Bundesweit ist die Rückfallquote von der Straftat her vergleichbarer Straftäter – und dabei handelt es sich um schwere Straftäter – nach dem Maßregelvollzug nur ein Drittel so hoch wie beim normalen Vollzug, nämlich – und Herr Schoenenburg hat bei der Einbringung bereits auf die Zahlen verwiesen – 10 bis 20 Prozent im Maßregelvollzug zu 60 bis 70 Prozent im normalen Vollzug. Und es ist beileibe nicht so, dass straffällig Gewordene sich nach dem Aufenthalt in einer forensischen Klinik, die oft ja auch als Kureinrichtung diffamiert wird, drängen. Im Gegenteil, viele straffällig Gewordene versuchen, diesen gerichtlichen Entscheid zu vermeiden. Warum? Weil Therapie bei
Auseinandersetzung mit sich selbst und mit seinen Problemen, wozu natürlich am Anfang die wenigsten bereit sind. Deshalb umfasst Therapie im Maßregelvollzug immer drei aufeinander folgende Schritte:
Nicht zu übersehen ist, dass Bemühungen von Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten auch Grenzen gesetzt sind. Und es ist so, dass rund acht Prozent aller seelisch gestörten Täter für immer hinter Klinikmauern verbleiben, weil sie nach heutigen Kenntnissen nicht hinreichend therapierbar sind. Hier liegt auch eine Entwicklung, das möchte ich betonen.
Ich möchte die heutige Debatte nutzen, auch dringend die erforderliche Aufklärung einmal ein Stück voranzutreiben, was in den forensischen Psychiatrien eigentlich passiert. Bisher haben wir es in der Tat nur auf Sicherheit reduziert.
(Beifall Annegrit Koburger, PDS – Dr. Ulrich Born, CDU: Das haben Sie ja gerade nicht. Wenn Sie sich um die Sicherheit geküm- mert hätten,... – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Aufklärung! – Zuruf von Heike Lorenz, PDS)
Bei den straffällig gewordenen Patientinnen und Patienten in forensischen Kliniken haben viele 45 bis 65 Prozent Mehrfachdiagnosen, zum Beispiel die Kombination Psychose plus Suchterkrankung. Hinzu kommen soziale Defizite und Ausbildungsdefizite. Berücksichtigt man zudem die häufig vorliegende mangelnde Krankheitseinsicht und die zumeist lange bestehende Störung, so ist nach der Einweisung zunächst geduldige Motivationsarbeit zu leisten. Diese Zeit wird genutzt, um beim Einzelnen die Defizite sorgfältig für die Therapieplanung zu analysieren. Erreichbare und messbare Behandlungsziele müssen definiert werden. Es müssen Dinge erlernt oder wiedererlernt werden, die für andere selbstverständlich sind, wie Grundregeln sozialen Verhaltens, die Gestaltung des Alltags, gewaltfreie Konfliktbewältigung oder eben auch der Aufbau vertrauensvoller Beziehungen.
Bei den komplexen Störungsbildern der Patientinnen und Patienten in forensischen Kliniken ist neben der Psychotherapie im engeren Sinne ein breites Angebot an psychagogischen, pädagogischen und sozialedukativen Maßnahmen erforderlich. Von vornherein sind bestimmte Entscheidungszeitpunkte für Qualitätskontrollen im Therapieverlauf festgelegt, um – wenn nötig – Korrekturen in den Interventionsstrategien vorzunehmen.
Eine möglichst familiäre Atmosphäre soll für die Entwicklung auch dieser Bindungen und Verantwortlichkeiten sorgen. Grundsätzlich bleibt aber der Unterschied bestehen zwischen therapeutischen Fortschritten, die in einem geschlossenen Milieu erreicht werden, und der Umsetzung dieser Verhaltensweisen in der Umgebung, in die der Patient wieder einmal entlassen werden soll. Deshalb ist Therapie erst erfolgreich, wenn sich die herausgeprägten neuen Verhaltensweisen bei den unterschiedlichen Lockerungsstufen unter mehr oder weniger Aufsicht beweisen. Diese Belastungsproben sind langwierigste und schwierigste Schritte. Krisen werden durch spezifische Situationen ausgelöst. Erst daran ist zu messen, ob der Patient/die Patientin wirklich in der Lage ist, die Außenwelt zu meistern. Natürlich ist jeder Fall, der sich bei der Lockerung nicht bewährt, einer zu viel. So müssen diese Lockerungsstufen mit so viel Sorgfalt wie nur irgend möglich festgelegt werden. Aber sie sind unerlässlich für die Reintegration der einst straffällig Gewordenen in das tagtägliche Leben. Alle drin zu behalten ist aber auch kein Konzept. Wir können doch nicht das ganze Land mit forensischen Kliniken überziehen. Überlegen Sie sich mal die Konsequenz Ihrer Forderung!
(Wolfgang Riemann, CDU: Er wartet, bis das Bildungsfreistellungsgesetz in Kraft gesetzt wird. – Annegrit Koburger, PDS: Ja, das sollte er mal in Anspruch nehmen)
(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Herr Thomas braucht ein paar Lockerungsübungen. – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Wolfgang Riemann, CDU: Na die braucht die Ministerin aber auch.)
Die Grenze für das stufenweise Herauslassen oder Drinbleiben ist dort, wo die Therapie keine Fortschritte anzeigt und die Gefahr für die Bevölkerung weiterhin besteht. Und die Sicherheit der Bevölkerung hat natürlich vor dem Recht des Einzelnen auf Reintegration den Vorrang.
Deshalb haben wir auch mit dem Justizministerium vereinbart, dass künftig Psychologen mit Sicherheitsexperten Plausibilitätsüberprüfungen für bestimmte Lockerungsgrade vornehmen. So kann meines Erachtens die Einheit von umfassender Therapie mit höchstmöglicher Sicherheit besser gewahrt werden. Diese Sichtweise wird auch von namhaften Experten auf dem Gebiet der Forensik in der Bundesrepublik geteilt.
Wir haben und wir bauen moderne Kliniken im Land. Wir müssen ständig den wachsenden Bedarf durch die verstärkten Einweisungen mit ausreichenden Kapazitäten zu decken suchen. Es gilt, qualifiziertes ärztliches und pflegerisches Personal heranzubilden und zu binden.
(Harry Glawe, CDU: Das haben Sie schon ein Jahr angekündigt, aber es ist schön, dass Sie das jetzt machen.)
(Harry Glawe, CDU: Darauf hat die Universität schon im Jahre 1999 gewartet, Frau Ministerin, und heute fangen Sie damit an. – Wolfgang Riemann, CDU: 1999 konnten wir das nicht tun. – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Seit 1990 hätten Sie das tun können, seit 1990!)
(Harry Glawe, CDU: Die Universität hat mit der Grundsteinlegung für die Forensik erwartet, dass hier Ausbildung und Qualifizie- rung für die neuen Mitarbeiter stattfindet, und jetzt wollen Sie uns hier verkünden, dass das was Neues ist. Das kann es doch nicht sein!)
Es musste dazu auch – Herr Glawe, das wissen Sie, man kann da nicht einfach wild losdiskutieren – für Bildungsmaßnahmen ein Curriculum erarbeitet werden und das ist gerade in diesem Bereich, wo es keine Ausbildung gibt, natürlich für die Weiterbildung...
Herr Glawe bitte, Sie haben später die Gelegenheit, Ihre Auffassung darzulegen. Jetzt spricht die Ministerin. Bitte.