Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

(Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS)

Solche „sicherheitspolitischen Hunde“ wurden früher an der Grenze erschossen. Und die Zweiten Sekretäre waren dafür zuständig.

(Zuruf von Siegfried Friese, SPD)

Die Innenministerkonferenz hat am 5. Mai dieses Jahres den Bericht der Arbeitsgruppe des Arbeitskreises 2 zu Videoüberwachungsmaßnahmen an Kriminalitätsschwerpunkten im öffentlichen Raum zugestimmt. In der Beantwortung der Kleinen Anfrage der CDU dazu vom 22. August 2000 erklärte die Landesregierung, dass sie in dem offenen Einsatz von Videoüberwachungsmaßnahmen an Kriminalitätsschwerpunkten im öffentlichen Raum ein geeignetes Mittel sieht, die polizeiliche Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung wirksam zu unterstützen. Die Landesregierung ist aber der Meinung, dass es derartige Kriminalitätsschwerpunkte, an denen vermehrt Straftaten begangen werden, noch nicht gibt. Im Klartext heißt das, wir sagen ja, aber wir schieben es auf die lange Bank, weil sich der Innenminister nicht gegen die PDS durchsetzen kann.

Die PDS ist im Übrigen auch gegen die bislang möglichen Videoaufzeichnungen nach Paragraph 32 SOG. Das kann ich gut nachvollziehen, denn Sie möchten sich nicht wie im September 1998 auf den Videos der Polizei wiedererkennen.

(Annegrit Koburger, PDS: Im Gegen- satz zu Ihnen versuchen wir mal, ein bisschen Schlussfolgerungen zu ziehen.)

Das machen wir garantiert nicht. Deswegen lehnt diese Koalition auch unsere Initiative zum Landfriedensbruch ab. Dabei ist der PDS das linksextreme Hemd der kommunistischen Plattform näher als die Hose

(Annegrit Koburger, PDS: Aber Strümpfe haben wir auch an.)

zur effektiven Bekämpfung des Rechtsextremismus.

(Vizepräsidentin Kerstin Kassner übernimmt den Vorsitz.)

Um es klar zu sagen: Eine Videoüberwachung mit über 500.000 Kameras wie in Großbritannien ist niemals unser Ziel.

Die 59. Konferenz der Datenschützer von Bund und Ländern am 14. und 15. März 2000 in Hannover verabschiedete eine Entschließung zu Risiken und Grenzen der Videoüberwachung. Diese Grundsätze, und nicht die öffentlichen Fehlinterpretationen der Konferenz vom 7. und 8. dieses Monates in Schwerin, sind die Basis für eine vernünftige und sachliche Auseinandersetzung in diesem Bereich. Gefordert wurden in Hannover:

1. eine strenge Zweckbindung, das heißt eine Zweckbindung an den Kriminalitätsschwerpunkt sowie an Straftaten von erheblicher Bedeutung Das ist gegeben.

2. eine differenzierte Abstufung zwischen Übersichtsaufnahmen, der gezielten Beobachtung einzelner Personen und dem Aufzeichnen von Bilddaten sowie der Zuordnung auf bestimmte Personen. Für unsere Maßnahmen genügen.d Übersichtsaufnahmen. Der Kamerazoom wird nur benutzt bei Hinweisen auf Straftaten. Die Zuordnung auf Personen sowie deren Aufzeichnung gibt es auch nur bei Straftaten.

3. die deutliche Erkennbarkeit der Videoüberwachung für betroffene Personen Das wird erfüllt durch Hinweisschilder auf offene Videoüberwachungsmaßnahmen.

4. die Unterrichtung identifizierter Personen über die Verarbeitung ihrer Daten Das betrifft nur die Personen, die als Straftäter erkannt wurden. Sie werden natürlich auch informiert über die Verarbeitung der Daten.

5. Löschung der Daten binnen kurzer Frist Auch das ist gewährleistet, weil die Aufzeichnungen nicht aufbewahrt werden. Nur Aufzeichnungen von Straftaten werden aufbewahrt. Jeder Bürger hat im Übrigen Einsichtsrecht. Die Bänder ohne Straftatenhinweise werden generell sofort gelöscht.

Da sind wir in den Grundpositionen also dichter beieinander, als das einige Politiker wahrhaben wollen, die sich fachlich noch nicht mit dem Thema auseinander gesetzt haben, trotzdem aber diese Videoüberwachung platt ablehnen.

Eines muss auch noch deutlich gesagt werden: Die Gegner der auf klarer rechtlicher Grundlage basierenden Videoüberwachung schreien nur dann laut, wenn es um die staatliche und hier speziell um die der Polizei geht. Gleichzeitig stören sie sich aber seit Jahren nicht an Videoüberwachungsmaßnahmen in Tiefgaragen, Banken, Kaufhäusern et cetera.

