Ich bedanke mich für den Hinweis, aber wir treffen uns ja nachher noch einmal wieder in der Debatte. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wer sind die Muslime in Hamburg? Diese Frage haben Sie, Herr Professor Kruse, gerade aufgeworfen. Darüber hat sich 2007 die CDU sehr viele Gedanken gemacht und die Bürgerschaft aufgefordert, den Senat zu ersuchen – ich zitiere –,
"mit autorisierten Vertretern der Muslime Gespräche aufzunehmen mit dem Ziel, ein verbindliches schriftliches Abkommen über gegenseitige Rechte und Verpflichtungen in verschiedenen Lebenslagen abzuschließen."
2013 wurde dann diskutiert und rückwirkend für 2012 beschlossen, dass Hamburg das Verhältnis zu den islamischen Gemeinschaften DITIB, SCHURA und VIKZ sowie zur alevitischen Gemeinde durch eine Reihe grundlegender Regelungen neu regelt. Insofern ist eigentlich klar, wer die Muslime in Hamburg sind. Die aktuelle Diskussion, die Ver
träge mit der DITIB jetzt sofort auszusetzen, betrifft 142 000 Muslime in Hamburg. Laut SCHURA ist die Hälfte dieser Muslime, die in Hamburg leben, türkischstämmig und sie stehen mehrheitlich dem Verband DITIB nahe. Wenn ich jetzt mit Ihrer Lesart, Herr Trepoll, herangehe, dann sind das alles Feinde, und Sie haben der DITIB Hetze vorgeworfen. In Ihrem Vokabular finde ich solche Worte wie Feinde und Anständige, was natürlich auch Unanständige impliziert. Das ist etwas, was genau zu Ihrer Pressemitteilung passt, die Sie jetzt herausgegeben haben. Die Überschrift lautet: "DITIB jetzt klare Kante zeigen". Das überschreiben Sie in einer Presseerklärung im Januar 2017, im Bundestagswahljahr. Da kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier jemand stramm am rechten Rand fischt.
(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und ver- einzelt bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)
Die Forderungen von CDU und FDP sind inakzeptabel. Vorurteile, das Schüren von Ängsten und Generalverdächtigungen dürfen nicht die Diskussion bestimmen. Damit wird ein Klima erzeugt, das nicht gut für das Zusammenleben in unserer Stadt ist. Mit dem Artikel 13 – Frau Schneider und Herr Dressel haben schon darauf hingewiesen – enthält der Staatsvertrag eine Freundschaftsklausel, die ausdrücklich vorsieht, dass bei Differenzen Gespräche zu führen sind. Das ist das Gebot der Stunde.
Auch der SCHURA-Vorsitzende Mustafa Yoldas kritisiert, dass CDU und FDP neben der AfD eine mindestens teilweise Aufkündigung fordern, ohne zuvor das Gespräch gesucht zu haben. Er sagt, er erwarte von der CDU Ruhe, Weitsicht sowie staatsmännische Räson und keinen Populismus.
Christa Goetsch gehörte zu denjenigen, die diesen Staatsvertrag massiv auf den Weg gebracht haben. Sie hat in der Plenardebatte am 13. Juni 2013 Folgendes gesagt – ich zitiere –:
"Ich denke, es steht Hamburg gut zu Gesicht, dass nicht nur das Christentum und das Judentum dazugehören, sondern auch die Muslime und die Aleviten, deren Religionen nicht besser oder schlechter sind als andere Weltreligionen und 100 weitere Religionsgemeinschaften. Für eine reife, demokratische Stadtgesellschaft ist es wichtig, gleichberechtigtes Ausüben der Religionen zu ermöglichen, und es ist unsere Pflicht, dies weiter zu gestalten und dafür zu streiten."
Diese Sätze gelten damals wie heute. Der Vertrag mit SCHURA und DITIB ist ein wichtiger Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog, insbesondere auch gegen Islamismus und Islamfeindlichkeit. Richtig ist aber auch, dass der Respekt vor Andersgläubigen uneingeschränkt gilt. Die enge Verknüpfung von DITIB mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet ist genauso problematisch wie der direkte Einfluss der türkischen Regierung auf türkische Lehrer. Beides gehört auf den Prüfstand und muss korrigiert werden.
(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos und Christiane Schneider DIE LINKE)
Im "Hamburg Journal" hieß es gestern, der Fraktionsvorsitzende der CDU habe einen Mann eingeladen, der sich mit der Thematik DITIB auskenne. Er kennt sich aber auch gut mit der CDU aus, deren Mitglied Ali Ertan Toprak ist. Es war also im Grunde ein Gespräch unter Parteimitgliedern.
Herr Trepoll, Sie sind sich wirklich treu geblieben. 2012 haben Sie gegen den Staatsvertrag gestimmt, jetzt wollen Sie ihn aussetzen. Das ist der falsche Weg. So spaltet man, anstatt für den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sorgen. – Danke schön.
