Bereits seit Mitte 1994 existiert das Modellprojekt „Dolmetscherdienst für Gehörlose“ unter der Trägerschaft des Gehörlosen Landesverbandes, das vom Sozialministerium mit rund 70.000 DM jährlich gefördert wird. Die dort beschäftigten vier hauptamtlichen Gebärdensprachdolmetscher können allerdings den Bedarf der 1.400 Gehörlosen und auf Gebärdensprache angewiesenen Gehörgeschädigten im Land nicht mehr decken. Mit der zentralen Vermittlungsstelle in Rostock sowie den Außenstellen in Schwerin, Ludwigslust, Neubrandenburg und Stralsund wird die Arbeit der vier hauptamtlichen sowie weiterer 15 Honorargebärdendolmetscher koordiniert.
Die beeindruckenden Statistiken zeigen, dass sich die Anzahl der Einsätze von 213 im Jahr 1994 auf über 1.000 im Jahr 1998 erhöht hat. Dabei sind insbesondere die Einsätze in arbeitsplatzbezogenen Angelegenheiten sprunghaft gestiegen, nämlich auf das Siebenfache. Auch die Einsätze in gesundheitlichen Angelegenheiten haben enorm zugenommen. Insgesamt konnte der Dolmetscherdienst 1998 2.518 Dolmetscherstunden abrechnen. Natürlich hängt aber auch die Inanspruchnahme von der räumlichen und zeitlichen Verfügbarkeit der Dolmetscher ab.
An der Finanzierung der Gesamtkosten von etwa 350.000 DM im laufenden Jahr beteiligen sich neben dem Sozialministerium die Landesversicherungsanstalt, die Hauptfürsorgestelle, die Kommunen und Landkreise, die Arbeitsverwaltung sowie das Versorgungsamt. Rund 50.000 DM können durch den Verband selbst aufgebracht werden.
Auftraggeber für die Einsätze des Dolmetscherdienstes sind immer mehr Firmen, öffentliche Institutionen, Behörden, aber auch die Gehörlosen selbst. So werden gehörlose Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Betriebsversammlungen für die Schwerbehindertenberatung betreut und unterstützt, aber auch bei Kündigungsschutzverhandlungen oder Neueinstellungen ist eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher vor Ort. Dolmetscherdienste werden des Weiteren durch den technischen Fachdienst der Hauptfürsorgestelle benötigt, um mit gehörlosen Arbeitnehmern kommunizieren zu können. Dolmetscher begleiten Gehörlose zu den Ämtern und oftmals fordern auch Gerichte die Mitarbeit qualifizierter Gebärdendolmetscher.
Dieser vielfältige und breit gefächerte Einsatz des Gebärdendolmetscherdienstes macht deutlich, dass es erforderlich ist, das Projekt fortzuführen, dessen Angebot zu verstetigen und auszubauen. Meines Erachtens ist es erforderlich, für das Land Mecklenburg-Vorpommern in Zukunft mindestens zehn fest angestellte Gebärdendolmetscher zur Verfügung zu stellen.
Die Erhöhung des Angebots wird die Deckung des tatsächlichen Bedarfs besser gewährleisten und mit jeder einzelnen Dolmetscherstunde wird die Integration von Menschen mit dieser Behinderung in das gesellschaftliche Leben verbessert.
Meine Damen und Herren, derzeit laufen die Endabstimmungen, damit dieses Vorhaben noch im Jahr 2000 starten kann. Jede betroffene Einwohnerin und jeder betroffene Einwohner vor allen Dingen in unseren Landkreisen hat dann die Möglichkeit, ortsnah auf den Dolmetscherdienst zurückzugreifen. Mit Ihrer Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag, wird sich sicherlich auch Ihre Unterstützung für die Finanzierung an solchen Vorhaben in der Haushaltsdiskussion zum Plan 2001 verbinden.
Ich hoffe und erwarte, dass diese breitere Basis des Dolmetscherangebotes im Land auch die Inanspruchnahme für größere Veranstaltungen aller Art ermöglicht, wie beispielsweise die heutige Landtagsdebatte. Darüber hinaus verknüpfe ich damit die Hoffnung, dass Gebärdendolmetscher selbstverständlich auch Einzug in die visuellen Medien nehmen sollten. Seit einem Jahr werbe ich in der Landesrundfunkanstalt für den regelmäßigen Einsatz von Gebärdendolmetschern bei ausgewählten Veranstaltungen. Damit sollen diese letztlich im Land auch breit bekannt gemacht werden.
