Protokoll der Sitzung vom 13.12.2018

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau von Treuenfels-Frowein. – Das Wort erhält nun für die AfD-Fraktion Herr Nockemann.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie oft ich gestern im Bereich des Innenhaushalts und heute im Bereich des Justizhaushalts die Begriffe gehört habe, wir brauchen einen starken Rechtsstaat. Ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass in diesem Haus endlich ein neuer Geist weht, Herr Kienscherf. Ich freue mich über die neuen Tendenzen bei den GRÜNEN und über die neuen Prioritäten bei der SPD. Hier fiel so oft das Wort vom starken Rechtsstaat, dass Herr Dolzer vorhin schon bedauern musste, es gebe hier eine starke Lawand-Order-Fraktion. Meine Fraktion hat gerade einmal sechs Leute – ich hoffe, dass das besser wird –,

(Heiterkeit bei der CDU und der FDP – André Trepoll CDU: Es war schon mal bes- ser!)

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

aber ich denke doch, dass Sie mit Law-and-OrderFraktion nicht etwa die GRÜNEN gemeint haben. Oder reicht es bei Ihnen schon, zu sagen, wir brauchen einen starken Rechtsstaat, der für Sicherheit und für Gerechtigkeit sorgt, um jemandem das Etikett Law-and-Order-Fraktion umhängen zu können? Herr Dolzer, ich könnte zu Ihren Ausführungen noch das eine oder andere sagen, aber ich erspare mir das.

(Martin Dolzer DIE LINKE: Das ist schön!)

Das sind alles nur Kaspereien gewesen. Je mehr Leute Sie aus den Gefängnissen entlassen, je offener die Anlagen sind, desto mehr Geld können Sie einsparen. Das können Sie in Timbuktu umsetzen, aber nicht in Deutschland.

Ein Rechtsstaat, der seinen …

(Martin Dolzer DIE LINKE: Sie haben wohl nicht zugehört!)

Es fällt mir immer schwer, Ihnen zuzuhören. Das ist ein bisschen absurd.

(Martin Dolzer DIE LINKE: Ist Ihnen zu wis- senschaftlich, oder?)

Ein Rechtsstaat, der seinen eigenen Anspruch erfüllen möchte, darf sich doch nicht mit überlangen Verfahrensdauern abfinden. Das gilt sowohl für die Zivilgerichtsbarkeit als auch für die Sozialgerichtsbarkeit als auch für die Verwaltungsgerichte. Wir haben gerade sehr plastisch vernommen, wie lange die Verfahren in Hamburg vor den Verwaltungsgerichten und vor den Oberverwaltungsgerichten dauern. Ich muss sagen, das sieht schon nicht mehr nach einem Rechtsstaat, sondern nach einem Rechtsverweigerungsstaat aus. Und ehrlich, im aktuellen Haushalt sehe ich überhaupt keine Gegensteuerung, und der neue Doppelhaushalt ist in dieser Hinsicht wenig ambitioniert.

Wenig ambitioniert ist der neue Doppelhaushalt auch im Bereich der Verfahrensdauer der staatsanwaltschaftlichen Verfahren. Jeder Beschuldigte hat doch das Recht, so schnell wie möglich sein Verfahren abgearbeitet zu bekommen und dann möglicherweise als entlastet zu gelten. In Hamburg gilt das jedenfalls nicht. Wir haben doch gesehen, dass dieser Rechtsanspruch leerläuft. Wo über 16 000 unerledigte Verfahren auf den Fensterbänken liegen, da hat ein Beschuldigter leider Gottes keinen Anspruch mehr. Und dabei geht es um schwere Delikte, Körperverletzung, Unterschlagung und Betrugsdelikte.

Wir konnten vernehmen, dass es im Bereich der Servicekräfte 16 Personen gibt, die seit Jahresanfang über 75 Tage krank sind. Herr Senator, wie reagieren Sie eigentlich darauf? Setzen Sie da eine Arbeitsgruppe ein, setzen Sie eine Kommission ein, gehen Sie einmal vor Ort, reden Sie mit den Leuten? Ich glaube, Sie wissen überhaupt nicht, was bei Ihnen im Haus los ist.

