Protokoll der Sitzung vom 08.09.2016

Vielen Dank, Herr Kruse. – Jetzt kommt der andere Herr Kruse, Herr Professor Dr. Kruse von der AfD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe an dieser Stelle schon mehrmals zu Anträgen der LINKEN, TTIP und/oder CETA abzulehnen, gesprochen, gefühlt jede zweite oder dritte Bürgerschaftssitzung. Sorry, ich übertreibe vielleicht ein kleines bisschen.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Sie waren ja nicht so oft da!)

Jedes Mal habe ich über die Vorteile des Freihandels für die Bürger gesprochen und den Verdacht geäußert – und ich glaube, es ist ein bisschen mehr als ein Verdacht –, DIE LINKE würde das aus ideologischer Ablehnung von Marktwirtschaft insgesamt, von Globalisierung sowieso, ignorieren und aus linkspopulistischen Motiven ablehnen.

(Beifall bei der AfD)

Auch Herr Dolzer hat immer alle Gelegenheiten genutzt – er ist nämlich der typische Redner bei diesem Thema und wir treffen uns hierbei jedes Mal wieder –, all seine antikapitalistischen Vorurtei

(Michael Kruse)

le und all seinen Antiamerikanismus zum Ausdruck zu bringen. Das kann man natürlich hier sehr gut, weil es um CETA und TTIP geht, aber es ist einfach in der Sache komplett daneben.

Allerdings, und jetzt will ich Ihnen doch einmal ein Stück entgegenkommen, Herr Dolzer,

(Cansu Özdemir DIE LINKE: Lieber nicht!)

zumindest was TTIP betrifft, ist meine Begeisterung, der LINKEN entgegenzutreten und für TTIP eine Bresche zu schlagen, ein wenig gesunken. Das muss ich einfach deutlich sagen, wenn ich mir ansehe, was so passiert ist in der letzten Zeit. Es lässt sich nämlich nicht leugnen, dass die Geheimniskrämerei der EU-Bürokraten, was die Inhalte betrifft, unerträglich, undemokratisch und arrogant war und ist. Das ist der Grund, weshalb ich das, was Sie gesagt haben, nicht in Bausch und Bogen ablehne, aber ich will das noch ein kleines bisschen differenzieren.

Das Verhalten der EU-Kommission und namentlich das von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jüngst bei CETA – interessanterweise ungefähr zeitgleich mit der Brexit-Entscheidung, die ich, wie Sie wissen, katastrophal finde für Deutschland und für Hamburg, aber auch für Großbritannien – ist wieder einmal der Versuch, das so an den Bürgern vorbei, an den Parlamenten vorbei durchzuziehen. Das ist, Gott sei Dank, gescheitert. Aber jedenfalls haben wir wieder einmal gesehen, was die Intention der übermächtigen EU-Bürokratie war, nämlich das durchzuziehen. Weil nun aber leider der Brexit gerade in die Quere gekommen ist, hat das jetzt nicht geklappt. Aber immerhin sind wir da zu einem positiven Ergebnis gekommen. Ich sage dazu gleich noch etwas.

Ich bin weiterhin der Auffassung, dass Freihandel über Ländergrenzen hinweg etwas durchaus Positives ist für alle Menschen in allen Ländern, die es betrifft. Er schafft grundsätzlich Wohlstand für alle. Und ganz besonders Deutschland ist immer ein Nutznießer aller Maßnahmen gewesen, die den Freihandel stärken, die Handelsbarrieren abbauen, die Zölle abbauen und die nichttarifäre Handelshemmnisse abbauen. Wir haben einen langen Prozess im GATT gehabt, wo das erfolgt ist in vielen einzelnen Schritten. Am einfachsten war es noch bei den Zöllen selbst; bei nichttarifären Handelshemmnissen sind da sehr viele Details zu beachten. Aber im Ergebnis sind wir da vorangekommen und Deutschland hat erheblich profitiert. Das muss man einfach sehen dabei. Insbesondere eine Stadt wie Hamburg, vom Handel abhängig, profitiert sehr davon. Insofern sollte man in Hamburg wirklich sehr vorsichtig sein, wenn man auf diesem Podium etwas sagt über Maßnahmen, die den Handel einschränken, oder einer Nichtliberalisierung des Handels das Wort redet.

(Beifall bei der AfD)

Das beste Beispiel für Freihandel, und da bringe ich jetzt einmal ein Beispiel, bei dem gelegentlich die AfD unter einem falschen Verdacht steht, ist der europäische Binnenmarkt, ebenfalls quasi ein Freihandelsabkommen zwischen den jeweils betroffenen Ländern, der in seiner positiven Wirkung kaum hoch genug einzuschätzen ist und, das sage ich mit allem Bedacht, das weitaus Beste an der gesamten EU ist. Auch das ist für uns alle Wohlstand schaffend gewesen. Die Wirkungen sind weiterhin da.

