Protokoll der Sitzung vom 15.11.2000

Können Sie mir dann noch eine kleine Erläuterung geben? Ich war auf dem Dampfer, dass Sie fragen wollten, wie wir die Untherapierbaren herausfinden. Deshalb überraschen Sie mich jetzt mit dem Gegenteil.

Also, Herr Helmrich, Sie können die Frage noch mal stellen.

Diese Frage, die Sie eben an sich selbst gestellt haben, können Sie mir auch gerne beantworten.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Also ich halte das für die wichtigste Frage, im Grunde sind wir ja jetzt bei beiden Seiten des Maßregelvollzuges, nämlich die: Wann können wir entlassen und wann müssen wir erkennen, dass manche Patienten einfach nicht therapierbar sind.

(Götz Kreuzer, PDS: Da müssen Sie Herrn Thomas fragen.)

Da sehe ich eigentlich das Hauptproblem, worüber man wirklich sehr sorgfältig diskutieren muss, wo wir versuchen müssen, einen Weg zu finden, wenn wir, wozu ich stehe, den grundsätzlichen Auftrag des Gesetzes beibehalten wollen, dass wir psychisch Kranke heilen, wo dies möglich ist. Dann wird man nicht von Anfang an sagen können, tritt du zur Linken, du bist untherapierbar, sondern das wird am Ende einer psychiatrischen Untersuchung nur stehen können. Deshalb sind wir immer im Bereich von Gutachten, von Sachverständigengutachten.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Sei doch mal ruhig! Ich will doch mal hören, was er antwortet.

Deshalb sehe ich eigentlich nur die Möglichkeiten darin, dass wir Verfahren entwickeln, um möglichst genaue und gute Ergebnisse zu erzielen. Aber Sie wissen natürlich, dass wir im Bereich von Gutachten niemals absolute Sicherheit haben können, sondern es kann aus meiner Sicht nur darum gehen, kluge Verfahren zu entwickeln, die vorschnelle, vielleicht falsche Urteile verhindern.

Auf der anderen Seite, bei der Entlassung gebe ich Ihnen Recht, bei dem Teil, der nicht ausgesprochen war, nämlich dass wir, wenn wir jemanden in der Klinik therapieren und dann aufgrund seines Verhaltens in der Klinik und in der Therapie zu dem Ergebnis kommen, dass er nun als geheilt entlassen werden kann, dass es Tätergruppen gibt, die da ein ganz hohes Risikopotential bieten. Ich erinnere nur zum Beispiel an sexuelle Triebtäter,

die sich erfahrungsgemäß in der Anstalt sehr angepasst verhalten und deshalb innerhalb der Therapie durchaus den Eindruck machen, als seien sie sehr kooperativ und leicht zu heilen, aber wo man natürlich nicht immer prüfen kann, auch nicht mit Lockerungsstufen, wie weit sie denn nun sind. Bei Alkoholtätern ist das viel leichter. Wenn ich einem Alkoholtäter einen Kurzurlaub gewähre und er kommt aus zehn Kurzurlauben nicht betrunken zurück oder er kommt aus zwei Kurzurlauben sturzbetrunken zurück, dann erlaubt das selbstverständlich Rückschlüsse. Das geht bei anderen Tätergruppen nicht. Und deshalb gebe ich zu, dass wir da sehr große Schwierigkeiten haben. Ich sehe prinzipiell nur die Möglichkeit, dies durch ein sehr ausgefeiltes Gutachtensystem in den Griff zu bekommen. Aber wir werden in diesem Bereich immer auf Gutachten angewiesen sein.

Vielen Dank. Meine Frage...

Gestatten Sie noch eine Nachfrage?

Ja, natürlich.

Meine Frage haben Sie zum großen Teil damit beantwortet, aber den letzten Teil, den ich versucht habe zu erfragen, der ist darin noch nicht enthalten gewesen. Der lautet: Sehen Sie auf Bundesebene eventuell Gesetzgebungsbedarf, um die Frage der Entlassung präziser zu fassen oder in ein Regelausnahmeverhältnis zu kleiden oder irgendetwas dort zu mehr Sicherheit gesetzlich zu regeln?

