Protokoll der Sitzung vom 15.03.2000

Dass der Schutz der Bevölkerung vor Straftätern für uns allerdings an erster Stelle steht, habe ich bereits erwähnt.

Meine Damen und Herren, auch wenn die Flucht des Gefangenen am 15. Dezember 1999 wieder einmal zu Recht Unruhe in der Bevölkerung ausgelöst hat, sollte dies uns allen nicht den Blick verstellen, für die Leistungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Sie versehen nämlich jeden Tag im Strafvollzug einen sehr schwierigen Dienst. Im Jahre 1999 ist es von 4.069 Gefangenen leider neun gelungen, sich durch Flucht den Haftanstalten zu entziehen. Dies bedeutet eine Quote von 0,22 Prozent. Im Jahr 1998 – die Zahlen für 1999 liegen mir noch nicht vor – haben die Beamtinnen und Beamten des Strafvollzuges bei 7.055 Prognoseentscheidungen, die sie bei Vollzugslockerungsmaßnahmen zu treffen hatten, lediglich in 0,71 Prozent der Fälle fehlgelegen.

(Vizepräsidentin Kerstin Kassner übernimmt den Vorsitz.)

Dies ist, denke ich, um so beachtlicher, wenn man berücksichtigt, dass es bei solchen Entscheidungen darum geht, das zukünftige Verhalten eines außerordentlich schwierigen Klientels zuverlässig vorauszusagen. Und dass das mit so großer Treffsicherheit geschehen ist, dafür sollten wir alle einmal unseren Dank aussprechen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss eine Bitte wiederholen, die schon mein Amtsvorgänger hier im Plenum ausgesprochen hat. Sie wurde nicht aus dem politischen Raum, sondern von einer Expertenkommission formuliert, die vor einigen Jahren einmal von einer CDU-geführten Landesregierung in Berlin eingesetzt wurde. Zitat:

„Der Strafvollzug kann sich nur langfristig bei überzeugenden und relativ gleichbleibenden Konzeptionen entwickeln. Sicherheitsrelevante Vorfälle im Strafvollzug stellen ein Risiko dar, das zwar nur schwer zu kalkulieren ist, solange gesetzlich vorgegebene Vollzugsgrundsätze umgesetzt werden. Solange und soweit der Vollzug Menschen an Freiheit gewöhnen muss, werden einige Menschen diese Freiheit auch missbrauchen.

Gleichwohl dürfen deswegen die Grundsätze eines rechtsstaatlich ausgerichteten Strafvollzuges nicht tangiert und durch die Politik in Frage gestellt werden. Es ist deshalb ein Fehler, wenn sicherheitsrelevante Ereignisse in populistischer Art und Weise genutzt werden,“

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

„um tagespolitische Vorteile im Blick der öffentlichen Meinung zu erheischen.

Die wechselnden politischen Anforderungen verunsichern das auf Kontinuität angelegte System des Strafvoll

zuges in fundamentaler Weise. Insofern wird eine unkontrollierte Vollzugspolitik selbst zum Sicherheitsrisiko.“

Meine Damen und Herren, im Sinne der Empfehlung dieser Kommission haben wir es hier im Land in der Vergangenheit meist verstanden, den Strafvollzug aus politischen Profilierungsversuchen herauszuhalten und stattdessen Kontinuität sicherzustellen. Vielleicht trägt dazu bei, dass Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen dieses Parlamentes sich auch als Beiratsmitglieder ehrenamtlich um den Strafvollzug bemühen. Lassen Sie es uns auch in Zukunft so halten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Vielen Dank, Herr Justizminister.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Thomas von der CDU-Fraktion. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Herr Ministerpräsident, Herr Justizminister, ich denke, ich kann da in vielen Dingen folgen. Aber es ist unsere Aufgabe, auf Missstände aufmerksam zu machen, und zwar nicht, um kurzfristig irgendwelche politische Vorteile zu erhaschen, sondern auch in den Punkten – und dort sind ja immer Menschen gefährdet – die Mängel anzusprechen und dafür zu sorgen, auch öffentlich dafür zu sorgen, dass sie dann durchgesetzt werden. Ich glaube, das hat etwas mit unserem Demokratieverständnis zu tun. Und wenn ich mich recht erinnere, haben Sie das in der ersten Legislaturperiode und die PDS in der zweiten Legislaturperiode auch so gehalten. Also das weise ich doch etwas, zumindest in Teilbereichen zurück.

Was neue Stellen anbelangt, so gibt es da doch noch einige Stellen, die unbesetzt sind. Soviel ich weiß, fehlen in Bützow acht Stellen. Und die größten Probleme gibt es in Neubrandenburg. Dort fehlen sogar 16 bei 96 Personalstellen. Wir wären schon ganz angetan, wenn sich in diesem Bereich etwas ändert. Natürlich, wie man so sagt, Menschen machen Fehler. Aber in einem sensiblen Bereich, wo durch Fehler Menschen zu Tode kommen können, ich glaube, da müssen die Anforderungen viel höher sein. Und da ist Kritik, auch unangenehme Kritik, denke ich, angebracht, wenn es dazu dient, zukünftig Menschen zu schützen.

Insgesamt den Aufbau des Strafvollzuges hier zu würdigen, denke ich, das war in Ordnung. Und die Leistungen der Vollzugsbediensteten mit einzuschließen, das ist auch in Ordnung. Das habe ich im Übrigen in dem Bericht vermisst, aber ich gehe noch darauf ein.

