Protocol of the Session on July 12, 2017

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Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Sitzung.

Lassen Sie mich zu Beginn ein paar Worte sagen. Hamburg hat drei Tage schwere und schwerste Krawalle erduldet. Tausende unserer Bürgerinnen und Bürger mussten um Leib und Leben fürchten, schwerste Sachbeschädigungen erdulden oder wurden in Angst und Schrecken versetzt.

Rohe erbärmliche Gewalt hat ihre schreckliche Fratze im Schanzenviertel und in Altona gezeigt. Feige und vermummte Chaoten haben in einer Stadt gewütet, die manche von ihnen gar nicht kannten, weil sie aus aller Herren Länder als Krawalltouristen angereist waren, und ein entfesselter Mob aus Hamburger Randalierern hat die eigenen Nachbarinnen und Nachbarn in Angst und Schrecken versetzt, während andere johlend und staunend danebenstanden.

Heute beginnt die parlamentarische Aufarbeitung dieser Gewalt- und Zerstörungsorgie, die uns immer noch fassungslos macht. In den nächsten Stunden werden wir dazu den Ersten Bürgermeister und Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen hören.

Ich kann und möchte die Sitzung aber nicht eröffnen, ohne den Opfern aller Übergriffe im Namen unseres Landesparlaments unser Mitgefühl und unsere Solidarität entgegenzubringen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Und das schließt auch die Kolleginnen und Kollegen aus dem eigenen Hause ein.

Vor allen Dingen aber möchte ich mich im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft bei den Tausenden von Männern und Frauen bedanken, den Polizisten, Feuerwehrleuten, Rettungsdiensten, technischen Hilfskräften, die durch ihren tapferen und unermüdlichen Einsatz noch Schlimmeres verhindert haben. Der Dank gilt auch der Stadtreinigung, den Justizmitarbeitern, Sanitätsdiensten und vielen Weiteren.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Und er gilt den vielen Freiwilligen, die sich selbstlos und ohne Gegenleistung zu erwarten, mit Eimern, Schaufeln und Besen auf den Weg gemacht haben, um das Chaos wieder zu beseitigen, und die dafür gesorgt haben, dass die Bilder aus unserer Stadt, schwarz und brennend am Sonntag, wieder bunt und fröhlich wurden. Hamburg, das war wirklich großartig!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Umso wichtiger ist, dass die Betroffenen jetzt schnell und unkompliziert entschädigt werden.

Meine Damen und Herren! Wir könnten uns jetzt im Sinne der demokratischen Gewaltenteilung zurücklehnen und sagen, der Umgang mit solchen Vorkommnissen sei eigentlich nicht Sache der Legislative, aber so zu handeln hieße, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Wir Abgeordneten sind diejenigen, die mit einem direkten Mandat ausgestattet sind, gewählt von Bürgerinnen und Bürgern, weil sie uns zutrauen, die Geschicke aller klug zu vertreten und ihre Interessen zu wahren. Uns obliegt es zu kontrollieren, zu werten und einzuschätzen, was so schrecklich schiefgelaufen ist und wer hier Schuld trägt.

Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen und wir müssen ihr gerecht werden. Heute fangen wir damit an, ohne Ansehen der Personen, ohne Ansehen der Parteizugehörigkeit und mit dem klaren Ziel, zu verhindern, dass so etwas wie am vergangenen Donnerstag und Freitag in unserer Stadt jemals wieder geschehen kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich habe Ihnen noch mitzuteilen, dass die Fraktionen vereinbart haben, die Tagesordnung um vier weitere Punkte zu ergänzen, die Sie nachträglich in die Tagesordnung aufgenommen finden.

Der Präsident des Senats hat mich gebeten, ihm gemäß Paragraf 12 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung die Gelegenheit zur Abgabe einer Regierungserklärung zu geben. Die Fraktionen haben einvernehmlich vereinbart, dass dazu eine Beratung stattfinden soll. Dabei bekommen jede Fraktion und der Senat eine Redezeit von 40 Minuten. Den Fraktionslosen stehen 5 Minuten zur Verfügung.

Wir kommen zur Regierungserklärung. Herr Erster Bürgermeister Olaf Scholz, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete, meine Damen und Herren! Es liegen schlimme Tage und Nächte hinter Hamburg. Statt über die Ergebnisse des G20-Gipfels müssen wir deshalb heute vor allem über seine gewalttätigen Begleitumstände und ihre Hintergründe reden.

