung sehr wohl auf ein hohes Niveau gebracht werden können, sind überfordert, schalten ab und randalieren. Die Realschüler müssen den Hauptschülern ständig helfen, damit wenigstens etwas gelernt wird. Das wird euphemistisch Gruppenarbeit oder integratives Lernen genannt. Diejenigen, die auf die Oberschule wollen, scheitern häufig, weil sie keine Grundlagen haben, und die SopäFöBed-Schüler sind unglücklich, weil sie die Außenseiter sind.

Das sind die Erfolge ideologisch geprägter Schulpolitik, die unter dem Schlagwort Vielfalt alles in

(Sabine Boeddinghaus)

einen Topf wirft. Dazu kommt dann noch die Eingliederung von unkontrollierter Zuwanderung, die auch fast ausschließlich in die Stadtteilschulen erfolgt. Deutsche Eltern wie auch die Eltern von früher zugewanderten Migranten versuchen mit allen Mitteln, ihre Kinder aufs Gymnasium zu bringen, da insbesondere die früheren Einwanderer wissen, welche Personenkreise häufig gekommen sind. Davor sind sie schon einmal weggezogen.

Sehr geehrter Herr Rabe, ich nehme Ihnen Ihr persönliches Engagement in der Sache ab, aber Sie tragen die politische Verantwortung. Es gibt noch eine Chance zur Umkehr, wir brauchen wieder homogenere Klassen. Wer die Stadtteilschulen stärken will, muss die Gymnasien stärken, muss die Förderschulen stärken und muss den Migrantenzustrom stoppen und nicht fördern. Wer das alles nicht will,

(Glocke)

kann nicht erwarten, dass die Stadtteilschulen von den Eltern angenommen werden. Die Verantwortung für diese Misere tragen Schwarz, Rot und Grün.

(Beifall bei der AfD – Zuruf: Und Gelb!)

Das Wort bekommt die fraktionslose Abgeordnete Frau Heyenn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Worüber wir heute diskutieren, das ist schon gesagt worden, ist nicht neu, aber es ist ernst und es wird leider immer ernster. Das zeigt ein Blick ins Protokoll der öffentlichen Sitzung der Enquete-Kommission "Konsequenzen der neuen PISA-Studie für Hamburgs Schulentwicklung" vom 13. Januar 2007. Ich nehme an, Gerhard Lein erinnert sich noch, weil er dort Mitglied war.

Eine Abgeordnete ist damals den Empfehlungen der Enquete-Kommission nicht gefolgt, Christa Goetsch. Und in ihrer Stellungnahme skizzierte sie, dass die zwei Säulen in die Sackgasse führen werden. Das Hauptübel sah sie in dem Sortieren nach der vierten Klasse, das immer wieder zu Fehlentscheidungen führt. Als weitere Schwäche des Zwei-Säulen-Modells benannte sie das Abschulen. Konsequenterweise ist sie dann als Schulsenatorin für die Beendigung isolierter Einrichtungen von Hauptschulklassen, für die Primarschule, für die Abschaffung der Klassenwiederholung aufgrund von Zeugniskonferenzen eingetreten, und das Abschulen nach der siebten Klasse sollte nicht mehr stattfinden.

Professor Lehberger, der ebenfalls in dieser Kommission war, warf die Frage auf, ob es – ich zitiere –:

"die Gefahr für die Stadtteilschule gäbe, zur Minderheitenschule zu werden."

Zitatende.

Sollte das eintreten, so formulierte er, wäre das in der Tat ein Scheitern des Modells.

Und weiter sagt er, dass die Stadtteilschule vielmehr ein attraktives Angebot bieten und über die Stadt verteilt 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler in sich aufnehmen müsse, dann werde sie es schaffen. So Professor Lehberger. Fasst man das alles zusammen, bleibt nur festzustellen, dass das Zwei-Säulen-System gescheitert ist.

Das erklären auch 51 Schulleiterinnen und Schulleiter, sie kritisieren den Schulfrieden. Und auch in der heutigen Diskussion habe ich immer wieder von Schulfrieden gehört. Ich frage mich, wovon Sie eigentlich reden. Sie reden von einem Phantom. Ich habe mir die Erklärung von CDU, SPD und GAL vom 23. Februar 2010 noch einmal angesehen. Die Vereinbarung ist unter der Annahme geschlossen worden, dass die sechsjährige Primarschule in Hamburg verbindlich eingeführt wird. Das ist sie aber nicht. Somit ist es überhaupt nicht zu diesem merkwürdigen Konstrukt Schulfrieden gekommen. Ich soll Ihnen allen einen schönen Gruß von Christa Goetsch bestellen, sie sieht das ganz genauso.

Im Übrigen hat es seit 2010 mehrere Schulgesetzänderungen gegeben, zum Beispiel das Recht auf Halbtagsbeschulung und die Abschulung von Klasse 10 Gymnasium in die Stadtteilschulklasse 11. Wenn das keine Strukturfragen sind, dann heiße ich Oskar.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Oskar! Das ist doch mal etwas!)