Der Antrag vom 01.12.1999 ist ja auf Initiative der PDS zustande gekommen und lautete kurz und knapp „Gestaltung Strafvollzug“. Ich hatte den Eindruck, die waren in sehr großer Sorge darüber, dass der Ministerpräsident das Amt des Justizministers doch nicht ganz so ausfüllt,

(Zuruf von Götz Kreuzer, PDS)

so dass er aufgefordert werden musste – ja, doch, mein Eindruck, das ist ja nun mal einer –, ein Konzept bis zum 31.12. vorzulegen. Dass die Ereignisse jetzt dazu geführt haben, einen Zwischenbericht aus Ihrer Sicht zu bringen, halten wir auch für richtig. Aber es ist schon nicht ganz

gewöhnlich, den Justizminister dazu aufzufordern, seinen Job zu machen.

(Heike Lorenz, PDS: Für gewöhnlich nicht.)

Und dass Sie nun den Eindruck erwecken, Sie sind von sich aus aufgewacht, ich glaube, das stimmt nicht ganz. Sie sind natürlich aufgewacht, aber nur durch Pleiten, Pech und Pannen. Durch die öffentliche Meinung und auch durch die Opposition und natürlich im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion nach dem Ausbruch zweier Straftäter, und zwar gefährlicher Straftäter, sind Sie aus Ihrem doch etwas tieferen Schlaf gerissen worden. Denn von allein wäre da wohl nicht so viel passiert.

Zur Erinnerung: Die am 30.11. vorigen Jahres entwichenen Gewalttäter konnten erst gefasst werden, nachdem die von den Tätern entführte Geisel freigelassen wurde. Die Geisel informierte die Polizei

(Siegfried Friese, SPD: Das Thema lautet Strafvollzug. Sie reden über was ganz anderes.)

über den Gefährlichkeitsgrad der Verbrecher, und nicht die zuständigen Ministerien. Aus unserer Sicht war es schon hochnotpeinlich, wie sich Innenminister, Sozialministerin und unser Justizminister gegenseitig die Verantwortung für die eklatanten Versäumnisse zuschoben.

(Siegfried Friese, SPD: Wir reden heute über den Strafvollzug. – Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Wir reden über Strafvollzug, auch das gehört dazu.

(Annegrit Koburger, PDS: Nein, Sie reden nicht dazu.)

Die Grundsätze des Strafvollzuges gehören auch dazu.

(Siegfried Friese, SPD: Nein, Sie bringen Äpfel und Birnen durcheinander.)

Hören Sie auf! Was Sie durcheinander bringen, das lassen wir lieber sein.

Während die Minister hartnäckig über die Verantwortlichkeiten stritten, ohne die eklatanten Versäumnisse zu beseitigen, liefen ihnen wieder zwei Gewalttäter davon. Der Justizminister im Nebenamt sah dem Treiben zu, ohne die zuständigen Minister aufzufordern, nach dem Ausbruch ihre Amtspflichten endlich ernst zu nehmen. Auch das gehört zum Strafvollzug.

(Annegrit Koburger, PDS: Das hat doch mit dem Strafvollzug nichts zu tun.)

Er hat damit genauso versagt wie die Sozialministerin und der Innenminister.

Den Vogel schoss natürlich wieder einmal der Innenminister ab, als er mit ministerieller Unschuldsmiene verkündete, er habe vom Ausbruch der Gewalttäter, der Samstagnacht erfolgte, erst am Dienstag erfahren. Es sei aber alles in Ordnung gewesen. Was wir damals noch alles in den Ausschüssen haben hören müssen von Dr. Timm, Frau Dr. Bunge und dem ganz tollen Staatssekretär Herrn Professor Dr. Azzola, das war wirklich schon jenseits von Eden. Und ich finde schon, dass man darüber reden muss. Und das gehört dazu.

(Annegrit Koburger, PDS: Das gehört nicht dazu. Die Forensik hat mit dem Strafvollzug nichts zu tun.)

Und eines steht doch fest:...

Ja, ja, Sie brauchen mich doch nicht zu belehren.

(Annegrit Koburger, PDS: Sie müssen mal ein bisschen Gesetze lesen.)

... Ohne unsere hartnäckigen Fragen in den Ausschüssen zur Verhinderung weiterer Pannen – und dazu gehören auch Pannen im Strafvollzug, denn das hatte was mit laxem Umgang zu tun – und die Medienberichterstattung hätte sich diese Landesregierung doch keinen Millimeter bewegt. Oder hätten Sie die Änderung des Psych KG von sich aus in Angriff genommen?

(Heike Lorenz, PDS: Hatten Sie die Idee?)

Es ist ganz richtig, es war gut so.

(Reinhard Dankert, SPD: Ihr Antrag kam doch auch erst nach den Ausbrüchen. Nun schmeißen Sie mal hier nicht mit Steinen!)

Ich habe aber aus Ihrem Zwischenbericht einen anderen Eindruck gewonnen. Ich habe aus dem Zwischenbericht und aus den Interpretationen nicht herausgelesen, dass der Schutz der Bevölkerung an erster Stelle steht. Und gerade das haben wir ja auch nach den Ausbrüchen in den Ausschüssen erlebt und damit gehört das zusammen.

(Siegfried Friese, SPD: In den Ausschüssen ist kein Ausbruch erfolgt.)