Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 53. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratung vereinbarungsgemäß fort.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrages der Fraktionen der PDS und SPD – Bundesratsinitiative zum kommunalen Wahlrecht für Nicht-EUBürgerinnen und Nicht-EU-Bürger mit ständigem Wohnsitz im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, Drucksache 3/1816.
Antrag der Fraktionen der PDS und SPD: Bundesratsinitiative zum kommunalen Wahlrecht für Nicht-EU-Bürgerinnen und Nicht-EU-Bürger mit ständigem Wohnsitz im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland – Drucksache 3/1816 –
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Ritter von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Herr Ritter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Bundesrepublik Deutschland ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländerinnen und Ausländer an der Gesamtbevölkerung gekommen. Auch wenn in den 90er Jahren seitens der Bundesregierung sekundiert durch viele Landesregierungen erhebliche Anstrengungen unternommen wurden, diesen Trend umzukehren, der Integrationsprozess macht um Deutschland keinen Bogen. Und mit Blick auf Mecklenburg-Vorpommern und seine Bevölkerungsentwicklung sage ich, zum Glück.
In diesem Zusammenhang hat sich jedoch eine neuartige Dreiklassengesellschaft zwischen deutschen Staatsbürgern, EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern herausgebildet. Das allgemeine Wahlrecht genießen diejenigen mit deutschem Pass. Das kommunale Wahlrecht steht seit dem 1. Januar 1996 denen zu, die aus EU-Ländern kommen. Selbst Letzteres wird aber den vielen Nicht-Deutschen verweigert, die länger als 5 Jahre, zum Teil über 2 0 Jahre rechtmäßig ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Ich will an dieser Stelle einem möglichen Argument gleich entgegentreten, das besonders gern von konservativer Seite benutzt wird. Einwanderinnen und Einwanderer seien Menschen, die ihr Heimatland verlassen hätten und ein anderes Land mit dem Ziel aufsuchen würden, dort neu sesshaft zu werden. Dann aber könnten sie zum Beispiel die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben und hätten automatisch alle Rechte deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, erstens verlangen wir das von einer Italienerin oder von einem Briten auch nicht und zweitens wären wir dann wieder bei der Debatte um ein sich nicht auf der Höhe der Zeit befindendes Staatsbürgerschaftsrecht in der Bundesrepublik.
Auf der Höhe der Zeit befindet sich aber die Bundesratsinitiative, die mit dem vorliegenden Antrag der Fraktionen der PDS und SPD heute auf der Tagesordnung steht. Die Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger, die mehr als fünf Jahre rechtmäßig ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik haben, sind EU-StaatsbürgerInnen hinsichtlich des aktiven und passiven Kommunalwahlrechts im Grundgesetz gleichzustellen. Dazu bedarf es einer Ände
rung des Artikels 28 Absatz 1 des Grundgesetzes. Damit würde auch hinsichtlich des Begriffs „Volk“ im Artikel 20 Grundgesetz klargestellt, dass nicht nur Deutsche und EU-Bürgerinnen und EU-Bürger gemeint sind, sondern ebenso weitere auf dem Staatsgebiet der BRD lebende Bürgerinnen und Bürger.
Um manchem Skeptiker die Zustimmung zu unserem Antrag zu erleichtern, will ich hier ein weiteres Argument einfügen: „Der starke Geburtenrückgang der deutschen Bevölkerung seit Mitte der 60er Jahre hat eine neue folgenschwere Kerbe in den Altersaufbau geschlagen. Es wäre gefährlich, dieser Entwicklung nicht entgegenzuwirken. … Es ist … fast als ein geschichtlicher Glücksfall zu betrachten, dass wir die Möglichkeit haben, durch Zuwanderung … von Ausländern den Geburtenrückgang teilweise zu kompensieren.“
Dieses Zitat stammt allerdings nicht aus neuesten Untersuchungen zur Bevölkerungsentwicklung, die in den letzten Monaten für Schlagzeilen – auch in unserem Land – sorgten. Es stammt aus einer Studie, die der Sozialwissenschaftler Professor Dr. Hans Stirn bereits 1979 geschrieben hat. Die Erkenntnis, dass wir – wie die meisten EU-Staaten – auf Migration angewiesen sind, um den Bevölkerungsrückgang abzufedern, ist also nicht neu, nur haben sich Politik und Medien bislang wenig darum gekümmert.