Auch auf dem Wege zum europäischen Binnenmarkt mussten zahlreiche länderspezifische Regulierungen, die als nichttarifäre Handelshemmnisse wirken oder wirken können, angepasst, das heißt harmonisiert werden. Das war ebenfalls ein sehr langer, zäher Verhandlungsprozess, in dem einzelne Länder und einzelne Unternehmen ihre marktdominanten Positionen zugunsten von mehr Wettbewerb aufgeben mussten und, ja, auch einzelne Regulierungen aufgeben oder vermindern mussten. Das ist etwas, was bei Harmonisierung von Regeln unvermeidlich ist. Wir haben das geschafft im europäischen Binnenmarkt, nicht ganz, aber sehr weitgehend, und es ist eindeutig positiv.

Jetzt stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten die gleichen Argumente, die Sie jetzt gegen CETA und TTIP bringen, gegen den europäischen Binnenmarkt angeführt. Stellen Sie sich einmal vor, was Sie damit angerichtet hätten. Auch das kann man sich zumindest einmal so theoretisch vorstellen. Ich mag es mir gar nicht richtig vorstellen. Aber im Grundsatz sind es die gleichen Argumente, die dort gegolten haben und die heute auch wieder gelten. Sie mögen das vielleicht in diesem Fall für etwas polemisch halten, Herr Dolzer, ich würde es Ihnen gar nicht einmal übelnehmen, aber in der Sache ist es eben genau der gleiche Tatbestand und genauso richtig.

Inhaltlich, ökonomisch gilt das auch für das CETAAbkommen mit Kanada. Ich will jetzt einmal differenzieren zwischen den beiden Dingen, Sie haben das leider in einem Antrag verpackt. Auch das ist ein wohlstandsfördernder Freihandelsvertrag. Die meisten Befürchtungen, die Sie äußern, kann ich zwar nicht in jedem Fall mit Sicherheit zu 100 Prozent für irrelevant erklären, denn das Problem bei nichttarifären Handelsbarrieren ist gerade, dass es um unheimlich viele Details geht. Da kann ich jetzt nicht sagen, es wird nie auch nur ein Problem geben können. Aber in der Regel wird es das eben nicht geben. In der Regel sind das wohlstandsfördernde Maßnahmen. Und hier bin ich Herrn Schmidt ausgesprochen dankbar, der eine Reihe solcher Dinge richtigerweise angeführt hat. Ich würde mich dem voll anschließen, was Sie gesagt haben. Das muss ich auch nicht wiederholen, aber jedenfalls war der Kern auch hier die Aussage, was DIE LINKE gemacht habe, sei in der Regel unzutreffend.

Bei CETA, und das ist der Unterschied zwischen TTIP und CETA, liegt der Vertrag ausverhandelt vor, und er soll jetzt von den Parlamenten aller Länder ratifiziert werden. Ich selbst würde mir wünschen, dass er tatsächlich ratifiziert wird, auch wenn ich nicht für jede einzelne Maßnahme meine Hand ins Feuer legen könnte, aber ich bin skeptisch, ob es passiert. Ob CETA die Ratifizierungsprozesse überlebt, wird man sehen müssen. Aber ich würde mir jedenfalls speziell für Deutschland und für Hamburg wünschen, dass es passiert.

Bei TTIP habe ich ein wenig eine andere Meinung, und zwar deshalb, weil es noch nicht ausverhandelt vorliegt, weil die Argumente, die ich gebracht habe bezüglich Geheimniskrämerei, undemokratischer Vorgehensweise und so weiter, in vollem Umfang zutreffen. An dieser Stelle würde ich der LINKEN sogar gern zustimmen wollen. Da kann man eben noch etwas machen.

