Protokoll der Sitzung vom 19.10.2000

Danke, Herr Riemann.

Zu Ihrer eingangs gemachten Bemerkung noch eine Anmerkung meinerseits: Das Erlangen oder Nichterlangen von Ordnungsrufen ist hier keine sportliche Veranstaltung und auch kein Kavaliersdelikt. Ich bitte schon, dass man das angemessen würdigt. Sie schaden mit Ihren Äußerungen eher unserem Haus, als dass Sie dem nutzen.

(Zurufe bei einzelnen Abgeordneten der CDU: Oh, oh!)

Das Wort in der Aussprache, die wir im Ältestenrat mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart haben, hat als Erste die Finanzministerin. Bitte sehr, Frau Keler.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass sich die CDU-Fraktion den Themen Länderfinanzausgleich und Solidarpakt II im Rahmen des Aufbau Ost widmet, kann ich nur begrüßen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Ich habe ja schon in meiner Haushaltsrede betont, dass wir die besonderen Belange Mecklenburg-Vorpommerns auf diesen Problemfeldern nur dann wirkungsvoll zur Geltung bringen können, wenn alle Fraktionen konstruktiv zusammenarbeiten. Hier haben alle Fraktionen des Landtages wie die des Bundestages eine besondere Verantwortung. Für parteipolitische Ränkespiele eignen sich diese Themen dagegen ganz und gar nicht.

(Beifall Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

Und darum sollten wir alle miteinander wenigstens für

die Dauer der Verhandlungen um den neuen Länderfinanzausgleich und den Solidarpakt II auf solche Spielchen verzichten.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Wir könnten nur unserem Land, also uns selbst, schaden.

Länderfinanzausgleich und Solidarpakt II sind die derzeit wohl wichtigsten Themen für die ostdeutschen Bundesländer.

(Wolfgang Riemann, CDU: Und des- wegen gehört es auch ins Parlament.)

Sie sind durch die Normenkontrollklage der süddeutschen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen vor dem Bundesverfassungsgericht dazu geworden. Ich will versuchen, in aller Kürze zu rekapitulieren, warum das so ist.

Alle Bundesländer und die Bundesregierung haben 1993 einstimmig beschlossen, dass die ostdeutschen Bundesländer mit Wirkung vom 1. Januar 1995 in den gesamtdeutschen Länderfinanzausgleich einbezogen werden sollten. Für den Aufbau Ost wurde außerdem ein Solidarpakt vereinbart, der bis zum Jahr 2004 vor allen Dingen die strukturellen Nachholbedarfe der ostdeutschen Bundesländer aufarbeiten helfen sollte. Die wichtigsten Positionen in diesem Solidarpakt sind für uns die Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen in Höhe von knapp 1,5 Milliarden DM und die Mittel aus dem Investitionsfördergesetz mit knapp 700 Millionen DM. Auch damals ging nicht alles so glatt, wie das in der Rückschau vielleicht aussieht. Frau Kleedehn war damals Vorsitzende der Finanzministerkonferenz und müsste Ihnen das ja mal geschildert haben.

Für ihre Einbeziehung in den Länderfinanzausgleich mussten die ostdeutschen Bundesländer damals auch Kompromisse eingehen. Der schmerzhafteste war die Berücksichtigung der kommunalen Steuerkraft zu lediglich 50 Prozent. Das Hauptproblem, mit dem alle öffentlichen Haushalte in der Anfangsphase der neuen Regelung ab 1995 zu kämpfen hatten, war der drastische Rückgang der tatsächlichen Steuereinnahmen gegenüber den jeweiligen Steuerschätzungen. Da das arme wie reiche Länder gleichermaßen traf – ich erinnere daran, für MecklenburgVorpommern gab es gegenüber der Planung für die Jahre 1994 bis 1998 im Ist ein Minus von mehr als 4 Milliard e n DM –, wurde von den Landesregierungen in Bayern und Baden-Württemberg das so genannte WaldenfelsModell, nach seinem Urheber, dem bayerischen Finanzminister jener Jahre, Graf Waldenfels, schnell über Bord geworfen. Schon bald kam es zu ersten Angriffen auf den Föderalismus. Bayerns neuer Finanzminister Erwin Huber verkündete damals lauthals, dafür, nämlich für die Revision des Länderfinanzausgleichs, werden wir Millimeter für

Millimeter unsere Artillerie vorfahren und dann wird jeden Tag gepulvert.

(Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Und das taten die Südländer denn auch. Eine Pressekampagne wurde angezettelt, wie es sie zu einem Thema der Finanzpolitik noch selten gegeben hat. Neue Vokabeln wie Wettbewerbsföderalismus – übrigens, Herr Riemann, da kann ich mich erinnern, da hat Herr Rehberg mal eine andere Position vertreten als Sie, aber es freut mich, dass Sie das jetzt genauso sehen wie wir –,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

also neue Vokabeln wie Wettbewerbsföderalismus und Anreizsysteme machten die Runde.

(Wolfgang Riemann, CDU: Das haben wir schon immer so gesehen. Da sind wir wohl missverstanden worden.)

Und immer wieder aufgewärmt wurde die irreführende Darstellung, das jetzige System des Länderfinanzausgleichs verändere die Finanzkraftreihenfolge unter den Ländern.

Die ganze Kampagne mündete im Juni 1998 schließlich in eine Normenkontrollklage der Länder Bayern und Baden-Württemberg vor dem Bundesverfassungsgericht, der Hessen später beitrat. Darin wurden vor allem drei Punkte angegriffen:

1. Der Umsatzsteuerausgleich sollte abgeschafft werden.

2. Überschüsse und Fehlbeträge zur durchschnittlichen Finanzkraft aller Länder sollten nur noch zu 50 Prozent abgeschöpft beziehungsweise ausgeglichen werden.

3. Die Fehlbetragsbundesergänzungszuweisung und die Bundesergänzungszuweisungen für Kosten politischer Führung sollten ganz abgeschafft werden.

Für Mecklenburg-Vorpommern hätte das finanzielle Einbußen in Höhe von insgesamt 1,5 Milliarden DM pro Jahr zur Folge gehabt. Dennoch behaupteten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen steif und fest, ihre Klage richte sich keineswegs gegen die ostdeutschen Bundesländer. Den Fakten hielten und halten solche Schutzbehauptungen allerdings nicht stand.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

82,3 Prozent oder 49,3 Milliarden DM von insgesamt 6 0 Milliarden DM, die im horizontalen und vertikalen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern 1999 gezahlt worden sind, flossen in die ostdeutschen Bundesländer und nach Berlin. Und es ist nun einmal eine Binsenwahrheit: Wenn der Kuchen kleiner wird, dann werden auch die Stücke kleiner, die verteilt werden können.

(Reinhard Dankert, SPD: Richtig.)

Dass von Übernivellierung, die Bayern, Baden-Würt

temberg und Hessen in den Regelungen von Länderfinanzausgleich und Solidarpakt sehen wollen, in Wirklichkeit nicht die Rede sein kann, mag folgende kleine Episode erhellen: Ihren Bericht über die Haushaltsrechnung 1999 des Freistaates Bayern überschrieb eine große süddeutsche Tageszeitung kürzlich mit der Steigerungsform „Reich, reicher, Bayern“. Im Text wurde ausführlich dargestellt, dass der Freistaat im vorigen Jahr nicht nur ohne Nettokreditaufnahme ausgekommen war, sondern auch noch 400 Millionen DM Schulden getilgt hatte, und das bei

einer angeblichen Übernivellierung durch den Länderfinanzausgleich, der von zusätzlichen Steuereinnahmen angeblich nichts übrig lässt. Diese Episode zeigt, dass die jetzigen Regelungen im Länderfinanzausgleich und im Solidarpakt so schlecht gar nicht sind, und die bisherigen Verhandlungen über ihre Neugestaltung haben das bestätigt.