In meinen Gesprächen zum Thema begegnet mir oft der Einwand, dass eine Verständigung auf schriftlichem Wege doch eine gleichberechtigte Kommunikation ermögliche. Wer diesen Einwand erhebt, verkennt den Umstand, dass unsere Lautsprache, auch wenn sie niedergeschrieben wird, für den von Kindheit an Ertaubten eine komplizierte Fremdsprache darstellt. Je nach Hörschädigung, Alter, Schulbildung und Bildungssystem erweist sich das Verstehen der deutschen Schrift beziehungsweise Lautsprache als sehr problematisch. Deshalb ist die Annahme, dass Gehörlose ihr Informationsdefizit doch lesend ausgleichen können, wie zum Beispiel bei der Untertitelung von Fernsehsendungen, nur sehr bedingt richtig. Wir haben heute dafür gesorgt, dass die Menschen, um deren Lebensqualität es bei der Debatte geht, diese auch verfolgen können. Die vorangegangenen Debatten wären für sie im Dunkeln geblieben – im übertragenen Sinne.
Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass der vorliegende Antrag und die heutige Debatte noch mehr Verantwortliche in Politik und öffentlichem Raum zu sensibilisieren vermögen. Gemeinsam können wir mit Verständnis und Ideenreichtum konkrete Verbesserungen für ein Zusammenleben der Menschen mit und ohne Hörschädigungen erreichen.
Ich danke nicht nur Herrn Marquardt und Frau Bornhöft, sondern auch der Praktikantin Frau Steinkraus, der es als eine der Ersten gelungen ist, diese Gebärdensprache zu studieren. Mit der Anerkennung hängt eben auch zusammen, dass das Studium jetzt erst neu installiert wird.
Ich danke nicht nur den drei Genannten für den heutigen Dolmetschereinsatz, sondern auch allen anderen haupt- und ehrenamtlichen Gebärdendolmetscherinnen und -dolmetschern im Land für ihre aufopferungsvolle Arbeit.
Ich bitte die nachfolgenden RednerInnen, unseren heutigen HelferInnen die Arbeit etwas zu erleichtern, indem sie möglichst nicht ganz so schnell sprechen wie sonst. Ich weiß nicht, Frau Seemann, ob Sie sprechen, aber an Sie hatte ich gerade jetzt gedacht.
Das Thema „Anerkennung der Gebärdensprache“ ist ja ein sehr sensibles Thema. Und, Frau Ministerin, Ihre Ziele haben Sie ja wohlweislich formuliert, das ist gut so. Mit diesen Zielen können wir auch voll mitgehen. Allerdings, wie und wann Sie diese Ziele erreichen wollen, da ergeben sich für mich noch einige Fragezeichen.
Sie sagten in Ihren Ausführungen, dass Sie zehn Dolmetscherstellen beantragen möchten. Zehn Dolmetscherstellen, bei einer Stelle mit etwa 70.000 DM, machen 700.000 DM aus. Jetzt sind Sie bei den Ressortabstimmungen zwischen den Ministerien. Bei der Finanzministerin ist das Angebot, das Sie hier gemacht haben, etwa das, dass der Landtag Sie unterstützen soll bei der Einstellung der zehn Dolmetscher mit dem von mir genannten Betrag. Wir als CDU-Fraktion würden das tun. Wir würden Sie unterstützen bei einem ersten Schritt in die richtige Richtung, bei einem ersten praktischen Schritt, der über das Prüfen hinausgeht.
Meine Damen und Herren, es macht wenig Sinn, hier nur zu applaudieren. Wir werden nachher bei den Haushaltsverhandlungen sehen, wo die Knackpunkte sind und welche Fraktionen dann den Mut haben, ihre Hand an den entsprechenden Stellen zu heben.
(Angelika Gramkow, PDS: Sie trauen der Minis- terin nicht über den Weg, Herr König. Was ist das denn? – Zuruf von Harry Glawe, CDU)
Frau Gramkow, Sie wissen das: Lieber vorsichtig sein und gucken! Sie wissen ja schon, was im sozialen Bereich passiert ist.