Wir haben es mit einer hohen räumlichen Mobilität zu tun. Jährlich wandern Tausende Deutsche aus, vor allem aus beruflichen, wirtschaftlichen oder familiären Gründen. Nicht-Deutsche wollen zu uns einwandern und kommen, wenn auch gezwungenermaßen, per Asylersuchen oder eben nicht legal in unser Land, denn in Deutschland gibt es zwar ein Recht auszuwandern, es gibt aber kein Recht einzuwandern. Auf die Wanderungsbewegungen, aus welchem Grund auch immer, muss sich Politik einstellen, mehr noch, sie muss gestalten. Wer sich weigert, zum Beispiel die Tatsache der Einwanderungen anzuerkennen, gibt Gestaltungsmöglichkeiten der Politik aus der Hand.
Es entspricht dem Prinzip der Menschenwürde und der darin enthaltenen emanzipatorischen Idee, dass Menschen ihre Lebensverhältnisse unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit mitbestimmen können. Alle ausländischen Menschen, die in der Bundesrepublik Deutschland ständig leben und arbeiten und damit nicht unbeträchtlich zur Lebensqualität der gesamten Bevölkerung beitragen, müssen auch am politischen Prozess teilhaben und die Bildung der Verfassungsorgane beeinflussen können. In diesem Sinne muss von uns das Konzept der WohnsitzbürgerInnen unterstützt werden. Das Wahlrecht ist ein Recht, das ihnen in einem demokratischen Land zustehen sollte. Ein Wettbewerb zwischen den Parteien um die Stimmen der ausländischen Bürgerinnen und Bürger würde zudem die Sensibilität der Politik für die Probleme aller ausländischen Bürgerinnen und Bürger erhöhen. Zugleich wäre das ein Akt der Integration, der längerfristig Rassismus – auch in unserem Land – zurückdrängen kann.
Es muss deshalb unsere Aufgabe sein, sich für die Abschaffung noch bestehender struktureller Diskriminierungen einzusetzen, die den größten Teil der bei uns lebenden Nicht-Deutschen betreffen. Sie sind von einer Mitwirkung an der unmittelbaren Demokratie in unserem Land ausgeschlossen.
Ausgangspunkt des im Antrag genannten Gesetzesantrages ist der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil zum kommunalen Ausländerwahlrecht offen gelassene Weg. Darin wird vom BVG darauf hingewiesen, dass Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-BürgerInnen nicht ausschließt. Somit verstößt es nicht gegen den Grundsatz der Demokratie, wie genannt, die Wahlbefugnis auf kommunaler Ebene auszudehnen.
Die sich bereits seit über drei Jahren im parlamentarischen Geschäftsgang befindliche Bundesratsinitiative ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Der „Rat der Europavereinbarung über die Teilnahme der Ausländer am öffentlichen Leben der Kommunen“ hat deshalb auf der 7. Plenarsitzung im Mai 2000 in Straßburg nochmals die Einführung des aktiven und passiven Kommunalwahlrechts für Nicht-EU-BürgerInnen gefordert. Dieses Recht besteht gegenwärtig in Dänemark, Finnland, Irland, Schweden und in den Niederlanden. Es ist auch in Deutschland einzuführen. Das wäre ein konkreter Beitrag zur Ausgestaltung des Diskriminierungsverbotes in Artikel 13 des Amsterdamer Vertrages und des daran angelehnten Artikels der E U - G r u n d r e c h t s c h a r t a.
Wir brauchen größere Anstrengungen, was die Integration der Millionen Menschen angeht, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben. Ich sage noch einmal, was wir als PDS schon oft gesagt haben: Wir werden Rassismus, ein tragendes Element rechtsextremistischer und neonazistischer Ideologien, nur bekämpfen können, wenn wir diesen Menschen wirklich die gleichen Rechte geben, wie Deutsche sie haben, und nicht auf ihren Pass schauen.
Zu der Frage einer grundsätzlichen Neuorientierung der deutschen Flüchtlings- und Asylpolitik hatten der Landesvorstand der PDS, unsere Landtagsfraktion, das „kommunalpolitische forum – Land Mecklenburg/Vorpommern“ e. V. am 20. Januar in Güstrow eine Flüchtlingspolitische Konferenz durchgeführt. Mit Flüchtlingsinitiativen, Vereinen und Gruppen, mit Immigrantinnen und Imigranten sowie Asylsuchenden debattierten wir. Gemeinsam von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde ein Appell verabschiedet. Dieser Appell verlangt von Bund und Land, neue Maßstäbe in der Asyl- und Flüchtlingspolitik anzusetzen. So heißt es zum Beispiel:
Erstens. Asyl- und Flüchtlingspolitik muss auf eine menschenrechtliche Grundlage gestellt werden. Das heißt, für die rechtliche Bewertung von Verfolgung und Flucht sind internationale Menschenrechtsabkommen der UNO und der EU Maßstäbe setzend.
