Protokoll der Sitzung vom 12.07.2017

(Beifall bei der LINKEN)

Die nächste Frage: Wie steht ihr zur Gewaltenteilung? Ich finde es ungeheuerlich. Jedes Mal, wenn ich mich über ein Urteil ärgere, halte ich mich zurück und sage, das Gericht ist das Gericht und ich bin Abgeordnete und nicht das Gericht. Ich halte mich in der Kritik zurück und formuliere sie so sachlich wie möglich, wenn überhaupt. Und hier kommt ein Schulsenator daher und twittert über das schlimme Urteil von einem Verwaltungsgericht oder einem Oberverwaltungsgericht. Der Herr Senator, der, wie gesagt, außer Rand und Band ist im Moment, und der Bürgermeister beschimpfen Gerichte, und ich finde, das geht überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Man muss nicht mit Gerichtsurteilen einverstanden sein, aber so eine Hetzjagd gegen Richter, die nicht politisch opportun urteilen, das geht überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN – Glocke)

Jetzt eine Zwischenfrage, ja.

Der Abgeordnete Herr Rose mit einer Zwischenfrage.

Christiane Schneider, Sie haben jetzt zum wiederholten Male diese aus Ihrer Sicht rechtsstaatlich problematische Situation in Entenwerder angesprochen. Sie wird mit aufgearbeitet werden in diesem Sonderausschuss, insofern will ich auf die rechtliche Frage nicht eingehen. Aber ich möchte Sie einmal fragen: Wenn all diese Zelte dort zugelassen worden wären von der Polizei – und die Anmelder waren dieselben, die im Stadtpark Zelte aufstellen wollten, und es waren dieselben, die im

Nachhinein im Volkspark Zelte angemeldet hatten –, was wäre eigentlich passiert, wenn es danach zu einer Räumung der schon aufgestellten Zelte gekommen wäre, weil die Verfügung rechtmäßig zustande gekommen war? Was hätten Sie dann gesagt, wenn die Zelte dort gewesen wären und die Polizei hätte sie nachträglich wieder räumen müssen? Das wäre eine sehr viel weitere Eskalation gewesen als das, was jetzt durch das Handeln der Polizei zustande gekommen ist.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Trotzdem, Herr Rose, darf die Polizei nicht das Recht in ihre eigene Hand nehmen. Das geht einfach nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Und ich sage: Hätte man kooperativ agiert, wie es der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1985 vorschlägt, hätte man deeskaliert, dann hätte die Behörde zu einem sehr frühen Zeitpunkt – schon vor Monaten – auf die Veranstalter zugehen und nach einem Kompromiss suchen können, nach einer Möglichkeit, alle Interessen irgendwie miteinander zu vereinbaren. Das ist nicht gemacht worden, und das ist das grundlegende Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich gehe jetzt auf die anderen Grundrechtsverletzungen nicht ein. Dazu findet natürlich eine Menge Aufarbeitung auf unserer Seite statt und auch aufseiten von Teilen der Stadt. Weil ich so viele Fragen beantwortet habe, rede ich schon ziemlich lange; ich will nun auch bald zum Schluss kommen. Was mich extrem bedrückt, ist, dass wir eine Erosion von Grundrechten erleben. Und ich frage euch, GRÜNE: Wo ist euer Wort dazu? Was sagt ihr dazu? Ihr wart einmal eine Bürgerrechtspartei, und was sagt ihr jetzt dazu, dass Bürgerrechte ausgehebelt werden, zum Beiwerk erklärt werden, unter Opportunitätsgesichtspunkten betrachtet werden – passt das jetzt gerade mit der Versammlungsfreiheit, passt das jetzt irgendwie nicht so recht, wie sind da die Erwägungen? Ich sage euch: Positioniert euch. Wie ihr euch verhaltet, tut mir so weh,

(Urs Tabbert SPD: Es gibt nicht nur einfache Antworten!)

weil ich nicht froh bin, wenn ihr Felder räumt, sondern ich wünschte, wir würden uns weiter Seite an Seite für Bürgerrechte einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN – Farid Müller GRÜ- NE: Habt ihr einen Sonderausschuss einge- richtet oder wir?)

Wir erleben stattdessen eine Erosion, und die Art, wie hier damit umgegangen wird, dass darüber überhaupt nicht geredet wird, dass schon eine Kritik an der Polizei als Unterstützung von Gewalt ge

wertet wird, macht mich so was von traurig. Das finde ich zynisch. Ich finde, wir sollten wieder zu einer Debatte zurückkommen, wo Kritik geäußert werden kann, wo man sich meinetwegen streiten kann, aber wo nicht sozusagen stillschweigend die Erosion von Grundrechten verteidigt oder zur Kenntnis genommen wird. Jetzt wurde gesagt, ihr macht einen Sonderausschuss.

