Murat Gözay GRÜNE (fortfahrend) : Trotzdem möchte ich meinen Redebeitrag mit den Worten Robert Lembkes abschließen:
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident! Zunächst einmal fand ich die Rede vom Kollegen Schmidt sehr gut, weil sie sich nicht nur inhaltlich damit auseinandergesetzt hat, sondern auch sehr klar gezeigt hat, dass sich die SPD den Zielen der Internationalisierung anschließt. Nach der Rede des Kollegen Gözay habe ich mich allerdings gefragt, wie sich der Bundesrat denn jetzt verhält. Ich erinnere mich an unsere gestrige Debatte, in der es unter anderem darum ging, ob der Senat dazu verpflichtet ist, sein Abstimmungsverhalten öffentlich zu machen. Ich finde, in diesem Fall wäre es sehr interessant, dass das Abstimmungsverhalten öffentlich gemacht wird. Sollte Herr Gözay gerade im Vorfeld für den Senat gesprochen haben, wäre das eine gute Sache, aber wir aus der Opposition fragen uns jetzt natürlich, wie sich der Senat in dieser Sache tatsächlich verhalten wird.
Denn dieses Freihandelsabkommen ist wie gesagt bereits ausverhandelt, es liegt vor. Ich weiß nicht, was genau im Bundestag noch zwischen Rot und Grün passieren soll, das dieser Senat dann in seine Meinungsfindung einfließen lässt. Nein, meine Damen und Herren, kommen Sie zu Potte, erklären Sie uns, wie Sie in dieser Sache abstimmen werden. Wir empfehlen Ihnen sehr klar: Stimmen Sie für dieses Freihandelsabkommen.
(Beifall bei der FDP und bei Karin Prien und Michael Westenberger, beide CDU – Wolf- gang Rose SPD: Warten Sie es doch einmal ab!)
Worum geht es eigentlich bei diesem Freihandelsabkommen? Bei diesem Freihandelsabkommen, Herr Dolzer, geht es doch eigentlich um Vertrauen zwischen Staaten. Da geht es auch darum, ob wir uns gegenseitig vertrauen, ob wir beispielsweise den Behörden anderer Länder vertrauen.
Das ist jetzt Naivität? In Zeiten eines Brexit, in Zeiten von immer mehr internationalen Unruhen glauben Sie, dass eine Maßnahme, die Völker und Länder miteinander verbindet und versucht, einheitliche Rahmenbedingungen zu setzen, eine schlechte Maßnahme ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der LINKEN, Sie haben wirklich gar nichts verstanden.
Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Eine lebhafte Debatte. Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dolzer?
Herr Kruse, nennen Sie mir bitte ein, zwei, drei oder fünf Momente, wo die Bevölkerungen durch CETA verbunden werden. Dann bin ich schon zufrieden.
Ja, sehr gern. Das wollte ich gerade machen. Ich nehme einmal das Beispiel Medizinprodukte oder das Beispiel Arzneimittel. Dazu haben Sie nie geredet, weil das sehr komplexe Materien sind, in denen Sie vielleicht nicht sehr firm sind. Das möchte ich Ihnen gar nicht vorwerfen, denn diese Materien sind nicht unser täglich Brot.
Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Das Wort hat Herr Kruse, bitte lassen Sie ihn sprechen.
Was passiert eigentlich in diesen Bereichen? Hier wird erstmals auf internationaler Ebene, über EU-Ebene hinaus der Versuch unternommen, Verfahren, die in den
Ländern über Jahrzehnte entstanden sind, zu harmonisieren. Das ist ein gigantisches Anliegen. Dieses Anliegen ist so groß und so komplex, dass es an keiner …
Bitte sehr, ich antworte doch mit dem Beispiel, das ich Herrn Dolzer geben sollte. Nun lassen Sie mich doch dazu wenigstens einmal ausreden.
Das ist ein Verfahren, das Prozesse betrifft, die über Jahrzehnte auf nationalstaatlicher Ebene gewachsen sind in Europa, auch innerhalb der EU. Das ist ein Prozess, der unendlich schwierig ist, der unendlich viele Tücken in sich birgt. Aber er hat doch ein positives Ziel. Wenn Sie beispielsweise Arzneimittelzulassungen betrachten, dann ist es heute so, dass Sie zwei komplette Zulassungsverfahren durchlaufen müssen. Da müssen Sie einmal in Europa durchs Zulassungsverfahren, und dann haben Sie den Stoff zugelassen, dann haben die europäischen Behörden gesagt, das ist jetzt zugelassen, das ist sicher, das erfüllt auch seinen Zweck, das ist auch besser als das, was bisher am Markt ist, ihr dürft dieses Produkt auf den Markt bringen, liebe Firma XY. Und dann müssen Sie das Gleiche in den USA noch einmal machen, müssen das Gleiche in Kanada noch einmal machen. Ist das eigentlich richtig? Nein, das ist nicht richtig. Das hier ist der Versuch, Harmonisierung herbeizuführen und damit eben auch Vertrauen zwischen den Behörden der Länder zu schaffen. Das ist eine schwierige Aufgabe, aber es ist eine lohnenswerte Aufgabe.