Denken Sie an die Kürzungen in den letzten Haushalten! Dann ist die Prognose für die Zukunft nicht so rosig, wie manche das gerne in Worte kleiden.
(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Seien Sie doch mal optimistisch! So, wie Sie auch optimistisch zu den Kommunalhaushalten sind, Herr König.)
Meine Damen und Herren, der jahrzehntelange Einsatz und das Bemühen, so kann man es wohl bezeichnen, um die Anerkennung der Gebärdensprache als eine reale,
praktizierte und leistungsfähige Kommunikationsform, von der wir uns heute ja eindringlich und hautnah überzeugen können, beginnen, erste Früchte zu tragen, gerade im Hinblick auf die dringende Integration und Anerkennung der Gebärdensprache in einem zukünftigen SGB IX auf ein beträchtlich höheres Niveau gehoben zu werden. Inzwischen ist es nicht nur üblich, sondern auch selbstverständlich geworden, die Anerkennung der Gebärdensprache auch im Zusammenhang mit der Antidiskriminierung und einem Integrationsfördergesetz zu nennen und ihr den bloßen Symbolcharakter zu nehmen.
Bei näherer Betrachtung ist die Anerkennung der Gebärdensprache allerdings ein sehr viel komplizierterer und umfassenderer Prozess, als uns der vorliegende Antrag der Regierungsfraktionen glauben machen will. Es sind in diesem Prozess mehrere Beteiligte mit sehr verschiedenartigen, oft gegensätzlichen Interessenlagen und den verschiedensten Zuständigkeiten sowie unterschiedlichsten Betroffenheiten involviert. Allein entscheidend wird sein, wie die Umsetzung der Anerkennung der Gebärdensprache in juristisch einklagbare Rechte erfolgt, erfolgen kann und das Land die notwendigen Voraussetzungen für eine nicht nur auf dem Papier stehende Anerkennung der Gebärdensprache schafft, sondern auch die tatsächliche Anerkennung und Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche gewillt ist umzusetzen. Allein die Prüfung der Umsetzung der Anerkennung der Gebärdensprache erfasst nicht die Situation des tatsächlich geforderten Prozesses der Anerkennung der Gebärdensprache.
(Heike Lorenz, PDS: Nee, das sind auch zwei Paar Schuhe. Es gibt nicht nur die formelle Anerkennung, sondern auch die Anerkennung als den Prozess, den man erreichen muss.)
Auch in Mecklenburg-Vorpommern erwarten gehörlose Bürger, dass die Bundes- und Landesregierung endlich Maßnahmen ergreifen, die seit 1988 bestehende Forderung des EU-Parlaments nach Anerkennung der Gebärdensprache als eigenständige und vollwertige Sprache umzusetzen. So, meine Damen und Herren, steht es im Initiativbericht des Gehörlosenverbandes von Mecklenburg-Vorpommern.
Erforderlich ist zuerst eine gesellschaftliche Anerkennung, mit der Akzeptanz und Toleranz gegenüber dieser Sprache verbunden sind und gefördert werden. Gerade in diesem Bereich bietet sich ein weites Feld für eine unermüdliche Konfrontation – auch das ist notwendig –, Aufklärung und die Chance, diese Sprache in ihrer Ausdruckskraft und Leistungsfähigkeit darzustellen und als solche erlebbar zu machen. Einen Eindruck davon haben wir ja heute erhalten. Hierzu müssen insbesondere die Gehörlosen als Botschafter ihrer Sprache unterstützt werden. Jede sich bietende Chance ist dabei zu nutzen, um die Möglichkeiten der Gebärdensprache zu demonstrieren und für ihre Unterstützung sowohl bei Hörgeschädigten wie auch bei den hörenden Menschen zu werben. Damit sind vor allem auch Aktionen wie „Jenseits der Stille“, ich denke hier an diesen sehenswerten Film, gemeint.
