Es steht hier in keinem Wort, dass die Landesregierung erst einmal prüfen soll, die Gebärdensprache anzuerkennen, sondern hier steht wörtlich: „Die Landesregierung wird aufgefordert, sich zu gegebener Zeit im Bundesrat für die Anerkennung der Gebärdensprache als vollwertige Sprache … einzusetzen.“
Und, Herr Dr. König, seit 1988 steht die Forderung des Europäischen Parlaments und Sie haben über die ganzen Jahre nicht mal geschafft, den ersten Schritt zu gehen, wenn das überhaupt ein erster Schritt wäre. Sie haben ja nicht mal einen Prüfauftrag ausgelöst. Das ist doch sehr bedauerlich. Ich habe hier schon mehrfach festgestellt, dass Sie positive Ansätze dadurch versuchen schlecht zu reden, indem Sie sagen, es müsste viel schneller gehen.
(Dr. Arthur König, CDU: Es ist kein Schlechtreden. – Heike Lorenz, PDS: Er muss doch irgendetwas finden, um zu meckern. Ist doch klar.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Ihnen heute vorliegende Antrag ist eine logische Folge des von uns auf der letzten Landtagssitzung im März gestellten Antrages zur Situation von Gehörlosen, Schwerbehinderten und Ertaubten in Mecklenburg-Vorpommern.
Gebärdensprachen sind eigenständige vollwertige Sprachsysteme, die Gehörlose in ihren verschiedenen nationalen und regionalen Gehörlosengemeinschaften untereinander ausgebildet haben. Häufig wird fälschlicherweise angenommen, Gebärdensprache sei eine universale Sprache, und meistens geht dies mit der irrigen Vorstellung einher, bei der Gebärdensprache handele es sich um eine bewusst konstruierte und eingeführte Sprache. Tatsächlich jedoch sind die verschiedenen Gebärdensprachen wie gesprochene Sprachen auch in bestimmten Benutzergemeinschaften naturwüchsig entstanden und unterscheiden sich von Land zu Land. Mit der Bezeichnung „deutsche Gebärdensprache“ grenzen die Gehörlosen in Deutschland ihre Gebärdensprache von anderen nationalen Gebärdensprachen ab. Zwischen den verschiedenen nationalen Gebärdensprachen bestehen Unterschiede hinsichtlich der Form und Verwendung von Gebärden. Die deutsche Gebärdensprache ist dialektal gegliedert, das heißt, in unterschiedlichen Regionen Deutschlands werden ebenso wie in der deutschen Lautsprache gleiche Inhalte zum Teil mit unterschiedlichen Gebärden bezeichnet.
Solange es Gehörlose gibt, gibt es Gebärdensprache. Sie ist mit der Gehörlosenkultur eng verbunden, ist gleichsam ein Kennzeichen der Gehörlosengemeinschaft. Sie entwickelt sich seit ihrer Entstehung bis heute lebendig fort, in Familien, in Schulen und Internaten, aber auch in anderen Institutionen der Gehörlosengemeinschaft. Die Gebärdensprache zeigt die Fähigkeit Gehörloser zu einer eigenen Sprache und führt weg von deren Wahrnehmung als Behinderte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf der kleinen Insel Martha’s Vineyard im Bundesstaat Massachu
setts, einem beliebten Urlaubsort, ist der Anteil von gehörlosen Menschen so hoch, dass sich die Gebärdensprache als allgemeine Sprache für alle entwickelte, das heißt, alle Menschen, ob hörend oder Gehörlose, beherrschen die Gebärdensprache. Gehörlose und Hörende leben gleichberechtigt miteinander. Ausgrenzung gibt es hier nicht. Dies, meine Damen und Herren, wäre für mich auch das Ideal für unsere Gesellschaft. Dann bräuchten wir uns hier auch nicht über gesetzliche Regelungen zur Integration von Menschen mit Behinderungen auseinander zu setzen.
