Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

(Georg Nolte, CDU: Reden Sie nicht solchen Quatsch! – Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Ich möchte hier nur an die Verschlechterung im Arbeitsförderungsgesetz durch die Kohl-Regierung erinnern,

(Georg Nolte, CDU: Sie sollten mal die Anträge aus der letzten Legislatur lesen!)

nach der Arbeitslose bei einem Engagement von mehr als 14 Stunden wöchentlich nicht ehrenamtlich tätig sein können, weil sie sonst ihre Arbeitslosenunterstützung verlieren. Während ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger, die zugleich beruflich tätig sind, sich ohne Einschränkungen im Sport, in der Jugendarbeit, in der Sozialarbeit

oder in der Kommunalpolitik engagieren können, können dies Arbeitslose nicht, obwohl sie die dazu notwendige freie Zeit hätten. Auch waren Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht gewillt, diese nachteilige Regelung für das Ehrenamt zurückzunehmen. Insofern trifft die Überschrift, Herr Dr. König, deutliche Verschlechterungen für das Ehrenamt müssen wieder rückgängig gemacht werden, wohl eher auf die Maßnahmen, die Sie vor einiger Zeit ergriffen hatten, zu.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Und, ich denke, es trifft auch zu Recht der Spruch zu: Wer im Glashaus sitzt, sollte besser nicht mit Steinen werfen. Ihre Konzeptionslosigkeit, meine Damen und Herren von der CDU, ist mittlerweile nur zu durchschaubar.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ach was!)

Meine Damen und Herren! Die SPD-geführte Bundesregierung hat sich nach zehnjährigem CDU-Stillstand der politischen Aufgabe der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements gestellt. Es wurde eine Enquetekommission eingerichtet, die sich diesem Thema intensiv widmet, die Übungsleiterpauschale und die steuerlichen Möglichkeiten für Stiftungen wurden verbessert. Letzteres war übrigens unter anderem auch eine Forderung des 1999 gemeinsam vom Deutschen Kulturrat und vom Deutschen Sportbund gegründeten Aktionsbündnisses für das Ehrenamt. „Die Reform des Stiftungsrechtes ist eines der wichtigsten Reformvorhaben in dieser Legislaturperiode der Bundesregierung“, hieß es in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom 0 3. 0 9. 1 9 9 9.

Es ist jedoch richtig, meine Damen und Herren, dass die Gesetze zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse sowie die Förderung der Selbständigkeit für die Vereine einen erheblichen Verwaltungsmehraufwand gebracht haben. Häufig ist zu hören, dass das Ehrenamt mit Verwaltungsaufgaben, mit Routinearbeit erstickt wird und kaum noch emotionale Freude aufkommt. Hinzu kommt, dass für Aufwandsentschädigungen, wenn sie einen bestimmten Pauschbetrag übersteigen, neben Steuern auch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssen.

Der Bundeskanzler hat dazu auf dem Feuerwehrtag am 24. Juni 2000 in Augsburg Stellung genommen. Ich zitiere: „Ich räume gerne ein, dass insbesondere bei geringen Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten das geltende Steuer- und Sozialrecht und die Auslegungspraxis der Sozialversicherungsträger zu Ungereimtheiten führt. Durch diese Praxis wird ehrenamtliches Engagement nicht gefördert, sondern blockiert. Die Bundesregierung aber hat sich zum Ziel gesetzt, ehrenamtliche Tätigkeit umfassend zu fördern. Deshalb möchte ich bei den Aufwandsentschädigungen eine grundsätzliche Lösung erreichen, eine Lösung, die für alle Betroffenen klar, nachvollziehbar und gerecht ist.“ Und etwas weiter sagte er: „Wir wollen keine Sonderlösung für einzelne Bereiche. Deswegen brauchen wir eine Regelung, die den ehrenamtlich Tätigen Rechtssicherheit gibt und ihre engagierte und verantwortungsvolle Tätigkeit ausreichend anerkennt. Ich möchte keine Regelung, die in ein oder zwei Jahren schon wieder geändert werden muss. Ich möchte eine schnelle Lösung, aber noch wichtiger ist mir eine solide, tragfähige Lösung. Die wird es nur geben, wenn wir mit den Interessenverbänden der ehrenamtlich

