Protokoll der Sitzung vom 16.03.2000

Da würde ich zu jeder Landesregierung sagen, das reicht nicht, da muss meinetwegen eine andere Ansiedlung her, um die 500 bis 1.000 zu schaffen. Ich sage, es müsste dann mehr sein.

(Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)

Zweitens. Wenn über eine so wichtige Sache wie Sonntagsruhe diskutiert wird, dann sollte man darüber auch Rechenschaft ablegen – also wir Politiker, wenn wir es denn einführen – und es sollte dann wahrscheinlich versuchsweise geschehen.

Wie gehen wir nun mit diesen Gegensätzen um? Schließlich war es in Mecklenburg-Vorpommern bereits 1993 gelungen, mit der Bäderregelung einen Kompromiss zu formulieren.

(Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)

Die einen sahen ein, dass der Sonntag schon etwas Besonderes bleiben muss, kein x-beliebiger Tag. Die anderen sahen ein, dass der Grundsatz „Am siebten Tag sollst du ruhen.“ im Zeitalter einer 35-Stunden-Woche eine andere Bedeutung haben muss als vor etwa 150 Jahren.

(Annegrit Koburger, PDS: Wo gibt’s denn die 35-Stunden-Woche? Hier? – Monty Schädel, PDS: Wo gibt’s die denn?)

Schließlich hatte derjenige, der am siebten Tag ruhte, vorher sechs Tage pausenlos durchgearbeitet. Aber – aber! – juristisch muss man zur Bäderregelung sagen, auch nach den bisherigen gerichtlichen Entscheidungen, dass es wahrscheinlich eine Rechtsbeugung ist.

Unabhängig von der juristischen Bewertung könnten jedoch folgende Gründe für einen Kompromiss und auch für den Dialog der streitenden Seiten angeführt werden:

Erstens, und das halte ich für das Allerwichtigste: Der politische Gestaltungswille der Landesregierung – und da ist mir auch egal, wer in der Landesregierung ist –, der politische Gestaltungswille muss da sein.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Ich sage noch einmal, 500 bis 1.000 Arbeitsplätze sind mir hier zu wenig, um die Sonntagsruhe zu gefährden. Wenn ich an Malta denke, die 40 bis 50 Prozent des Bruttoinlandprodukts beim Tourismus haben – so viel müssen wir nicht haben, aber zumindest muss ernsthaft darüber nachgedacht werden, welche Stellung wir hier einnehmen wollen. Und das muss von der Landesregierung, von uns allen insgesamt gewollt werden.

Zweitens, das ist schon passiert, die Begrenzung der Zahl der Gemeinden. Ich glaube, wir haben 119 Gemeinden in der Bäderregelung drin. Wir sind im Augenblick genau 1.000 Gemeinden in Mecklenburg.

Drittens müssen wir natürlich Folgendes sehen. Wenn am Sonnabend und Sonntag gearbeitet wird und die Menschen dafür am Dienstag und Mittwoch frei haben, ist das natürlich auch eine Möglichkeit, dieses Vita contemplativa ein Stück zu praktizieren. Man sollte dabei auch wissen, was ich bedauerlich finde, dass sich in Deutschland Väter und Mütter am Tag statistisch etwa 20 Minuten – nur 20 Minuten! – um ihre Kinder kümmern. Das bedeutet, wenn ein Schüler am Dienstag nach Hause kommt, die Mutter hat bei C & A am Sonntag gearbeitet und die Mutter dann zum Kind – und der Vater ist eventuell auch da, weil er frei hat – sagt: „Ich bin für dich da.“ – und es gibt viele Freizeitangebote –, dann kann da sehr viel gemacht werden. Das wäre auch ein Stück Vita contemplativa oder gute Erholung, wie man es eben nennen möchte.

(Barbara Borchardt, PDS: Dann gehen sie einkaufen.)

Aber in dem Kontext, ich bin bei Punkt drei, möchte ich noch eins sagen: Was für mich am bedrängendsten tatsächlich beim Sonntag ist, ist das Auseinanderreißen der Kinder von den Eltern oder von Vater und Mutter. Das sind schon Dinge, über die wir ernsthaft nachdenken müssen.

Viertens. Natürlich gibt es schon die Möglichkeiten, via Internet und via Fernsehen einzukaufen – also auch am Sonntag. Hier haben, wenn die Entwicklung so weitergeht, kleinere Betriebe Nachteile. Darüber muss nachgedacht werden.