Der staatliche Strafanspruch jedenfalls geht baden. Wiederholungstäter werden in neuen Verfahren als Ersttäter behandelt, weil eben die Verfahren nicht zu Ende geführt worden sind. Das erinnert mich fatal an die vielen Tausend Fensterbankfälle, die es beim LKA gegeben hat.

Herr Steffen, Sie sind so oft in der Kritik wie kein anderer Senator in Hamburg. Das spricht wirklich für eine dauerhafte Überforderung. Ich weiß nicht, ob Ihnen der Job überhaupt noch Spaß macht. Vielleicht Ihre Steckenpferde, die Sie haben, Schwarzfahren soll straflos werden und die Freigabe weicher Drogen. Darüber hinaus vergessen Sie allerdings, dass Sie auch noch die Organisation einer Behörde an den Hacken haben, aber das scheint Ihnen anscheinend keinen Spaß zu machen. Es ist nur gut, dass die Richter weiterhin unabhängig sind, denn ansonsten würden Sie da auch noch entsprechend alles durcheinanderbringen.

(Vizepräsident Dr. Kurt Duwe übernimmt den Vorsitz.)

Die Sicherheit der Bürger kann nur gewährleistet werden, wenn die Kette Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte ununterbrochen funktioniert. Wenn ermittelte Täter freigelassen werden müssen, dann ist das für den Rechtsstaat nicht gut, es sorgt für Erosion und es frustriert die Polizeibeamten.

Im Frühjahr musste wieder ein Gewalttäter aus der Haft entlassen werden, wieder ein Beweis der Unfähigkeit des Justizsenators. Und in den kommenden 10 bis 15 Jahren wird sich doch das Personalproblem ähnlich wie bei der Polizei potenzieren. Sie wissen doch, dass auf die deutsche Justiz eine Pensionierungswelle ungeahnten Ausmaßes zurollt. All das findet doch im neuen Doppelhaushalt überhaupt keine vernünftige Abbildung.

Auch in den JVAs ist die Personaldecke mehr als dünn. Es gibt dort eine strukturelle Überlastung. 66 000 Überstunden schieben die Kollegen dort vor sich her. Die Mindestsollstärke kann kaum erfüllt werden. Die Arbeitsbedingungen sind schwer, die Gefangenen sind aggressiv, die Bezahlung ist schlecht. Sie haben hoffentlich endlich zur Kenntnis genommen, dass sich die Zahl der Strafgefangenen dauerhaft zwischen 1 900 und 2 000 eingepegelt hat. Das ist Ihnen in der Vergangenheit doch immer sehr schwergefallen. Sie reagieren mit Ihren Offensiven viel zu spät. Die Ausbildungsinitiative 2015 war ein Schritt in die richtige Richtung, aber viel ist davon verpufft, Sie finden einfach keine neuen Kräfte mehr, keine Nachwuchskräfte mehr. Da, wo Sie sie im Strafvollzug vielleicht noch finden, fallen einige durch die Prüfungen, viele kündigen nachher wieder.

Herr Steffen, ich will es auch einmal strukturell betrachten. Ich habe kürzlich in "Zeit Online" Folgendes gelesen, da ging es um ein Interview mit Ih

nen. Da sagten Sie, Sie stehen im Strafvollzug vor einem gigantischen Komplex, der sich nicht immer gleich von selbst erklärt. Irgendwo gibt es eine Veränderung und keiner kann sie ad hoc erklären. Ich glaube, den letzten Satz müssten gerade Sie umformulieren wie folgt: Irgendwo gibt es eine Veränderung, und leider bin ich immer der Letzte, der davon erfährt. Das ist genau die Krux bei Ihrer Arbeit.