Ich muss Ihnen zunächst sagen und ganz offen legen, dass ich in diesen Wochen, die ich im Amt bin, das Hauptaugenmerk darauf gerichtet habe, das System, was wir bisher haben, aufgrund der jetzigen Gesetzeslage zu überprüfen und zu versuchen, zu Sofortmaßnahmen zu kommen. In der Tat stellt sich immer diese Frage. An jedem Stammtisch, an dem man diskutiert, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass man sagt, die darf man doch irgendwie nicht rauslassen. Ich halte das für eine ähnlich kluge Überlegung wie die, die ich als Richter gehört habe, dass man sich doch zunächst den begründeten Fällen zuwenden soll. Das ist genauso intelligent, weil man das erst entscheiden kann, wenn man sich lange mit ihnen beschäftigt hat. Das ist so was Ähnliches. Ich glaube, dass dieser Bereich sehr, sehr schwierig ist und dass wir mit ihm verantwortlich umgehen müssen. Ich fürchte auch, selbst bei langer Beschäftigung wird es da kein Patentrezept geben.

Danke sehr.

Herr Minister, gestatten Sie noch eine Anfrage des Abgeordneten Herrn Glawe.

Natürlich.

Bitte, Herr Glawe.

Herr Minister, Mecklenburg-Vorpommern hatte im letzten Jahr einige Probleme im Maßregelvollzug. Ich will noch mal auf die Lockerungsstufen abheben. Es gab ja den Vorfall in Ueckermünde, dass eine Pflegekraft einen Patienten begleitet hat, der eigentlich nur Ausgang hatte zum Arzt beziehungsweise zum Einkaufen. Und dann kam es ja zu dieser bedauerlichen Vergewaltigung. Wie stellen Sie sicher, dass insgesamt dieses System, so, wie Sie es eben vorgetragen haben, auch umgesetzt wird innerhalb des Ärztebereiches und des

Pflegebereiches? Denn wir haben ja festgestellt, dass in besonderer Weise hier, denke ich, auch Weiterbildungsund Qualifizierungsbedarf besteht. Können Sie dazu vielleicht mal einige Ausführungen machen?

(Vizepräsidentin Kerstin Kassner übernimmt den Vorsitz.)

Also ich denke, dass man ganz offen sagen muss, auch wenn es sich um einen sehr problematischen Bereich handelt, über den wir reden, dass dort die Bearbeitung durch das Ministerium, die Verantwortung durch das Ministerium nur wahrgenommen werden kann wie in anderen Bereichen auch, dass wir genaue Vorgaben machen, wie gearbeitet werden soll, dass wir die Bediensteten, wo das nötig ist, anleiten und dass wir überprüfen, ob das, was wir vorgegeben haben, eingehalten wird. Mit diesem Sicherheitssystem wird man sicherstellen müssen, dass so gearbeitet wird, wie wir das wollen.

Das heißt also, Sie werden...

Wollen Sie noch eine Frage stellen, Herr Glawe?

Ja, wenn ich darf.

Dann bitte.

Das heißt also, Sie werden darauf einwirken, dass Dienstanweisungen so ausfallen, dass das Pflegepersonal und die Ärzte das dann einhalten werden?

Ja, natürlich. Das muss ja der Sinn jeder Anweisung sein, dass sie eingehalten wird.

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Wir haben sehr früh gemeinsam Gespräche mit allen maßgeblichen Leuten aus dem Maßregelvollzug dieses Landes geführt. Damit Weisungen eingehalten werden – das ist natürlich auch eine allgemein bekannte Tatsache –, ist es sehr sinnvoll, dass man die Regeln, die man entwickelt, dass man die mit den Betroffenen gemeinsam entwickelt und dass die davon überzeugt sind, dass das eine gute Sache ist. Dann ist es viel leichter, die durchzusetzen. Da, wo wir in Bereichen, die wir für wichtig halten, auf Unverständnis stoßen, werden wir uns natürlich durchsetzen. Aber ich sehe dazu im Moment keinerlei Anlass, sondern nach meiner jetzigen Erfahrung sind alle sehr kooperationsbereit und alle daran interessiert, auch Verbesserungsvorschläge von uns zu bekommen. Ich habe keinen Anlass zu glauben, dass sie sich dann an diese Verbesserungsvorschläge nicht halten werden.