In den letzten Jahren ist die Gebärdensprache auch zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen geworden. Angefangen hat dies in Amerika. Aber auch in Deutschland, an der Universität Hamburg, am Institut für Gebärdensprache – übrigens ein Sprachwissenschaftliches Institut –, wird die Gebärdensprache wissenschaftlich analysiert. Die Ergebnisse tragen dazu bei, die Anerkennung der Gebärdensprache voranzutreiben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie ich auf der letzten Landtagssitzung schon ausführte – und das wurde auch heute mehrfach gesagt –, besteht seit 1988 die Forderung des Europäischen Parlaments nach Anerkennung der Gebärdensprache als eigenständige und vollwertige Sprache. Die Mitgliedsländer wurden aufgefordert, alle noch bestehenden Hindernisse für die Benutzung der Gebärdensprache zu beseitigen. Außerdem hat das Europäische Parlament mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die nationale Gebärdensprache zu erforschen, Gebärdenlexika zu entwickeln, Gebärdensprachkurse einzurichten, Gebärdendolmetscher als vollwertiger Beruf anzuerkennen und Fernsehnachrichten sowie politische und kulturelle Sendungen verstärkt in Gebärdensprache auszustrahlen sind.
Der Deutsche Bundestag hat sich im Juni 1998 mit dieser Thematik befasst. Darauf bin ich schon in der letzten Landtagssitzung eingegangen. Details können Sie im Plenarprotokoll nachlesen. Ich hatte auch bereits darauf hingewiesen, dass in den einzelnen Bundesländern der Stand der Förderung und der Anerkennung der Gebärdensprache sowohl in fachlicher und politischer als auch in juristischer Hinsicht sehr unterschiedlich ist. In vielen Bundesländern wie zum Beispiel Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Hessen sind in den letzten Jahren Aktivitäten erfolgt. Um dem berechtigten Anliegen nach besseren Kommunikationsmöglichkeiten von hörbehinderten und gehörlosen Menschen gerecht zu werden, muss nach meinem Dafürhalten jedoch auf bundeseinheitliche Regelungen Wert gelegt werden. Diese Auffassung, meine Damen und Herren, vertritt im Übrigen auch die Arbeits- und Sozialministerkonferenz.
Dies geschieht jetzt unter der SPD-geführten Bundesregierung. Wie der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Behinderten mitteilt, hat die Bundesregierung für diese Legislaturperiode ein 4-Punkte-Programm aufgestellt, das in seiner Gesamtheit das Ziel verfolgt, die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft voranzubringen. Einer dieser Punkte ist die Anerkennung und Gleichbehandlung der deutschen Gebärdensprache. Im jetzt vorliegenden Rohentwurf der Bundesregierung zum Sozialgesetzbuch IX wird deutlich, dass die Anerkennung der deutschen Gebärdensprache auf sozialrechtlicher Seite einer Regelung der Ansprüche auf Dolmetscherdienste bedarf. Zudem sollen die Leistungen für die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern, soweit diese nicht von anderen Trägern
gewährleistet werden, durch einen Indikationskatalog festgelegt werden. Darauf hat Herr Dr. König bereits verwiesen.
Als sehr positiv erachte ich, dass öffentliche Einrichtungen gesetzlich dazu verpflichtet werden sollen, eine Verständigung in der deutschen Gebärdensprache zu ermöglichen. Dies kann durch Dolmetscherdienste oder auch durch technische Hilfsmittel erfolgen.
Darüber hinaus ist mit den Ländern im Rahmen einer Zielvereinbarung die Schaffung der notwendigen Infrastruktur zu regeln. Dabei ist ein Ziel auch der Abbau der bestehenden Unübersichtlichkeiten der Leistungen, die aufgrund unterschiedlicher Regelungen in den einzelnen Bundesländern bestehen. Die SPD hat schon seit geraumer Zeit Aktivitäten entwickelt, die neben der grundsätzlichen Forderung nach Anerkennung der Gebärdensprache auch auf die Ausformung eines Ausbildungsmodells für den Beruf des Gebärdendolmetschers sowie auf den Einsatz von Gebärdendolmetschern im Deutschen Bundestag und bei allen Fernsehveranstaltungen im Zusammenhang mit wichtigen Debatten ausgerichtet sind.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass das, was wir heute auf Initiative der Sozialministerin erleben, keine Eintagsfliege ist, sondern dass wir es uns jetzt bei wichtigen Debatten doch das eine oder andere Mal vielleicht leisten können, einen Gebärdendolmetscher hinzuzuziehen, damit auch die gehörlosen Menschen die Debatten im Landtag verfolgen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Bundesrepublik leben etwa 140.000 Gehörlose und Ertaubte, die tagtäglich erfahren müssen, dass sie von Kommunikation, Information, autonomer Lebensführung und weitgehend auch Berufstätigkeit ausgeschlossen sind. Mit dem Erwerb der Gebärdensprache wäre ein Teil der Ausgrenzungstatbestände korrigierbar. Ich betone ganz bewusst, ein Teil, denn das große Problem von Menschen mit Behinderungen, aus dem Berufsleben ausgegrenzt zu werden, steht heute nicht auf der Tagesordnung, ist aber eine Tatsache, gegen die wir alle zusammen vorgehen müssen und wo wir vor allen Dingen auch in der Öffentlichkeit für Aufklärung und Information sorgen müssen. Und ich erinnere mich noch sehr gut, als sich unser ehemaliger Sozialminister Herr Kuessner, unser jetziger Landtagspräsident, dafür eingesetzt hatte, Absolventen der Schwerhörigenschule in Ludwigslust einen Ausbildungsplatz zu besorgen. Es ist bedauerlich, dass man sich zum Teil um jeden einzelnen Ausbildungsplatz kümmern muss, obwohl bekannt ist, wie leistungsfähig gerade Menschen mit Behinderungen sind.