Ich will noch einmal auf Herrn Gabriel eingehen. Zunächst einmal muss ich in der Sache die Argumente, die auch Herr Kruse von der FDP vorgebracht hat, nicht wiederholen. Ich teile sie in vollem Umfang. Aber bei TTIP ist es so, Herr Gabriel hat mit all seinen populistischen – na, wie er halt so ist, sage ich einmal – Gründen kalte Füße bekommen. Das ist zunächst einmal nicht sehr positiv. Man kann aber auch darin, und das will ich jetzt einmal tun, durchaus etwas Positives sehen, wenn er nämlich der Auffassung sein sollte, dass er mit der neuen Administration von Clinton vielleicht bessere Verträge verhandeln kann als mit der alten von Obama. Das mag dann seinen Sinn haben. Ob das so sein wird, steht in den Sternen, aber ich will einmal im Sinne unseres Bundesfinanzministers etwas Positives annehmen. Auf jeden Fall macht es auch von daher Sinn zu sagen, bei TTIP müssen wir noch einmal genauer hinschauen. Deshalb sagen wir jetzt nicht Ja und geben Ihnen einen Freibrief, sondern wir wollen doch einmal schauen, was dann im Einzelnen noch verbessert werden kann.

Was die Petita des LINKEN-Antrags betrifft, kann ich dem ersten leicht zustimmen, weil er im Wesentlichen Informationsabfrage ist. Zum zweiten und dritten Punkt: Bei CETA hatten Sie schon gesehen, dass ich der Auffassung bin, das ist eigentlich eine gute Sache, TTIP jedoch nicht ganz so. Wenn Sie mich persönlich fragen würden,

(Arno Münster SPD: Nein, nein, bloß nicht!)

würde ich den LINKEN-Antrag ablehnen, aber insgesamt haben wir uns entschieden, dass wir uns bei diesem Antrag enthalten werden.

(Beifall bei der AfD – Milan Pein SPD: Das gibt es doch nicht!)

Dann hat als Nächster Herr Dr. Flocken, fraktionslos, das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Einige der Vorredner haben immer wieder darauf hingewiesen, dass das Ganze so kompliziert sei, dass man es alles gar nicht verstehen könne. Und trotzdem sind sie dann zu einer Auffassung gekommen, natürlich nicht alle.

Ich möchte jetzt auf einen Zusammenhang hinweisen, den jeder verstehen kann. Am 25. Juni 2015 hat der CDU-Wirtschaftsrat hier in Hamburg eine Podiumsdiskussion veranstaltet unter dem Titel "TTIP – Chancen für den Handelsplatz Hamburg". Dort wies der Geschäftsführer der American Chamber of Commerce in Germany auf Folgendes hin: Die Gesamtwirtschaftsleistungen in Nordamerika zusammengenommen mit der EU entsprechen in etwa denen der BRICS-Staaten, wobei der Anteil des Westens sinkt und der Asiens wächst, insbesondere im Bereich der Innovationen. Deshalb kommt jetzt bei ihm Torschlusspanik auf und er sagt, wenn wir, also Nordamerika und Europa, uns jetzt zusammenschließen würden, dann könnten wir weltweit die Standards setzen und die Asiaten dominieren. Wenn wir diese Gelegenheit verstreichen lassen, verlieren wir den Kampf gegen den Asiaten. In solch konfrontativer Art wird TTIP also von amerikanischer Seite begründet. Einige von Ihnen waren dabei, Herr Professor Kruse, Frau Oelschläger. Wer sich nicht erinnern kann, der kann auch ähnliche Sprüche nachlesen in Heft 3 der Zeitschrift "Commentary on International Security and Governance" vom Mai 2015, also einen Monat vorher, da heißt das Kapitel 4: "TTIP as a strategic project". Wer also für TTIP stimmt, der riskiert, dass Deutschland eingewickelt wird in einen amerikanischen Konfrontationskurs vor allem gegen Russland und China im Sinne einer amerikanischen Hegemonie. Und das ist kein dumpfer Antiamerikanismus.

(Milan Pein SPD: Nein! Nein! – Michael Westenberger CDU: Das ist Schwachsinn!)

Wer gegen TTIP und CETA stimmt, der gibt ein Signal an die USA, dass wir einen freundschaftlichen Wettbewerb wollen mit den BRICS-Staaten, natürlich mit allen Staaten der Welt, aber insbesondere mit den BRICS-Staaten Russland, China, Indien und Brasilien. – Vielen Dank.

Als Nächster hat sich Herr Jersch von der Fraktion DIE LINKE gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! CETA ist eindeutig ein richtig gutes Abkommen. Für Sprachwissenschaftlerin

(Dr. Jörn Kruse)

nen und Sprachwissenschaftler würde ich an dieser Stelle sagen, wenn ich die Argumentation des Kollegen Schmidt und manch anderes Kollegen oder Kollegin hier im Hause höre, dann ist es so, dass es einfach unbestimmt, unklar, vage und jeder Deutung offen ist.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Ludwig Flocken fraktionslos)

Das Faszinierende daran ist, dass es der SPD trotz ihres Anspruchs die Möglichkeit eröffnet, einem Abkommen zuzustimmen, das spätestens vor nicht normalen Gerichtshöfen dieser Staaten ausgefochten werden wird, und zwar bei vielen Fragen. Der Kollege Kruse spricht vom Vertrauen zwischen den Staaten.

