Protokoll der Sitzung vom 14.12.2000

(Beifall Wolfgang Riemann, CDU)

Also an diesem Programm wird tatsächlich gearbeitet. Dazu sollen zuerst interessierte gesellschaftliche und private Personen zusammengeführt werden. Es soll eine breite Sensibilisierung der Öffentlichkeit sowohl von Laien als auch von Fachexpertinnen und -experten zu den unterschiedlichen Gesundheitsproblematiken von Frauen und Männern erreicht werden. Die Mitspracherechte und Fähigkeiten von Frauen bei der Definition von Gesundheits- und Versorgungszielen sollen verbessert und das Anliegen von geschlechterdifferenzierten Maßnahmen der Gesundheitsförderung und -versorgung öffentlich gemacht werden. Gleichzeitig, meine Damen und Herren, wird eine kontinuierliche geschlechterdifferenzierte und frauenspezifische Gesundheitsberichterstattung für Mecklenburg-Vorpommern angestrebt. Aber auch gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von ausgewählten Frauengruppen wie zum Beispiel chronisch kranker Frauen und die Förderung der

Frauen in Medizinberufen sind ein Ziel des oben genannten Arbeitskreises.

Die Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Gesundheitsproblemen und die Benutzung des Begriffs der Frauengesundheit stoßen oft auf Skepsis und häufig auch auf Ablehnung.

(Wolfgang Riemann, CDU: Nö, nö! Bei uns nicht.)

Das habe ich schon erwähnt. Auch der Antrag der CDU beschränkt sich auf die biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen...

(Wolfgang Riemann, CDU: Na Gott sei Dank, dass es sie gibt.)

Ja. Schön, ne?!

(Heiterkeit bei Detlef Müller, SPD, und Minister Dr. Wolfgang Methling)

... und geht in der Begründung davon aus, dass Fortschritte der Medizin und der Medizintechnik grundsätzlich von Frauen und Männern gleichermaßen genutzt werden und ihnen zugute kommen. Das ist meines Erachtens nicht so. Es behindert den Blick auf die Unterschiede bei Gesundheit und Krankheit von Frauen und Männern und wird weder Männern noch Frauen gerecht. Was uns generell in der Medizin und dem Bewusstsein der Öffentlichkeit fehlt und was auch im Antrag der CDU-Fraktion zum Ausdruck kommt, ist ein Problembewusstsein für die differenzierte Situation der Geschlechter.

Herr Riemann, Sie sollten zuhören, damit Sie es heute begreifen!

(Dr. Margret Seemann, SPD: Der begreift das sowieso nicht.)

Am 19.07.2000 haben die SPD-Fraktion und die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag in den Bundestag eingebracht, wonach frauenspezifische Aspekte als Bewertungskriterien für Projektanträge im Gesundheitswesen beachtet werden sollen. Es reicht nicht aus, meine Damen und Herren, biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen auszuwerten und gesundheitspolitisch zu bearbeiten. Und auch Männer und Frauen bei gleichen gesundheitlichen Fakten zu vergleichen ist erst der Anfang einer geschlechterspezifischen Problemanalyse. Die geschlechterspezifische Sichtweise – und ich möchte noch einmal betonen, dass diese Männern und Frauen zugute kommt,

(Beifall Wolfgang Riemann, CDU)

das sollten Sie wirklich hier mitnehmen – bedeutet, die unterschiedlichen sozialen Lebenszusammenhänge von Frauen und Männern genauso wie die psychologischen und physiologischen Besonderheiten der Geschlechter zu erforschen und in Bezug auf den Entstehungs- und Erhaltungsprozess von Gesundheit sowie auf Krankheitsentwicklung, -erkennung und -behandlung anzuwenden. Dabei spielen auch die Beziehungen zwischen den Geschlechtern eine besondere Rolle – Herr Riemann, das wird Sie wieder interessieren –,

(Wolfgang Riemann, CDU: Ja.)

und zwar sowohl für den Erhalt der Gesundheit als auch für die Gesundheitsstörungen. Frauen leiden an oder profitieren von einer Partnerschaft anders als Männer. Dies wird insbesondere bei psychosozialbedingten beziehungsweise -geförderten Erkrankungen deutlich.