Tätigen, den Sozialversicherungsträgern und den Bundesländern zu einer Einigung kommen.“

Und dem kann ich nur zustimmen, meine Damen und Herren. Ich erwarte von allen Beteiligten, dass sie zu einer Verständigung bereit sind. Ich bin mit dem Kanzler einer Meinung, dass es wohl möglich sein wird,

(Heiterkeit bei Wolfgang Riemann, CDU: Der Kanzler und ich. – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Sie mit Sicherheit nicht.)

zwischen einer wirklich ehrenamtlichen Tätigkeit und einer Beschäftigung, die bereits nebenberuflichen Charakter trägt, eindeutig und nachvollziehbar zu unterscheiden. Hohe Zuwendungen, bei denen bereits der gesunde Menschenverstand sagt, dass sie keine bloßen Aufwandsentschädigungen sein können, müssen auch weiterhin der Steuer- und Sozialversicherungspflicht unterliegen, wie zum Beispiel die Aufwandsentschädigung für die CDU-Generalsekretärin.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Beate Mahr, SPD – Zuruf von Jörg Vierkant, CDU)

Übrigens, meine Damen und Herren, eine Bundesratsentschließung zur Befreiung der Entschädigungen von der Sozialversicherungspflicht wurde in der Sitzung am 19.05.2000 in die Ausschüsse überwiesen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Wo leben Sie eigentlich? – Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Es liegt zudem ein Beschlussvorschlag vom 05.05. 2000 der Innenministerkonferenz vor,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das ist ja von vorgestern.)

Aufwandsentschädigungen aus dem Ehrenamt von der Sozialversicherungspflicht freizustellen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Wer hat denn die Rede geschrieben? – Dr. Ulrich Born, CDU: Wen meinen Sie denn mit Generalsekretärin?)

Mit dem Steuerrechtsbereinigungsgesetz 1999 ist die Aufwandsentschädigung nach Paragraph 3 Nummer 26 Einkommenssteuergesetz in ein steuer- und sozialversicherungsfreies Einkommen von bis zu 3.600 DM jährlich umgewandelt worden. Gleichzeitig wurde der Personenkreis der nach dieser Vorschrift begünstigten Personen um die Betreuer erweitert. Dies war die einzige rechtlich saubere Möglichkeit, das bürgerschaftliche Engagement in stärkerem Umfang als bisher zu honorieren. Eine Erhöhung der Aufwandsentschädigung wäre wegen anderer Aufwandsentschädigungen nach Aussagen des BMF verfassungsrechtlich bedenklich.

Verschiedene Sportorganisationen und die Opposition von CDU/CSU im Bundestag haben diese Umwandlung kritisiert, weil damit das freiwillige soziale Engagement in Sportvereinen und anderen gemeinnützigen Organisationen in die Nähe von entgeltlicher Tätigkeit gerückt wird.

Meine Damen und Herren! Es kann bei der Frage der steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Regelung keine „Insellösung“ geben.

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Insofern muss geprüft werden, wie eine für alle Bereiche des ehrenamtlichen Engagements möglichst einheit

liche Regelung gefunden werden kann. Mit dieser Frage beschäftigt sich zurzeit die vom Bundestag eingesetzte Enquetekommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Die Kommission hat ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben, in dem die steuerlichen, sozialversicherungsrechtlichen, arbeitsrechtlichen und zivilrechtlichen Hemmnisse für ein bürgerschaftliches Engagement zusammengetragen werden sollen. Auf der Grundlage dieses Gutachtens wird die Kommission dem Bundestag Vorschläge für gesetzliche Maßnahmen machen.

