Protokoll der Sitzung vom 15.03.2000

Also das kann man so herum drehen und so herum drehen. Und weil wir uns an solchen Ecken nicht verhakeln wollen, genau deshalb nehmen wir ja die kommunalen Verbände in die Kostenfolgeabschätzung, und zwar in beiden Richtungen, sowohl bei der Aufgabenübertragung als auch bei der Aufgabenwegnahme. In beiden Richtungen sind die kommunalen Verbände mit am Tisch und auch wenn eine Summe weggenommen wird, weil eine Aufgabe weggenommen wird, reden die kommunalen Verbände über die Höhe dieser Summe mit. Ich glaube, eine bessere „Lebensversicherung“ kann es für die kommunale Ebene eigentlich gar nicht geben.

Herr Abgeordneter Müller, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?

Ja bitte.

Bitte sehr, Herr Jäger.

Herr Kollege Müller, Sie haben das jetzt so überzeugend vorgetragen, Ihren Sinneswandel, und da ich auch ein lernbegieriger Mensch bin,

(Heiterkeit bei Heinz Müller, SPD)

muss das ja jemand sein, der eine hohe Autorität besitzt. Und da ich den auch gerne befragen würde, können Sie mir erklären, wer Sie dazu gebracht hat,

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Heike Lorenz, PDS: Das ist ja wohl billig.)

dieses sogenannte Gegenstromprinzip, das bisher nicht in der Diskussion war, Ihnen näher zu bringen und Sie auch noch vielleicht zu überzeugen? Denn da wir uns ja beide im Ausschuss wiederfinden, hätte ich gerne den gleichen Wissensstand.

Ich kann Ihnen diese Frage gerne beantworten, aber es wird Ihnen nicht helfen, Herr Dr. Jäger,

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

weil dieses war die Diskussion innerhalb der SPD-Fraktion und die steht Ihnen leider nicht offen.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Aber wir handhaben das so, dass wir Gesetzesvorhaben von so weit reichender Bedeutung – und eine Änderung der Landesverfassung ist von erheblicher Bedeutung – selbstverständlich in unserer Fraktion sehr ausführlich diskutieren, und dabei werden solche Argumente vorgetragen.

Ein Letztes – und da weiß ich nicht, was es soll: Ich sagte schon, wir haben im Innenausschuss sicherlich abweichend von parlamentarischen Gepflogenheiten gearbeitet. Wir haben auch sehr kurzfristig – das räume ich ein – bei den letzten Formulierungen die kommunalen Verbände eingeladen und wir haben sie gebeten, Stellung zu nehmen. Das, was uns an Änderungen der Kommunalverfassung heute offiziell auf den Tisch des Landtages gelegt worden ist, das ist im Innenausschuss längst beraten und es ist beraten mit den Vertretern des Landkreistages und des Städte- und Gemeindetages.

Und dass hier ein Änderungsantrag der CDU kommt, diese Formulierung, über die wir streiten, zu streichen, das überrascht aus dem Innenausschuss selbstverständlich niemanden, denn darüber haben wir gesprochen, Sie haben das angekündigt, ganz offen. Und ich finde das eigentlich sehr erfrischend und vernünftig dieses offene Miteinanderumgehen: Also hier, ihr könnt schon mal kucken, das bringen wir ein, Änderung Kommunalverfassung, und dann kommt zurück: Na das tragen wir aber nicht mit, da machen wir einen Änderungsantrag. Wunderbar, finde ich Klasse. Und die kommunalen Verbände können ihre Position dazu bringen.

Alle am Tisch sind sich einig: Wir wollen Konnexität ganz schnell, denn wir warten eigentlich schon viel zu lange drauf. Und alle sind sich einig: Wir gehen in den Landtag und machen am Mittwoch Erste Lesung und am Abend machen wir formaliter Innenausschuss und Finanzausschuss, weil das sein muss, und am zweiten Tag machen wir die Zweite Lesung,

(Gabriele Schulz, PDS: Stimmt.)

damit die Konnexität endlich verwirklicht werden kann. Das war unsere Vereinbarung, so wollten wir mit dem Thema umgehen, nicht noch einmal ein politisches

Schaulaufen, von dem eigentlich niemand etwas hat, nicht noch einmal ein politisches Schaulaufen veranstalten, sondern wir wollten endlich in der Sache weiterkommen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Und deswegen habe ich nicht verstanden, warum jetzt die CDU sagt: Nein, das geht nicht, wir müssen noch einmal die Ausschüsse damit befassen, wir müssen noch einmal die kommunalen Verbände damit befassen. Die Verbände haben ihr Interesse erklärt, dass wir die Konnexität möglichst schnell umsetzen und dass wir das Verfahren heute und morgen so, wie ich es skizziert habe, durchziehen. Das wäre Politik im Interesse der Gemeinden und ich würde mich freuen, wenn wir da endlich wieder hinkämen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Herr Dankert, bitte sehr, ein Antrag zur Geschäftsordnung.

