Protokoll der Sitzung vom 26.09.2018

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LIN- KEN und der FDP)

Herr Warnholz, Sie haben das Wort für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der AfD-Fraktion zur Politikberatung lässt den Eindruck entstehen, als handele es sich bei der Freien und Hansestadt Hamburg um eine Bananenrepublik, quasi einen Selbstbedienungsladen der großen etablierten Parteien. Sie, Herr Professor Kruse, unterstellen allen angehörten hochkarätigen Experten, die aus ganz Deutschland angereist sind, in allen Ausschüssen per se, dass sie sich parteiisch verhalten. Ich wiederhole, parteiisch verhalten. Das konnte ich nach 23 Jahren Parlamentszugehörigkeit noch nie feststellen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Das zeigt wieder einmal, wie wenig Sie sich mit den demokratischen Gepflogenheiten, Herr Professor Kruse, arrangieren können und wollen, und leider haben Sie, wie Herr Buschhüter schon gesagt hat, in den meisten Ausschüssen keine Präsenz gezeigt.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Bei typischen Anhörungen in den verschiedenen Ausschüssen der Bürgerschaft kommen Vertreter der Wirtschaft, der Kammern oder der Gewerkschaften, Wissenschaftler, Umweltschützer, Juristen, Menschenrechtskämpfer, Verwaltungspraktiker und viele mehr zur Sprache. Auf die können wir nicht verzichten, auch wenn sie viel Geld kosten. Ich frage mich, was daran verkehrt sein soll, alle Seiten der Medaille zu betrachten, alle Sichtweisen einzuholen. Ich wage sogar die Behauptung, in der von Ihnen geforderten Datenbank unabhängiger Experten würden sich die allermeisten typischerweise angehörten Experten wiederfinden, da diese eben den Sachverstand widerspiegeln. Natürlich haben die meisten Fachleute eben aufgrund ihrer Tätigkeit oder Forschung eine Meinung zu bestimmten Sachverhalten. Und genau darum geht es doch auch: die Meinungen und Positionen zu bestimmten Themen zu sammeln, sie von allen Seiten den Abgeordneten darzubringen und hinterfragen zu lassen und letztlich eine eigene mehrheitsfähige Position zu entwickeln.

Wir lehnen den Antrag der AfD ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜ- NEN, vereinzelt bei der FDP und bei Chris- tiane Schneider DIE LINKE)

Das Wort hat Herr Müller für die GRÜNE Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ja, ich habe auch selten einen so schrägen Antrag zum Parlamentsbetrieb gelesen wie diesen.

(Ole Thorben Buschhüter)

(Zuruf von Dirk Nockemann AfD)

Ich glaube, Sie haben – Sie sind ja nun schon eine Weile in dieser Bürgerschaft – noch nicht so richtig verstanden, was der Gedanke des Parlamentarismus ist. Selbstverständlich ist es so, dass die Abgeordneten und Fraktionen frei sind, sich für ihre Überzeugung Unterstützung bei den Wissenschaftlern zu holen, und wenn sie schlau sind, suchen sie sich sogar Expertinnen und Experten, wo man nicht gleich auf den Gedanken käme, dass das Konzept, was die jeweilige Fraktion vorlegt oder wo man glaubt, man müsse darüber noch einmal reden, schon im Voraus klar ist.

(Dirk Nockemann AfD: Das hat was mit Wis- senschaft zu tun, das verstehen Sie nicht!)

Ich glaube, Sie haben es immer noch nicht verstanden.

Wenn das denn so ist, dass man – in Anführungsstrichen – die Experten holt zu einem Thema, wo jede Fraktion vielleicht eine gewisse Nähe hat, weil man so ein bisschen aus diesem gesellschaftlichen Bereich auch kommt, dann kann man das doch tun, und es ist sehr offensichtlich, dass das so ist. Aber wir sind alle, auch die Journalistinnen und Journalisten, die den Parlamentsbetrieb sowieso wieder in die Öffentlichkeit tragen, glaube ich, helle genug, sich das genau anzusehen, was Expertinnen und Experten im Auftrag sozusagen der Fraktion jeweils darlegen. Wenn Sie das nicht durchschauen oder nicht so richtig sehen können, dann hängen Sie, glaube ich, einer gewissen Sache nach, dass es den völlig abgehobenen Experten gibt, der sich in irgendwelchen Sphären bewegt, von nichts und niemandem beeinflusst ist und uns ganz objektiv sagt, wie die Welt funktioniert. Diese Personen gibt es aber nicht.

