Protokoll der Sitzung vom 30.01.2019

Unsere Aufgabe als Politik ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um professionelle und gute Arbeit in diesem Bereich zu ermöglichen, Kindern und Eltern gute Rahmenbedingungen für ein gesundes Aufwachsen und Leben in dieser Stadt zu

(Philipp Heißner)

bieten. Dazu gehört natürlich auch, dass wir Ausgleich dort herstellen müssen, wo Benachteiligungen bestehen. Außerdem müssen wir die Durchsetzung von Kinderrechten auf unsere Fahnen schreiben. Wir müssen dafür sorgen, dass es einen gesellschaftlichen Diskurs über diese Frage gibt, denn Kinder müssen ihre Rechte erst einmal kennen, um sie einfordern zu können. Auch Eltern müssen diese Rechte kennen, denn Kinder sind wesentlich auf deren Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Rechte angewiesen. Wir sollten einen guten Blick auf unsere Institutionen haben, denn beim Jugendamt zum Beispiel ist es extrem wichtig, dass Menschen sich dort angenommen fühlen, in gewisser Weise verstanden fühlen, sich trauen, sich zu öffnen und zuzugeben, dass auch einmal etwas nicht so gut läuft. Das ist gar nicht einfach. Deswegen, glaube ich, brauchen wir im politischen Verständnis – und ich sage extra, im politischen Verständnis, denn ich glaube, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben das weitgehend – einen Wandel in der Haltung gegenüber Eltern und Kindern, denn unser Jugendamt muss zu einem Ort für Familienunterstützung werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, den Fachkräften noch mehr den Rücken zu stärken. Bessere Ausstattung ist dabei ein Standardthema, das wir hier diskutieren, bei dem in den letzten Jahren viel passiert ist und bei dem wir sicher noch nicht am Ende sind. Auch da gibt es wieder eine Aufgabe für uns alle in dieser Gesellschaft. Gemeinschaftlich müssen wir die Arbeit in diesem Feld anerkennen, denn sie ist schwierig und sie ist, glaube ich, in vielen Fällen auch noch nicht so richtig verstanden.

Der Abschlussbericht der Enquete ist sozusagen das Ende eines Kapitels, aber nicht das Ende des Buches "Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken". Und weil das insgesamt ein spannendes und bedeutsames Werk ist, wollen wir jetzt auch ohne Umschweife das nächste Kapitel schreiben. Deswegen bringen wir heute zwei Zusatzanträge zum Bericht ein, damit wir gemeinsam mit dem Senat direkt in die Umsetzung gehen können. Im Rahmen der Enquete-Kommission haben wir uns insbesondere – Herr Heißner hat es gerade schon ein bisschen angerissen – mit der Perspektive von Kindern und der Durchsetzung ihrer Rechte in familiengerichtlichen Verfahren beschäftigt. Die Umsetzung soll jetzt sozusagen folgende Empfehlung … Denn es gibt besondere Umstände und Herausforderungen in familiengerichtlichen Verfahren. Da sind nämlich hohe fachliche und auch hohe menschliche Anforderungen an die Familienrichterinnen und -richter gestellt. Gerade die Kinder erleben es teilweise als eine sehr belastende Situation mit Loyalitätskonflikten und vielen Dingen, denen sie altersmäßig noch gar nicht gewachsen sind. Deswegen wollen wir mit unserem Antrag zur

Qualitätssicherung in familiengerichtlichen Verfahren jetzt vier Maßnahmen auf den Weg bringen. Das sind die Fortbildungsverpflichtung für Richterinnen und Richter, die Prüfung einer Bundesratsinitiative zur Einführung von Eingangsvoraussetzungen für Familienrichterinnen und -richter, die Verbesserung der Qualität der Kindesanhörungen – übrigens wesentlich für die Frage, wie stark die Perspektive des Kindes in einem familiengerichtlichen Verfahren tatsächlich eingebracht wird – und Maßnahmen zur Erhöhung des Angebots an qualifizierten Sachverständigen in diesen Kinderschutzverfahren. Für alle weiteren Empfehlungen haben wir einen weiteren Zusatzantrag eingebracht. In den Empfehlungen stehen nämlich Dinge, die wir zum Teil noch operationalisieren und diskutieren müssen und deswegen macht es keinen Sinn zu sagen, nächstes Jahr müsse das alles fertig sein. Wir werden noch viel, ich hoffe, guten, konstruktiven politischen Streit im Familienausschuss haben. Ich freue mich sehr darüber, dass sich diesem Antrag DIE LINKE und die FDP angeschlossen haben und das heute unser gemeinsamer Antrag ist. – Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit und auch weiterhin gute Zusammenarbeit.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Daniel Oetzel FDP)

