Protokoll der Sitzung vom 31.05.2017

(Dr. Jörn Kruse AfD: Und Olaf Scholz!)

Ich komme gleich dazu.

Der Kampf gegen Hass, Hetze und die Verbreitung von Fake News ist lobenswert. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dieser Kampf gegen regierungsamtliche Fake News wie zum Beispiel, die Flüchtlingskrise koste den Bürger gar nichts oder Ausländer seien nicht häufiger kriminell als Deutsche oder die Renten seien sicher, hätte bereits viel früher begonnen. Ich hätte mir auch gewünscht, dass ein Herr Maas gegen die Aufrufe zur Gewalt gegen die AfD auf Indymedia endlich wirksam vorgehen würde – Fehlanzeige.

Politik und Demokratie erfordern allseits offene Diskussion und Kommunikation,

(Gerhard Lein SPD: Das müssen Sie gerade sagen!)

aber eben keine politische Zensur durch den Bundesjustizminister.

(Beifall bei der AfD)

Die sozialen Netzwerke – ich weiß, dass Ihnen allen das nicht passt – haben bislang die Möglichkeit in Sachen Meinungsvielfalt dezentralisiert und Waffengleichheit zwischen Bürgern und Parteien weitestmöglich hergestellt. Wir brauchen diese die Demokratie belebenden neuen Freiheiten.

(Beifall bei der AfD)

Abgesehen von den negativen politischen Implikationen gilt: Dieser Entwurf ist ein juristischer Systembruch. Er delegiert hoheitliche Aufgaben wie zum Beispiel den Schutz des Bürgers vor Beleidigungen oder Hassmails an ein privates Unternehmen im Silicon Valley – ein Ding der Unmöglichkeit. Das ist verfassungswidrige Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Diese Unternehmen werden dazu legitimiert, die Ausübung der Meinungsfreiheit, also eines Grundrechts, für die Bürger einzuschränken. Mit seinen Geldbußen, 5 Millionen Euro für verantwortliche Personen und 50 Millionen Euro

für das Unternehmen, zwingt Herr Maas private Unternehmen, und zwar unter Verletzung der Verfassung, politische Zensur auszuüben. Wegen der Höhe der angedrohten Bußgelder wird der private Social-Media-Betreiber, der im Zweifel knallhart ökonomisch kalkuliert, sich im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit entscheiden. Es wird geradezu zu einer Löschkultur im Netz kommen. Damit trägt Herr Maas bewusst und gewollt die Meinungs- und Informationsfreiheit zu Grabe.

Es gibt weitere durchgreifende Bedenken. So ist es ein Unding, offensichtlich rechtswidrige Einträge binnen 24 Stunden löschen zu müssen, sonstige rechtswidrige Inhalte innerhalb von sieben Tagen. Eine Prüfung von Einträgen anhand der Vorgaben unserer Verfassung, anhand Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit ist eben alles andere als trivial. Im Gegenteil, sie ist höchst komplex, wie zahlreiche Fälle zeigen, in denen über Jahre bis hin zum Bundesverfassungsgericht verhandelt wurde. Nehmen Sie nur die Böhmermann-Zeilen. Wer wollte innerhalb von sieben Tagen letztverbindlich darüber befinden, inwieweit diese durch Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt sind? Die Meinungsfreiheit erlaubt gerade im politischen Diskurs auch sehr scharfe und unter Umständen bösartige Anmerkungen. Ob die Grenze im Einzelfall überschritten ist, bedarf einer sorgfältigen Abwägung. Mehr dazu in der zweiten Runde. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Tabbert von der SPDFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes ist auf Initiative des Bundesjustizministers entstanden als Reaktion auf die zunehmenden Hassreden und die Verbreitung von sogenannten Fake News im Internet, vor allem in den sozialen Netzwerken. Seit Bekanntwerden des ersten Entwurfs Anfang des Jahres gibt es Kritik an diesem Gesetz. Teilweise ist diese Kritik auch berechtigt, deswegen hat jetzt der Rechtsausschuss im Bundesrat zahlreiche Änderungen empfohlen, die im weiteren Gesetzgebungsprozess, davon bin ich überzeugt, mit Sicherheit Berücksichtigung finden werden.

Teilweise allerdings scheint mir die Kritik, insbesondere hinsichtlich der befürchteten Löschorgien, etwas über das Ziel hinauszuschießen. Dennoch unterstützen wir das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen, Hasskriminalität und Fake News im Netz zu bekämpfen, und wollen nachdrücklich ein qualitativ gutes, aber eben auch praktikables Gesetz.

(Beifall bei der SPD und bei Stephan Jersch DIE LINKE)

(Dirk Nockemann)

Denn die Debattenkultur in den sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter hat sich in den letzten Jahren für alle spürbar verändert. Diese Diagnose gilt vor allem für Äußerungen aus der rechtsextremen oder aus der gewaltbereiten islamistischen Szene.