(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und ver- einzelt bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Volksvertreter! Der Vertrag verpflichtet die Freie und Hansestadt Hamburg zu vielen Dingen. Keinerlei konkrete, nachprüfbare, über diffuse Absichtserklärungen hinausgehende Verpflichtungen gehen dabei die Verbände der Hamburger Faschisten ein. Diese Debatte bietet sich an, um den Fortschritten der Fraktionen der Hamburgischen Bürgerschaft beim Kennenlernen der Mohammedaner ein Zeugnis auszustellen. Die AfD fordert die Kündigung von Verträgen und keiner wundert sich. Dabei ist die AfD vor zwei Jahren unter einem Parteichef Lucke angetreten, für den Kritik am Mohammedanismus bis zur Verharmlosung von Gräueltaten ein absolutes Tabu war.
(Nebahat Güçlü fraktionslos: Muslime sind das! Muslime! – Dirk Nockemann AfD: Wie bitte? Das ist doch totaler Blödsinn!)
Noch vor 15 Monaten hat die AfD-Fraktion in einem breiten Bündnis darum gebettelt, die Hamburger mit DITIB zum Verspotten der Ermordeten des Paris-Massakers einzuladen. Als das nicht ging, wurden die AfDler gerufen. Diese kamen nicht. Aber es kam der Fraktionsvorsitzende, der sich geschämt hätte, auf einer AfD-Demo aufzutreten, sich aber nicht geschämt hat, dem DITIB-Redner zuzujubeln. Kritik daran brachte die Höchststrafe. Vor diesem Hintergrund ist das also ein grandioser Fortschritt, den ich euch auch auf anderen Gebieten wünschen würde: zum Ausschuss erscheinen, mitdiskutieren, miteinander reden, besonders wenn es um Wahlen geht, Andersdenkenden einen Platz gönnen, einsehen, dass das andernfalls nach hinten losgeht, parteiintern nicht drohen, nicht pöbeln, Meinungsfreiheit.
(Dr. Bernd Baumann AfD: Trete aus der Par- tei endlich aus! – Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Meinungsfreiheit!)
Ich würde mit der Glocke jetzt gern deutlich machen, dass es im Plenum zu laut ist, und Herrn Dr. Flocken an das Thema der Aktuellen Stunde erinnern. Dann kann es weitergehen.
Der Fortschritt vom 18. bis zum 30. Januar 2017, vom Antrag bis zur Anmeldung zur Aktuellen Stunde, vom Herumgeeiere bis zum Klartext, das ist dramatisch, ist ein Ruck. Natürlich drängt sich die Frage auf, ob ihr abgeschrieben habt. Wieso fängt man nicht so an: Vor neun Jahren, als es frisch zusammen mit den GRÜNEN unter Ole von Beust angefangen hat, haben wir an die Entwicklung der Türkei in die Moderne geglaubt. Wir haben geglaubt, dass Erdogan mit seiner Rede von den Minaretten, die Bajonette sind, von den Moscheen, die Kasernen sind, von den Kuppeln, die Helme sind, und von den Gläubigen, die Krieger sind, nicht ernst genommen werden muss. Das haben wir für leeres Gerede gehalten und lieber auf die wirtschaftlichen Fortschritte in der Türkei geguckt. Dann haben wir nicht so genau hingehört bei den Nachrichten; wir waren etwas nostalgisch veranlagt. Wenn Sie so angefangen hätten, Herr Trepoll, und dann Ihre großartige Rede gehalten hätten, dann hätte sie bestimmt besser gewirkt.
Ja, die FDP. Wer den Redebeitrag von Herrn Duwe im Ausschuss am 13. Februar 2013 gelesen hat, weiß, ihm gebührt Hochachtung. Herr Duwe hatte damals alles schon geahnt, aber in welcher
Angst er geredet haben muss, was man in diesem Land sagen darf, wenn Rechtsstaatlichkeit, Liberalismus und Gleichberechtigung bedroht sind. Dann muss man sehr aufpassen. So hat Herr Duwe damals geredet. Es ist schön, dass heute die Dinge etwas anders sind und man nicht so viel berechtigte Angst haben muss und so reden kann wie Frau Suding. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema, das wir heute diskutieren, ist wichtig und es ist auch sehr sinnvoll, dass die Hamburgische Bürgerschaft die Diskussion über die Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften führt. Ich hatte mir nach dem Antrag, den die FDP-Fraktion gestellt hat, und der Debatte, die sie dazu angemeldet hat, vorgenommen, dazu etwas ausführlicher zu sprechen. Nun ist das durch den Ablauf der Geschäftsordnung etwas anders gekommen. Gestatten Sie mir deshalb, dass ich der Bedeutung des Themas entsprechend ein paar mehr Worte sage, als es in der Aktuellen Stunde üblich ist. Es trägt der Tatsache Rechnung, dass ich es sonst nachher hätte machen müssen, wenn kaum noch einer zuhört bei der Debatte über den konkreten Antrag.
