Bei dem vorliegenden Antrag handelt es sich im Wesentlichen leider wieder nur um einen Prüfauftrag, nicht aber um die Aufforderung an die Sozialministerin und die Landesregierung, konkret – mal abgesehen von den Dolmetschern, die hier genannt wurden – etwas für die Anerkennung der Gebärdensprache in MecklenburgVorpommern zu tun.
Meine Damen und Herren, besser wäre es, die Sozialministerin würde heute vor dem Landtag sagen, dass im Lande Mecklenburg-Vorpommern die Gebärdensprache als gleichwertige Sprache anerkannt wird, wann dies geschieht und welche tatsächlichen Konsequenzen sich daraus für alle Seiten ergeben.
Frau Ministerin, diese Dinge werden so oder so auf Sie zukommen. Daher frage ich Sie schon jetzt, wie Sie die vom SGB IX auf Sie zukommenden Aufgaben ausfüllen wollen, vor allem wie Sie diese auch finanzieren wollen.
Es ist ja bekannt, dass geplant ist, dieses Gesetz zum 01.01.2001 in Kraft zu setzen. Ich brauche es gar nicht zu unterstellen, sondern offensichtlich ist, dass Sie auf Zeit spielen, durch einen Prüfungsbericht die tatsächliche Umsetzung hinauszögern. Denn, Frau Ministerin, Sie können mir nicht erzählen, dass Sie nichts von dem in diesen Tagen zu erwartenden Rechtsgutachten aus NordrheinWestfalen wissen, dass die juristischen Wege und Auswirkungen einer Anerkennung der Gebärdensprache unter Abgleich mit dem SGB IX aufzeigen soll. So sind also die Richtung und die Prüfung klar. Es bliebe für Sie der Weg zum Handeln. Machen Sie sich dieses Gutachten zu Eigen und Sie sparen sich viel Zeit und Mühe. Sie könnten also handeln und müssten nicht erst lange Prüfverfahren in Gang setzen.
Meine Damen und Herren, was die Gehörlosen fordern, ist hinreichend bekannt. Es ist wirkliches Handeln, politisches Tun und das Umsetzen Ihrer Forderungen. Wenn die Koalition weiter nur Prüfanträge stellt, werden wir eine Legislaturperiode des Prüfens erleben, ohne dass in der Sache viel Substantielles passiert.
Diese behindertenpolitische Hinhaltetaktik durch immer neue Prüfanträge an die Landesregierung hilft nicht oder nur wenig. Daher, meine Damen und Herren, fordere ich Sie auf, überregionales Handeln zur Kenntnis zu nehmen und nicht in Prüfungs- und Berichtsvorlagenaktionismus zu verfallen. Nichts gegen das Prüfen, man darf darüber nur das Handeln nicht vergessen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Dr. König, ein paar Worte an Sie: Ja, Handeln ist angesagt, deswegen gibt es diesen Antrag hier. Aber dem richtigen Handeln vorausgehend muss Prüfung sein, damit wir nichts Falsches machen.
(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Dr. Arthur König, CDU: Wenn andere das prüfen, dann kann man das übernehmen.)
Ich stimme Ihnen zu, Herr König, dass dieser Antrag nur ein erster Schritt sein kann. Warum sprechen Sie aber, wenn Sie über Ihre Zweifel geredet haben, immer nur die Sozialministerin an? Frau Müller hat deutlich gemacht, es handelt sich um eine Querschnittsaufgabe,
und diese ist von allen Ministerien so anzunehmen. Ich freue mich über Ihre signalisierte Unterstützung und bin dennoch ein wenig traurig, dass Sie gleich zu Beginn Ihrer Rede über die Finanzen diskutiert haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag „Anerkennung der Gebärdensprache“ betrifft nach Angaben des Gehörlosen Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern e. V. 1.400 Menschen in unserem Land direkt und unmittelbar.
Vermutlich gibt es wesentlich mehr Betroffene. Ein Betroffener hat einmal die Forderung nach der Anerkennung der Gebärdensprache damit begründet, dass sie die Muttersprache der Gehörlosen sei. Die Fraktionen von PDS und SPD legen heute einen Antrag diesem Hause vor, der die Betroffenen in ihrem jahrelangen Mühen um die Anerkennung der Gebärdensprache als eigenständige und vollwertige Sprache unterstützt.
Sehr geehrte Damen und Herren, im Grunde genommen stellt sich ja die Frage, ob es nicht eine gewisse Anmaßung ist, dass wir im Landtag ein derartiges Votum geben. Die Gebärdensprache ist ein festgelegter Kodex von Zeichen und Gesten, der den Gehör- und Sprachlosen zur Verständigung dient. Es ist die Sprache der Betroffenen, ihre Sprache. Sie bietet ihnen eine gleichwertige, sichere Grundlage für alle sprachbezogenen Prozesse. Dieses gilt insbesondere für den kindlichen Spracherwerb, die soziale Kommunikation, die emotionale und geistige Entwicklung einschließlich aller Gedächtnis-, Denk- und Lernprozesse.
Und wir Nichtbetroffenen wollen es uns nun herausnehmen, über die Anerkennung der Gebärdensprache, dieses lebenswichtigen Instruments menschlicher Kommunikation, zu entscheiden? Steht es uns zu zu entscheiden, ob das, was die Betroffenen elementar zum Leben brauchen, und vor allem, was sie täglich gebrauchen, was sich über Jahrhunderte in der alltäglichen Kommunikation herausgebildet hat, von uns anerkannt wird? Nein, nein, diese Fragen sind rhetorischer Natur, aber sie weisen auf die strukturellen Defizite bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hin, die es für Menschen mit Beeinträchtigungen in der Gegenwart gibt. Um ein selbstbestimmtes
Leben führen zu können, um zu lernen, ausgebildet zu werden und im Beruf bestehen zu können, um in allem, was das Leben beinhaltet, teilhaben zu können, ist es notwendig, die Gebärdensprache anzuerkennen.