Als Bürgermeister fühle ich mich für die Sicherheit der Hamburgerinnen und Hamburger verantwortlich. Heute wissen wir, dass die Sicherheitsbemühungen nicht gereicht haben, um einer neuen Dimension der Gewalt Herr zu werden und Straftaten zu vereiteln. Es ist unsere Pflicht, das gründlich aufzuarbeiten. Ich möchte daher gleich zu Beginn ein Wort direkt an die Hamburgerinnen und Hamburger richten.

Ich weiß, wie viel der G20-Gipfel Ihnen und Ihren Familien abverlangt hat. Die Verkehrsbeschränkungen waren immens und gingen auch weit über

die Behinderungen durch einen Hafengeburtstag hinaus. Die Angst, ja der Terror, den die Gewalttäter verbreitet haben, steckt vielen von uns noch in den Knochen – mir auch.

Ich habe den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt im Vorfeld des Gipfels zugesagt, dass wir die öffentliche Sicherheit werden aufrechterhalten können, denn wir sind gemeinsam im Senat und im Gespräch mit der Bundeskanzlerin, dem Bundesinnenminister und den Spitzen der Sicherheitsbehörden davon ausgegangen, alles Menschenmögliche getan zu haben, Gefahren analysiert und die nötigen Vorbereitungen getroffen zu haben, damit die Sicherheitsstrategie aufgeht. Ich habe das gesagt, weil ich fest davon überzeugt war, dass es so sein wird.

Es ist aber trotz aller Vorbereitungen nicht durchweg gelungen, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, nicht zu jedem Zeitpunkt und nicht überall. Dafür, dass das geschehen ist, bitte ich die Hamburgerinnen und Hamburger um Entschuldigung.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Dr. Jörn Kruse AfD)

Sie wissen, dass ich niemand bin, der in der Politik besonders emotional unterwegs ist, aber es macht mich fassungslos und wütend, dass Kriminelle unter krude vorgeschobenen politischen Motiven in unserer Stadt Zerstörung anrichten und Menschen in Angst versetzen konnten, ohne dass wir sie sofort und schnell stoppen konnten.

Vielen Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt ging es ähnlich. Sie mussten schlimme Situationen miterleben. Sie wurden direkt Opfer gezielter Zerstörungswut und haben materielle Schäden zu beklagen. Sie hatten Angst. Sie haben die Auswirkungen der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zu spüren bekommen. Aber es darf nicht bei Wut und Fassungslosigkeit bleiben. Wir müssen die Taten aufklären. Wir müssen die Täter bestrafen. Wir müssen den künftigen Schutz noch weiter verbessern. Und wir müssen uns als offene und liberale Gesellschaft fragen, was da eigentlich in unserer Mitte los ist, wenn sich junge Männer mit ihren Handys neben Steinewerfer stellen, um ein Selfie vor brennenden Barrikaden zu machen, oder sich nach zwei Bieren an den Krawallen beteiligen.

Ich bin den über 20 000 Polizistinnen und Polizisten aus Hamburg, dem gesamten Bundesgebiet und den Nachbarstaaten Deutschlands für ihren heldenhaften Einsatz dankbar.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜ- NEN, der FDP und der AfD)

Sie haben buchstäblich Leib und Leben riskiert, um die Ordnung aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, die kriminelle Gewalttäter aus ganz Europa niederreißen wollten. Ich danke insbeson

dere den beinahe 500 Polizistinnen und Polizisten, die im Einsatz verletzt wurden, und wünsche ihnen baldige Genesung.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜ- NEN, der FDP, der AfD und vereinzelt bei der LINKEN)

Ich danke auch allen Rettungskräften und Krankenhausmitarbeitern, die Verletzten geholfen haben, ebenso wie allen Weiteren, die an ihrem Arbeitsplatz dafür gesorgt haben, dass der Gipfel stattfinden konnte. Und ich bin tief bewegt von unserer Stadt, weil sie sich, nachdem sie auch diesen Sturm überstanden hat, schnell wieder aufrichtet.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger haben den verletzten Polizistinnen und Polizisten gegenüber nicht nur viel Zuspruch und Dankbarkeit geäußert, sondern auch Geschenke und Blumensträuße direkt ins Krankenhaus gebracht. Gleich am Sonntag haben Tausende Bürgerinnen und Bürger angepackt, um die betroffenen Stadtteile von den Spuren der Verwüstung zu befreien. Der HVV bietet denen, deren Autos zerstört wurden, eine kostenlose Monatskarte an. Hotels, Kultureinrichtungen, Zeitungen und Kirchen bieten viele unterschiedliche Dankeschön-Aktionen für die Polizistinnen und Polizisten an. All dies tut gut, uns Hamburgerinnen und Hamburgern, unserer Stadt und unserem Land.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Dr. Jörn Kruse AfD)