Es ist wichtig, dass wir heute über dieses Thema sprechen, und es gehört zu der Kultur einer freien Gesellschaft dazu. Es ist wichtig, dass die Religionsgemeinschaften akzeptieren, dass über das, was in ihrem Inneren geschieht, was ihre Vertreter sagen und was einige, die sich zu ihnen bekennen, in der Öffentlichkeit äußern oder tun, wir auch hier diskutieren. Meine persönliche Überzeugung ist, dass mit den Verträgen, die wir in Hamburg geschlossen haben, auch mit den muslimischen Religionsgemeinschaften und mit der alevitischen Gemeinde, diese Möglichkeit noch viel mehr wächst, als das vorher der Fall war.
Denn Anerkennung und Respekt, die wir mit den Verträgen ausgedrückt haben, haben natürlich auch Transparenz zur Folge. Wer sich in einer solchen Weise auf die Debatte mit der übrigen Gesellschaft einlässt, muss akzeptieren, dass das, was bei ihm geschieht, auch hier – und nicht nur hier, sondern überall in der Öffentlichkeit – diskutiert wird. Die konkreten Anlässe, die jetzt immer wieder eine Rolle gespielt haben – Karikaturen, Bespitzelungen, Aufrufe zu Demonstrationen in Berlin, die antisemitischen Inhalt haben –, sind Themen, die der öffentlichen Debatte zugeordnet und dort kritisiert werden müssen. Es ist völlig richtig, dass dies auch hier geschieht.
Meine Überzeugung ist aber auch, dass wir, wenn wir eine solche Diskussion führen, immer sehr grundsätzlich denken müssen und dass sich auch ein Blick in die Geschichte lohnt, weil religiöse Toleranz, auf die wir heute zu Recht so stolz sind und die es auch heute noch nicht überall in der Welt gibt, auch in unserem Land keineswegs immer akzeptiert worden ist. Sie ist auch Gegenstand heftigster Auseinandersetzungen gewesen. Bismarck hatte zum Beispiel über die Frage von religiöser Toleranz sehr klare Vorstellungen. Im Deutschen Reich gab es auf sein Betreiben hin einen Kanzelparagrafen, in dem stand:
"Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Ausübung […] seines Berufes […] Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft."
Das war 1871. Damals betrieb er einen Kulturkampf. Papst Pius IX. hatte 1870 erklärt, dass dem Papst in Glaubens- und Sittenfragen eine von Gott verliehene Unfehlbarkeit zukomme, und überall in Europa gab es darüber heftige Diskussionen, besonders im protestantischen Preußen und im mehrheitlich protestantisch dominierten Deutschen Reich. Bismarck reagierte mit einer sehr harten Kirchenpolitik gegen die Ultramontanisten. Damit war der Vatikan gemeint, der von jenseits der Alpen in Deutschland Entscheidungen beeinflusste. Mit der Behauptung, man müsse die nationale Einheit sichern, die Nation vor dem kulturellen und gesellschaftlichen Einfluss der katholischen Kirche schützen und die reichsfeindliche Zentrumspartei zurückdrängen, gewann er die Unterstützung der Nationalliberalen Partei und der Freikonservativen für eine Reihe von Restriktionen. Geistliche durften sich nicht mehr zu politischen Angelegenheiten äußern. Er nahm der Kirche die Befugnisse bei der Bildung und der Eheschließung weg – eine Tradition, die wir bis heute haben –, überwachte das Vereins- und Pressewesen, kontrollierte den Religionsunterricht, verbot jesuitische Orden und stoppte Geldzahlungen, um Geistliche zur persönlichen Unterwerfung zu zwingen. Redakteure kamen ins Gefängnis, Zeitungen wurden konfisziert, katholische Aktivisten ausgewiesen und interniert und 55 Vereine aufgelöst. Schon nach kurzer Zeit befand sich die Hälfte der katholischen Bischöfe entweder im Exil oder im Gefängnis. Allerdings gelang Bismarcks Vorhaben, den Einfluss der katholi
schen Kirche zu begrenzen, nicht. Im Gegenteil, die Sanktionen und Diskriminierungen stärkten den Zusammenhalt in der katholischen Bevölkerung und führten auch bei Protestanten zu einer Welle an Solidarität. Das katholische Vereinswesen erstarkte. Katholisch zu sein wurde ein Identitätsmerkmal und die von Bismarck gehasste Zentrumspartei wurde stärker. Übrigens: Die Zentrumspartei war einer der Vorläufer der CDU, was aber nicht jeder hier erinnert, offenbar auch nicht die, die es angeht.
Das ist lange her. Staat und Kirche sind heute getrennt. Keine Regierung kann bestimmen, welche Religion die Bürgerinnen und Bürger haben dürfen und welche nicht. Die Bürgerinnen und Bürger müssen nicht die Religion ihres Landesherrn annehmen, wie es 1555 der Augsburger Religionsfrieden mit "Cuius regio, eius religio" festlegte. Die Weimarer Verfassung und das Grundgesetz garantieren die Religionsfreiheit und das ist ein wichtiger Fortschritt für unser Land.