Wir beantragen, den Änderungsantrag der CDU auch in den Ausschuss zu überweisen.

(Gabriele Schulz, PDS: Das habe ich ja schon gemacht. – Zuruf aus dem Plenum: Das hat die PDS doch schon gemacht. – Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Entschuldigung, dann habe ich es nicht mitbekommen.

Ich schließe die Aussprache.

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und PDS auf Drucksache 3/1133 zur federführenden Beratung an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Finanzausschuss zu überweisen. Außerdem ist in der Debatte und eben noch mal sehr deutlich der Antrag gestellt worden, dass der Änderungsantrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 3/1178 – und ich verstehe das Votum von Ihnen auch so – in beide Ausschüsse überwiesen wird. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Der Überweisungsantrag ist damit einstimmig beschlossen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 8: Bericht der Landesregierung gemäß Beschluss des Landtages vom 17. Dezember 1999 zum Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 3/920 in der Fassung des Änderungsantrages der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 3/1010 – Zwischenbericht über die Ausarbeitung des Konzeptes zur weiteren Gestaltung des Strafvollzuges im Land Mecklenburg-Vorpommern.

Bericht der Landesregierung gemäß Beschluss des Landtages vom 17. Dezember 1999 zum Antrag der Fraktionen der PDS und SPD – Drucksache 3/920 – in der Fassung des Änderungsantrages der Fraktionen der PDS und SPD – Drucksache 3/1010 – Zwischenbericht über die Ausarbeitung des Konzeptes zur weiteren Gestaltung des Strafvollzuges im Land Mecklenburg-Vorpommern

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Zunächst hat um das Wort gebeten der Justizminister. Herr Ministerpräsident Ringstorff, ich bitte Sie ums Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Landtag hat die Landesregierung aufgefordert, bis zum Jahresende ein Konzept zur weiteren Gestaltung des Strafvollzuges im Land Mecklenburg-Vorpommern auszuarbeiten und dem Landtag zu berichten. Bis zu dieser Sitzungswoche sollte die Landesregierung vor dem Hintergrund der Entweichung eines Strafgefangenen am 15. Dezember 1999 einen Zwischenbericht zu der Frage erstellen, ob dieses besondere Vorkommnis Anlass für gesetzgeberische oder verwaltungsmäßige Reaktionen sein müsse.

Meine Damen und Herren, der Zwischenbericht der Landesregierung zu diesem besonderen Vorkommnis liegt Ihnen schriftlich vor. Ich möchte mir deshalb an dieser Stelle ersparen, Ihnen Einzelheiten daraus vorzutragen. Vielmehr möchte ich einige grundsätzliche Anmerkungen zur Lage im Strafvollzug unseres Landes machen.

Durch erhebliche Anstrengungen und – dies soll hier nicht verschwiegen werden – gewaltige finanzielle Investitionen in diesem Sicherheitsbereich ist es meinen Vorgängern und mir gelungen, die Wende aus dem alten Strafvollzug der DDR hin zu einem rechtsstaatlich geprägten Justizvollzug zu gestalten. Dabei stand für uns der Schutz der Bevölkerung vor den Straftätern an erster Stelle. Nachdem in einer ersten Phase durch die Sanierung der äußeren Sicherheitsanlagen dem primären Sicherheitsinteresse der Bevölkerung Rechnung getragen wurde, nicht ständig mit Ausbrüchen aus dem Vollzug konfrontiert werden zu müssen, haben wir in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte im Unterbringungsbereich, der Entwicklung inhaltlicher Konzepte und nicht zuletzt bei der Weiterentwicklung unseres Personals machen können. Ich nenne hier einige Beispiele:

Durch eine Vielzahl von Baumaßnahmen ist es der Landesregierung gelungen, den Voraussetzungen für einen gesetzmäßigen Strafvollzug, der die Einzelunterbringung der Inhaftierten verlangt, einen großen Schritt näher zu kommen. Am Anfang steht der Bau der JVA Waldeck, die dank der Initiative des Kollegen Helmrich in Rekordzeit erbaut werden konnte. Es folgte der zweite Bauabschnitt dieser Anstalt, der in der Amtsperiode des Kollegen Eggert errichtet wurde. Und zur Zeit laufen mehrere Baumaßnahmen, durch die bis zum Februar 2001 eine neue Jugendstrafanstalt in Neustrelitz, bis Mitte des Jahres 2001 ein neues Hafthaus in Bützow und bis Mitte des Jahres 2002 die neuen Hafthäuser in Stralsund erbaut werden können.

