Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

(Dr. Armin Jäger, CDU: Gut, na prima.)

Wir haben in diesem Bereich derzeit kein Vollzugsproblem. Eine andere Frage ist, wären die Straftaten zu verhindern gewesen. Die wären mit Videoeinsatz, Herr Thomas, vielleicht nur dann zu verhindern gewesen, und da zeigt sich die Absurdität Ihres Antrages,

(Götz Kreuzer, PDS: Ja. – Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

wenn wir vor jeder Kirchentür – denn wir wissen ja gar nicht, wo eine Straftat ausgeübt wird –, an jeder Kieskuhle und an jedem Garagenkomplex Videokameras aufbauen würden.

(Reinhardt Thomas, CDU: Wer sagt denn das?)

Denn das Entscheidende haben Sie selber gesagt, Herr Thomas, in Mecklenburg-Vorpommern haben wir keinen Kriminalitätsschwerpunkt,

(Reinhardt Thomas, CDU: Das ist Ihre Interpretation.)

auch nicht an der Gedenkstätte in Wöbbelin, sondern die Polizei hat eine ganz andere Herausforderung zu meistern: Wir haben ein flächendeckendes Kriminalitätsproblem und das macht natürlich die Arbeit der Polizeibeamten nicht einfacher.

(Reinhardt Thomas, CDU: Und was ist mit der Straßenkriminalität in Rostock?)

Nun sagt die Opposition, die Landespolizei benötigt ein politisches Konzept zur Videoüberwachung. Ich will Ihnen klar und deutlich sagen, die Landespolizei nutzt die im Sicherheits- und Ordnungsgesetz bereitgestellten Rechtsgrundlagen in eigener Verantwortung und unter Abwägung der Verhältnismäßigkeit, nämlich des Verhältnisses von Aufwand und Ergebnis, konsequent aus. Dabei müssen die Polizeibehörden beachten, dass, wie ich schon sagte, und zwar anders als auf dem Bahnhofsvorplatz von Leipzig, in Mecklenburg-Vorpommern ein flächendeckendes Kriminalitätsproblem vorhanden ist und wir – ich will nicht leider sagen – das Problem bewältigen müssen, dass wir eben keine Kriminalitätsschwerpunkte in unserem Bundesland haben.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Oh, oh! Oh, oh! – Reinhardt Thomas, CDU: Über den Wolken.)

Es geht letztlich, meine Damen und Herren, um den abgestimmten Einsatz aller durch das Gesetz zur Verfügung gestellten Instrumentarien, um im Bereich der Gefahrenabwehr Kriminalität in Mecklenburg-Vorpommern zu bekämpfen, um alle zur Verfügung gestellten Instrumentarien – das ist die Herausforderung –, und zwar auch um die Videoüberwachung. Das ist die Herausforderung, die die Polizei zu meistern hat.

Ich will Ihnen das anhand der geltenden Rechtsvorschriften erläutern.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das kennen wir besser. – Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Für die Strafverfolgung – das ist völlig klar – nutzt die Landespolizei die Strafprozessordnung.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Bei dem Einsatz bestimmter technischer Mittel zu Observationszwecken handelt es sich um verdeckte Maßnahmen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt. Diese Vorschrift enthält keine Regelung für eine reine Videoübertragung ohne Aufzeichnung.

Meine Damen und Herren! Gefahrenabwehr nach dem SOG, wie die CDU sagt, offene Videoüberwachung, die Zulässigkeit von Bildüberwachungs- und Bildaufzeichnungsmaßnahmen von allgemein zugänglichen Flächen und Räumen richtet sich nach Paragraph 32 SOG.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Donnerwetter.)

Demnach dürfen solche Orte mit technischen Mitteln zur Bildüberwachung – und zwar ohne Aufzeichnung, meine Damen und Herren – beobachtet werden, wenn dies zur Aufgabenerfüllung nach Paragraph 1 SOG, nämlich Gefahrenabwehr, erforderlich ist. Anwendungsbereiche können gefährdete Objekte und Orte sein, an denen regelmäßig Straftaten ausgeübt werden. Dieser Paragraph wird angewandt.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Ich will Ihnen noch etwas dazu sagen: Es geht auch um die Abwägung, ob der technische, personelle und finanzielle Einsatz sich lohnt. Oftmals können Kriminalitätsorte auch ohne Videoüberwachung sehr viel effizienter aufgeklärt werden.

Ich komme zu einem nächsten Punkt, zur Bildaufzeichnung. Gegen die Videoüberwachung ist eine Bildaufzeichnung der an allgemein zugänglichen Flächen und Räumen offen durchgeführten Überwachung nur zulässig, wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung bestehen. Das muss beachtet werden, wenn man diese Diskussion führt, Herr Thomas. Deswegen will ich Ihnen auch sagen, wie die verdeckte Überwachung und Bildaufzeichnung durch die Polizei angewandt wird. Neben der von mir schon angesprochenen Überwachung der allgemein zugänglichen Flächen und Räume regelt auch das SOG besondere Mittel der Datenerhebung

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

und führt hier den verdeckten Einsatz technischer Mittel unter anderem auch zur Bildüberwachung und -aufzeichnung an.

