Protokoll der Sitzung vom 16.03.2000

Ich lasse zunächst über den von der Fraktion der CDU auf Drucksache 3/1180 vorgelegten Änderungsantrag abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 3/1180 mit den Stimmen der SPD- und PDS-Fraktion gegen die Stimmen der CDU-Fraktion abgelehnt.

Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD und PDS auf Drucksache 3/1134 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktionen der SPD und PDS bei einer Stimmenthaltung auf CDU-Seite, ansonsten einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrages der Fraktion der CDU – Novellierung des Ladenschlussgesetzes, Drucksache 3/1138.

Antrag der Fraktion der CDU: Novellierung des Ladenschlussgesetzes – Drucksache 3/1138 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Prachtl von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Prachtl.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, am Vormittag und auch in diesem Hohen Haus darf man mit einer kleinen Geschichte oder einer Anekdote beginnen.

Ich war in Charlotte in Mecklenburg-County. Sonntags, 10.20 Uhr

(Reinhard Dankert, SPD: Da sind Sie in die Kirche gegangen.)

ist ein Senator mit mir durch die Stadt gefahren und mit einem Mal kamen wir in einen Verkehrsstau. Ich fragte ihn: „Warum sind wir im Verkehrsstau?“ Da sagte er: „Die Leute fahren alle zur Kirche.“

(Reinhard Dankert, SPD: Siehst du!)

Einige Wochen später in Neubrandenburg am Sonntag, etwa die gleiche Uhrzeit, Rainer Prachtl will zur Kirche fahren und auf dem Ring ist ebenfalls Verkehrsstau.

(Angelika Gramkow, PDS: Nicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad?)

Wo fahren die Leute hin? Zum Shoppen.

(Peter Ritter, PDS: Dann gehen Sie zu Fuß, Herr Prachtl! – Angelika Gramkow, PDS: Fahrrad!)

Das nur als Geschichte vorweg.

(Zurufe von Reinhard Dankert, SPD, und Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff)

Sie sehen, unterschiedlicher kann es in den Ländern nicht zugehen.

Was meinten Sie, Herr Ministerpräsident?

Der Ministerpräsident darf von der Regierungsbank leider nicht reden, Herr Prachtl.

Ich kann ihm leider nicht das Wort geben.

Na gut, dann müssen wir beide vielleicht ein andermal in den Dialog treten und mal ein Bier trinken, Herr Ministerpräsident.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)

Ich wollte im Grunde damit sagen, in den Ländern geht es durchaus unterschiedlich zu, und deshalb, glaube ich, ist es dringend notwendig, dass es in Mecklenburg-Vorpommern einen Dialog gibt, um klare Regelungen zum Ladenschlussgesetz zu erhalten. Deshalb haben wir auch diesen Antrag gestellt.

Wir stehen vor der Herausforderung, den Konflikt zwischen unserer christlich-abendländischen Kultur und dem Medienzeitalter einer globalisierten Welt zu lösen. Das Leben soll lebenswert bleiben und gleichzeitig den neuen globalen Herausforderungen gerecht werden. In kaum einer anderen Frage wird diese Aufgabe so anschaulich und deutlich wie bei der Debatte um den Ladenschluss, konkret letztendlich um die Sonntagsruhe.

Die Argumente sind zum Teil relativ klar. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die unabhängig vom sonntäglichen Kirchgang den Sonntag als Tag der Familie, der Ruhe, der Rückzugszeit und Besinnung sehen möchten, um auch ein Zeichen zu setzen, dass sich in unserer modernen Welt nicht alles den wirtschaftlichen Notwendigkeiten unterordnen muss. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die unter den Stichworten Standortwettbewerb, Freizeitgesellschaft, Deregulierung und Selbstbestimmung sowie Wertschöpfung die Sonderstellung des Sonntags für überholt ansehen. Ich möchte hier deutlich sagen, es spricht vieles für den konsequenten Stand

punkt der Kirchen. Dies sage ich auch als katholischer Christ, der zur Sonntagsruhe steht und auch zum Sonntagsgottesdienstbesuch.

Weshalb? Ich denke, es ist eine jahrtausendalte Geschichte, die wir betrachten müssen. Da sind zum einen die Juden mit ihrem Sabbat, die im Grunde am Sabbat an den Auszug aus Ägypten, die Befreiung von der Sklaverei erinnern. Auch die Römer hatten Feste, wenn sie ihre Götter verehrten. Und die Christen, das wissen Sie aus der Heiligen Schrift, haben erst drei Tage nach dem Sabbat Auferstehung gefeiert. So mussten die Christen bei den Juden sogar an den Arbeitstagen, wenn sie Auferstehung feiern wollten, sozusagen die Arbeit schwänzen und dann Auferstehung feiern. Die Zäsur gab es erst mit dem römischen Kaiser Konstantin, der sich 312 taufen ließ. Somit wurde die christliche Religion zur Staatsreligion und damit gab es dann auch den Sonntag.