(Zuruf von Dirk Nockemann AfD)

Ja, auch aus der gewaltbereiten linksextremen Szene. Da stimme ich Ihnen gern zu.

Aber auch normale Menschen nutzen den anonymen und gesichtslosen Raum, um im Netz ihren Hass und Frust loszuwerden. Das ist nichts, was wir unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit einfach dulden können, denn auch diese hat Grenzen,

(Beifall bei der SPD)

beispielsweise dort, wo die Rechte anderer Menschen verletzt werden. Und wenn so etwas nicht freiwillig geht, dann muss man im Rechtsstaat zu den Mitteln des Rechts greifen. Nicht immer, aber sehr oft, erfüllen Hasskommentare oder wissentlich falsche Tatsachenbehauptungen Straftatbestände wie Volksverhetzung, Verleumdung, Beleidigung oder üble Nachrede. Genügend Strafurteile dazu gibt es bereits. Wir haben also an dieser Stelle zu Recht einen Handlungsbedarf identifiziert. Das Internet ist ein freier Raum, aber er ist nicht rechtsfrei und wir müssen unsere Gesetze so einstellen, dass Hasskriminalität in sozialen Netzwerken nicht überhandnimmt oder sich besser überhaupt nicht breitmacht.

(Beifall bei der SPD und bei Phyliss Demirel GRÜNE)

Andererseits – und hier fängt der Spagat an, wir Juristen nennen das Güterabwägung – müssen wir auch dafür sorgen, dass die digitalen Angebote als Ort der individuellen Meinungsfreiheit für alle offen gestaltet sind und Menschen nicht durch zu harte Regeln davon abgehalten werden, ihre Meinung frei zu äußern.

In der virtuellen Welt werden wir diese beiden Anliegen, die Garantie der freien Meinungsäußerung einerseits und den Schutz vor rechtswidrigen Inhalten und von allgemeinen Persönlichkeitsrechten, realistisch nur dann gut umsetzen, wenn wir die Anbieter von sozialen Netzwerken ins Boot holen. Das müssen wir tun, denn nur diese haben den Zugriff auf die von ihnen zur Verfügung gestellte Technik und entsprechend auf die Inhalte.

In Form einer Selbstverpflichtung haben sich im Übrigen Unternehmen wie Facebook bereits bereit erklärt und tun das auch, anwenderfreundliche Mechanismen zur Meldung kritischer Beiträge einzurichten, gemeldete Beiträge zu überprüfen und, falls diese rechtwidrig sind, sie auch zu löschen. Es gibt also bereits eine Löschpraxis, beispielswei

se bei Facebook, aber eben auch in anderen sozialen Netzwerken.

Ich finde es dann schon etwas befremdlich, wenn einige der Gegner des Gesetzes ihre Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken erst dann bedroht sehen, wenn der Staat für bestimmte zu löschende Inhalte eine demokratisch legitimierte Rechtsgrundlage schaffen möchte. Im Übrigen, Herr Kollege Nockemann, ist das auch nicht völlig artfremd, zum Beispiel müssen Banken als private Unternehmen dafür sorgen, dass keine Geldwäsche stattfindet, oder zum Beispiel muss sich auch die Gastronomie daran beteiligen, dass Glasflaschenverbote umgesetzt werden. Das unterstützen Sie doch sicher auch, nehme ich an. Wir tun das jedenfalls, und insofern ist die Materie nicht so einfach, wie Sie sie vorhin geschildert haben.

Einen Punkt möchte ich zum Schluss noch anmerken. Es stimmt, dass Bußgeldtatbestände in diesem Gesetzentwurf enthalten sind, aber ich empfehle jedem, der sich zu dem Thema äußert, sich einmal genauer mit dem Gesetzentwurf auseinanderzusetzen, als Sie das getan haben. Denn – und dagegen können Sie doch auch nichts haben – dass ein Beschwerdemanagement in sozialen Netzwerken rechtlich abgesichert wird, ist doch eigentlich eher positiv. Aber was Sie gesagt haben – hätten Sie den Entwurf einmal gelesen –, dass hier das Nichtlöschen einzelner Posts bußgeldbewehrt sei, den Paragrafen dürfen Sie mir gern einmal in der zweiten Runde nennen, den gibt es nämlich überhaupt nicht. Den Eindruck gewinnt man aber, das gebe ich gern zu, wenn man sich unvorbereitet mit vielem, was da so im Netz und auch in der Presse gerade herumschwirrt, auseinandersetzt.