Denn das Erlebte sitzt uns allen noch in den Knochen. Als ich mir am Freitagabend im Lagezentrum der Polizei ein Bild von der Situation gemacht habe, war selbst dort bei den erfahrenen Einsatzleitern trotz aller professionellen Ruhe der Schock über diese neue Form der Gewalt gegen unsere Stadt und gegen ihre Menschen zu spüren. Als ich mich am Samstag mit Einsatzkräften an der Messe getroffen habe, wurde deutlich, wie tief die Erschöpfung über diesen schwierigen Einsatz war. Als ich am Sonntag von Krawallen Betroffene aus dem Schulterblatt besucht habe, war die Fassungslosigkeit über das Geschehene immer noch förmlich zu greifen, aber auch der Wille, das Kreuz durchzudrücken und weiterzumachen. So war es auch gestern in Eimsbüttel und heute Morgen in Altona.

Ich weiß, dass meine Überzeugung, dass es weiterhin richtig ist und bleibt, G20 in Hamburg zu veranstalten, nach dem vergangenen Wochenende besonders viel Erklärung braucht. Gerade jetzt stellen sich viele die Frage, ob es das denn wert war.

Ich habe darüber viel nachgedacht. Meine Überzeugung bleibt es, dass jeder Versuch des direkten Gesprächs zwischen Regierungen einen Wert

(Erster Bürgermeister Olaf Scholz)

hat, gerade jetzt und gerade heute. Wer diese Überzeugung teilt, der muss Orte schaffen, an denen diese Treffen stattfinden können, und zwar Orte, an denen auch die Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung dazu sagen können.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Dr. Jörn Kruse AfD)

Ich stehe dafür, dass man sich nicht aus der staatspolitischen Verantwortung wegducken darf nur wegen der Herausforderung eines solchen Gipfels. Das war und ist die Haltung des Senats.

(Katja Suding FDP: Aber nicht des ganzen Senats!)

Deswegen habe ich zugesagt, als Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeschlagen hat, den Gipfel in ihrer Geburtsstadt Hamburg zu veranstalten. Und deswegen fanden das auch beinah alle hier im Haus richtig und haben das unterstützt. Und es gab ja politische Fortschritte beim Gipfel. Eine gemeinsame Linie in der Klimapolitik gegen US-Präsident Trump zu halten ist ein Erfolg. Ein Bekenntnis gegen den Protektionismus ist ein Erfolg. Mehr Hilfe für Afrika ist ein Erfolg. Ein Waffenstillstandsabkommen für den Süden Syriens ist ein Erfolg. Und auch wichtige bilaterale Treffen zwischen unversöhnlich zerstrittenen Staaten sind Erfolge dieses Gipfels.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Dr. Jörn Kruse AfD)

Diese Inhalte wurden als Erste aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt, denn die gezielt inszenierten Schockbilder der Gewaltexzesse haben die Inhalte des Gipfels völlig überlagert, genauso übrigens wie die Anliegen der Zivilgesellschaft und den legitimen Protest.

Natürlich stellt sich immer die Frage, ob Aufwand und Ertrag solcher Zusammenkünfte in einem vertretbaren Verhältnis stehen. Wir sollten aber nicht leichtfertig ein eingespieltes und belastbares Format aufgeben, ohne ein besseres, funktionaleres und akzeptiertes Modell der internationalen Zusammenarbeit vorweisen zu können.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Carl-Edgar Jarchow FDP und Dr. Jörn Kruse AfD)

Die Stadt Hamburg würde jedenfalls ihre große und großartige Geschichte als der Welt zugewandte Hafenstadt verraten, wenn wir solche Veranstaltungen und solche internationalen Begegnungen nicht möglich machen würden. Wenn ein solcher Gipfel in Hamburg nicht stattfinden könnte, dann ließe er sich künftig auch in keiner anderen westeuropäischen Stadt veranstalten, nicht in Berlin, nicht in Paris, nicht in Wien, nicht in Mailand, nicht in Barcelona, nicht in Amsterdam.