Bedauernswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass es mit den jüngsten Tarifabschlüssen im öffentlichen
Dienst nicht gelungen ist, einen schon längst überfälligen Stufenplan zu verabschieden. Es muss doch klar sein, wann gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt.
Aber nicht nur im öffentlichen Dienst gibt es diese Unterschiede, nein, wir haben eine Entwicklung zu verzeichnen, dass die Anzahl der Betriebe, die nicht tarifgebunden sind, zunimmt. Auch diese Entwicklung muss gestoppt werden.
Lichtenhagen und Leisten, Ahlbeck und Neubrandenburg sind auch zehn Jahre Mecklenburg-Vorpommern. Gewalt und Ausländerfeindlichkeit scheinen immer mehr gesellschaftlich akzeptiert zu sein. Die Ohnmacht gegenüber der Macht des Geldes und der Bürokratie und Unzufriedenheit lassen sogar in den Familien Aggressivität wachsen. Die Ansicht, der Schwächere, der Andere, der Fremde ist schuld, also trete ich ihn, um von meinen Problemen abzulenken, nimmt immer mehr zu. Dafür darf es keine Toleranz in Mecklenburg-Vorpommern geben!
Bei uns leben gegenwärtig 4.500 Asylsuchende. Insgesamt beträgt der Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung weit weniger als fünf Prozent. Viele haben Angst, auch ausländische Investoren sind skeptisch. So lange wir nicht gemeinsam gegen Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt für Toleranz arbeiten, so lange wir den Begriff „Antifa“ noch im Verfassungsschutzbericht des Bundes sehen, so lange wir uns über den so genannten verordneten Antifaschismus der DDR, der tausendmal besser war als gar keiner, streiten, so lange werden wir unser Land beschädigen.
Unsere Chance ist ein fremdenfreundliches, ein tolerantes Mecklenburg-Vorpommern und dafür müssen wir alles tun.
Wenn ich meine Kinder frage, dann sehen sie sehr wohl Positives, positiv vor allem bezogen auf ihre Chancen und Möglichkeiten, alles zu wissen, sich über alles zu informieren, demokratisch mitzubestimmen und mitzugestalten, zu reisen, andere Menschen und Kulturen kennenzulernen. Aber sie erkennen auch die Risiken, nicht so sehr, weil es sie unmittelbar persönlich betrifft, sondern vor allem, weil sie diese in der Gesellschaft und in der Familie hautnah erleben. Und wenn es sie persönlich betrifft, dann wenden sie sich sehr berechtigt an uns, die Erwachsenen.
Der entscheidende Punkt für die Verwertung von Chancen und Möglichkeiten ist die Bildung. Aber leistet die Bildung das, was sie könnte? Sichert sie Chancengleichheit? Trägt sie zur Persönlichkeitsentwicklung bei? Haben alle Kinder den gleichen Zugang zu allen Möglichkeiten, unabhängig vom sozialen Status der Eltern oder ihrer Herkunft? Oder fragen sie sich auch, warum haben meine Eltern kein Geld für einen Computer? Ja, sie wollen viel
leicht nicht wissen, ob wir für Chancengleichheit in der Schule sind. Sie wollen, dass wir etwas tun für einen schöneren Schulhof, dass die Lehrerinnen und Lehrer nicht immerzu wechseln, dass die Schulbusse nicht so voll sind und die Wege nicht so lang.
Wir haben – das wird häufig vergessen – eine intakte Demographie in die Einheit mitgebracht. Circa 30.000 Geburten und Kinder pro Jahr und eine der Gesellschaft zugewandte Kinderfreundlichkeit. Es wäre sinnvoll gewesen, etwas aus diesen Erfahrungen zu lernen, ich betone ausdrücklich, differenziert und kritisch.
(Harry Glawe, CDU: Richtig. – Heiterkeit bei Dr. Christian Beckmann, CDU: Da ist Ihnen wohl jetzt ein Licht aufgegangen?!)
Zu diesem Rückblick gehört aber auch ein Ausblick. Ich wünsche mir ein Mecklenburg-Vorpommern gleichberechtigt im Chor aller Bundesländer und kooperativ mit den Nachbarländern. Ich wünsche mir ein Mecklenburg-Vorpommern, in dem junge Menschen gern bleiben, weil sie Bildung und Ausbildung erhalten und Arbeit. Ich wünsche mir ein Mecklenburg-Vorpommern, in dem die Ideen genauso boomen wie der Tourismus und in dem wirklich wieder einmal nach zwölf Jahren das Abitur gemacht werden kann.
Ich wünsche mir ein weltoffenes Mecklenburg-Vorpommern, in das nicht nur viele Besucherinnen und Besucher gern kommen, sondern in dem auch ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger gerne bei uns leben.
Im Übrigen, Herr Rehberg, hat der Ministerpräsident dieses Landes die Leistungen aller Bürgerinnen und Bürger und aller demokratischen Parteien im Land gewürdigt.
(Beifall bei der PDS und Abgeordneten der SPD – Dr. Ulrich Born, CDU: Da haben wir offensichtlich verschiedene Reden gehört, Frau Gramkow. Oder Sie hatten die schriftliche Fas- sung vorliegen und die hat er nicht vorgetragen.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns in einer Zeit – es ist heute schon mehrmals angeklungen – der Jubiläen. Vereine, Verbände und Institutionen feiern ihr 10-jähriges Bestehen. Und auch wir im Landtag von MecklenburgVorpommern gedenken der 10-jährigen Jubiläen in dieser Woche gleich zweimal, einmal auf den Landtag bezogen und heute debattieren wir über das 10-jährige Bestehen des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern.
