Protokoll der Sitzung vom 12.04.2000

(Harry Glawe, CDU: Schoenenburg ist der Präsident.)

Also nicht Sie entscheiden, was und wie lange ich rede. Da können Sie sich echauffieren, wie Sie wollen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Wie Sie wollen! Reden Sie ruhig weiter! – Siegfried Friese, SPD: Machen Sie weiter, Herr Rehberg!)

Also wissen Sie, in die alten Zeiten fallen Sie immer wieder zurück. Das merkt man immer an Ihren verbalen Ausdrücken.

(Heiterkeit bei Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das merke ich an Ihnen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst sollten wir auf die eigenen Potentiale setzen,

(Zuruf von Lutz Brauer, CDU)

für unsere Kinder etwas tun, für die Weiterbildung derer etwas tun, die einen Grundlagenberuf haben, und dann sollten wir darangehen, über zweifelhafte Greencards Ausländer nach Deutschland zu holen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Er hat die ganze Zeit nicht zum Thema geredet.)

Danke, Herr Rehberg.

Das Wort hat jetzt der Wirtschaftsminister Professor Eggert.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Herr Rehberg, ich weiß, dass Sie gleich gehen wollen. Ich will Ihnen deshalb vorweg – eigentlich wollte Herr Holter jetzt reden – gerne noch einige Antworten geben.

Als Erstes einmal, Sie haben ja selber gesagt, dass die Definition, was ist denn überhaupt ein IT-Fachmann, umstritten ist und dass man das erst einmal fixieren muss. Und da gibt es natürlich eine breite Palette, da verstehen viele Leute ganz was Unterschiedliches.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Elektronisch gesteuerte Fußbälle müssen wir einführen.)

Und wenn Sie das so sehen, dann können Sie auf der anderen Seite nicht genau das von uns verlangen, wozu man noch gar nicht in der Lage ist, nämlich überall exakte Zahlen vorzulegen, und auch nicht sagen – ich gehe mal kurz darauf ein –, dass die Arbeitsverwaltung nicht in der Lage ist, die Situation hundertprozentig wiederzugeben.

Eins steht meines Erachtens fest: Wenn wir Innovation an Produkten und Produktionsprozessen haben wollen in diesem Land, dann benötigen wir dafür dringend Fachkräfte. Und wenn diese Fachkräfte nicht vorhanden sind, kann das auch ein Wachstumshindernis sein. Also wir brauchen in unserer Wirtschaft unbedingt Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen und wir dürfen den Technologiestandort Mecklenburg-Vorpommern nicht durch einen Mangel an Fachkräften gefährden.

Aber welche Situation haben wir denn jetzt heute hier in Mecklenburg-Vorpommern? Die Leute, die bei uns ausgebildet werden, werden schon während des Studiums abgeworben von Firmen eben gerade aus Süddeutschland, die natürlich einen erheblichen Vorsprung uns gegenüber haben

(Sylvia Bretschneider, SPD: Und da ist das in Ordnung, nicht?)

und die nicht in der Lage sind, ihren eigenen Fachkräftebedarf abzudecken, auch nicht das von Ihnen gerühmte Land Baden-Württemberg. Und selbst Bayern ist nicht mehr in der Lage, das zu tun. Das führt automatisch dazu, dass unsere besten Leute hier abgeworben werden.

Und wenn das so ist und wir das feststellen, dann ist es natürlich kurzfristig notwendig, dass diese Länder ihre Fachkräfte unter Umständen aus dem Ausland abdecken. Wir sagen ja überhaupt nicht, dass damit das Problem gelöst ist. Sie haben völlig Recht und da stimmen wir völlig überein, wir müssen natürlich auf unsere eigenen Potentiale zurückgreifen, wir müssen unsere eigenen Initiativen hier im Lande natürlich ein Stück weit vorantreiben. Und wir haben das ja auch getan und sind dabei.

