Protokoll der Sitzung vom 27.02.2019

Frau Özdemir, Sie haben für DIE LINKE gesagt, es müsse ein Gesetz geben mit Konsequenzen für die Parteien, also auch eine klare Aussage, es müsse die Knute von Staats wegen geben. Frau Engels, Sie haben auch klar gesagt, die Hälfte der Macht gehöre den Frauen. Also da sehe ich es, ehrlich gesagt, genauso wie Frau von TreuenfelsFrowein: Mit dem Begriff Macht habe ich an dieser Stelle ein ganz erhebliches Problem. Ich habe ein anderes Abgeordnetenverständnis als Sie, ein ganz anderes. Ich bin gewählt, ich bin frei gewählt worden als Abgeordneter in einer repräsentativen Demokratie und mein Selbstverständnis für mich als Abgeordneter, als der ich heute vor Ihnen stehe, sagt mir, ich repräsentiere das ganze Volk.

(Michael Kruse FDP: Du allein?)

Ich versuche es zumindest.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Mit dem ganzen Volk meine ich Männer, Frauen, Behinderte und auch Ausländer, Leute mit Migrationshintergrund, 30 Prozent …

(Zurufe von der SPD)

Ja, das ist doch selbstverständlich, da brauchen Sie sich doch nicht aufzuregen.

Wie viele Themen haben wir hier, die Abschiebungen, Asyl oder Ähnliches betreffen, die also ganz besonders auf ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger anzuwenden sind, über die wir kontrovers debattieren? Wer würde bitte für sich in Anspruch nehmen, nur weil er selbst kein Geflüchteter sei, könne er darüber nicht reden? Das ist doch absurd.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Glocke)

Herr Seelmaecker, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Flocken?

Ja, sowohl als auch.

Aber in der Reihenfolge: Herr Dr. Flocken, dann Frau Güçlü, bitte.

Herr Seelmaecker, Sie hatten eben gesagt, dass Frauen sich nicht weniger für Politik interessieren. Sind Ihnen die Zahlen der Parteimitgliedschaften von Frauen und Männern bekannt? Sind Ihnen die Fragen von Albus bekannt, wo nach der subjektiven Einschätzung der Frauen gefragt wurde, wie stark sie sich für Politik einschließlich der Entwicklung in den letzten Jahrzehnten interessieren? Und die Befragung über tatsächliches Wissen über Politik, mit dem Versuch, es zu objektivieren? Sind Ihnen diese Untersuchungen bekannt?

Ich kann selbstverständlich für die CDU sprechen, da kenne ich die Zahlen in Hamburg. Wir haben einen Frauenanteil von über 40 Prozent; das ist auch gut so. Das Problem innerhalb der Parteien mag darin begründet liegen, dass sie Parteiarbeit vielleicht nicht toll finden. Aber vielleicht müssen die Parteien dann selbst überlegen, wie sie dafür sorgen können, dass die Damen und Herren sich mehr engagieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Güçlü mit einer Zwischenfrage.

Herr Seelmaecker, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie vorhin gemeint, wenn über eine Quotierung Frauen und Männer in ein Parlament gewählt werden, dass Frauen dann quasi nur Fraueninteressen vertreten. Haben Sie diesen Eindruck bei der LINKEN und bei den GRÜNEN? Ich meine, dass das Quatsch ist, dass sie alle vertrete, und das geht auch mit einem Parité-Gesetz.

Das ist genau das, was ich gerade eben versucht habe zu sagen. Selbstverständlich unterstelle ich keiner der hier anwesenden Frauen, sie könnten nicht auch Männer oder Männerthemen vertreten. Das ist genau der Punkt. Deswegen sage ich, wir sind doch heute viel weiter als diese Debatte, die Sie hier angeschoben haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Und im Übrigen halte ich diese Debatte, ehrlich gesagt, zur Unzeit gehalten und im Grunde genommen an dieser Stelle, weil wir hier nicht die Zeit haben, um noch in die Tiefe zu gehen, auch für ein Stück weit unehrlich. Denn nach außen wird immer suggeriert, es sei ein Parité-Gesetz und nichts anderes wollten Sie. Sie sagen, Sie wollten diese beiden Parteien hier dazu zwingen, im Aufstellungsverfahren bestimmte Formen vorzunehmen. Und Sie wollen das tun mit einem Zwang.

(Dirk Kienscherf SPD: Sie haben das selber angemeldet!)

Da will ich nur Folgendes sagen: Dann müssen Sie aber an das Wahlrecht heran in Bezug auf die Wahlkreise. Das wollen Sie aber nicht.

(Anna Gallina GRÜNE: Doch!)

Denn was würde es denn bedeuten? Ich will Ihnen das konkret sagen. Wenn wir das letzte Mal Ihre Parité-Geschichte gehabt hätten, was hätte es denn verändert? Dann hätten wir jetzt, wenn überhaupt, maximal drei Frauen bei der CDU im Parlament. Das heißt, es hätte an dieser Stelle nichts geändert, weil 18 unserer Abgeordneten über die Wahlkreise gekommen sind.

(Beifall bei der CDU – Glocke)

Sie regen zu Nachfragen an, also Ihre Rede. Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Gallina?