Der zweite Aspekt jedoch – dieser ist dem ersteren gegenüber vielleicht wesentlich schwieriger zu beurteilen – ist der Schritt der pädagogischen Anerkennung der Gebärdensprache, indem es um den Einsatz der Gebär
densprache in Erziehung und Bildung geht. Bei einer zu prüfenden Möglichkeit der zweisprachigen Erziehung sind die Interessenlagen der Eltern, der Kinder und der Lehrer aufeinander abzustimmen. Dabei kann es nicht nur um die Möglichkeit der zweisprachigen Erziehung in den Sonderschulen und integrativen Schulen gehen, sondern um einen begleitenden Prozess im gesamten Schulsystem. Frau Ministerin, wenn Sie ernsthafte Fortschritte erreichen könnten, würde ich mich sehr darüber freuen. Sie deuteten ja in Ihrem Eingangsstatement so etwas an. Das heißt, auch Schüler anderer Schularten müssen die Möglichkeit haben, sich aktiv wie auch passiv mit der Gebärdensprache auseinander zu setzen, und sie sollten die Möglichkeit erhalten, dies bei einem entsprechenden Wunsch zu lernen. Natürlich gehört zu diesem Profil und zu diesem Themenkomplex auch, dass der Beruf des Gebärdendolmetschers seine gebührende Anerkennung erfährt.
Meine Damen und Herren – und darin, denke ich mir, sind wir uns im Wesentlichen einig –, der entscheidende, der von den Hörgeschädigten selbst am dringendsten geforderte Schritt ist die juristische Anerkennung, die juristische Festschreibung und Verankerung der Gebärdensprache. In der Tat ist dies die schwierigste und höchste Hürde des Anerkennungsprozesses, wobei bloße Absichtserklärungen – und ich hoffe, Ihr Antrag geht weit darüber hinaus – kaum weiterhelfen.
Ich möchte hier mal ein Zitat des Fraktionsvorsitzenden der PDS im Bundestag anführen. Er sagte neulich in einem Interview: „Ein Schritt realer Bewegung ist mehr wert als hundert Beschlüsse.“
Meine Damen und Herren, im Entwurf liegt das neue SGB IX vor und in diesem ist die Anerkennung der Gebärdensprache vorgesehen. Nach Paragraph 52 des vorliegenden Referentenentwurfes zum SGB IX „Förderung der Verständigung“ fällt auch die Anerkennung der deutschen Gebärdensprache unter die Zur-Verfügung-Stellung besonderer Hilfen. Dabei soll bundesrechtlich die Leistung für die Inanspruchnahme von Gebärdendolmetschern durch einen Indikationskatalog festgeschrieben und die öffentlichen Einrichtungen gesetzlich dazu verpflichtet werden, eine Verständigung in der deutschen Gebärdensprache zu ermöglichen.
Der Referentenentwurf sieht darüber hinaus vor, dass den Ländern im Rahmen einer Zielvereinbarung die Schaffung der notwendigen Infrastruktur auferlegt werden wird. Hier sind beispielhaft Ausbildung und Dolmetscherzentralen genannt. Diese sind nun auch in Ihrem vorliegenden Antrag enthalten. Der Antrag zeigt keine weiteren Dinge auf, die ebenfalls in die Anerkennung der Gebärdensprache mit einfließen sollen. Er kann insofern nur ein erster Schritt sein, ein erster Schritt zwar in eine richtige Richtung.
Wie wollen Sie aber, Frau Ministerin, vor allem im Leistungsbereich die verschiedenen Regelungen in den Ländern und deren Unübersichtlichkeit durch eine eigene Zielvorgabe beseitigen? Allein die Anerkennung der Gebärdensprache kann nicht ausreichend sein. Es müs
sen zum Beispiel auch die entsprechenden technischen Hilfsmittel – und darauf hat ja auch Frau Seemann in einem SVZ-Interview vom 11.04. ausdrücklich hingewiesen – in der entsprechenden Qualität und Anzahl bereitgestellt werden. Das hieße dann aber einen neuen Antrag, dass hieße dann auch wieder eine neue Diskussion, das hieße wieder, den Hörgeschädigten glauben zu machen, es würde in der Sache etwas geschehen.
Bei dem vorliegenden Antrag handelt es sich im Wesentlichen leider wieder nur um einen Prüfauftrag, nicht aber um die Aufforderung an die Sozialministerin und die Landesregierung, konkret – mal abgesehen von den Dolmetschern, die hier genannt wurden – etwas für die Anerkennung der Gebärdensprache in MecklenburgVorpommern zu tun.