Darf ich noch eine Frage stellen?

Noch eine weitere Frage, lassen Sie die zu, Herr Minister? (Zustimmung)

Bitte.

Herr Minister, ich will Sie nicht weiter sozusagen bedrängen, das können wir dann in den Ausschüssen auch noch klären, aber eine Frage noch zu den sicherheitstechnischen Anlagen: Wir hatten ja im Land eigentlich beschlossen, dass wir sozusagen die Forensik auf den modernsten Stand bringen wollten baulicherseits. Wie erklären Sie sich denn nun eigentlich, dass in besonderer Weise im Bereich der Sicherheit einige Dinge jetzt erst nachgerüstet werden mussten?

Ich bitte um Verständnis, dass ich mich nicht zunächst mit Ursachenforschung befasst habe, sondern mich darauf gestürzt habe, den Status quo zu überprüfen, um zu sehen, wo noch etwas fehlt.

Diese Sicherheitsüberprüfung, von der ich gesprochen habe, die hat ja Monate in Anspruch genommen und die habe auch nicht ich zu verantworten, sondern die hat bereits die Sozialministerin durchgeführt. Wie die Zeit davor noch war, muss ich zugeben, hat mich jetzt zunächst nicht primär interessiert. Ob das etwas ist, was seit fünf Jahren oder seit zwei Jahren ist, kann ich so nicht sagen.

Es war doch sonst üblich, dass immer Absprachen zwischen LKA, Innenministerium...

(Unruhe bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Herr Glawe,...

Jetzt bin ich überfragt.

... eine Frage würde ich noch zulassen, aber jetzt bitte keine Diskussionen mehr.

Danke, Frau Präsidentin, ich verzichte dann auf weitere Fragen, wenn Sie das unterbinden.

Danke sehr, Herr Justizminister.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Ich muss sagen, Herr Glawe, das war eine Kommentierung Ihrerseits auf die Frage und das ist nicht zulässig. Sie können gerne Fragen stellen, solange Sie wollen.

Das Wort hat die Sozialministerin. Bitte sehr, Frau Dr. Bunge.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung arbeitet systematisch – und jetzt Justizministerium und Sozialministerium gemeinsam – daran, den Maßregelvollzug zu verbessern. Was dazu im Sicherheitsbereich sowohl bei den sachlichen Bedingungen, also der Sicherheitstechnik, beziehungsweise im organisatorischen Bereich, wie beispielsweise bei der Überprüfung der Lockerungsstufen, getan wird, hat zuständigkeitshalber mein Kollege Justizminister eben gerade ausgeführt. Wir folgen dabei der Philosophie: Je mehr Sicherheit außen, desto mehr Therapiefreiheit innen. Und auch Therapie ist Sicherheit. Ein hoher Qualitätsstandard der Therapie bewirkt mehr Sicherheit für die Bevölkerung. Das ist zu belegen und es lässt sich belegen.

Bundesweit ist die Rückfallquote von der Straftat her vergleichbarer Straftäter – und dabei handelt es sich um schwere Straftäter – nach dem Maßregelvollzug nur ein Drittel so hoch wie beim normalen Vollzug, nämlich – und Herr Schoenenburg hat bei der Einbringung bereits auf die Zahlen verwiesen – 10 bis 20 Prozent im Maßregelvollzug zu 60 bis 70 Prozent im normalen Vollzug. Und es ist beileibe nicht so, dass straffällig Gewordene sich nach dem Aufenthalt in einer forensischen Klinik, die oft ja auch als Kureinrichtung diffamiert wird, drängen. Im Gegenteil, viele straffällig Gewordene versuchen, diesen gerichtlichen Entscheid zu vermeiden. Warum? Weil Therapie bei