Die 51 Stadtteilschulleiterinnen und -schulleiter stellten im Rückblick auf die letzten neun Jahre fest – ich zitiere –:

"Einem immer kleiner werdenden Teil der Hamburger Schülerinnen und Schüler, denjenigen, die sich selbst schon sehr anstrengen müssen, um ihre Bildungsnachteile aufholen zu können, werden die größten Herausforderungen unserer Zeit aufgebürdet. Diese 42 Prozent der Hamburger Schülerinnen und Schüler sollten mit ihren Eltern und Lehrern für den Zusammenhalt in unserem Tor zur Welt, unserer Stadt Hamburg, sorgen. Das kann nicht gelingen."

Zitatende.

Die hohe soziale Selektivität unseres Schulsystems ist durch das Zwei-Säulen-Modell noch höher geworden. Die Forderung nach der einen Schule für alle Schülerinnen und Schüler, das ist der Appell an SPD und GRÜNE, endlich für mehr soziale Gerechtigkeit in der Schulbildung zu sorgen. Ein

(Dr. Alexander Wolf)

"Weiter so!", wie wir es von Herrn Senator Rabe und insgesamt von Rot-Grün gehört haben, darf es nicht geben.

(Farid Müller GRÜNE: Geht das auch ein bisschen konkreter?)

Richtig ist, dass es ein gerechteres Schulsystem nicht auf Knopfdruck gibt. Was dringend eingeleitet werden muss, ist ein Transformationsprozess, der allen Kindern und Jugendlichen, unabhängig von ihrem Elternhaus, den Zugang zu Bildung barrierefrei öffnet. Und dafür gibt es inzwischen viele Vorschläge, auch sehr einfache, zum Beispiel die völlige Abschaffung von Schulformen und Schullaufbahnempfehlungen nach der vierten Klasse. Die Eltern haben ohnehin die Wahlfreiheit, und sie werden sie hoffentlich auch behalten.

Überdies könnte man gemeinsame Oberstufen von Stadtteilschulen und Gymnasien einrichten. Das habe ich hier schon einmal gesagt, und dort, wo es bereits geschieht – und es geschieht in dieser Stadt bereits an einigen Orten –, hat man gute Erfahrungen im oben genannten Sinne gemacht.

51 Schulleiterinnen und Schulleiter haben einen Weckruf in die Stadt geschickt. Ich frage mich, was muss eigentlich noch passieren?

(Beifall bei Anna-Elisabeth von Treuenfels- Frowein FDP und Nebahat Güçlü fraktions- los)

Herr Senator Rabe bekommt das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im vergangenen Sommer wurde die Stadtteilschule fünf Jahre alt. Sie haben eben aufseiten der Opposition eine Evaluation angesprochen und nach Fakten verlangt. Ich hätte es mir gut vorstellen können, dass in Ihren Reden nach diesen fünf Jahren auch einmal Fakten genannt werden über die Stadtteilschule. Ich will das gern nachholen.

Erstens: Die Stadtteilschulen haben es geschafft, dass 50 Prozent mehr Schülerinnen und Schüler direkt nach der zehnten Klasse einen Ausbildungsplatz bekommen.

Zweitens: Die Stadtteilschulen haben es geschafft, die Zahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher um ein Viertel zu verringern.

Drittens: Die Stadtteilschulen haben es geschafft, 1 200 Schülerinnen und Schüler, die früher Sonderschulen besuchten, zu integrieren und gut zu unterrichten.

Viertens: Die Stadtteilschulen haben es auch geschafft, in der Tat, vielen zu uns geflüchteten Kindern und Jugendlichen neue Chancen zu eröffnen.

Fünftens: Die Stadtteilschulen haben es geschafft, dass deutlich mehr Schülerinnen und Schüler gute Schulabschlüsse erreichen. Beispielsweise haben sie rund doppelt so viele Schülerinnen und Schüler wie noch vor fünf Jahren zum Abitur geführt.

Wir alle sollten diese beeindruckenden Leistungen einer gerade gegründeten Schulform, die nicht 200 oder 100 Jahre alt ist wie die beiden anderen Schulformen, zu Beginn jeder Diskussion ernsthaft würdigen und sagen, Hamburgs Stadtteilschulen sind gute Schulen, Hamburg braucht Stadtteilschulen und kann auf seine Stadtteilschulen stolz sein.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben sich gefragt, was in den fünf Jahren meiner Regierungszeit getan worden ist. Ich will Ihnen das gern sagen. Erstens haben wir acht neue Stadtteilschulen gegründet, um das regionale Angebot deutlich zu verbessern, in Hamburg-Uhlenhorst, in Rissen, in Meiendorf, in Horn, in Jenfeld, auf der Veddel, in Harburg und in Steilshoop. Wir haben zweitens 700 Millionen Euro in ein gewaltiges Schulbauprogramm nur für die Stadtteilschulen investiert, die Hälfte aller Stadtteilschulen wird entweder komplett neu gebaut oder komplett saniert.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)