Vielen Dank, Frau Gallina. – Als Nächste erhält das Wort Frau Boeddinghaus für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere intensive Überzeugungsarbeit gemeinsam mit vielen Fachleuten in der Stadt für eine Enquete-Kommission hat sich gelohnt

(Beifall bei der LINKEN und bei Anna Gallina GRÜNE)

und das war wirklich keine Selbstverständlichkeit. Dass es gelungen ist, alle Entscheidungen parteiübergreifend und in Gemeinsamkeit von Politik und Wissenschaft zu verabschieden, hat eine enorme Signalwirkung in die Stadt, in die Fachwelt und ins gesamte Bundesgebiet hinein. Durch die Mitwirkung von bundesweit anerkannten Expertinnen und Experten hat der Bericht zugleich eine Orientierungsfunktion für die aktuelle Debatte um einen Neustart der Reform der Kinder- und Jugendhilfe und die Verankerung eigenständiger Kinderrechte im Grundgesetz. Die zwei Jahre in der EnqueteKommission waren ein großartiges Fortbildungsprogramm für uns Abgeordnete und mein Eindruck ist, dass es von den allermeisten gern angenommen wurde.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

(Anna Gallina)

Bis auf zwei Ausrutscher hat sich bewährt und ausgezahlt, dass die Arbeit in einer Enquete-Kommission sich viel mehr auf die Inhalte konzentriert und die üblichen politischen Reflexe abflachen. Auch die Expertinnen und Experten haben deutlich gemacht, dass sie in erster Linie der Sache und ihrer Fachlichkeit verpflichtet waren und nicht der Fraktion, von der sie berufen wurden. Vielen Dank dafür.

(Beifall bei der LINKEN und bei Philipp Heiß- ner CDU)

Dem Vorsitzenden gilt unser besonderer Dank, der von der ersten Sitzung an konsequent dafür gesorgt hat, immer wieder aufzuzeigen, dass Kinderschutz weit mehr ist als Gefahrenabwehr und dass Stärkung der Kinderrechte auch bedeutet, das Recht eines jeden Kindes auf ein gesundes Aufwachsen in unserer Stadt sicherzustellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Arbeitsstab war aus unserer Sicht das Rückgrat der Kommission. Er hat eine unfassbare Arbeit geleistet und war weitaus mehr als ein bloßes Sekretariat. Er hat im Sinne des Kindeswohls inhaltliche Impulse gesetzt und immer wieder dafür gesorgt, dass Struktur und Orientierung unserer Arbeit nicht verloren gingen. Herzlichen Dank an alle Mitglieder des Arbeitsstabes.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Die Arbeit der Enquete-Kommission hat bei der Hamburger Fachebene hohe Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden. Zahlreiche Fachverbände, ver.di, der Pflegeelternrat, die Hochschulen, die Patriotische Gesellschaft, die Yagmur-Gedächtnisstiftung, alle haben die Enquete-Kommission mit ihren Stellungnahmen und Fachveranstaltungen begleitet. All diesen Akteuren gebührt Dank für den lebendigen zivilgesellschaftlichen und fachlichen Diskurs, der unsere Stadt bereichert hat.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der SPD und bei Daniel Oetzel FDP)

Dass es erstmals möglich war, die Perspektive und Erfahrung von Eltern und Kindern durch die Beteiligungswirtschaft einzubringen, und dass erstmals die Fachkräfte der ASD und der freien Träger eine ungefilterte Beurteilung ihrer Arbeitsmöglichkeiten vornehmen konnten, hat wirklich Maßstäbe gesetzt, hinter die wir nicht mehr zurückgehen. Aus unserer Sicht sind die wesentlichen Handlungsbedarfe nun folgende: Ausbau der sozialen Infrastruktur, Abbau der bürokratischen Überregulierung der Allgemeinen Sozialen Dienste und die verbindliche Einbeziehung der Kinder, Jugendlichen und Eltern in die Hilfeplanung. Kinderrechte umfassen das Recht auf Schutz, auf Förderung und auf Teilhabe.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu gehört für uns zentral die aktive Armutsbekämpfung mit einer Stärkung der Einrichtung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in der Familienförderung auf Basis einer wiederzubelebenden bezirklichen Jugendhilfeplanung.