Unterm Strich teilen wir das Anliegen des Gesetzes. Wir glauben, es gibt an der einen oder anderen Stelle noch Änderungsbedarf, und die Chance sollten wir nutzen. Den Antrag der AfD lehnen wir aber ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Seelmaecker von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Drei wesentliche Punkte. Erstens: Die Meinungsfreiheit in Deutschland gilt uneingeschränkt. Niemand möchte hier Verhältnisse haben wie in Nordkorea, in China oder wie sie derzeit die Regierung in der Türkei an den Tag legt. Zweitens: Auch die Grundrechte der Menschen in Deutschland gelten uneingeschränkt. Und drittens: Beides gilt auch für die digitale Welt. Das heißt, das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Nur wenn die Menschen ihre Meinung äußern können und gleichzeitig auch die Rechte der anderen da

(Urs Tabbert)

bei wahren, ist für unsere Demokratie gesichert, dass sie Bestand hat, dass das schlechthin für die Demokratie konstituierende Recht auch durchgesetzt werden kann. Es steht aber in Artikel 5 Absatz 2 auch vollkommen zu Recht:

"Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."

Das gilt gleichermaßen auch für das Internet, da gibt es keinen Unterschied und da darf es auch keinen Unterschied geben. Das bedeutet, dass Hass, Hetze und Verleumdung heute schon strafbar sind und Betreiber von Homepages genauso heute schon dazu verpflichtet sind, diese Inhalte zu löschen, sobald sie davon Kenntnis erlangen.

Das Problem ist nur: Leider halten sich nicht alle daran. Was ist also zu tun? Keine Verbote, rufen diejenigen, die sich mit dem Thema offenbar nicht ordentlich auseinandergesetzt haben, denn hier geht es gar nicht um Verbote. Hier geht es, auch wenn der Gesetzestext sich etwas sperrig liest, um die Durchsetzung bestehenden Rechts, nicht mehr und nicht weniger. Und es geht um das wirksame Schützen von Opfern, die Strafrechtsopfer geworden sind. Wenn wir jetzt feststellen, dass die freiwillige Selbstverpflichtung schlichtweg nicht funktioniert hat in der Vergangenheit, dann sind doch wir als Abgeordnete und unsere Kolleginnen und Kollegen im Bundestag gefragt zu handeln. Wir können doch nicht die Opfer schutzlos dem Unrecht überlassen. Das geht nicht. Und wir sehen, es funktioniert auch. Hinsichtlich der freiwilligen Selbstverpflichtung können Sie sich YouTube anschauen, das ist einmal ein Beispiel, wo es hervorragend funktioniert. 90 Prozent der Einträge werden innerhalb kürzester Zeit gelöscht. Es geht also, wenn man will. Wenn man es aber nicht will, dann muss man dazu verpflichtet werden. Und da offenbar die anderen nicht so richtig wollen, müssen wir es verpflichtend machen.

Was will die AfD, Herr Nockemann? Die AfD wolle kein Gesetz, steht da. Das folgt der manchmal typischen AfD-Logik: Kein Alkohol ist auch keine Lösung.

(Heiterkeit bei der CDU und der FDP)

Wollen Sie etwa weiterhin, dass im Internet öffentlich zum Angriff auf Polizeibeamte aufgerufen wird oder man völlig ungehindert über Straftaten lesen kann? Ich zitiere nur ein aktuelles Beispiel von linksunten, das können Sie nachlesen:

"Wir haben heute um 23 Uhr an dem Austragungsort der OSZE und G20-Gipfel, der Hamburger Messe, im Eingang Süd mit Reifen und Benzin Feuer gelegt. Die Glasfront an der Karolinenstraße ist einer intensiven Bearbeitung mit Hämmern, Farbe, Steinen

unterzogen worden. Wir haben uns zu dieser Abrissinitiative entschieden, da wir die Messe, die sich als Messe zur Welt versteht, ebenso grundsätzlich ablehnen wie die dort geplanten Herrschaften."

Dann geht es so weiter, dann steht da, die wollen sich verbinden und Gewalt ausüben und Ähnliches. Meine Damen und Herren, das kann doch nicht sein, das können Sie doch auch nicht wollen.

(Beifall bei der CDU)

Es ist richtig, dass wir den Entwurf des Justizministers noch überarbeiten müssen. Es ist sicherlich Konsens, dass da noch nachgearbeitet werden muss. Das kann man aber auch tun und da bestehen keine Probleme, die paar Fristen noch ordentlich zu regeln.

Was mich hier und heute noch einmal interessieren würde, Herr Justizsenator: Wie ist denn die Meinung des Senats? Wir haben jetzt gehört, dass der Justizsenator eine Auffassung hat und dass der Bürgermeister eine Auffassung hat. Mich oder uns würde interessieren, zu welcher Gesamtauffassung denn der Senat hier gekommen ist.

(André Trepoll CDU: Das A-Team muss kommen!)

Und zur AfD und der Meinungsfreiheit: Herr Nockemann, als Verfechter der Meinungsfreiheit sollten Sie vielleicht noch einmal mit Ihrer Bundesvorsitzenden sprechen. Die wollte nämlich gerade die Presse- und Meinungsfreiheit – und das ausgerechnet auch noch hier in Hamburg – einschränken. Damit ist sie vor drei Wochen unterlegen beim Landgericht Hamburg.