Dann sind wir schon im Bereich der Patienten, und ich kann Ihnen sagen, das ist auch eine ethische Debatte. Es ist nicht nur eine ethische Debatte, alles immer nur verhindern zu wollen, sondern es ist auch eine ethische Debatte, zu sagen, ja, wir wollen das beschleunigen, ja, wir wollen uns gegenseitig vertrauen, ja, wir wollen sagen, wenn die Amerikaner, wenn die Kanadier das zuverlässig geprüft haben, dann vertrauen wir denen.
Wir können es auch offenlegen, dafür bin ich sehr, da können auch die europäischen Behörden dann hineinschauen. Aber ich möchte, dass wir irgendwann zu diesem Punkt kommen, dass wir uns gegenseitig vertrauen können. Sie wollen das nicht, Sie wollen immer nur dagegen sein. Wofür sind Sie denn eigentlich?
Sie sind gegen Internationalisierung, na toll. Sie sind gegen Nationalisierung, kann ich verstehen, aber dann sind Sie auch dagegen. Wo wollen Sie
(Beifall bei der FDP und bei Michael Wes- tenberger CDU – Zuruf von Sabine Boed- dinghaus DIE LINKE)
Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Güçlü?
Herr Kruse, ich habe eine kurze und konkrete Frage. Können Sie bei Ihrem Verständnis für TTIP und CETA tatsächlich eine Standardabsenkung zuungunsten unserer Standards ausschließen, und woraus schließen Sie das?
Sehr geehrte Frau Kollegin! Es ist schon in der Präambel genannt, dass diese Standards nicht abgesenkt werden, dass Sozialstandards nicht abgesenkt werden. Der Kollege Schmidt ist, ehrlich gesagt, auch auf viele Beispiele eingegangen, und das ist eine sehr abstrakte Frage. Jetzt kann ich 1 000 Bereiche durchdeklinieren, aber ich habe Ihnen gerade einmal einen Grund nennen wollen, warum es sinnvoll ist, diese Anstrengungen zu unternehmen und warum ich nicht immer nur hören möchte, dass DIE LINKE dagegen ist, dass auch die GRÜNEN in großen Teilen offensichtlich dagegen sind,
sondern ich möchte einmal hören, wo strengen Sie sich eigentlich dafür an, dass wir zwischen den Ländern mehr zusammenrücken? Wo strengen Sie sich dafür an, dass wir im Westen auch den Schulterschluss suchen mit unseren Partnern? Wo strengen Sie sich an? Wir haben hier in Europa gerade den Brexit erlebt. Sie werden natürlich eigene Gründe dafür haben, warum dieser Brexit dann auch sinnvoll oder nützlich gewesen ist. In ganz Europa werden im Moment die nationalen Kräfte gestärkt, und eine Maßnahme dagegen ist Vertrauen, Vertrauen zwischen den Ländern.
Dieses Vertrauen bauen Sie an keiner Stelle auf. Dann schauen wir doch einmal, was Sie damit eigentlich für Hamburg tun? Ich habe gestern Abend in Vorbereitung auf diese Debatte das Buch "Hafen Hamburg: Geschichte – Zahlen – Menschen" gelesen, das ich Ihnen übrigens auch empfehlen kann. Sie hängen doch ohnehin viel an der Uni herum, Herr Dolzer, dazu werden Sie die Zeit auch noch finden.
Hamburg ist immer der Treiber von Internationalisierung gewesen. Hamburg ist immer der Antreiber für Globalisierung gewesen. Hamburg hat es immer geschafft, damit auch Standards zu setzen. Warum versuchen wir diesen Weg nicht einmal?
Dann möchte ich noch ein Wort zur SPD sagen, denn insbesondere das Verhalten unseres Bundeswirtschaftsministers lässt doch etwas zu wünschen übrig in den letzten Tagen. Auf der einen Seite versucht uns der Wirtschaftsminister wochen- und monatelang zu erklären, warum TTIP denn eine sinnvolle Sache sei, und in der Tat sind wir dem immer gefolgt, und jetzt plötzlich heißt es, nein, das sei de facto gescheitert. Ehrlich gesagt, es mag sein, dass dieses Abkommen noch eine ganze Weile braucht. Es mag sein, dass es einen neuen Ansatz braucht und dass es vorher erst noch eine neue amerikanische Regierung braucht, bevor dieses Abkommen dann weiter verhandelt wird. Aber wenn ich schon erkläre, dass das de facto gescheitert ist, dann bringe ich dieses Abkommen auf jeden Fall nicht voran. Deswegen hat der Bundeswirtschaftsminister an dieser Stelle dem Abkommen auch einen Bärendienst erwiesen.
Vielen Dank, Herr Kruse. – Jetzt kommt der andere Herr Kruse, Herr Professor Dr. Kruse von der AfD-Fraktion.