(Beifall bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Die Rahmenbedingungen für eine professionelle Beratungs- und Erziehungsarbeit, ausgerichtet an den Bedürfnissen der hilfesuchenden Menschen, müssen also neu verhandelt werden. In diesem Zusammenhang – das kündige ich hier durchaus schon an – werden wir auch das Hamburger Ausführungsgesetz zum SGB VIII wieder auf den Prüfstand stellen.

Zum Schluss ein Zitat des Vorsitzenden:

"Dieser Bericht ist daher ein Beginn und auf keinen Fall ein Abschluss, um in Hamburg in gemeinsamer Anstrengung den Kinderschutz als Aufgabe einer Stadtgesellschaft weiterzuentwickeln und die Rechte aller Kinder zu stärken."

In diesem Sinne fängt die Arbeit jetzt erst richtig an. Wir freuen uns darauf und begrüßen sehr, dass es schon heute konkrete Anträge gibt. Wir stimmen natürlich dem zu, wo wir sowieso drauf sind, und dem anderen Antrag auch. Wir stimmen dem Antrag der FDP nicht zu, denn ich finde, dass wir gerade jetzt für unsere Position und auch für unsere Minderheitenposition in dem Bericht werben müssen. Deswegen geht der Dialog weiter, mit der Fachwelt in der Stadt, mit uns als Fraktion, die wir jetzt in einem kontroversen Austausch weitergehen. Und dann werden wir weitersehen, wie wir all die Empfehlungen realisieren. Ich hoffe, dass wir das gemeinsam weiterhin gut voranbringen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Boeddinghaus. – Als Nächsten rufe ich auf Daniel Oetzel für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich den Danksagungen meiner Vorrednerinnen und Vorredner anschließen. Ohne die Unterstützung aus der Praxis und der Fachwelt sowie der Wissenschaft, dem Arbeitsstab, der Bürgerschaftskanzlei, den vielen Auskunftspersonen wäre das jetzt vorliegende Ergebnis garantiert nicht möglich gewesen. Also vielen Dank an alle, die uns in den letzten zwei Jahren so gut unterstützt haben.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜNEN und bei Sabine Boeddinghaus DIE LINKE)

(Sabine Boeddinghaus)

Wir als FDP-Fraktion haben vor zwei Jahren die Kommission und die Einsetzung mit angestoßen, weil wir es damals für richtig gehalten haben und es auch heute noch immer tun, dass man sich zwar im Angesicht der tragischen Kinderschutzfälle, aber dennoch einmal fallunabhängig mit den Strukturen des Kinderschutzes in Hamburg grundsätzlich befassen muss. Im Gegensatz zur CDUFraktion fühle ich mich durch diesen jetzt vorliegenden Bericht eher darin bestärkt, dass das eine gute Entscheidung war.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜNEN und bei Sabine Boeddinghaus DIE LINKE)

Auch wenn der Name Abschlussbericht etwas anderes suggeriert, befinden wir uns nicht am Abschluss, sondern am Anfang eines Prozesses. Papier ist geduldig. 700 Seiten machen noch keinen einzigen Prozess besser, keine Regel wird dadurch anwendbarer und es ist auch noch kein einziges Personalproblem gelöst. Da ist jetzt noch eine Menge Holz vor uns in den nächsten Jahren.

Dass dieser Bericht einstimmig verabschiedet wurde, ist – meine Vorredner haben es teilweise gesagt – eine große Chance. Ich glaube, dass dieser Abschlussbericht in den nächsten Jahren eines der meistzitierten Dokumente im Familienausschuss werden könnte, möglicherweise auch ab und zu deshalb, weil wir als Opposition die Regierung daran erinnern, was sie damals als einstimmig mitgetragen hat. Darüber werden wir heute sicherlich nicht zum letzten Mal gesprochen haben.

Neben den zahlreichen Vorschlägen, die gemeinsam verabschiedet worden sind, haben wir als Oppositionsfraktionen noch weitere Sondervoten vorgelegt; auch wir sind dabei. Frau Boeddinghaus, ich finde, man kann, wenn man hinter dem eigenen Sondervotum steht, durchaus das Selbstbewusstsein haben, den Senat nicht nur in unserem gemeinsamen Antrag dazu aufzufordern, die gemeinschaftlichen Voten umzusetzen, sondern auch das eigene Sondervotum. Dass Sie unserem nicht zustimmen, weil wir das Selbstbewusstsein haben, unser Votum dem Senat vorzulegen, kann ich nicht so ganz nachvollziehen.