In der Versorgung kranker Frauen und Männer bestehen zwei zunächst widersprüchlich erscheinende Gegensätze. Zum einen werden kranke Frauen nicht so modern wie Männer diagnostiziert und behandelt,...

(Wolfgang Riemann, CDU: Und so wehleidig sind sie auch nicht.)

Nee, das stimmt.

... was ihnen zum Beispiel beim Herzinfarkt sehr zum Nachteil wird. Und zum anderen haben Frauen bei gleicher Erkrankung andere Krankheitsanzeichen als Männer, die nicht oder nur erschwert erkannt werden, wenn sie wie bei Männern diagnostiziert und behandelt werden sollen. Ein Beispiel: Obwohl Herz-Kreislauf-Erkrankungen und darunter führend die koronare Herzerkrankung heute für Frauen wie für Männer die häufigste Todesursache darstellen, liegen bei weitem mehr Forschungsarbeiten zu koronaren Herzerkrankungen bei Männern als bei Frauen vor. Es wird also mehr geforscht in Bezug auf Männerkrankheiten. Das ist zum Beispiel ein Problem. – Weil Frauen ja sowieso länger leben, nicht?

(Heiterkeit bei Angelika Gramkow, PDS – Detlef Müller, SPD: Richtig.)

Ein Ergebnis davon ist, dass Frauen insbesondere in der Rehabilitation benachteiligt sind. Sie sind in allen Rehabilitationsmaßnahmen unterrepräsentiert und die Praxis der Rehabilitation entspricht nicht ihren spezifischen Lebensumständen und Präferenzen.

Die frauenpolitischen Anforderungen an eine Gesundheitspolitik, die meines Erachtens notwendig sind und die in Mecklenburg-Vorpommern auch zum Teil auf den Weg gebracht worden sind, finden sich im Antrag der CDU nicht vollständig wieder. Es sind zum Beispiel für uns Schritte in Bezug...

(Wolfgang Riemann, CDU: Wir erheben doch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, Frau Staszak.)

Na ja,...

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Herr Riemann, wir wollen doch, dass was Gutes rauskommt.

(Wolfgang Riemann, CDU: Ja.)

Das ist jedenfalls mein Anliegen.

Es sind zum Beispiel schon Schritte in Bezug auf das Mammographie-Screening in Mecklenburg-Vorpommern unternommen worden. Die Universität Rostock hat ein Modellprojekt initiiert, das vom Sozialministerium unterstützt wird und auf dessen Ergebnisse gewartet werden sollte, bevor die Forderung nach einem flächendeckenden Mammographie-Screening erhoben werden kann.

Gleichzeitig fehlt mir unter dem Punkt Brustkrebs der meines Erachtens bedeutsamste Punkt der Ursachenforschung. Nur wenn wir wissen, warum so viele Frauen an Brustkrebs erkranken, und zwar Jahr für Jahr immer mehr, können wir den Brustkrebs wirksam bekämpfen. Auch der Forderung nach einer Aufklärung junger Mädchen und Frauen über eine regelmäßige und sachgerechte Selbstuntersuchung der Brust stehen Fachleute kritisch gegenüber. Natürlich hat niemand etwas gegen die Selbstuntersuchung, zumal 85 Prozent der Brusttumore durch eine Selbstuntersuchung von Frauen entdeckt wer

den. Aber meines Erachtens ist es erst einmal notwendig, den jungen Frauen ein positives Körpergefühl zu vermitteln, sie davon zu überzeugen, dass ihr Körper nicht grundsätzlich defizitär ist und in ihren Brüsten nicht der Tod lauert. Wenn wir Frauen also für die Selbstuntersuchung sensibilisieren, dann nur in einem Programm, das ihnen das Gefühl gibt, ihren Körper annehmen zu können und in diesem Zusammenhang dann auch Verantwortung für ihre Gesundheit zu entwickeln, und dies nicht nur im Rahmen von Brustkrebsvorsorge, sondern im Rahmen von Wohlbefinden und Selbstbewusstsein zur Erlangung von Lebensqualität.