Mit einem Schnellschuss wäre hier keinem ehrenamtlich Tätigen geholfen. Und es reicht eben nicht, nur über die steuerliche Freistellung der Aufwandsentschädigungen zu reden. Es müssen ebenso zum Beispiel bessere Rahmenbedingungen für den Schutz von Risiken, die mit dem Ehrenamt verbunden sind, Strategien zur Vereinbarkeit von Familie, Beruf und bürgerschaftlichem Engagement in der Arbeitsgesellschaft, zur Gewinnung von jungen Menschen und zur Einbeziehung von älteren, nicht berufstätigen Menschen in ehrenamtliche Aufgaben entwickelt werden.

Meine Damen und Herren! Auf Einladung des Bundestagsabgeordneten Hans-Joachim Hacker und meiner Person wird in der nächsten Woche mit dem Vorsitzenden der Enquetekommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ Dr. Michael Bürsch mit Vereinen und Verbänden eine Diskussionsveranstaltung in Hagenow stattfinden. Wir wollen, dass die Anregungen und Forderungen, die dort vorgetragen werden, direkt mit in die Arbeit der Enquetekommission einfließen.

Auch die Landesregierung arbeitet gegenwärtig in einer Arbeitsgruppe an der Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Ehrenamt und benötigt also nicht erst die Aufforderung der Opposition, hier tätig zu werden. Daneben – und da bin ich eben anderer Auffassung als Herr Riemann – wird auch das gestern in Erster Lesung beratene Bildungsfreistellungsgesetz die Situation der Ehrenamtlichen im Land verbessern.

Sie sehen, dass alle Ebenen intensiv an der Verbesserung der durch die CDU verschuldeten Situation der Ehrenamtlichen arbeiten.

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD, und Beate Mahr, SPD)

Und deswegen sage ich das jetzt noch einmal, Herr Riemann: Ihr Antrag wäre deshalb dasselbe, wie Eulen nach Athen zu tragen.

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD – Reinhardt Thomas, CDU: Dann müssten Sie nach Athen gehen.)

Aus diesen vorgenannten Gründen lehnen wir den Antrag ab.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke, Frau Dr. Seemann.

Frau Abgeordnete, ich bitte Sie, persönliche Angriffe in Ihrem Redebeitrag zu unterlassen.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Sylvia Bretschneider, SPD: Ja, das sagen Sie mal Ihren Kollegen!)

Ich schließe die Aussprache.

(Unruhe bei Heinz Müller, SPD, und Dr. Ulrich Born, CDU – Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 3/1571. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Danke. Gegenprobe. – Danke. Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 3/1571 bei Zustimmung der CDU-Fraktion mit den Stimmen der Fraktionen der SPD und PDS abgelehnt.

Ich rufe auf den Z u s a t z t a g e s o r d n u n g s p u n k t: Beratung des Antrages der Fraktion der CDU – Erhalt der Coca-Cola AG Ost am Standort Stralsund, Drucksache 3/1603. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und PDS auf Drucksache 3/1608 vor.

Antrag der Fraktion der CDU: Erhalt der Coca-Cola AG Ost am Standort Stralsund – Drucksache 3/1603 –

Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und PDS – Drucksache 3/1608 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Vierkant von der Fraktion der CDU.

(Zuruf von Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

Na, das sind ja tolle Aussichten, Herr Schoenenburg.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Sie haben mich zu sehr geärgert hier zwei Tage lang. – Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS – Dr. Ulrich Born, CDU: Na, ist doch schön.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am gestrigen Vormittag ist durch die Aufsetzung des Dringlichkeitsantrages der CDU-Fraktion „Erhalt der Coca-Cola AG am Standort Stralsund“ ein deutliches Signal aus diesem Hohen Hause ausgesandt und in Vorpommern vernommen worden.