Ich will Ihnen noch einmal kurz die Zahlen vortragen, weil Sie diese ja auch angezweifelt haben. Der Bereich Information, Kommunikation und Medien stellt in Deutschland 1999 1,74 Millionen Arbeitsplätze zur Verfügung und hinzu kommen noch einmal in gleicher Größenordnung Arbeitsplätze bei den Informationstechnikern/ -anwendern. Die EU-Kommission hat in den aktuellen Mitteilungen den Fachkräftemangel in Westeuropa allein auf 500.000 geschätzt. 500.000 in ganz Westeuropa! Und für 2002 wird eine Steigerung auf 1,6 Millionen fehlende

IT-Fachkräfte erwartet, wenn nicht geeignete Maßnahmen ergriffen werden. Auf dem inländischen Arbeitsmarkt fehlen circa – das kann man nicht genau sagen – 75 Informationstechnikfachkräfte, aber darüber hinaus natürlich auch Fachkräfte in den Ingenieurbereichen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: 75.000!)

Dabei handelt es sich überwiegend um Fachkräfte, die im marktnahen Bereich, also bei der Bearbeitung kundengerechter Problemlösungen eingesetzt werden sollen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: 75.000! – Siegfried Friese, SPD: Jaja.)

Richtig, 75.000.

In Gesprächen mit Unternehmen des Landes – und ich führe einige davon – wird mir im Informatik- als auch im ingenieurtechnischen Bereich ständig über fehlende Fachkräfte berichtet. Und dies ist nicht nur in den so genannten Technologieunternehmen der Fall, sondern das trifft auf alle Bereiche der gewerblichen Wirtschaft zu, meine Damen und Herren.

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)

Natürlich sind in der aktuellen Statistik des Arbeitsamtes Nord nur 85 offene Stellen im IT-Bereich und 280 offene Stellen im Ingenieurbereich ausgewiesen. Aber nach meiner Einschätzung entsprechen diese Zahlen nicht der Realität,

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)

weil viele Unternehmen ihren Bedarf den Arbeitsämtern gar nicht melden.

(Heidemarie Beyer, SPD: Genau.)

Dies liegt sicher daran, dass die Erfolgsquote bei der Vermittlung dieser Fachkräfte über die Arbeitsämter relativ gering eingeschätzt wird. Um in Mecklenburg-Vorpommern den realen Bedarf zu ermitteln, wurde in Abstimmung mit meinem Haus vom Arbeitsminister eine Studie in Auftrag gegeben. Ich denke, er geht in seinem Statement noch näher darauf ein.

Wir müssen darüber hinaus natürlich kurzfristig Schlussfolgerungen ziehen und diese haben wir ja bereits eingeleitet. Ich habe heute Morgen über das MultimediaAusbildungsförderprojekt hier im Lande berichtet. Wir haben uns darauf verständigt, dass mit diesem Projekt circa 400 zusätzliche Ausbildungsplätze realisiert werden.

Und ich will an dieser Stelle, weil ich es heute Morgen nicht getan habe, einmal kurz erwähnen, was das Bildungsministerium – praktisch, wenn man so will, als anderer Partner in diesem Geschäft – alleine auf den Weg gebracht hat. Schon jetzt bereiten sich 250 Fachgymnasiasten in der Fachrichtung Datenverarbeitungstechnik auf eine einschlägige Berufslaufbahn einschließlich Studium vor, erhalten 800 Schüler eine Vollzeitschulausbildung in IT-Berufen, besuchen fast 700 Berufsschüler mit betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen in IT- und Multimediaberufen die Berufsschule. Und, meine Damen und Herren – das ist wie gesagt der Bericht des Bildungsministers –, bei der IT-Ausbildungsoffensive wird eine Berufsschulkapazität von 1.100 ITBerufsschülern zusätzlich zur Verfügung gestellt, um natürlich hier die entsprechende Ausbildung sicherzustellen. Es gibt die höhere Berufsfachschule Medienassistenz in Waren mit 25 Ausbildungsplätzen und – ich will nicht

alles vortragen – die Sicherung der hohen Ausbildungsrate in den IT-Assistenzberufen mit der Option einer Kammerprüfung von derzeit 169 Schülern im ersten Ausbildungsjahr wird auch im Jahre 2000/2001 fortgesetzt und erhöht.