(Glocke)

Frau Schneider, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Nein, ich möchte jetzt wirklich zum Ende kommen. – Obwohl, okay. Man soll uns nicht vorwerfen, wir gingen nicht auf Fragen, Kritik und Argumente ein. Deshalb sage ich ja zu der Zwischenfrage.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist vorbildlich, Frau Schneider. – Frau Dr. Schaal hat das Wort für eine Zwischenfrage.

Frau Schneider, Sie haben mehrfach den Vorwurf erhoben, dass es zu einer Erosion der Grundrechte gekommen sei. Können Sie denn einmal Fälle aufzählen, wo es zu einer Erosion der Grundrechte gekommen ist angesichts der großen Zahl der Demonstrationen, die beantragt, genehmigt und auch durchgeführt wurden? Welche Erosion der Grundrechte meinen Sie eigentlich?

Das kann ich Ihnen sagen. Ich würde Ihnen empfehlen, einen Blick in den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1985 zu dem sogenannten Brokdorf-Urteil zu werfen, wo es sagt, was das Versammlungsrecht bedeutet, und wo es sagt: Dazu gehört die Selbstbestimmung der Teilnehmer dieser Versammlung über Ort und Zeit. Natürlich kann es Auflagen geben, aber ein generelles Verbot in so einer Zone oder so ein Eingriff …

(Urs Tabbert SPD: Es geht um die Über- nachtung!)

Ja, natürlich, darüber kann man jetzt rechtlich streiten. Aber natürlich hat die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit Bedingungen, und Menschen, die nicht schlafen können, können ihre Versammlungsfreiheit nicht wahrnehmen.

(Urs Tabbert SPD: Das steht aber nicht im Brokdorf-Urteil!)

Deshalb gehört das dazu. Wir sehen hier wirklich eine Erosion. Was haben wir denn für Eingriffe in die Pressefreiheit erlebt? 32 Journalistinnen und

Journalisten sind auf die schwarze Liste gesetzt worden. Man weiß nicht, welchen Anteil Erdogan daran hat, mit Informationen aus der Türkei gegen Erdogan-kritische Journalisten oder was da alles war. All diese Bausteine werden wir bearbeiten, das kann ich Ihnen versprechen. Wir werden das so sachlich wie möglich tun und machen es mit dem Bestreben, dieser Erosion entgegenzuwirken und den Angriff auf die Grundrechte zurückzuweisen. Dabei wissen wir uns in guter Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich nenne als Beispiel das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Ich nenne als Beispiel Heribert Prantl. Ich nenne als Beispiel etliche Journalistinnen und Journalisten, die den Eingriff der Polizei in die Demonstration "Welcome to Hell" ganz anders beurteilt und zeitnah völlig anders beschrieben haben. Daran werden wir arbeiten.

Muss ich jetzt noch etwas sagen? Ja, ich will noch ein Wort zur Polizei sagen. Ich war, wie gesagt, Tag für Tag unterwegs und ich habe sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Ich kritisiere schon das Sicherheitskonzept und war übrigens die Einzige im Innenausschuss, die darauf aufmerksam gemacht hat, dass in einer Stellungnahme der Polizei an das Gericht die Rede davon ist, dass 24 Hundertschaften fehlen. Und eines habe ich gelernt: Wenn die Polizei zu schwach ist, wenn Polizistinnen und Polizisten Einsätze machen, die über – was weiß ich? – 20 Stunden gehen oder wo sie in 24 Stunden 90 Minuten schlafen, dann kann die Polizei nicht gut sein. Auf der einen Seite stimme ich zu: Das waren große Leistungen; ich habe junge Frauen am Rande unserer Demonstration gesehen, die im Stehen geschlafen haben. Aber ich weiß auch, dass solche Polizistinnen und Polizisten, wenn sie sich zum Beispiel einer Überzahl auch friedlicher Demonstrantinnen und Demonstranten gegenübersehen, dazu neigen, sozusagen dem Spuk ein Ende zu bereiten, und dann auch einmal schlagen, wo es unverhältnismäßig ist. Es gibt inzwischen jede Menge Ermittlungen beim Dezernat Interne Ermittlungen; es werden täglich mehr. Das wird alles aufgeklärt, hoffe ich. Wenn die Polizei schon vorher sagt, es fehlten 24 Hundertschaften, dann weiß ich, dass die Polizei in einer schwierigen Lage ist. Dafür hat sich übrigens keine andere Fraktion, auch die CDU nicht, interessiert. Das wäre aber eigentlich eine Debatte wert gewesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen sage ich: Ja, es gibt eine Menge Polizistinnen und Polizisten, die ihren Job gut gemacht haben, die Schweres getragen haben. Wir haben von Leuten gehört oder es teilweise selbst erlebt, die zusammengebrochen sind und gesagt haben, sie hätten solche Angst vor dem, was morgen passiert. Das kann ich auch wirklich alles verstehen. Ansonsten, das hat die Kollegin Özdemir schon