Die Tatsache, dass bislang bundesweit noch keine Anerkennung der Gebärdensprache erfolgte, bedeutet, dass Betroffene fundamental in ihren Grundrechten eingeschränkt sind. Diese Tatsache steht der gesellschaftlichen Integration und der Selbstbestimmung der Betroffenen im Wege. Hieran wird deutlich, wie lebensnah der Ausspruch ist: Es gibt keine behinderten Menschen, es gibt lediglich Menschen, die behindert werden. Zeit also, durch aktives Handeln einem solchen Zustand entgegenzuwirken, ihn also letztendlich zu beseitigen.
Der Antrag geht über die Anerkennung der Gebärdensprache hinaus. Es geht uns unter anderem um die Möglichkeit einer zweisprachigen Erziehung in den Sonderschulen und den integrativen Schulen. Und ich freue mich, dass durch den Beitrag der Sozialministerin deutlich wurde, dass wir hier offene Türen einrennen. Lassen Sie es mich dennoch sagen: Die Koalitionäre meinen, jedes gehörlose Kind hat, unabhängig vom Grad seines Hörverlustes, ein Recht darauf, zweisprachig aufzuwachsen – deshalb der Antrag. Damit es seine kognitiven, sprachlichen und sozialen Fähigkeiten erlangen kann, wird das Kind, so zeigt es die Forschung seit vielen Jahren, meistens zwei Sprachen beherrschen und verwenden müssen: die Gebärdensprache und die Lautsprache, letztere in geschriebener und, falls möglich, in gesprochener Form.
Mit Hilfe der Sprache muss das gehörlose Kind wie das hörende Kind gewisse Dinge bewältigen können. Von seinen ersten Lebenstagen an beginnt das hörende Kleinkind, Sprache zu erwerben unter der Bedingung, dass es der Sprache ausgesetzt ist und sie wahrnehmen kann. Dank dieser frühzeitigen Sprache baut sich eine persönliche und vertrauensvolle Beziehung zwischen Eltern und Kind auf. Was für das hörende Kind wahr ist, muss auch für das gehörlose Kind gelten. Dieses muss mit Hilfe einer natürlichen Sprache mit seinen Eltern voll kommunizieren können. Diese Kommunikation sollte so früh wie möglich beginnen, damit sich eine vertrauensvolle und gemeinschaftliche Beziehung zwischen Kind und Eltern von beiden Seiten her aufbauen kann.
Mit Hilfe der Sprache bildet das Kind die für seine Entwicklung unentbehrlichen kognitiven Fähigkeiten, also Urteilen, Abstrahieren, sich Erinnern und so weiter, heran. Fehlt die Sprache oder ist nur eine schlecht wahrgenommene, unnatürliche Sprache vorhanden, so wird dies auf die kognitive Entwicklung des Kindes eine unheilvolle Wirkung haben.
Ich möchte abkürzen, sehr geehrte Damen und Herren. Zum Abschluss möchte ich einen Passus aus dem Initiativbericht des Gehörlosenvereins Ludwigslust e. V. und weiterer Verfasser zitieren. Dort heißt es: „Das heutige Bildungssystem für Gehörlose, das den gehörlosen Kindern die Gebärdensprache verweigert, ist eine Bevormundung
Nichtbetroffener und führt häufig zu einem geringen Bildungsniveau der Gehörlosen und die meisten Betroffenen werden zu Sprachkrüppeln, weil sie weder in ihrer natürlichen Sprache, nämlich der Gebärdensprache, noch in der deutschen Lautsprache sich gut entwickeln konnten.“
Lassen Sie uns gemeinsam, meine Damen und Herren, mit einem Beschluss zum Antrag auf Drucksache 3/1220 dafür sorgen, dass im kommenden Initiativbericht ein solcher Satz nicht mehr auftaucht. – Danke schön.
Sehr geehrte Frau Ministerin, ich werde mich bemühen, langsam zu sprechen, und ich hoffe, dass dann die rote Lampe hier auch nicht so schnell leuchten wird.
Zwei Bemerkungen vielleicht vorneweg: Ich denke, Frau Müller, es ist leider unser Schicksal, dass wir in einem Bereich tätig sind, in dem wir es mit Querschnittsaufgaben zu tun haben – ob wir an Frauen denken, an Familien, an Senioren, an Jugend, an Soziales.
Und ich habe schon häufiger gedacht, vielleicht sollte auch mal jemand aus den anderen Bereichen zu diesen Themen sprechen. Aber vielleicht ist es wirklich ein Glück, denn wir kriegen auch einen Einblick in sehr viele Bereiche, und ich denke, gerade die Sozialpolitiker sammeln in sehr vielen Bereichen Erfahrungen.
Ich möchte auch dazu sagen, dass es für mich sehr wohltuend ist, dass wir nach der sehr turbulenten und unsachlichen Diskussion zu dem vorherigen Tagesordnungspunkt über dieses zumindest für die SPD-Fraktion sehr wichtige Thema so sachlich reden. Allerdings, Herr Dr. König, kann ich Ihre Bedenken gegen diesen Antrag überhaupt nicht verstehen.