Wer sich an die DDR-Zeit mit der guten russischen Sprache, sage ich mal, erinnert, der weiß, wenn der Lehrer fragte: „Was heißt ÒÞáÚàÕáÕÝìÕ?“, sagte der Schüler: „Sonntag.“ Es gab kaum Lehrer, die die zweite Bedeutung dieses „Ò Þ á Ú à Õ á Õ Ý ì Õ“ kannten. Aber wer in Bulgarien oder in Russland ist und Ostern den orthodoxen Priester hört, wie er ruft „ÅàØáâÞá ÒÞáÚàÕá“, der weiß dann auch, dass „ÒÞáÚàÕáÕÝìÕ“ eigentlich „Auferstehung“ heißt. Und dass die russischen Kommunisten nun gerade mit den Christgläubigen nicht so gut umgegangen sind,

(Zuruf von Kerstin Kassner, PDS) was christliche Feiertage betraf... Ich weiß nicht, was Ihr Zwischenruf eben sollte, aber in Israel sagt man: „Die Schafe blöken immer auf die gleiche Weise.“ (Beifall Wolfgang Riemann, CDU)

Na ja, bei solchen ernsten Dingen, Frau Abgeordnete, sollte man etwas demütiger sein. Bei gewissen Dingen, die ich gestern schon betonte, verbietet es sich einfach, solche tiefen Eingriffe...

(Kerstin Kassner, PDS: Ich habe doch nur gesagt, die haben den Namen für den Sonntag nicht geändert. – Angelika Gramkow, PDS: Etwas anderes hat sie nicht gesagt.)

Na ja. Ja, das sollte geändert werden, ist aber nicht geändert worden.

Und ich will damit sagen, dass dies...

(Minister Dr. Gottfried Timm: Hier haben sie den Sonnabend und nicht den Sonntag.)

Zu Ihnen habe ich gestern schon alles gesagt. Das mit den Schafen gilt dann aber auch für Sie.

Ich bitte die Regierungsvertreter, nicht von der Regierungsbank zu reden. Das ist unsere Praxis in diesem Parlament.

Was für alle Religionen aber gilt, ist – und das ist wahrscheinlich noch bedeutender als der Sabbat und die Sonntagsruhe – die Bedeutung des Vita activa und Vita contemplativa, nämlich dass einmal das Aktive da sein sollte, aber zum anderen auch das Kontemplative. Deshalb muss gefragt werden, ob hier ein Kompromiss bei der Bedeutung der Sonntagsruhe möglich ist. Hier möchte ich einen Theologen bemühen, Karl Rahner. Und diese Unterscheidung sei mir erlaubt, er

spricht von Gottesgeboten und von Kirchengeboten. Bei Gottesgeboten geht er davon aus, dass Christen diese Gebote mehr oder weniger ohne Interpretation, ohne Entschuldigung einhalten sollten. Ich nenne zum Beispiel das Gebot „Du sollst nicht töten.“ Da gibt es ja kaum Ausnahmen, wo man etwas zulässt.

(Annegrit Koburger, PDS: Außer beim Krieg machen wir das mal ganz locker.)

Was die Sonntagsruhe...

Also über einen Tyrannenmord kann man sich streiten. Nun Gott!

(Annegrit Koburger, PDS: Oh toll! – Zuruf von Monty Schädel, PDS)

Was das Kirchengebot betrifft, sind Interpretationen, Entschuldigungen möglich. Die Sonntagsruhe ist ein solches Gebot. Deshalb sollte und kann hierüber auch diskutiert werden. Nach reiflicher Überlegung hat die CDU – und ich persönlich auch – eingesehen, dass hier ein Dialog da sein sollte und dass es einen Kompromiss geben sollte.

Allerdings, und hier kommt die andere Frage, wenn man den hohen Wert der Sonntagsruhe nimmt, muss man gleichzeitig auch den hohen Wert der Arbeit sehen, denn ein soziales Abseits von Arbeitslosen möchte keiner.

(Beifall Wolfgang Riemann, CDU)

Und das Sozialpapier der Kirchen, in dem diese Dinge auch angesprochen werden, sagt deutlich, dass sich alle Politiker intensiv um Arbeit bemühen müssen. Aber – aber! – wenn die Sonntagsruhe jetzt aufgegeben werden soll, dann muss klar sein, da sind wir uns wahrscheinlich alle einig, dass die Behauptung, dass Arbeitsplätze geschaffen werden, wirklich stimmt.

(Barbara Borchardt, PDS: Ach ja?)

Mir reicht es zum Beispiel nicht, wenn der IHK-Präsident in Neubrandenburg sagt, es sind 500 bis 1.000 Arbeitsplätze.

(Barbara Borchardt, PDS: Dann lesen Sie mal die Studie!)

Da würde ich zu jeder Landesregierung sagen, das reicht nicht, da muss meinetwegen eine andere Ansiedlung her, um die 500 bis 1.000 zu schaffen. Ich sage, es müsste dann mehr sein.