Auch die Forderungen zu Punkt 2 und 3 sind mir zu kurz. Ich würde mir wünschen, dass auch hier ein umfassenderes Frauengesundheitsbewusstsein zugrunde gelegt wird. Die Forderung, Suchterkrankungen von Frauen spezifisch zu betrachten, teile ich und plane deshalb gemeinsam mit der Landesstelle gegen die Suchtgefahren Mecklenburg-Vorpommern e. V. im nächsten Jahr eine Veranstaltung „Frauensüchte – Frauensehnsüchte“, die sich mit diesem Thema befassen wird.

(Beifall Detlef Müller, SPD: Das ist gut.)

Vielen Dank.

Die Gesundheitsforschung und Gesundheitsberichterstattung, die unter Punkt 6 angesprochen wird, wünsche ich mir tatsächlich in größerem Umfang, als sie bislang möglich war. Allerdings sind auch hier in Mecklenburg-Vorpommern die ersten Schritte schon getan, denn im November 1998 ist von Frau Professor Reis, Fachhochschule Neubrandenburg, der Bericht „Wie geht es uns heute – Frauengesundheit in Mecklenburg-Vorpommern“ vorgelegt worden. Und der Arbeitskreis „Frauengesundheit“ befindet sich mit dem Sozialministerium schon seit längerem im Dialog, wie die Frauengesundheitsberichterstattung in Mecklenburg-Vorpommern in diesem Punkt verbessert werden kann. Ich bin mir sicher, dass dies zu aussagekräftigen Ergebnissen in Zukunft führen wird.

Leider hat die CDU-Fraktion das Thema Frauengesundheit ein bisschen als Vehikel benutzt, sich gegen die Budgetierung der ärztlichen Leistungen sowie der Arzneiund Heilmittelausgaben bei der Bundesregierung einzusetzen und deren Aufhebung zu fordern. In welchem Zusammenhang dies mit den spezifischen Problemen der Frauengesundheitspolitik steht, ist mir nicht ganz klar und ich verwahre mich dagegen, diese beiden Punkte miteinander zu vermischen.

(Beifall Detlef Müller, SPD, und Dr. Margret Seemann, SPD)

Ich denke, Frauengesundheitspolitik ist ein wichtiges Anliegen, das die CDU auch verfolgen könnte, ohne es gleichzeitig mit der Gesundheitspolitik der Bundesregierung zu vermischen. Deshalb wäre es sehr schön, Sie würden uns im Sozialausschuss in diesem Anliegen unterstützen. Ich denke, da ist konkrete Gelegenheit.

(Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Als letzten Punkt fordert die CDU-Fraktion, ein Frauengesundheitsprogramm vorzulegen. Dieses befindet sich, wie ich oben schon dargelegt habe, derzeit in Vorbereitung durch den Arbeitskreis „Frauengesundheit“ und ich denke, dass es nicht notwendig sein wird, hier eine derart strikte Zeitvorgabe zu verankern, beziehungsweise dass es nicht notwendig ist, gleichzeitig durch die Landesre

gierung ein Frauengesundheitsprogramm parallel erarbeiten zu lassen, weil man den Ergebnissen des Arbeitskreises „Frauengesundheit“ zuvorkommen möchte. Das ist meine Position dazu und ich hatte schon angeregt, dass wir uns gemeinsam vielleicht im Sozialausschuss darüber unterhalten können, damit dann wirklich etwas Vernünftiges dabei herauskommt.

Frau Staszak, gestatten Sie eine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Seemann? (Zustimmung)

Frau Staszak, teilen Sie die Auffassung von Frau Holznagel, dass Gleichstellungspolitik oder Frauenpolitik im Sozialausschuss in den letzten zwei Jahren zu kurz gekommen ist oder eine zu geringe Rolle gespielt hat?

Ich hab’s gar nicht gehört. Hat Frau Holznagel das gesagt?

Ich kann aber dazu sagen, dass in der letzten Zeit durch den Sozialausschuss die Frauenpolitik sehr unterstützt wurde,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

dass es dort wirklich sehr viel frauenpolitische Kompetenz gibt, worüber ich natürlich sehr froh bin. Und der Sozialausschuss hat auch immer wieder für die Frauenpolitik Gelder umgeschaufelt, so dass es möglich war, auch etwas vorwärts zu bringen, und auch der Finanzausschuss, ja, genau,

(Beifall Dr. Manfred Rißmann, SPD – Heiterkeit bei Angelika Gramkow, PDS)