(Michael Kruse FDP: Welcher?)

Michael Kruse. Lieber Kollege Kruse, Herr Schmidt hat gesagt, private Schutzgerichte würden mit CETA überwunden. Klar, aber die normale staatliche Rechtsprechung wird auch überwunden mit CETA. Warum reichen unsere Gerichtshöfe eigentlich nicht aus?

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos – Michael Kruse FDP: Machen Sie einmal etwas dafür, dass das System überwunden wird!)

Wir brauchen Vertrauen und wir leben in Rechtsstaaten. Ich denke, das ist mehr als richtig, das wird keiner bezweifeln. Lieber Kollege Kruse, der Deutsche Ärztetag hat sich erst im Mai 2016 zum Beispiel gegen TTIP ausgesprochen, weil er hier Risiken für das deutsche Gesundheitswesen befürchtet. So viel zu Ihrem Fortschritt für die Gesundheit.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos – Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Davon will er nichts wissen!)

Davon will die FDP insbesondere nichts wissen, genau.

Die Erfahrungen aus NAFTA, das ist das große Vorgängerabkommen, haben gezeigt, dass in Kanada Arbeitsstandards gesenkt wurden, Arbeitsplätze verlagert worden sind. Man kann lange über die Pros und Kontras diskutieren, welchen Einfluss die Wirtschaftskrise 2008/2009 hatte, aber angesichts der Unklarheiten der Formulierungen, die wir in diesem Abkommen haben, ist die Gefahr, die hier von uns aufgezeigt wird und von den vielen Menschen draußen auf der Straße, eine sehr reale Gefahr für diese Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Für mich, der ich auch im Umweltausschuss sitze, ist es besonders verheerend, dass Nahrungsmittel und Umweltstandards hier zur Disposition stehen und man das in der Praxis durchaus sehen kann.

Kanada ist bisher 37-mal verklagt worden im Rahmen von NAFTA. Kanada hat im Moment Klagen in Höhe von mehr als 1,5 Milliarden Euro ausstehen. Und da geht es sehr konkret um Umweltschutzstandards, meistens amerikanischer Konzerne. Und wie eben schon ausgeführt worden ist: CETA ist das Einfallstor, es ist TTIP light hier in Europa.

Wenn wir sehen, dass Kanada versucht hat, mit einem Fracking-Moratorium irgendetwas zu werden und dort direkt mehr als 150 Millionen Euro Strafe zahlen musste, und wir sehen, dass CETA völlig unbestimmte Begrifflichkeiten in diesen Zusammenhängen verwendet, dann haben wir hiermit ein Einfallstor, das mit Sicherheit unserem Staat, unseren Staatshaushalten nicht guttun wird.

In Kanada erzeugen 5 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe 50 Prozent der Nahrungsmittel. Das ist eine Landwirtschaft, die wir hier in Europa überhaupt nicht kennen und von der wir eigentlich schon lange Abstand genommen haben. Wollen wir wirklich, dass das, was wir in der Bundesrepublik an Landwirtschaft haben, durch diesen Freihandel gefährdet wird, einen Freihandel, der in Kanada Tierschutzstandards hat, von denen wir uns schon lange verabschiedet haben, weil man sie gar nicht mehr Standard nennen kann? Das wollen wir nicht wirklich.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Genauso wird es uns in anderen Bereichen gehen. Wir werden sehen, dass in diesem erbarmungslosen Wettbewerb, der dann eintreten wird, insbesondere das Rückgrat unserer Wirtschaft getroffen wird, die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Und diejenigen, die mit Kanada im Moment irgendwelche Geschäftsbeziehungen haben, können dann wahrscheinlich im kleinsten Raum dieses Rathauses eine Vollversammlung abhalten. Diese Unternehmen werden natürlich auf Dauer von Konzernen verdrängt werden, die nach neuen Marktnischen suchen. Und damit entfällt in der Tat das, was uns durch die Wirtschaftskrise geführt hat, womit wir relativ gut da herausgekommen sind. Das werden Sie entsprechend gefährden.

Ich denke, wenn wir eine weitere Wirtschaftskrise bekommen werden wie 2008/2009 und die Wirtschaft dementsprechend umstrukturiert worden ist, wie unsere Freihändlerinnen und Freihändler das gern hätten, werden wir sehenden Auges in das Risiko laufen, dann werden wir ganz anders, mit schlimmen …