Jetzt wird wieder das Totschlagargument vom Überwachungsstaat aus der Mottenkiste hervorgegraben, weil diese Videoüberwachung eben durch die Polizei erfolgt. Die Bürger sehen das Gott sei Dank weitaus realistischer. Über 70 Prozent befürworten die Videoüberwachung, weil sie im Gegensatz zu linken Politikern wissen, dass diese Videoüberwachungsmaßnahmen nur zu ihrer Sicherheit durchgeführt werden. Es gibt unsichere Orte in jeder Stadt und es gibt steigende Straßenkriminalität. Videoüberwachung dient zu der Straftatenbekämpfung sowie der Abwehr und der Verfolgung von Straftaten. Das Sicherheitsgefühl in der Innenstadt wird wieder gestärkt. Diese Videoüberwachung hat einen Zweifacheffekt. Die Bürger können wieder jene attraktiven Orte ihrer Stadt nutzen, die als rechtsfreie Räume von Straftätern schon okkupiert wurden. Der innerstädtische Bereich wird sicherer und attraktiver, die Wirtschaft wird wieder belebt. Für Mecklenburg-Vorpommern als Tourismusland ist Sicherheit ein ganz wichtiges und nicht zu vernachlässigendes Markenzeichen. Die Sicherheit der Touristen in den Innenstadtbereichen ist, denke ich, ganz entscheidend für einen attraktiven Tourismus.

Der offenen Videoüberwachung wurde unter folgenden Gesichtspunkten von den Datenschützern in Hannover

grünes Licht erteilt für „die Beobachtung einzelner öffentlicher Straßen und Plätze oder anderer öffentlich zugänglicher Orte, auf denen wiederholt Straftaten begangen worden sind, solange tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dort weitere Straftaten begangen werden (Kriminalitätsschwerpunkte) und mit der Beobachtung neben der Sicherung von Beweisen eine Präventionswirkung erreicht werden kann; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist … zu beachten. Ungezielte Verlagerungsprozesse sollten vermieden werden.“ Das zu der Entschließung von Hannover.

Genau das wollen wir. So viel Übereinstimmung mit Datenschützern hat es wohl mit uns noch niemals gegeben. Nicht bei unseren Bürgern, sondern auf den jeweils linken Parlamentsseiten gibt es offenbar Probleme.

Diese Entschließung der Datenschützer und die Entwicklung der Straßenkriminalität in den innerstädtischen Bereichen unserer großen Städte müsste doch auch der Innenminister kennen. Die Antwort auf unsere Anfrage vom 22. August 2000 zeigt aber, dass da wohl noch einige Informationslücken bestehen nach der generellen Ablehnung der Videoüberwachung, Zitat: „Eines zusätzlichen Konzeptes für den Einsatz von Videoüberwachungsmaßnahmen bedarf es nicht.“

Vorige Woche machte der gleiche Innenminister sich mit der Videoüberwachung für unser Land in der Presse stark. Das finden wir ausnahmsweise ziemlich gut. Fakt ist, ohne unseren Antrag hätte er das aber wahrscheinlich nicht getan. Als Orientierung für unsere Pilotprojekte kommt Leipzig in Frage, weil es dort in Abstimmung mit den Datenschützern sehr gut läuft.

Zwei Modelle wären für uns interessant:

Erstens. Regensburg

Dort läuft die Videoüberwachung über die Verkehrsbetriebe und nicht über die Kameras der Polizei. Das kommt für uns nicht in Frage. In Regensburg wurde aber eine Diplomarbeit über Angsträume im innerstädtischen Bereich in Auftrag gegeben. Ich denke, das sollten wir aufgreifen für unsere drei angedachten Pilotprojekte.

Zweitens. Leipzig

Die Leipziger City war schon immer ein Problemgebiet mit erhöhter Kriminalität. Das Polizeirevier im Zentrum konnte sich vor Straftaten, wie man so lax sagt, kaum retten. Mit offensiver Informationsstrategie wurde 1995 eine Sicherheitskonzeption für das Leipziger Zentrum erarbeitet, die auch die offene Videoüberwachung vorsah. Diebstahl aus und von PKW sowie Rauschgiftkriminalität waren in Bahnhofsnähe Schwerpunkte.

Drei Kameras sollten im Zentrum von Leipzig aufgestellt werden. Zum Vergleich – allein die Deutsche Bundesbahn betreibt auf dem Leipziger Hauptbahnhof 140 Videokameras, zu denen der BGS Zugang hat. Dagegen hat noch niemand protestiert. Die erste Kamera wurde im Frühjahr 1996 installiert. Binnen vier Wochen ging die Anzahl der Straftaten um 50 Prozent zurück. Parallel zum visuellen Streifengang waren Zugriffskräfte im Zentrum. Das ist ganz wichtig. Die erste Kamera wurde nach vier Wochen Erprobung wieder abgeschaltet. Die Straftaten stiegen daraufhin von täglich 50 auf 150 an. Und daraufhin wurde die Kamera wieder in Betrieb genommen.