(Zuruf von Sabine Boeddinghaus DIE LINKE)

Es spricht aber möglicherweise von Ihrem mangelnden Selbstbewusstsein angesichts Ihres eigenen Votums. Anders kann ich mir das an dieser Stelle wirklich nicht erklären.

(Beifall bei der FDP)

Ein zentrales Anliegen der FDP-Fraktion bei der Einsetzung schon am Anfang der Enquete-Kommission war unsere Überzeugung, dass der Austausch zwischen den einzelnen Professionen des Kinderschutzes an den Schnittstellen verbessert werden muss. Wir fühlen uns in dieser Haltung

nach den zwei Jahren bestärkt. Viel zu oft kommt es an diesen Stellen in Hamburg zu Reibungsverlusten und die Qualität in der Kooperation – das hat unter anderem die Umfrage der Beteiligten ergeben – wird immer als sehr stark individuell und sehr stark personenabhängig bewertet. Wir fordern daher in unserem Sondervotum, dass es zukünftig an jeder beteiligten Institution, an jeder Schule, an jeder Kita einen konkreten Ansprechpartner für den Kinderschutz gibt, damit er oder sie vor Ort Experte sein kann, aber auch Sprachrohr für den ASD und andere Professionen, damit das Verständnis füreinander wächst, damit Ansprechpartner da sind und die Kommunikation verbessert wird.

Auch die Schnittstelle ASD/Polizei muss noch einmal dringend in den Blick genommen werden. Fast 80 Prozent aller Kindeswohlmeldungen kommen über die Polizei, das heißt also, sie ist ein wichtiger Faktor. Allerdings bestätigen sich am Ende des Tages nur wenige der Fälle, die die Polizei meldet, als wirklich tatsächliche Kinderschutzfälle. Es ist auf der einen Seite gut, dass die Polizei mittlerweile ein hohes Bewusstsein dafür hat, dass das wichtig ist, aber gleichzeitig ist natürlich jeder Fall, der sich am Ende nicht bestätigt, eine weitere Belastung für die ohnehin oftmals am Limit arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Dienste. Das sollte man sich ebenfalls noch einmal anschauen. Wir haben dazu den Vorschlag eines Perspektivwechsels gemacht und wollen, dass die am Kinderschutz Beteiligten ab und zu so ein kleines Austauschprogramm machen, dass also Lehrerinnen und Lehrer in den ASD reinschnuppern, dass Medizinerinnen und Mediziner die Gelegenheit haben, sich den ASD einmal genauer anzugucken, und Ähnliches. Auch das würde unseres Erachtens die Abstimmung an den Schnittstellen massiv verbessern.

(Beifall bei der FDP)

Einen wirklich bleibenden Eindruck hat bei mir der Austausch mit Betroffenen hinterlassen. Wir hatten am Rande der Kommission die Gelegenheit, in nicht öffentlicher Sitzung mit einigen Betroffenen ins Gespräch zu kommen, die uns versichert haben – und das war wirklich sehr eindrücklich –, dass ihnen sehr geholfen hat und sie erst wieder angefangen haben, Halt zu finden, als sie sich mit anderen Betroffenen austauschen konnten. Ein Teil unseres Sondervotums ist daher auch die Verstärkung der Elternarbeit und des Austausches der Betroffenen untereinander.

Mit Blick auf die Uhr kann ich die anderen Sachen jetzt nur etwas anreizen. Wir wollen, dass das Kind zu jedem Zeitpunkt im Zentrum der Fallbearbeitung ist – Herr Lohmann hat es eben auch schon gesagt –, wir fordern auch den Bundestag auf, sich mit dieser Thematik weiterhin auseinanderzusetzen, weil mehrere Dinge nur auf Bundesebene ge

ändert werden können. Wir wollen eine grundlegende Evaluation der Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und zukünftig nicht mehr nur messen, wie viele Angebote wir machen, sondern auch, ob die Angebote wirklich ankommen.

Ich bin überzeugt davon, dass die Umsetzung dieser Empfehlungen für Hamburgs Kinder einen echten Mehrwert darstellen würde, und deshalb würde ich an dieser Stelle die Regierungsfraktionen wirklich darum bitten: Wenn Sie auch nur einmal einen Antrag der Oppositionsfraktionen annehmen, dann wäre das heute eine gute Gelegenheit. – Vielen Dank.