Es ist zudem eine traurige Tatsache, meine Damen und Herren, dass Menschen, die wie Gehörlose, Schwerhörige und Ertaubte mit einer nicht sofort sichtbaren Behinderung leben müssen, sich ihre Rechte noch schwerer erkämpfen müssen als andere. Wer denkt schon daran, welche finanziellen Mehrbelastungen für diese Personengruppen durch die Anschaffungen von Schreib- oder Bildtelefonen, von optischen Türsignalen oder von elektronischen Geräten mit Leuchtsignalen entstehen? Wer denkt schon daran, dass derjenige, der hören kann, im Normalfall zum Beispiel den Defekt an der Waschmaschine oder
am Staubsauger rechtzeitig hört, während der Gehörlose ihn erst merkt, wenn das Gerät richtig kaputt und häufig nicht mehr zu reparieren ist? Ich gebe zu, mir sind diese Details auch erst nach Begegnungen mit Betroffenen, unter anderem mit Vertretern des Gehörlosenvereins im Landkreis Ludwigslust, richtig bewusst geworden.
Ich möchte mich an dieser Stelle einmal bei den Vertretern des Gehörlosenvereins Ludwigslust, Herrn Güldenpennig, Herrn Thiel und Frau Wirbeleit bedanken, dass sie sich so viel Zeit genommen haben, mit mir dieses Gespräch zu führen.
Es ist unsere Aufgabe, Rahmenbedingungen für Nachteilsausgleiche und Hilfen zur Selbsthilfe zu schaffen, um die gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen. Und an vorderer Stelle stehen hier, wie viele Betroffene mir versicherten, bessere Kommunikationsund Informationsmöglichkeiten. Die Anerkennung der Gebärdensprache als eigene visuelle Sprache mit umfangreichem Vokabular und ausdifferenzierter Grammatik ist für Gehörlose ein wichtiger Schritt aus ihrer unfreiwilligen Isolation in unserer Gesellschaft und bildet die Brücke zur Integration und die notwendige Hilfe zur Kommunikation mit anderen Menschen.
Ich hoffe, dass dieses Ziel, dem der vorliegende Antrag Rechnung trägt, von allen Fraktionen in diesem Hohen Hause unterstützt wird. Wir werden in absehbarer Zeit auch den Bericht der Sozialministerin zur Situation von Menschen mit Hörschädigungen erhalten. Insofern, Herr Dr. König, werden wir uns mit Sicherheit nicht das letzte Mal über das Thema unterhalten haben. – Danke.
Frau Präsidentin! Vorab, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie auch mich darauf hinweisen würden, wenn ich das Langsamsprechen doch nicht so richtig schaffe.
Frau Müller hat bereits vorhin darauf hingewiesen, dass es sich um ein ressortübergreifendes Thema handelt, und so wäre es eigentlich auch notwendig, hier etwas zu bildungs-, hochschul- oder kulturpolitischen Aspekten zu sagen. Ich habe mir aber vorgenommen, heute hier nicht als Politiker zu reden, sondern als Sprachwissenschaftler.
Frau Müller hat darauf hingewiesen – und das hat auch in den anderen Reden eine Rolle gespielt –, dass Menschen mit Beeinträchtigungen immer auch von den so genannten Normalen als unnormal, als außergewöhnlich bezeichnet oder begriffen werden. Ich möchte aus sprachwissenschaftlicher Sicht einige kurze Anmerkungen dazu machen, dass Gebärdensprache ganz normale Kommunikation ist,
die nur die Besonderheit hat, dass die meisten von uns sie nicht verstehen und nicht anwenden können.