Zeitgleich mit diesen Investitionsmaßnahmen haben wir mit erheblichem Mitteleinsatz im Aus- und Fortbildungsbereich, aber auch mit der notwendigen Schaffung neuer Stellen die personellen Bedingungen für einen modernen Strafvollzug hergestellt.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

In den Anstalten entwickeln sich differenzierte Behandlungskonzepte. Hier sei zum Beispiel das 1998 entwickelte Konzept der U-Haft II im Jugendvollzug erwähnt, mit

dem auf die Inhaftierung sehr junger Täter reagiert wurde. Sie wissen, dass wir die sehr jungen Täter nicht mit alten „erfahrenen“ zusammenbringen wollen, da das normalerweise nicht wesentlich zur Besserung beiträgt. Genannt sei hier auch, dass es mittlerweile gelungen ist, Heimplätze für die verbindliche Unterbringung – früher hieß es geschützte Unterbringung – bereitzustellen, mit denen in geeigneten Fällen die Inhaftierung junger Täter vermieden werden kann. Wir mussten – das will ich in diesem Zusammenhang noch sagen – allerdings zunächst mit dem Irrtum aufräumen, für die Errichtung derartiger Jugendhilfeeinrichtungen sei das Justizministerium zuständig. Heute ist diese Einrichtung dort angesiedelt, wo sie hingehört, nämlich in die Obhut der Jugendbehörden.

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)

Zuletzt seien hier noch unsere Anstrengungen erwähnt, die therapeutischen Interventionen im Justizvollzug auszubauen beziehungsweise zu verstärken, um die Gesellschaft nachhaltig vor schweren Gewalttätern oder Sexualstraftätern zu schützen. Und hier steht die Landesregierung vor einer weiteren großen Herausforderung, nachdem der Bundesgesetzgeber ihr aufgetragen hat, spätestens bis zum Jahre 2003 eine sozialtherapeutische Einrichtung bereitzuhalten.

Meine Damen und Herren, dieser kurze und keineswegs vollständige Überblick darf aber über eine Tatsache nicht hinwegtäuschen: Bei allen Erfolgen in diesem Bereich kann es im Strafvollzug immer wieder zu besonderen Vorkommnissen kommen. Das ist bei allen meinen Vorgängern im Amt so gewesen und Ihnen aus persönlicher Erfahrung bestens bekannt. Immer dort, wo Menschen mit Menschen arbeiten, und hier tun das unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem höchst problematischen Personenkreis der Straftäter, sind Fehler nicht völlig auszuschließen. In dem Fall, der Anlass bot für den nun vorgelegten Zwischenbericht, haben nicht fehlerhafte Wertentscheidungen des Bundesgesetzgebers oder landesrechtliche Mängel zu der Entweichung des Gefangenen geführt, sondern Versäumnisse des Personals, das den Gefangenen bei seiner Ausführung begleitet hat. Bei der sechsten Ausführung binnen eineinhalb Jahren ist es für wenige Augenblicke zu einer zwar menschlich verständlichen, jedoch höchst unprofessionellen und damit nicht verzeihlichen Unaufmerksamkeit gekommen, so dass der Gefangene die wenigen Sekunden fehlender Beaufsichtigung spontan zur Flucht nutzen konnte. Die beiden Mitarbeiter, die für dieses Versäumnis mittlerweile mit empfindlichen Geldbußen sanktioniert worden sind, sind sich ihres Fehlers selbst sehr schnell bewusst gewesen.

Meine Damen und Herren, über die notwendigen persönlichen Konsequenzen für die betreffenden Beamten hinaus hat die Landesregierung keinen unmittelbaren Handlungsbedarf aus diesem Vorkommnis ableiten können und müssen. Insbesondere gibt es, auch wenn dies einige glauben machen wollen, derzeit keine Notwendigkeit, das Resozialisierungsgebot des Strafvollzugsgesetzes anzutasten oder gar in Frage zu stellen.

Abgesehen davon, dass es sich hierbei um ein in den europäischen Strafvollzugsgrundsätzen und in unserer Verfassung verankertes Gebot handelt, weise ich an dieser Stelle noch einmal darauf hin, was dieses Gebot in der Praxis bedeutet. Es stellt dem Strafvollzug den Auftrag, darauf hinzuwirken, dass entlassene Straftäter künftig

keine neuen Straftaten mehr begehen. Und niemand kann ernsthaft bestreiten, dass dieser Grundsatz damit ausdrücklich im Interesse der Kriminalprävention liegt. Er dient also dem Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten.

(Heidemarie Beyer, SPD: Richtig.)

Dass der Schutz der Bevölkerung vor Straftätern für uns allerdings an erster Stelle steht, habe ich bereits erwähnt.