Für uns kommt alles darauf an, möglichst viele Mitstreiter für unsere Positionen zu finden. Das ist uns mit der Bildung der so genannten Hannover-Runde gelungen, an der außer uns die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Saarland, Rheinland-Pfalz und die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen beteiligt sind. Diese Aufzählung zeigt Ihnen, dass hier sehr unterschiedliche Interessenlagen zusammengebunden werden müssen. Das ist uns bisher gelungen – ob es um die Einwohnerwertung der Stadtstaaten ging oder um das Problem der extrem dünnen Besiedlung in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Die Hannover-Runde, das hat sich in allen Verhandlungen gezeigt, wird allerdings nur zusammenbleiben, wenn wir uns in einem Korridor bewegen, in dem es keine Gewinner und keine Verlierer geben wird.

Unter diesem Aspekt muss ich zwangsläufig auch den Antrag der CDU sehen und bewerten, über den wir hier heute zu beschließen haben. Und unter diesem Aspekt sind die Punkte 1 und 2 in Ordnung, ist Punkt 3 unschädlich, macht aber Punkt 4 erhebliche Schwierigkeiten. Denn unter Punkt 4 haben Sie einen bunten Strauß frommer Wünsche zusammengetragen, mit dem ich in keine einzige Verhandlung der Hannover-Runde gehen könnte.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, PDS)

Da sind Forderungen dabei, die längst auf den Weg gebracht sind, wie Ihre Forderungen nach dem Abbau der Infrastrukturlücke. Da sind Forderungen dabei, die weder in den Länderfinanzausgleich noch in den Solidarpakt gehören, sondern einzig und allein in die Haushaltsberatungen der Bundesregierung, wie zum Beispiel die Fortführung der GA Wirtschaft oder die Gestaltung der Mittelstandsförderung. Und schließlich sind Forderungen dabei, die ausgesprochen kontraproduktiv sind, die dem Land sogar erhebliche finanzielle Einbußen bescheren würden. Wenn Sie zum Beispiel dafür plädieren, die Fehlbetragsbundesergänzungszuweisung abzuschaffen und stattdessen den Umsatzsteueranteil der Länder um drei Punkte zu erhöhen,

(Wolfgang Riemann, CDU: Mindestens! Mindestens!)

dann kostet uns das bares Geld.

(Wolfgang Riemann, CDU: Mindestens steht hier drin, Frau Keler.)

Auch mindestens.

(Wolfgang Riemann, CDU: Es könnten also auch fünf sein.)

1999 hätten wir 200 Millionen DM weniger bekommen. Und wenn ich die letzte Steuerschätzung zugrunde lege, hätten sich unsere Verluste 2004 bereits auf 240 Millionen DM s u m m i e r t.

(Wolfgang Riemann, CDU: Sie haben eine an- dere Rechnung, Frau Keler. 80 Millionen mehr!)

Sie haben augenscheinlich meine alte Regel nicht befolgt – Sie kennen sie aber hoffentlich noch, Herr Riemann –, die da heißt: Erst rechnen,

(Wolfgang Riemann, CDU: Haben wir.)

dann schneiden.

(Wolfgang Riemann, CDU: 80 Millionen DM mehr!)

Ähnlich fahrlässig gehen Sie mit unseren IFG-Mitteln um. Sie fordern, die Investitionshilfen nach Artikel 104 a Grundgesetz in den vertikalen Finanzausgleich zu integrieren. Hätte es eine solche Regelung im vergangenen Jahr bereits gegeben, hätten wir 560 Millionen DM weniger in der Landeskasse gehabt. Wenn wir nach Ihren Forderungen verfahren würden, dann würden die Fehlbetragsbundesergänzungszuweisungen und die IFG-Mittel künftig nach dem Einwohnerschlüssel verteilt. Aus den Sonderzahlungen an die ostdeutschen Bundesländer würde Finanzmasse für alle Länder, das heißt, wir bekämen 2,2 Prozent der Summe, während wir zurzeit von den Fehlbetragsbundesergänzungszuweisungen 5,5 Prozent bekommen und von den IFG-Mitteln, die zurzeit ausschließlich an die ostdeutschen Bundesländer gezahlt werden, 10,6 Prozent.