Und im Übrigen, wenn Sie jetzt schon sagen, das sei alles irgendwie beeinflusst – wir schauen uns natürlich auch die Unis an, von denen wir Expertinnen und Experten holen. Da gibt es ja auch Drittmittel. Natürlich wissen wir, dass Einflüsse überall stattfinden, aber das ist doch das Leben einer Demokratie. Wir sind pluralistisch, wir müssen durchschauen, was uns vorgesetzt wird. Das ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, und es ist auch die Aufgabe der Journalistinnen und Journalisten, sich eine eigene Meinung zu bilden. Was Sie fabrizieren, ist ein vorgezeichnetes Bild für uns Parlamentarier; das kann es so nicht geben. Wir müssen uns ein eigenes Bild machen. Wenn wir merken, das ist alles eine vorgefertigte Schablone, dann wird das auch benannt. Das hat es schon sehr oft gegeben in Expertenanhörungen, aber das schwächt in der Regel die eigene Position. Deswegen, glaube ich, sind wir alle gut beraten, natürlich ein gutes Augenmerk auf unsere Expertenbenennungen zu haben. Aber ich habe auch das Gefühl, dass das hier stattfindet. Vielleicht gibt es Fraktionen, bei denen das weniger gut funktioniert, wie

wir gehört haben, aber ich habe das Gefühl, dass es bei den anderen fünf Fraktionen sehr gut gelingt, und ich sehe überhaupt keinen Anlass, etwas an diesem System zu ändern.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Frau Schneider, Sie haben das Wort für die Fraktion DIE LINKE.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Mit ihrem Antrag will die AfD für hohe wissenschaftliche Fachkompetenz sorgen. Hätte diese Partei Witz, würde ich jetzt sagen, der Scherz ist gelungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Haben Sie einmal das kleine Video gesehen, das im Umlauf ist, in der die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch zum Klimawandel befragt wird? Für die, die es nicht gesehen haben, führe ich es kurz aus. Sie bestreitet dort die Rolle von Treibhausgasen bei der Erderwärmung und beim Anstieg des Meeresspiegels und macht als Schuldige die Sonne aus. Und das ist nicht etwa eine Einzelmeinung – schauen Sie ins AfD-Grundsatzprogramm, das, so viel ist zugestanden, auch einige triviale wahre Aussagen zum Klima enthält wie zum Beispiel: Das Klima wandelt sich, so lange die Erde existiert. Ansonsten aber bestreitet es alle Erkenntnisse über die Bedeutung menschengemachter Faktoren für das Erdklima, die seit Langem Konsens der Forschung sind, und tritt stattdessen die unwissenschaftlichen Mythen breit, die auf den Internetseiten sogenannter Klimaskeptiker verbreitet werden.

(Michael Kruse FDP: Also stimmen Sie zu, dass die AfD mehr Beratung braucht!)

Wer die Ergebnisse der Forschung ernst nimmt, wird von Frau Storch dann übrigens auch gern einmal als Klima-Nazi bezeichnet. Und der Klimawandel ist nur ein Beispiel für die Wissenschaftsignoranz oder Wissenschafts- und Realitätsfeindlichkeit dieser Partei.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Natürlich sind es nicht immer nur AfDlerinnen und AfDler, die Verschwörungstheorien verbreiten. Aber in der AfD und ihrem Umfeld sind Verschwörungstheorien zu Hause. So verbreitet Peter Boehringer, der AfD-Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Bundestag, gern die Behauptung einer kleinen globalen Elite, die im Hintergrund an der Neuen Weltordnung arbeitet und für mehr oder weniger alles verantwortlich ist, was die AfD für die Probleme unserer Zeit hält, ob Umvolkung oder Islamisierung oder die EU – oder auch die freiwillige Feuerwehr.

Politikberatung für Kompetenz und Unabhängigkeit – ich fand es sehr schön, Herr Buschhüter, wie

(Farid Müller)

Sie das auseinandergenommen haben. Denn der Umgang oder Nicht-Umgang der AfD mit Expertinnen-, Experten- und Sachverständigenanhörungen … Weder sucht sie welche noch beteiligt sie sich in der Regel an Anhörungen von Expertinnen und Experten. Das will ich also nicht mehr ausführen. Kurzum: Der Antrag der AfD ist aufgeblasen. Gemessen an ihrer Praxis hat er keinerlei Substanz.