Fünftens und letztens, und das mag strittig sein, was ich jetzt sage: Man sagt ja manchmal, man ist beim Schlussverkauf ramschen gegangen. Ich denke – und darüber kann man streiten –, es darf und kann auch eine gesunde Einkaufskultur geben, also ein Stück Kultur,

wenn ich einkaufe. Es kann Spaß und Freude bereiten. Aber bei diesen Gründen muss ich insgesamt trotzdem sagen, wir haben damit klug und weise umzugehen, weil die Sonntagsruhe ein hohes Gut ist.

Trotz des vermeintlichen Kompromisses stehen wir heute vor der Situation, dass die Fronten heftiger gegeneinander stehen als zuvor. Hierfür gibt es aus meiner Sicht zwei Gründe:

Erstens. Mit der Eröffnung des Schlosspark-Centers hier in Schwerin wurde die Werbung für den Einkauf am Sonntag durchaus offensiver zum Beispiel auch in Hamburg und in Schleswig-Holstein geführt.

Zweitens. In Schwerin verschärfte sich die Konkurrenzsituation zwischen den Händlern im Schlosspark-Center und den Händlern außerhalb des Schlosspark-Centers. Dadurch entstand eine neue Koalition gegen die Sonntagsöffnung, weil einmal die Kirchen und die Gewerkschaften da waren und nunmehr die Händler außerhalb des Schlosspark-Centers in Schwerin. Durch die neue Konstellation erhöhte sich schlagartig der Gesprächsbedarf. Einerseits musste dem Schlosspark-Center klargemacht werden, dass die Bäderregelung einen Kompromiss zwischen allen Beteiligten darstellte und daher eine zu heftige Aggressivität im Werben um den Sonntag auf Bedenken stoßen musste. Dem Handel musste andererseits klargemacht werden, dass die Benachteiligung der kleinen Händler gegenüber dem Schlosspark-Center nicht ausschließlich mit der Sonntagsöffnung begründet wird.

Ich denke hier an die Fusionspolitik, die überall im Gespräch ist. Das ist noch mal ein grundsätzlich neues politisches Thema, über das gesprochen werden sollte. Und bezüglich dieser Dinge ist der Gesprächsbedarf natürlich immens. Kein Problem, sollte man meinen, für eine Landesregierung, die angetreten war – und die Landesregierung war angetreten –, Brücken zu bauen, Gräben zuzuschütten und Konsens herzustellen. Doch diesbezüglich, denke ich, ging es daneben oder ist weit gefehlt. Insbesondere die Kirchen wurden fast ein Jahr lang nicht so beachtet, wie es hier notwendig gewesen wäre.

(Wolfgang Riemann, CDU: Jetzt schiebt man alle Schuld auf die Kirche.)

Gesprächswünsche wurden ausgeschlagen, so dass deutlich wurde, dass der Konsens aufgekündigt und dann der Rechtsweg gesucht wurde. Schuld daran, dies möchte ich betonen, tragen nicht die Vertreter der Sonntagsruhe, sondern die Vertreter, die eben für diesen Stillstand, für diese politische Entwicklung verantwortlich sind.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Ulrich Born, CDU: Wie wahr!)

Aufgrund dieser Haltung haben wir jetzt eine Situation erreicht, die den gesellschaftlichen Frieden nachhaltig bedroht. Wenn jetzt die Gerichte entscheiden, bleibt in jedem Fall eine Seite als Verlierer auf der Strecke. Deshalb besteht hoher Handlungsbedarf. Wir brauchen Rechtssicherheit. Solche ambivalenten Situationen, was passiert denn nun, was nicht – das kennen Sie aus eigenem Erleben: Heirate ich, heirate ich nicht? Kaufe ich mir ein Haus, kaufe ich keins? –, sind immer Dinge, die unbefriedigend sind. Wenn die Sache klar ist, ist die Sache klar. Das kann auch eine Scheidung sein. Deshalb sind wir...

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)

Das stimmt doch so.

(Gerd Böttger, PDS: Wenn’s mal so wäre!)

Aber meistens ist es so, lieber Kollege.

(Gerd Böttger, PDS: Sie haben mal gesagt, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde...)