(Beifall bei Harald Feineis AfD)

Der Gefängnisapparat ist sicherlich groß, Fehler sind aber nicht unvermeidlich, bei Ihnen fehlt es allerdings jeweils an einem Plan B. Diese Personalknappheit, die wir vorhin skizziert haben, gefährdet natürlich auch die qualitative Umsetzung des Resozialisierungs- und Opferhilfegesetzes.

Dann modernisieren Sie den offenen Vollzug. Es ist mir eigentlich unbegreiflich, wie Sie bei dem Neubau dort von ursprünglich einmal 16,9 Millionen Euro Planungskosten auf jetzt 33 Millionen Euro gekommen sind. Der Haushalt wird wahrscheinlich bald auch schon wieder überholt sein.

Neue Stellen für die Justiz, ja, 170 neue Stellen seit 2015, wie gesagt, ein Schritt in die richtige Richtung, aber wieder einmal viel zu spät, wie alles im Rahmen von Sicherheits- und Justizpolitik, was Rot-Grün anfängt. Sie werden den Anforderungen nicht gerecht.

(Beifall bei der AfD)

Das Wort erhält nun Senator Dr. Steffen für den Senat.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Abgeordnete! Der Senat setzt mit dem vorgelegten Einzelplan ein sehr klares Signal, und zwar ein Signal für einen handlungsfähigen Rechtsstaat. Das ist so wichtig, gerade weil der Rechtsstaat gegenwärtig massiven Angriffen ausgesetzt ist, Angriffen auf die Grundsätze unseres Rechtsstaats. Und dabei schaue ich tatsächlich auch nach rechts, Herr Nockemann. Ich weiß, dass Sie an der Stelle nicht persönlich verdächtig sind, aber in Ihrer Partei gibt es durchaus manche, denen die Grundsätze unseres Rechtsstaats herzlich egal sind.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Cansu Özdemir DIE LINKE und Anna-Elisa- beth von Treuenfels-Frowein FDP)

Deswegen ist es so wichtig, dass wir hier investieren. Das Budget erhöht sich um gut 50 Millionen Euro, das ist eine Steigerung um 7 Prozent. Dieses Geld ist gut angelegt und es kommt auch vor Ort an. Zum Glück sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz nicht solche Trauerklöße, wie Sie das hier eben gerade vorgetragen haben. Die Leute finden es gut, dass wir uns engagieren, dass

sich Senat und Bürgerschaft engagieren, die Justiz stärker berücksichtigen. Und sie nutzen diese Möglichkeiten, sie packen beherzt an und setzen das ein, um tatsächlich für bessere Bedingungen bei der Justiz zu sorgen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Dirk Nockemann AfD: Zehn Jahre früher und Sie hätten recht gehabt!)

Ich will drei konkrete Beispiele nennen, wo engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür gesorgt haben, dass wir so weit gekommen sind, wie wir jetzt sind, und darauf warten, weiterzumachen. Das Thema Resozialisierungsgesetz. Wir finanzieren unsere Übergangsangebote künftig selbstständig, sind nicht mehr auf die Europäische Union angewiesen, und wir schaffen diesen dauerhaften Rechtsanspruch, der hier auch sehr klar erläutert worden ist, und wir warten jetzt darauf, dass es zum 1. Januar 2019 losgeht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sehr gespannt auf die neuen Aufgaben, die auf sie zukommen.