Zweitens. Die Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 und alle Nachfolgeverträge müssen in all ihren Bestimmungen wieder Grundlage national gestalteter Flüchtlingspolitik werden.
Drittens. Asyl ist Menschenrecht. Demgemäß muss das Grundrecht auf Asyl in seiner Gänze wiederhergestellt und erweitert werden.
Viertens. Die Politik der Globalisierung und Europäisierung, nicht nach neoliberalen, sondern nach menschenrechtlichen Maßstäben betrieben, hat ein wachsendes Aufeinander-angewiesen-Sein der Völker zur Folge. Statt eines Gegeneinanders und statt Ausgrenzung wie zum Beispiel beim kommunalen Wahlrecht führt nur ein Miteinander in eine lebbare Zukunft für immer mehr Menschen.
Das verlangt nach einer ausschließlich integrativen Flüchtlings- und Migrationspolitik auch in Deutschland.
Fünftens. Die TeilnehmerInnen dieser Konferenz appellieren an alle Landkreise, kreisfreien Städte und Kommunen, Verantwortung zu übernehmen, alle Möglichkeiten für integrative Schritte zwischen Deutschen und NichtDeutschen zu prüfen und zu realisieren und eben auch das kommunale Wahlrecht umzusetzen.
Sechstens. Eine auf menschenrechtliche Basis gestellte Asyl- und Flüchtlingspolitik wäre ein gewichtiger Beitrag, Rechtsextremismus und Neonazismus zurückzudrängen sowie Achtung der Würde eines jeden Menschen und Toleranz zu tragenden Säulen des staatlichen Handelns und gesellschaftlichen Lebens zu machen.
Entwickelte Demokratie braucht all dies, es ist ihr Lebenselixier. Und darum bitte ich Sie um Zustimmung zum Antrag. – Danke schön.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei Ihrem Antrag kommt man, glaube ich, an einem grundsätzlichen Kommentar nicht vorbei. Der PDS genügt es offenbar nicht, dass die rot-grüne Schröder-Regierung mit dem Durchpeitschen ihrer Vorstellungen im Ausländerrecht
Zur Erinnerung: Das rot-grüne Ausländerrecht verstößt gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 31. Juli 1973. Zitat: „Deutscher ist, wer sich zum deutschen Volkstume bekennt, sofern dieses Bekenntnis durch Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung“
ohne Berücksichtigung der Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit schaffte Rot-Grün die Voraussetzungen für eine andere Gesellschaft,
in der die nationale Identität keine Rolle mehr spielen soll. Damit greift die Schröder-Regierung radikal nach den Wurzeln des Staatsangehörigkeitsrechtes und nach der Identität des deutschen Staatsvolkes. Das steht im Übrigen im Grundgesetz.
Das steht im Grundgesetz. Wenn das Grundgesetz nationalistisch ist, dann müssen Sie das mal öffentlich sagen!
Das Abstammungsprinzip zum Beispiel, das Sie so verdammen, steht historisch in der Tradition der Entstehung des republikanisch-demokratischen Staates, mit dem im 19. Jahrhundert das fürstlich-absolutistische Bodenrechtsprinzip, also das Territorialprinzip, abgelöst wurde. Nach dem Abstammungsprinzip wird die Staatsangehörigkeit erworben, wenn ein Elternteil Deutscher ist. In der republikanisch-demokratischen Tradition stehend ist es also weder völkisch noch rassistisch, wie Sie das ja behaupten. Es entspricht damit der engen Beziehung zwischen Bürger und Staat, die beim Wahl- und auch beim Kommunalrecht ganz entscheidend ist.
Dass sich die Gegner des Abstammungsprinzips in ihrer Argumentation auf das Territorialprinzip aus fürstlich-absolutistischen Zeiten berufen, indem sie durch Geburt auf deutschem Territorium die Staatsbürgerschaft zubilligen wollen, ist schon bemerkenswert.