Ja, gut, aber man kann so etwas nicht ewig aushalten, mein Lieber. Halten Sie mal ewig eine Scheidungssituation aus! Das geht dann auch nicht.

Deshalb sind wir der Auffassung, dass endlich das Ladenschlussgesetz novelliert werden muss. Die Novellierung muss zum Ziel haben, eine große Flexibilität zu ermöglichen, die aber gleichzeitig dem gesellschaftlichen Konsens im Spannungsfeld zwischen Familienruhe und gesellschaftlichem Fortschritt in der Arbeitswelt gerecht wird. Deshalb fordern wir Sie auf, eine Initiative zu ergreifen, uns zu unterstützen, um das Ladenschlussgesetz zu novellieren.

Allerdings kann das nicht alles sein. Bis zur Novellierung des Ladenschlussgesetzes muss diese Landesregierung handeln und alle Gesprächspartner wieder an einen Tisch holen. Schuldzuweisungen helfen hier nicht weiter.

(Barbara Borchardt, PDS: Sie haben darauf verzichtet.)

Der Dialog muss endlich wieder aufgenommen werden – ich weiß, dass insbesondere die Kirchen auf diesen Dialog warten –,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

denn wir können uns eines nicht erlauben, wir können nicht weiter den Streit führen nach dem Motto: Was ist christlicher? – Für die Sonntagsruhe zu kämpfen oder für die Schaffung von Arbeitsplätzen auch durch die Flexibilisierung des Ladenschlussgesetzes? Diese Frage ist nur im Konsens zu lösen. Und an der Fähigkeit, diese Frage zu diskutieren und zu lösen, wird sich zeigen, ob wir die Kraft haben, uns der gesellschaftlichen Herausforderung zwischen kultureller Tradition und Globalisierung zu stellen. Wir werden sie lösen müssen, wenn wir weiterhin eine lebenswerte Gesellschaft gestalten wollen. Wir haben hier eine große Verantwortung. In Dantes „Göttlicher Komödie“ sagt der Wächterengel: „Wer rückwärts schaut, muss rückwärts gehen.“ Wir sind hier aufgefordert, nach vorne zu schauen. Das sollten wir auch machen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Wirtschaftsminister Herr Eggert. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich denn noch Präsident gewesen wäre, dann hätte ich an dieser Stelle gesagt: „Herr Abgeordneter, Sie haben nicht zur Sache gesprochen.“

(Reinhard Dankert, SPD: Wollte er auch nicht.)

Denn wenn ich mir diesen Antrag hier durchlese, dann haben Sie über Dinge gesprochen, die sich um diesen Antrag herumranken. Aber zur Sache haben Sie hier nicht

gesprochen, Herr Prachtl. Hier steht: „Die Landesregierung wird aufgefordert, auf Bundesebene geeignete Maßnahmen zur Novellierung des Ladenschlussgesetzes mit dem Ziel der Ermöglichung größtmöglicher Flexibilität zu ergreifen und dem Landtag beginnend mit dem 01.06.2000 fortlaufend über den Verfahrensstand zu berichten.“ Das steht in diesem Antrag.

Meine Damen und Herren! Ich will dennoch einiges zu dem sagen, was Sie hier geäußert haben, Herr Prachtl, weil ich den Anspruch der Kirchen, darauf hinzuweisen, dass es eine Verantwortung gibt, die nicht nur in der Wirtschaftlichkeit, nicht nur im Wirtschaftsleben und nicht nur in dem Jagen nach dem Goldenen Kalb besteht, sondern dass hier auch eine andere Verantwortung gegeben ist, eine andere gesellschaftliche Verantwortung, niemals und an keiner Stelle abgesprochen habe. Ich halte das für einen berechtigten Anspruch der Kirchen.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Aber, meine Damen und Herren, das jetzt in den Kontext zu bringen, wie Sie das hier gemacht haben, Herr Prachtl, das könnte den Eindruck erwecken, als wäre das Ganze scheinheilig. Das könnte den Eindruck erwecken. Denn eins will ich Ihnen sagen: Ob es durch die Debatte, ob es dadurch geht, dass wir uns gerichtlich auseinandersetzen, dass wir jetzt unter Umständen durch Gerichtsentscheidungen Situationen bekommen, mit denen wir alle nicht leben können, das lockt doch die Leute nicht wieder in die Kirche,