Wir stärken das Verwaltungsgericht. Wir haben es mit vielen zusätzlichen Asylverfahren zu tun gehabt, darauf haben wir schon seit geraumer Zeit reagiert und wir tun das weiter. Wir wollen eben diesen Berg an Verfahren, der sich aufgebaut hat, abbauen, um dann zu kürzeren Verfahrenszeiten auch für andere Verfahren zu kommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir stärken die Generalstaatsanwaltschaft und das Oberlandesgericht, weil das Thema Terrorbekämpfung immer noch wichtig ist. Natürlich gibt es leider immer wieder solche traurigen Anlässe wie den Angriff vor wenigen Tagen in Straßburg. Wir sorgen hier für eine Handlungsfähigkeit bei der Justiz, damit wir die Aufklärungsarbeit stärken können und wirklich handlungsfähig sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Trotz der Rahmenbedingungen haben wir weiterhin die Schuldenbremse zu beachten, haben Einsparverpflichtungen. Wir haben die Möglichkeit durch diesen Haushalt, die 170 zusätzlichen Stellen weiter zu verstetigen. Das sind 170 zusätzliche Köpfe, die inzwischen schon fest zum Personalstamm gehören, die dort bleiben und die sich dort bereits engagieren. Es kommen sieben neue hinzu im Bereich offener Vollzug, Vermögensabschöpfung und so weiter. Herr Dolzer, wir investieren in den offenen Vollzug, weil er so wichtig ist für die Resozialisierung, wir bauen ihn aus. Das ist wichtig und das tun wir.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Durch die Anträge, die heute beraten werden, kommen noch 27 Stellen hinzu, 27 Stellen auf Basis der Anträge von SPD und GRÜNEN. Deswegen möchte ich mich ausdrücklich bedanken bei den Koalitionsfraktionen, dass wir mit den Anliegen

(Dirk Nockemann)

für die Justiz ein offenes Ohr finden. Gemeinsam bauen wir die Justiz aus und haben die Bedarfe der Justiz im Blick, dafür meinen herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Jetzt zu dem langfristigen Konzept. Ja, Frau von Treuenfels-Frowein, wir müssen langfristig vorgehen und das tun wir. Wir haben die Ausbildungsoffensive, die wir weiter massiv vorantreiben. Wir brauchen nämlich nicht nur Stellen, sondern wir brauchen die Menschen; die müssen wir ausbilden. Wir bilden aus Justizfachangestellte, Justizsekretärinnen, Justizsekretäre, Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger. Wir bilden aus Kolleginnen und Kollegen im Allgemeinen Vollzugsdienst. Und wir wollen natürlich mehr geeignetes Personal ausbilden, Quereinsteiger qualifizieren, auch dafür haben wir ein Programm aufgelegt. Wir investieren massiv in Fortbildung, weil sich natürlich die Anforderungen verändern, und deswegen ist es sehr wichtig, dass wir Personal finden und halten – ein Schwerpunkt in den kommenden Haushaltsjahren, auch da werden wir noch aktiver werden. Das ist ein sehr wichtiger Teil unseres langfristigen Konzepts für die Personalgewinnung und -förderung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Deswegen investieren wir auch in gute Arbeitsbedingungen. Wir investieren massiv in den Neubau von Haftanstalten, in die Modernisierung von Haftanstalten, all das gehört auch dazu. Und wir müssen eben auch investieren in zusätzliche Büroarbeitsplätze bei den Gerichten, bei der Staatsanwaltschaft, weil sich natürlich der Ausbau entsprechend bemerkbar macht.

Unsere Trias bleibt, dass wir die Justiz auf allen Ebenen stärken müssen. Dafür brauchen wir die Praxis, die sich auch bewährt hat. Wir müssen jeweils sorgfältig die Situation beobachten, entsprechende Lösungen finden. Deswegen gilt es weiterhin, dass wir die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Arbeit der Justiz im Blick behalten müssen, dass wir die Organisation verbessern müssen und das Personal da, wo erforderlich, aufbauen müssen.

Ein letzter Punkt. Auch wenn Herr Tabbert da etwas optimistischer ist, bin ich nicht so optimistisch, was den Pakt für den Rechtsstaat betrifft. Nach dem, was ich mitkriege, will der Bund sich dafür loben, dass die Länder sehr aktiv waren. Wenn die Länder aktiv sind, wenn wir Stellen schaffen, dann gelingt das natürlich nie durch den Senat allein, denn für neue Stellen braucht der Senat den Beschluss der Hamburgischen Bürgerschaft. Ich sage ausdrücklich, hier gibt es ein großes Engagement, auch bei allen anderen Fraktionen, und dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)