gesagt: Die wollen nicht einfach nur ein Danke, die wollen wirklich eine Entschuldigung, und ich finde, das ist die Stadt ihnen schuldig.

Ich habe, wie gesagt, unterschiedliche Dinge gesehen, und ich werde mich hüten, pauschal zu urteilen. Aber ich finde, das, was es an Übergriffen gegeben hat, was es an Fehlern gegeben hat, was es an falschen Reaktionen gegeben hat, das muss aufgearbeitet werden. Sonst wird nämlich Folgendes eintreten: Der Teil der Gesellschaft, den Sie sich jetzt am liebsten wegwünschen, wird sich von der Politik abwenden. Davon haben wir alle nichts, und deswegen sage ich: Unterstützen Sie die Aufarbeitung. Wir brauchen keinen Sonderausschuss, der keine Rechte hat, der nicht nachfragen kann, der nur diese Gewaltauseinandersetzungen in Altona bearbeiten will. Wir brauchen einen PUA, der Rechte hat, der aufklären kann, der laden kann, der Dokumente sehen kann und der bereit ist, das aufzuarbeiten, und zwar, damit es besser wird und damit diese Grundrechte weiter unser Leben hier in Hamburg und in dieser Gesellschaft bestimmen. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort erhält noch einmal Senator Grote.

(Arno Münster SPD: Ich habe mich auch ge- meldet!)

Das ist möglich, Herr Münster. Sie kommen dann auch an der entsprechenden Stelle dran.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es tut mir leid, dass ich noch einmal Redezeit in Anspruch nehmen muss, aber was jetzt mehrfach vorgetragen worden ist, das geht einfach so nicht, Frau Schneider.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Das haben Sie nicht zu entscheiden!)

Sie reden von einer Erosion des Rechtsstaates. Wir müssen schon ein bisschen redlich bleiben.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Der Grundrechte, nicht des Rechtsstaats!)

Gut, okay.

Wenn wir also von einer Erosion der Grundrechte sprechen, dann, glaube ich, ist es wichtig, dass wir einmal Folgendes festhalten: Mit allen Versammlungsanmeldern sind umfangreiche Kooperationsgespräche geführt worden. Es haben auch fast alle angemeldeten Versammlungen nach entsprechenden Kooperationen stattgefunden, über 50 Versammlungen, überhaupt keine Schwierigkeiten, praktisch ausnahmslos friedlich. Die Ausnahme ist "Welcome to Hell", und es wusste jeder, dass das nicht friedlich bleiben würde. Das ist der erste Punkt.

Zweitens: Ich habe gar keinen Grund, die Rechtsprechung oder die Gerichte zu kritisieren. Wir haben mit all unseren Maßnahmen fast alle Gerichtsverfahren gewonnen, die man überhaupt nur gewinnen kann. Wir haben ungefähr 20 Entscheidungen gehabt. Fast ausnahmslos wurde die Linie bestätigt, die wir an Maßnahmen umgesetzt haben. Insofern gibt es da gar keine Gerichtskritik. Im Übrigen ist die Allgemeinverfügung, die Sie als Beispiel für die Erosion der Grundrechte genannt haben, durch alle Instanzen hinweg bestätigt worden. Und noch einmal: Wenn wir die nicht gehabt hätten, wären wir überhaupt nicht zurechtgekommen.

Und was Sie immer erzählen von den Hundertschaften, die angeblich gefehlt haben: Die hätten gefehlt, wenn wir die Allgemeinverfügung nicht gehabt hätten. Die Kräfte, die man dann braucht, hätten wir aus ganz Deutschland nicht mehr herbeibekommen können. So ist das begründet worden; das stammt ja aus einem Schriftsatz von uns. Das war der Hintergrund.