Ich wollte zum einen den Hinweis geben, dass nicht wir GRÜNE dieses Thema jetzt angemeldet haben, sondern dass es bei uns einen Parteibeschluss gibt, der offensichtlich so viel Wahrnehmung erfährt, dass andere ihn zur Debatte anmelden, was mich durchaus freut. Ich wollte Sie aber auch darauf hinweisen, weil Sie gerade gesagt haben, im Bereich der Wahlkreislisten

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: So kann man es auch drehen!)

würden wir das nicht fordern. Wir tun das explizit, wir fordern das im Bereich der Wahlkreise. Das können Sie auch in unserem Antrag nachlesen.

Gut. Das ist genau das, was ich meinte. Von den 17 oder 18 Abgeordneten waren 17 bei uns auf Platz 1. Da hätte es keinen Unterschied gemacht, wenn auf Platz 2 überall eine Frau gewesen wäre, wenn es nicht der Fall gewesen wäre.

(Dennis Thering CDU: Das bringt nichts!)

Da brauchen Sie mich nicht anzuschreien, das macht doch keinen Unterschied in der Sache. Aber wir sind uns in einem Punkt doch einig.

(Beifall bei der CDU)

In einem Punkt sind wir uns doch einig. Wir sind uns darin einig, dass wir als Gesellschaft und wir als Parlament in besonderer Verantwortung sind, weiterhin dafür zu sorgen, dass die Gleichstellung voranschreitet. Wir haben nur den Unterschied: Sie wollen andere Parteien dazu per Gesetz zwingen und wir wollen auf Freiwilligkeit setzen und sagen:

Wir setzen auf den gesunden Menschenverstand, lasst uns das einmal machen. Und seien Sie doch froh, wenn Sie am Ende glauben, das in Ihrem Wahlkampf ins Feld führen zu können und sagen zu können: Guck mal, das sind die Frauenfeindlichen und wir sind die Frauenfreundlichen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Gallina hat jetzt das Wort für die GRÜNE Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Vorwurf des Zwangs würde ich gern etwas sagen, denn Sie tun in der Debatte teilweise so, als würde uns das Wahlgesetz überhaupt keine Vorgaben machen. Das ist aber nicht der Fall. Wir haben beispielsweise eine Wahlrechtsreform gehabt – und da kommen wir zu den Wahlkreisen, über die wir eben auch gesprochen haben –, die uns jetzt vorgibt, dass wir in Wahlkreisen Kandidatinnen und Kandidaten aufstellen müssen, wenn man als Partei beispielsweise nicht genügend Mitglieder hat, um das zu tun. Dann ist es auch einmal so, dass ein Wahlkreis beispielsweise leer bleiben muss. Also, dieser Eingriff in die Organisation von Parteien durch das Wahlgesetz findet statt und wir sagen, dass wir einmal darüber diskutieren wollen, inwiefern das auch auf andere Bereiche Anwendung finden kann. Und da kann man auch unterschiedlicher Auffassung sein.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Immerhin!)

Aber es ist nicht so, dass wir bisher keine Eingriffe in diesem Bereich hätten. Das, finde ich, gehört zur sachlichen Darstellung dazu.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Zu dem Thema Macht: Das ist tatsächlich eine kleine Ablenkungsdebatte hier und soll das Ganze wahrscheinlich so ein bisschen schmuddelig erscheinen lassen. Nach meinem Politikverständnis machen wir das hier, weil wir alle allgemeinverbindliche Entscheidungen für diese Gesellschaft treffen wollen, mit unterschiedlichen Ideen, wie das inhaltlich auszusehen hat. Und wenn wir dann keine Mehrheiten und keine Macht haben, das durchzusetzen, dann kommen wir nicht dahin. Also natürlich reden wir auch in diesem parlamentarischen Kontext über Macht.

Dann würde ich gern noch einmal etwas zur AfD sagen. Das ist hier der Klassiker der AfD-Rhetorik, Herr Nockemann, den Sie gemacht haben. Man nennt das auch Whataboutism. Sie fragen nämlich, ob wir denn eigentlich keine anderen Probleme hätten. Meine Kolleginnen haben zum Glück schon ausgeführt,

(Richard Seelmaecker)

(Dirk Nockemann AfD: Ich habe gesagt, dass Sie keine anderen haben!)

dass Gleichberechtigung ein Auftrag ist in dieser Gesellschaft; und dass sie nicht besteht, ist tatsächlich ein Problem. Wir haben darüber hinaus aber auch andere Probleme, wie zum Beispiel die Klimakrise, wie zum Beispiel Altersarmut von Frauen, wie zum Beispiel rechte Hetze in Deutschland und Europa – alles Themen, mit denen alle Parteien außer Ihrer sich in diesem Parlament beschäftigen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich finde es bezeichnend, dass Sie offensichtlich wahnsinnig viel Angst haben vor Frauen in der Politik. Ich erinnere Sie einmal daran, dass Sie sich nach der Silvesternacht in Köln zu den angeblich vermeintlich echten Frauenrechtlern aufgeschwungen haben. Wie perfide, wie unglaubwürdig. Wo sind sie denn jetzt, die Frauenrechtler in der AfD, wo es um diese Machtverteilungsfragen geht?

(Vizepräsidentin Antje Möller übernimmt den Vorsitz.)

Wo sind Sie jetzt,