Meine Damen und Herren! Ein französischer Schriftsteller und Politiker hat einmal gesagt: „Nur wer die Vergan
genheit buchstabieren kann, kann auch in der Zukunft lesen.“ In Vorbereitung auf die heutige Rede habe ich mich gefragt, ob der Titel der heutigen Debatte eigentlich richtig formuliert ist. Sicherlich, das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern wurde auf Grundlage des Ländereinführungsgesetzes dann mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 gebildet. Das Territorium des neuen Bundeslandes umfasste dabei die ehemaligen Bezirke Neubrandenburg, Rostock und Schwerin. Mit dem Wirksamwerden des neuen Territoriums trat im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern zugleich das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft.
Aber das ist nur der eine Teil der Geschichte, gewissermaßen der Akt der staatlichen Ordnung. Der andere Teil dessen, was das neue Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ausmachte und ausmacht, sind seine Menschen, seine Landschaft, sind seine Strukturen im sozialen wie im wirtschaftlichen Bereich. Hier aber gilt doch, Mecklenburg und Vorpommern existieren nicht erst seit 1990. Und was auf den ersten Blick wie eine Binsenweisheit aussehen mag, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine Feststellung, über die es sich nachzudenken lohnt.
Meine Damen und Herren, die Umbrüche für die Menschen vor zehn Jahren waren gewaltig. Je nach eigener Lage aber, je nach eigenen Fähigkeiten, je nach Alter und familiärer Situation konnten diese Umbrüche als Chance oder auch als Last begriffen und in ihrer ganzen Brutalität erlebt werden. Eins ist aber dabei klar: Jeder Mensch brachte auch seine eigene Geschichte, seine eigene Biographie mit in das neue Bundesland. Und parallel dazu: Auch die einzelnen gesellschaftlichen Bereiche brachten ihre jeweils eigene Situation mit ein. Das führte dazu, dass die Politik 1990 vor einer Reihe unterschiedlicher Herausforderungen stand. Der Ministerpräsident hat sie in seiner Rede ausdrücklich aufgeführt.
1. Nicht alles, was in der Zeit vor 1990 bestand, war schlecht, wie auch nicht alles, was aus dem Westen golden glänzte, wirklich Gold war.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Kerstin Kassner, PDS: Das ist wahr.)
2. Trotzdem, viele Probleme und Herausforderungen, mit denen wir es bis heute zu tun haben, haben ihren Ursprung in den Strukturen der Zeit vor 1990, und zwar beiderseits der Elbe.
In dem Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Positionen bewegen wir uns heute, wenn wir nach der richtigen Politik, nach den besten Lösungswegen und Alternativen für das Land Mecklenburg-Vorpommern suchen. Aus diesem Spannungsfeld ergeben sich aber auch die Chancen für dieses Land. Politik hat hier die Aufgabe, beide Positionen zu bedenken, wenn sie ein modernes, lebens- und weltoffenes Mecklenburg-Vorpommern gestalten will.
Erstens. Das drängendste Problem in MecklenburgVorpommern ist und bleibt die hohe Arbeitslosigkeit. Ich muss an dieser Stelle nicht die Zahlen wiederholen, die
der Ministerpräsident vorhin eindrucksvoll genannt hat und die dramatisch beschreiben, welch tiefgreifenden Umbruch etwa die Werften im Land oder auch die Landund Forstwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern durchmachen mussten. Fakt ist, Mecklenburg-Vorpommern hat bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erste Erfolge zu verzeichnen. Fakt ist aber auch, nach wie vor haben wir es mit einer stabilen, viel zu hohen strukturellen Arbeitslosigkeit und zu hoher Jugendarbeitslosigkeit zu tun. Arbeitslosenquoten von beständig 17 Prozent dürfen und werden wir nicht auf Dauer hinnehmen, denn hinter jeder und jedem Arbeitslosen verbirgt sich ein persönliches Schicksal. Hier ist die Politik, hier sind wir alle aufgefordert, gemeinsam für den Erhalt der bestehenden und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze weiter zu kämpfen.
Klar ist aber auch – und da warne ich immer einige davor, hier irgendwelchen Wunschträumen hinterherzurennen –, zurzeit reicht die konjunkturelle Kraft der Wirtschaft alleine nicht aus, um auf dem ersten Arbeitsmarkt die notwendigen Arbeitsplätze auch zu schaffen. Von daher sehe ich es als absolut notwendig an, auf absehbare Zeit die Instrumente des zweiten Arbeitsmarktes zu nutzen. Und zwar gibt es da kein Entweder-oder, vielmehr ist der zweite Arbeitsmarkt die notwendige Brücke auf dem Weg zurück in die geregelte Arbeit.
Meine Damen und Herren! Die Koalition von SPD und PDS stellt sich diesen Herausforderungen. Wichtig ist uns dabei, diese Diskussion ohne ideologische Scheuklappen zu führen, denn dafür ist uns das Thema viel zu ernst.
Wir haben bereits einiges auf den Weg gebracht: Ein funktionierendes Bündnis für Arbeit, Jahr für Jahr Spitzenwerte bei den angebotenen Ausbildungsplätzen in der Wirtschaft unseres Landes, aber eben auch ein Landesprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit seien hier nur als Stichworte angezeigt. Das alles zeigt uns, für SPD und PDS bleibt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Aufgabe von höchster Priorität.
Und um den Kritikern – von welcher Seite auch immer – entgegenzuhalten, es gibt dabei keinen Königsweg. Den haben auch Sie nicht erfunden, meine Damen und Herren der Opposition.
Ich halte es auch für völlig unredlich zu erwarten, dass die anhaltend hohe strukturelle Arbeitslosigkeit innerhalb von zwei Jahren beseitigt werden kann. Und ich wehre mich massiv dagegen, dass wir hier über Programme sprechen,