Lassen Sie mich deshalb etwas weiter ausholen, indem ich davon ausgehe, dass Kommunikation eine der wesentlichsten Erscheinungen im Zusammenhang mit Leben ist. Und wir als Menschen haben sehr unterschiedliche Kommunikationsmittel – wir haben die Musik, wir haben Bilder, wir haben Gesten und wir haben als das für uns wichtigste Kommunikationsmittel die Sprache. Ich will jetzt nicht thematisieren, ob es auch bei Tieren Sprache gibt, das ist unter Sprachwissenschaftlern und Sprachphilosophen ein lang geführter Streit. Aber eins ist sicher: Das wichtigste Kommunikationsmittel der Menschen ist die Sprache.
Die Sprache begegnet uns in verschiedenen Formen oder, wie der Sprachwissenschaftler gelegentlich auch sagt, Kanälen. Diese Kanäle sind die Lautsprache, die Schriftsprache, die Gebärdensprache. Lassen Sie mich deshalb unter dem Gesichtspunkt der Normalität, die ich als Hauptgedanken hier vortragen will, zitieren aus einem Lexikon der Sprachwissenschaft. Dort steht unter dem Stichwort Gebärdensprache: „Im engeren Sinne Bezeichnung für die Zeichensprachen von Gehörlosen oder Hörgeschädigten. Gebärdensprachen sind (im Unterschied zu Lautsprachen) auf den visuellen Kanal beschränkt und damit stärker an die konkrete Sprechsituation gebunden; … Gebärdensprachen unterscheiden sich von Lautsprachen nicht in der lexikalisch-semantischen Differenzierung, im Ausdruck semantischer Relationen …, dem Ausdruck von Sprechakten oder der Übermittlung von indirekter Bedeutung oder Ironie.“
Mit anderen Worten, wir haben die unterschiedlichsten Möglichkeiten, Sprache oder sprachliche Inhalte in eine Form zu geben. Diese verschiedenen Formen haben natürlich ihre Besonderheiten, so, wie eine Rede eben keine Schreibe ist, weil sich Reden und Schreiben auch sehr stark unterscheiden, weshalb es ja auch gelegentlich besser sein soll, wenn man hier vorne am Pult nicht geschriebene Texte vorträgt, sondern möglichst wirklich redet. So, wie es also Unterschiede zwischen diesen Formen oder Kanälen gibt, gibt es Unterschiede zwischen der Schreibsprache und der Gebärdensprache, zwischen der Lautsprache und der Gebärdensprache.
Die Probleme, auf die die Frau Ministerin schon hingewiesen hat, die bei Gehörlosen oder Hörgeschädigten im Umgang mit der Schriftsprache existieren, kommen von daher, dass die Schriftsprache den Versuch darstellt, die Lautsprache graphisch wiederzugeben. Wenn ich nicht die Möglichkeit habe, Lautsprache wahrzunehmen und zu verwenden, dann habe ich natürlich Schwierigkeiten, weil mir dieser Bezug fehlt. Auch das hat nichts damit zu tun, dass hier etwas Unnormales geschieht, sondern dass bestimmte Beeinträchtigungen zu Schwierigkeiten mit einem dieser Kanäle führen. Deshalb will ich ganz deutlich sagen, die Zahl der Nutzer eines Kanals kann nicht – zumindest sprachwissenschaftlich erst mal – die Qualität dieses Kanals determinieren. Und fachlich gesehen ist daher die Gebärdensprache keine besondere Sprache, kein besonderer Kanal, sondern einer unter mehreren.
Es geht also bei dem, was wir heute hier debattieren, nicht darum, dass wir sprachwissenschaftlich gesehen besondere Erscheinungen hätten, sondern es geht um die politische Entscheidung, die deshalb notwendig wird, weil die Zahl der Anwender des hier zu behandelnden Kanals eben relativ gering ist. Stellen Sie sich vor, wir hätten ein
Parlament von Gehörlosen oder Hörgeschädigten und die würden darüber debattieren, ob sie uns die Möglichkeit der Anwendung der Lautsprache geben. Ungefähr so ist das, was wir heute hier machen. Deshalb sage ich, der Antrag ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht voll zu unterstützen, und ich fordere uns gemeinsam auf, die notwendigen und möglichen politischen Entscheidungen zu treffen. – Danke.
Danke schön, Herr Dr. Bartels. Auch Sie haben die Redezeit eingehalten. Also, langsamer zu sprechen, erhöht wahrlich nicht die Redezeit.