(Zuruf von Heidemarie Beyer, SPD)

Also, meine Damen und Herren, es ist überhaupt nicht so, dass wir jetzt erst aufgefordert werden müssen, in diesem Bereich etwas zu tun. Es wird eine ganze Menge getan. Dennoch müssen wir uns darauf einrichten, dass natürlich die Kapazitäten in der Umschulung, in der Qualifizierung zielgerichtet weitergeführt werden. Deshalb schließe ich mich der Forderung der Regierungsfraktionen an und bin bereit, an so einem Konzept mitzuarbeiten und es ein Stück weiter voranzubringen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Kerstin Kassner, PDS)

Danke, Herr Minister.

Das Wort hat jetzt der Minister für Arbeit und Bau Herr Holter.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Initiative des Bundeskanzlers hat eine breite gesellschaftliche Diskussion ausgelöst. Ich möchte an sich den Ausgangspunkt meiner Überlegungen ganz woanders beginnen, nämlich bei dem, was wir heute Vormittag schon diskutiert haben, bei einem grundsätzlichen Wandel unserer Lebens- und Arbeitswelt.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Richtig.)

Ihnen allen ist klar, dass das Informationszeitalter begonnen hat. Ob in der Landwirtschaft, in der Industrie oder im Dienstleistungsbereich, überall in der Wirtschaft beginnt dieses neue Zeitalter. Auf der ganzen Welt verändern sich die Lebensverhältnisse, Millionen von Menschen suchen nach einer neuen Aufgabe. Wir stecken inmitten einer technologisch-industriellen Revolution.

Die neuen wissensbasierten Informationstechnologien haben in allen möglichen Bereichen unserer Gesellschaft zu einer Intensivierung und Beschleunigung geführt. Zeit haben wir alle nicht, aber Zeit wird zum alles entscheidenden Kriterium und Unternehmen mit altertümlichen hierarchischen Strukturen werden da wohl kaum mithalten können. E-Commerce erfordert heute neue Vertriebsund Marketingstrategien. Wer diese nicht nutzt, wird sich von der Zukunft abkoppeln. Von dieser Revolution sind alle betroffen. Das wissen vielleicht noch nicht alle. Das betrifft den Bierbrauer genauso wie den Betonfacharbeiter, den Werftarbeiter, den Bäcker und den Bauern. Alle werden sich auf diese völlig neue Arbeitswelt einstellen müssen, so, wie es einst ihre Vorfahren bei der Einführung von Dampf und Elektrizität machten.

Und wie ist es denn heute? Bevor unsere Kinder und Enkelkinder lesen und schreiben lernen, werden sie den Mausklick beherrschen. Deutschland geht online, Europa geht online, die ganze Welt geht online, zu Hause und auf Arbeit. Denken wir nur an den klassischen Arbeitsplatz. Für viele wird er dort sein, wo zukünftig sein Computer gerade ist. In Rostock haben wir es gestern nachvollziehen können. Arbeitsplatz und Arbeitszeit werden in dieser neuen Welt eine andere Bedeutung bekommen. Telearbeit ist heute in Mecklenburg-Vorpommern noch etwas

für Exoten. Morgen wird sie aber die Chance sein für so manchen Arbeitslosen im ländlichen Raum.

Per Handy und Laptop im Internet zu surfen ist heute kein Problem mehr. Andererseits wird so mancher Großstädter sein Multimediadorf in Mecklenburg-Vorpommern suchen. Die großartige Lebensqualität zwischen vorpommerschem Strand und mecklenburgischer Seenplatte wird für Hochqualifizierte dann erst recht zur Geltung kommen. Die Entkopplung von der Präsenz am Arbeitsplatz und hochqualifizierter Arbeit in Technologieunternehmen ist in Mecklenburg-Vorpommern also eine sehr chancenreiche Perspektive. „Online auf dem Segelboot“ könnte der Zukunftsslogan für unser Land sein.

(Heiterkeit bei Dr. Ulrich Born, CDU: Oh!)

Alles befindet sich gerade in den ersten Anfängen.