Die Akzeptanz der Leipziger Bürger ist überwältigend. Mit Schildern auf deutsch und englisch wird auf die

Videoüberwachung hingewiesen. Jeder Bürger kann die Aufnahmen einsehen. Im Frühjahr 2000 wurden zwei weitere Kameras in Leipzig aufgestellt. Wiederum gab es einen Rückgang um 50 Prozent bei Straftaten.

Es handelt sich hierbei in Leipzig nur um visuelle Videoüberwachung. Aufzeichnungen gibt es also nur bei Hinweisen auf Straftaten. 0,27 Prozent – ich wiederhole, 0,27 Prozent – der Stadtfläche werden jetzt mit drei Videokameras in Leipzig überwacht. 5.000 bis 6.000 Straftaten konnten damit im Jahr verhindert werden. Und ganz wichtig, es gab keinen Verdrängungseffekt.

Eine Kamera musste in einem rechtsfreien Raum von Leipzig-Süd installiert werden, in dem es über Jahre Probleme mit Linksextremisten gab. Ähnlich wie in Leipzig haben wir diese Kriminalitätsschwerpunkte in Rostock und Schwerin und wir haben die Gefährdung von Gedenkstätten.

(Siegfried Friese, SPD: Wöbbelin vor allen Dingen.)

In Dr. Timms Polizeikonzept fehlen die Beamten für weitere komplexe Kontrollen der Innenstädte und für weitere Sonderkommissionen. Die Straßenkriminalität in Rostock nimmt aber, wie wir lesen durften, rasant zu. Modellvorhaben wie in Leipzig sind aus unserer Sicht sinnvoll, um die Innenstädte sicherer für Einheimische, attraktiv für Wirtschaft und für Touristen zu machen.

Dr. Timm hat, so haben wir das verstanden, vorige Woche vorab unserem Antrag schon zugestimmt. Ich bitte darum, dass Sie ihm folgen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Thomas.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall, dann werden wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Innenminister Herr Dr. Timm. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition beantragt ein Konzept für den offenen Einsatz von Videoüberwachungsmaßnahmen an Kriminalitätsschwerpunkten in Mecklenburg-Vorpommern und weist in ihrer Begründung darauf hin, dass die Gedenkstätte Wöbbelin ein Kriminalitätsschwerpunkt in Mecklenburg-Vorpommern sei.

Ich will Ihnen anhand der die Öffentlichkeit besonders beschäftigenden Kriminalitätsereignisse des Jahres 2000 – einige ausgewählter – zeigen, worin das Problem steckt, über das wir derzeit diskutieren:

Am 24. Juli dieses Jahres kam es zu einem Tötungsdelikt im Seebad Ahlbeck. Wir wissen, dass dort ein Obdachloser vor einer Kirchentür erschlagen worden ist. Drei Tatverdächtige wurden sofort festgenommen und ein vierter nach einer intensiven Fahndungsmaßnahme von verschiedenen Polizeibehörden am 11. August in Genthin. Die Ermittlungen gegen die vier Beschuldigten sind inzwischen abgeschlossen.

Ein zweiter Fall: Am 29. April dieses Jahres kam es in Waschow bei Lassahn zu einem schweren Landfriedens

bruch. Neun Vietnamesen, die sich am Kiessee aufgehalten haben, wurden von zehn Personen tätlich angegriffen. Die sofortigen Ermittlungen der Polizei führten zur Festnahme von zehn Tatverdächtigen. Die Ermittlungen sind abgeschlossen. Gegen fünf Beschuldigte liegt das Gerichtsurteil vor.

Am 29. April dieses Jahres kam es in Eggesin zu einer Straftat, von 25 Personen begangen. Es wurden Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen verwendet und es kam zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Diese 25 Personen am Garagenkomplex in Eggesin haben rechtsextremistische Parolen skandiert. Die Polizei ist mit einem verstärkten Kräfteeinsatz eingeschritten und die Personen in Eggesin haben, wie es heißt, Widerstand gegen die Vollstreckungsbeamten geleistet. Letztlich wurden Tonträger gefunden, teilweise mit indizierten Titeln, und sie wurden sichergestellt. Gegen 15 von den 25 namentlich bekannten Tatverdächtigen wird derzeit noch ermittelt.

Meine Damen und Herren! Das Problem ist, dass die Polizei bei diesen Straftaten, und ich könnte jetzt eine ganze Reihe anderer Straftaten hinzufügen, die Tatverdächtigen fasst.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Gut, na prima.)