Diese verdeckten Maßnahmen sind nur möglich, wenn Tatsachen die Annahme der Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung rechtfertigen und die Aufklärung des Sachverhaltes zum Zwecke der Verhütung von Straftaten

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

oder ihrer möglichen Verfolgung auf andere Weise nicht möglich ist.

(Reinhardt Thomas, CDU: Da bin ich aber richtig überrascht.)

Deswegen will ich Ihnen, Herr Thomas, weil Sie so überrascht sind,

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU – Reinhardt Thomas, CDU: Das ist ja erstaunlich.)

dann auch noch was sagen zum Versammlungsrecht.

(Reinhardt Thomas, CDU: Ach, das kennen Sie auch schon?!)

Als besondere Form der Gefahrenabwehr regelt das Versammlungsrecht die Möglichkeit, offene Bild- und Tonaufzeichnungen vorzunehmen. Verdeckte Maßnahmen sind nach dieser Rechtsnorm nicht zulässig. In diesem Gesetz ist geregelt, dass Bildaufnahmen angefertigt werden dürfen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von Versammlungsteilnehmern erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in unserem Land ausgehen.

(Reinhardt Thomas, CDU: Wie zum Bei- spiel September ‘98 in Rostock am Steintor?)

Nun werden, wie der Antragsteller selber ausgeführt hat, bereits in Mecklenburg-Vorpommern vielfach Videokameras eingesetzt, um Überwachungen auszuüben, und zwar vor allem im privaten Bereich. Das fällt natürlich jedem auf, der zum Beispiel an eine Tankstelle fährt.

(Reinhardt Thomas, CDU: Und was ist mit Prävention an den Tankstellen?)

Die privat initiierte Überwachung von Tankstellen, Schalterhallen, Geldautomaten, Garagen, Tunneln, Spielbanken oder Ähnlichem erfolgt auf der Grundlage der bürgerlich-rechtlichen Regelungen. Wenn ich mir den Hinweis erlauben darf: Besonders von Datenschützern wird seit langem eingefordert, dass auch für den privatrechtlichen Bereich gesetzliche Grundlagen zur Einschränkung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung geschaffen werden. Zum Beispiel wird in unserem Bundesland demnächst die Deutsche Bahn den Einsatz von Überwachungstechnik in größeren Bahnhöfen einführen.

Die Nutzung der offenen Videoüberwachung durch die Polizei: Die offene Videoüberwachung nach Paragraph 32 SOG, also durch die Polizei in öffentlichen Räumen, verlangt die ständige polizeiliche Überwachung des übertragenen Bildes – denn sie darf es nicht aufzeichnen –, um zeitgerecht und angemessen reagieren zu können. Hierbei ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der mit der Videoüberwachung vermutete Sicherheitsgewinn unter Berücksichtigung des damit verbundenen, wie ich schon sagte, finanziellen, personellen und technischen Aufwandes nicht auch durch andere, taktisch günstigere Maßnahmen erreicht werden kann. Diese Abwägung, meine Damen und Herren, sollte die Polizei möglichst selber machen. Da sollten wir uns beide, Herr Thomas, möglichst raushalten.

Ich meine, die Beamten können es besser als wir alle zusammen.

(Reinhardt Thomas, CDU: Sie halten sich ja schon zwei Jahre raus. Das ist nichts Neues.)

Sofern aufgrund der Beurteilung der Lage an bestimmten öffentlichen Flächen und Räumen eine offene Videoüberwachung …

(Reinhardt Thomas, CDU: Sie wissen gar nicht, was sie für einen Minister haben. – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Hören Sie doch mal zu!

(Reinhardt Thomas, CDU: Nee!)

Hören Sie doch mal zu!

(Siegfried Friese, SPD: Er will ja nicht zuhören.)

Sofern aufgrund der Beurteilung der Lage – vielleicht erfreut Sie das ja –, die jeweils von der Polizei eingeschätzt wird, an bestimmten öffentlichen Flächen und Räumen eine offene Videoüberwachung für zweckmäßig erachtet wird, ist natürlich beabsichtigt,

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

diese auch unter Beachtung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern durchzuführen.

Ich darf auf Erfahrungen in Großbritannien hinweisen. Sie haben es auch schon getan, Herr Thomas, ich will jedoch einen anderen Akzent setzen. Wissenschaftliche Studien in Großbritannien zeigen, dass, nachdem 85 Prozent aller dortigen Städte über Videoüberwachungsanlagen verfügten und enorme Anfangserfolge verzeichnet wurden, Videoüberwachungsmaßnahmen mit der Zeit einen großen Anteil ihrer Wirkung eingebüßt haben. Eine Erkenntnis war, dass die Maßnahmen ständig auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen waren und lageangepasst modifiziert werden mussten, weil Straftäter schnell gelernt haben, mit der Situation umzugehen, und ihre Vorgehensweise auf die neue Überwachungstechnik sehr schnell abgestellt haben.