Ich bin aber etwas anderer Meinung, als Sie, Herr Müller, es ausgeführt haben. Ich will nämlich nicht verhehlen, dass es tatsächlich ein großes demokratietheoretisches Problem gibt, und das ist nicht gelöst. Viele Entscheidungen, die Parlamente, auch wir, zu treffen haben, sind zunehmend komplex, die Auswirkungen von Entscheidungen kaum zu überschauen. Das gilt nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger – das ist, glaube ich, einer der Gründe, warum es so viel Skepsis gibt und auch so viele Verschwörungstheorien vielleicht –, das gilt auch für Abgeordnete, und es gilt auch für die Exekutive. Lösungen für diese Problematik, die nicht die demokratische Legitimation beschädigen, sind nicht leicht zu finden. Der Antrag der AfD ist mit Sicherheit nicht der Rahmen, in dem sich diese Problematik eines demokratischen Defizits und seiner Lösung angemessen diskutieren lässt. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Ksenija Be- keris SPD)

Herr Dr. Duwe hat das Wort für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Professor Kruse! Wie sag' ich es meinem Kinde? Ich gebe zu, ich habe mir das alles durchgelesen und mir dann überlegt: Warum wird eigentlich diese Forderung gestellt? Bei Ihrer Rede kam ein bisschen heraus: Wir wissen eigentlich nicht, worum es eigentlich wirklich geht, den Sachkundenachweis haben wir in den meisten Fällen nicht, wenn wir Probleme betrachten. Da kann ich Ihnen sagen, ich gebe Ihnen einen Tipp: Alles das, was Sie selbst vertreten oder Ihre Parteifreunde … Sie sind frei, bei jeder Expertenanhörung einen Klimaskeptiker oder was weiß ich zu benennen,

(Dr. Monika Schaal SPD: Ungeheuer von Loch Ness!)

und das wird dann auch im Rahmen der demokratischen Meinungsbildung angeschaut und diskutiert und so weiter. Deshalb sehe ich da überhaupt keine Probleme.

Nur eine Sache, die mir dazu noch eingefallen ist: Ich würde es begrüßen, wenn wir darüber nachdenken würden, wie im Deutschen Bundestag einen wissenschaftlichen Dienst einzurichten, der

ab und zu bei sehr speziellen Fragestellungen den Fraktionen und dem Parlament insgesamt vernünftige Expertise geben würde. Das ist etwas, das wir im Hinterkopf behalten sollten. Das kann auch ein bisschen Geld kosten, aber ich glaube, das wäre sinnvoll.

Alles andere, was Sie in Ihrem Antrag schreiben, ist, ich sage es einmal so, sehr akademisch und abgehoben – als Akademiker darf ich das sagen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Stephan Gamm CDU)

Herr Professor Kruse noch einmal für die AfD-Fraktion.

Ich fange einmal mit Frau Schneider an. Frau Schneider, vielleicht ist ja genau das, was Sie kritisiert haben bei Frau von Storch, das Ergebnis der Tatsache, dass wir wenig unabhängige echte Expertenberatung haben.

(Heiterkeit bei der SPD – Zurufe von der LINKEN)

Ja. Ich sage das deshalb so bewusst – vielleicht hören Sie mir einfach einmal zu –, ich sage das bewusst, weil das ein Thema ist, bei dem sehr häufig vorgefasste Meinungen und politische Orientierungen die Auswahl von Wissenschaftlern, die man zitiert, prägt. Besser wäre es in meinem Sinne, man würde die Experten, die es gibt zu dem Thema, darüber befragen. Und dann könnte es ja sein, dass möglicherweise Frau von Storch einen Lerneffekt hätte. Wäre ja möglich.

(Heiterkeit bei der SPD – Jens-Peter Schwieger SPD: Da glauben Sie ja selber nicht dran! Da lachen Sie doch selbst! – Glocke)

Was ich beabsichtige oder was meine Fraktion beabsichtigt, ist eigentlich nur, das Niveau der Beratung zu steigern überall dort, wo das Parlament keine eigene oder nicht genügend Expertise hat. Das bisherige Verfahren ist immer: Jede Fraktion sucht sich Leute, die das sagen, was sie selbst auch sagen wollten. Das ist aber keine echte Beratung.

(Glocke)

Beratung ist, wenn es von Leuten kommt, die ohne Rücksicht auf bestimmte politische Positionen die Leute hier beraten. Das ist der Anlass unseres Antrags. Und das bezieht sich sowohl auf die Fachkompetenz

(Glocke)

wie auf die Unabhängigkeit.